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Archiv für klinische Chirurgie
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ARCHIV
KLINISCHE CHIRUßGIE.
HKRAÜSGEGEBKN
VON
Dr. B. von LANGENBECK,
WirUiehtm Qth. Rath und Prof. dtr Chirnrgt«.
KEDIQIRT
Dk. BULROTI, und Db ftTOLT,
Prot dor Chimrgio in Wien. Prof. der Chirurgie in Berlin.
FÜNFÜNDDBfilS8l«8TER BAND.
(Mit U TtMn AbbUdniiKcn ud HoluabaitMn.)
BERLIN, 1887.
VERLAG VON AÜGÜST HIRSCHWALD.
N.-W. Unter den linden Mo. CS.
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Inhalt.
I. Nachweis von Erysipel-Coccen in der Luft chirurgischer Kran-
kenzimmer. Von Dr. Anton Freiherr von Eiseisberg . . 1
IL üeber gewisse Verletzungen (Fracturen und Luxationen) im
Humero-Badialgelenke. Von Dr. Karl L5bker. (Mit Holz-
schnitten.) 18
IIL Die Blasennaht. Eine experimentelle Studie von Dr. Alexander
Brenner. (Hierzu Tafel I.) 3B
IV. Aus der Heidelberger chirurgischen Klinik des Prof. Dr. Czernj.
1. Die malignen Tumoren der Gefassscheide. Von Dr. Carl
Begnault 50
V. üeber die Ursachen der Erschwerung des D6canulement nach
Tracheotomie im Kindesalter wegen Diphtherie. Von Dr. Emil
Kohl 75
VI. üeber Schiefstand der Nasenscheidewand. Von Dr. August
Seh aus. (Hierzu Tafel II.) 147
^VII. Beitrage zur Statistik der chirurgischen Tuberculose. (Aus
der Chirurg. Klinik des Prof. Dr. Maas in Würzburg.) Von
Dr. Constantin Schmalfuss 167
VIII. üeber Chyluscysten des Mesenteriums. Von Dr. F. Bramann 201
^ IX. Zur Jodoformfrage. Von Dr. Gustav de Ruyter .... 213
X. Mittheilungen aus der chirurgischen Casuistik und kleinere
Mittheilungen.
1. Ein Fall von Osteom des Siebbeines. Von Dr. Sprengel 224
2. Ein Fall von Carcinoma mammae bei einem Manne. Von
Dr. A. W. C. Berns 228
8. Ein weiterer Fall von Krebs der männlichen Brustdrüse.
Von Dr. Bernhard Schuchardt 280
4. 12 Fremdkörper aus Magen und Darm in einer Sitzung
durch Enterotomie und Gastrotomie entfernt. (Mitthei-
lung aus der chir. Abtheilung des Hofraths Dr. Stelzner
am Stadtkran kenhause zu Dresden.) Von Dr. Badestock 283
5. üeber den Abriss der St recksebne von der Phalanx des
Nagelgliedes. Von Dr. G. Sohoening 287
XI. üeber die schräge Gesichtsspalte. Von Dr. R. Morian. (Hierzu
Tafel m. und Holzschnitte.) 245
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IV Inhalt.
Seite
XII. Aus der Heidelberger chirurgischen Klinik des Prof. Dr. Czerny.
II. £in Beitrag zur Statistik und klinischen Bedeutung mela-
no tischer Geschwülste. Von Dr. Philipp Dieterich . . . 289
XIIL Untersuchungen über den Processus vaginalis peritonei als
prädisponirendes Moment für die äussere Leistenhernie. Von
Dr. Hugo Sachs. (Hierzu Tafel IV. und Holzschnitte.) . . 821
XIV. Beiträge zur Lehre von den Anaestheticis. Von Dr. 0. Eap-
peler. (Mit Holzschnitten.) 373
XV. Ueber die Ursachen der Erschwerung des D6canulement nach
Tracheotomie im Kindesalter wegen Diphtherie. Von Dr. Emil
Kohl. (Hierzu Tafel V.) (Schlnss zu S. 146.) 403
Supplement:
Pathogenesis (Histogenesis und Aetiologie) der Aneurysmen
einschliesslich des Aneurysma equi verminosum. Patholo-
gisch-anatomische Studien. Von Prof. Dr. HansEppinger.
(Hierzu Tafel I— IX.) 1
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Nachweis von Erysipel-Coccen in der Luft
chirurgischer Krankenzimmer.
Von
Dr. Anton Freiherr Yon Glselsberg^^
▲Mistent an Hofnth ProfeMor Billroth*B Klinik in Wien.i)
Hesse*) war der erste Forscher, welcher mit einem eigens
von ihm dazu construirten Apparate die Luft von verschiedenen
Orten, als Wohnungen, Stallungen, Krankenzimmern etc., auf ihren
Pilzgehalt quantitativ untersuchte. Am Schlüsse seiner grund-
legenden Arbeit giebt er der Hoffnung Baum, dass es durch ähn-
liche Untersuchungen gelingen könnte, die Krankheitserregenden
Mikroorganismen bei Epidemieen von Erysipel, Pneumonie, Tuber-
culose etc. aufzufinden.
Pawlowsky') stellte in verschiedenen Räumen Glasplatten
auf, welche mit Gelatine überzogen waren. Dabei gelang es ihm
zu einer Zeit, als mehrere Fälle von croupöser Pneumonie vor-
kamen, auf einer Platte einen dem Friedlän der 'sehen Pneumonie-
coccus ähnlichen Mikroorganismus nachzuweisen. Später brachte
derselbe Forscher*) an dem Hesse'schen Apparate einige von
Hesse selbst') als unpraktisch bezeichnete Modificationen an, und
^) Auf besooderen Wunsch des Herrn Verfassers bezeugt die Redaction,
dass die vorliegende Arbeit ihr bereits im Sommer 1886, lange vor der Ber-
liner Naturforscher -Versammlung, übersandt worden ist.
•) üeber quantitative Bestimmung der in der Luft enthaltenen Mikro-
organismen. Mittheilangen aas dem Kaiserl. Reichs- Gesundheitsamte. Bd. II.
•) Ueber das Vorhandensein der Pneumoniecoccen in der Luft Berliner
klin. Wochenschrift. 1885. No. 22.
*) Semaine m^dicale. No. 4. 188C. Berliner klin. Wochenschr. 1885. No. 2.
') Zur quantitativen Bestimmung der Mikroorganismen der Luft. Berliner
klin. Wochenschrift. 1885. No. 24.
▼. Laogtnb«ok, Areh. f. Chlrorgi«. XXXV. 1. 1
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2 Dr. A. von Eiseisberg,
konnte mit diesem Apparate in einem chirurgischen Erankensaale
den von Passet als Mikrococcus citreus beschriebenen Eiter-Mikro-
organismus finden und dessen pyogene Eigenschaft am Hunde
constatiren.
Angeregt durch meinen hochverehrten Lehrer, Herrn Professor
Billroth, machte ich ebenfalls Untersuchungen über den Keim-
gehalt der Luft chirurgischer Krankenzimmer. Dabei bediente ich
mich folgenden, ganz einfachen Verfahrens, welches in Fällen, wo
es sich nicht um genaue quantitative Bestimmung der in der Luft
enthaltenen Keime handelt, bereits vielfach (u. A. von Pawlowsky)
in Anwendung gebracht worden ist. Es wurden sterilisirte Nähr-
medien (Fleischwasserpeptongelatine oder Fleischwasserpeptonagar-
agar) auf sterilisirte Glasplatten gegossen und diese Platten an
verschiedenen Stellen des Zimmer No. 16^) auf und unter dem
Bette und auf der Tischplatte durch eine bestimmte Zeit exponirt,
hierauf in die feuchte Kammer gebracht und nun die Entwickelung
von Keimen auf derselben beobachtet.
Daselbst war nun regelmässig schon am 2. Tage eine grosse
Anzahl von verschiedenen Colonieen makroskopisch sichtbar, welche
häufig durch Stich in H. und später in III. Generation weiterge-
züchtet wurden. Stets wurden sämmtliche Colonieen im Deckglas-
präparate genau untersucht.
Im Nachfolgenden will ich eine ganz kurze Beschreibung der
gefundenen Mikroorganismen-Arten geben.
a) Spärliche (2 — 6) Schimmelpilz-Colonieen.
ß) Eine etwas grössere Anzahl (5—10) Hefe-Colonieen.
y) 10 — 30 in weissen Colonieen wachsende, die Gelatine nicht
verflüssigende Coccen, die an Grösse den Eitercoccus be-
deutend übertrafen,
rf) 20 — 30 kleine, nur mit Hülfe des Mikroskops Ocular I.
Objectiv 4. erkennbare runde, farblose Colonieen, welche
in ihrem Innern concentrische Streifung zeigten und da-
durch etwas an den Anblick einer Cancroid- Kugel erinnerten.
Die mikroskopische Untersuchung ergab tetragonusartig an
einander gereihte, grosse Coccen.
^) Zimmer No* 16 ist ein grosser, zur chirurgischen Klinilc des Herrn
Professor Billroth gehöriger Krankensaal des Wiener k. k. allgemeinen Kran-
kenhauses mit 20 Betten, welche stets voll belegt sind.
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Nachweis von Erysipel -Coccen io der Luft ohirargisoher Krankenzimmer. 3
€) 3 — 8 braune, runde, im Innern fein gekörnt aussehende,
die Gelatine nicht verflüssigende Colonieen, welche bei
ihrer mikroskopischen Untersuchung Staphylococcen (etwas
grösser als die Eitercoccen), meist zu 4 — 5 aneinander
gereiht, ergaben.
f) 1 — 3 rasch wachsende, die Gelatine verflüssigende, braun-
gelbe, feingekörnte Colonieen, bestehend aus einem grossen
Bacillus.
») 4 — 7 hellbraune, runde, nicht verflüssigende, langsam
wachsende Colonien, bestehend aus dünnen kurzen Bacillen.
Es waren an vier aufeinander folgenden Tagen je 5 solcher
Platten (Agar und Gelatine) von 12 — 127^ Uhr Mittags aufgestellt
worden, und sämmtliche Platten ergaben ungefähr den oben be-
schriebenen Befund. Dabei war zwischen den Gelatine- und den
Agarplatten kein merklicher unterschied, ebenso ergab auch der
Standort der Platten, ob selbe ober- oder unterhalb des Bettes der
Luft exponirt waren, keine constante Differenz in Bezug auf die
Art oder Menge der Colonieen.
Anders war es, als die Tageszeit, zu welcher die Platten auf-
gestellt waren, geändert wurde.
Es wurde nämlich an 4 weiteren Tagen der gleiche Versuch
in der oben beschriebeneu Weise wiederholt, ausserdem aber noch,
je 5 Platten um 4 Uhr Abends, unmittelbar nach dem Kehren des
Zimmers, durch je y^ Stunde exponirt. In der Zimmerluft war
dabei, obwohl das Kehren mit nassen Tüchern geschieht, deutlich
Staub zu sehen.
Diese unmittelbar nach dem Aufräumen in staubgefüllter Luft
aufgestellten Platten zeigten am 2. Tage etwa doppelt so viele Co-
lonieen, als die betreffenden Controlplatten. Die Schimmelcolonieen
waren in denselben um mehr als das Dreifache, die übrigen Colonieen
(wie vielfache Zählungen ergaben) um beiläufig das Doppelte vermehrt.
Von pathogenen Organismen fand sich nur ein einziges Mal
auf einer Nachmittags aufgestellten Platte eine nach 5 Tagen
schön goldgelb gewordene Colonie, welche bei ihrer mikroskopischen
Untersuchung Staphylococcen von der Grösse der Eitercoccen ergab.
Die Stich- und Strichkjilturen dieser Coionie auf Agar und Gelatine
verhielten sich ganz so, wie die betreffenden Culturen des Staphyl.
pyog. aureus Bosenbach.
!♦
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4 Dr. A. von Eiseisberg,
Hinzufügen möchte ich noch, dass zur Zeit, als diese Versuche
gemacht wurden, der Wand verlauf in diesem Krankenzimmer ein
vollkommen reactionsloser war.
Im Herbst 1885 ereignete es sich, dass auf einem grossen
chirurgischen Krankenzimmer des allgemeinen Krankenhauses vier
Fälle von Erysipel vorkamen und ich machte mit Freude von der
ubniss des betreffenden Abtheilungsvorstandes Gebrauch,
uft daselbst auf ihren Keimgehalt zu prüfen,
gelang es mir in Platten, welche in derselben Weise,
I beschrieben wurde, aufgestellt waren, Colonieen von
tococcus zu finden, der in seiner Grösse, seinem Wachs-
ünstlichen Nährböden, sowie in seiner pathogenen Wir-
hiere, vollkommen mit dem von Fehleisen beschrie-
tococcus erysipelatosus übereinstimmte,
chfolgenden sei es mir gestattet, nebst einer kurzen
rysipelfälle, die daran sich schliessenden Untersuchungen
5n: Das Krankenzimmer war mit chirurgischen Pa-
gt und erhielt einen Zuwachs durch die Aufnahme eines
Burschen mit einem Abscessus reg. zygomat. und Ery-
lie erkrankte Gegend. Das Erysipel erwies sich als
mte sich nicht aus, blasste bald ab, um nach einigen
zu verschwinden. Vor Ablauf der Rose jedoch bekam
elben Zimmer, dem ersten Patienten gerade gegenüber
ann von einer granulirenden Wunde, die nach einem
3n Einschnitte eines Nackenkarbunkels zurückgeblieben
iweres Erysipel, welches sich in mehreren Nachschüben
I, Kopf, Brust und Gesicht ausbreitete und durch etwa
hielt. — Sein Nachbar, ein junger, blühender Mann,
ii Operation einer Schwimmhautartig vom Körper zum
arm hinüberziehenden Narbenmasse einen etwa zwei
grossen, mit erethischen Granulationen bedeckten Sub-
hatte, bekam 2 Tage nach der erysipelatösen Erkran-
reiten Patienten ebenfalls ein schweres, sich weit aus-
Irysipel. — Zu derselben Zeit wie der dritte Patient
rierter, welcher 3 Betten von Fall 1 weit entfernt lag
r durch einen herabfallenden Ziegelstein erzeugten, bis
)chen dringenden Rissquetschwunde des linken Scheitol-
jin ebenfalls sehr schweres, über 2 Wochen andauerndes.
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Nachweis von Erysipel-Coccen in der Luft chirurgischer Krankenzimmer. 5
jedoch ausschliesslich auf Kopf und Gesicht beschränkt bleibendes
Erysipel.
Eine Isolirung des ersten und der folgenden Erysipelfälle war
nicht möglich, da der betreffenden chirurgischen Abtheilung kein
Isolirzimmer für Wund-Infectionskrankheiten zur Verfügung steht.
So konnte zum Schutze der übrigen Patienten des Zimmers nichts
geschehen, als die vier Erysipelatösen in einer Ecke des Zimmers
zusammen zu legen, und sie immer zuletzt zu verbinden. 3 Tage
nach dem Ausbruche des Erysipels bei Fall 3 und 4, zu einer Zeit
a\so, wo dasselbe bei Fall 1 schon fast geschwunden, in den drei
übrigen Fällen jedoch in vollster Blüthe war, exponirte ich um
11 Uhr Vormittags zwei Gelatine- und eine Agarplatte auf, unter
und zwischen den Betten der Erysipelpatienten.
Zwei Tage später wurde dieser Versuch unter denselben Be-
dingungen wiederholt. Es wurden nun die Platten unter Glas-
glocken im warmen Zimmer weiter beobachtet. Dabei waren wieder,
wie in den früheren Versuchen, vom 2. Tage an zahlreiche Colonieen,
bestehend aus den oben angeführten Mikroorganismen, zu sehen.
Am 3. Tage bei der ersten Versuchsreihe, am 4. bei der
zweiten, waren ausserdem in je einer Agar- und Gelatineplatte
4 — 8 kleine, fast farblose, runde, erst durch die Loupe deutlich
wahrnehmbare Colonieen zu sehen, welche aus kleinen Strepto-
coccen bestanden. Dieselben waren besonders auf der Gelatine in
langen, gewundenen Ketten aneinander gereiht, vergrösserten sich
langsam, so dass sie vom 5. Tage ab auch makroskopisch gut
sichtbar waren, blieben jedoch bald in ihrem Wachsthume voll-
kommen stehen. Es wurden sofort, nachdem die Streptococcen-
Colonieen entdeckt waren, zahlreiche Stich- und Strichculturen auf
Agar und Gelatine gemacht und im Brütofen bei 36® (resp. 22®)
weiter beobachtet. Dabei ergab sich regelmässig die Entwickelung
von feinen, weissen Pünktchen (längs des Stiches resp. Striches),
welche nach 24 Stunden in der Mitte zu einem weissen Faden
zusammenflössen, an der Peripherie des Stiches aber noch als
distincte einzelne runde Colonieen erkennbar blieben. Die Culturen
blieben nach wenigen Tagen im Wachsthum stationär.
An der Oberfläche der Gelatine- Eprouvetten, die durch Stich
mit diesem Kettencoccus inficirt wurden, zeigte sich um den Ein-
stich herum ein geringes florartiges Wachsthum. Bei den Agar-
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6 Dr. A. von Eiseisberg,
Eprouvetten im Brutofen war dieser Flor etwas aasgedehnter, im
übrigen zeigten die Agarculturen dasselbe Verhalten, wie die Ge-
latineculturen, nur dass die Entwickelung rascher vor sich ging,
die einzelnen Stiche auch etwas breiter sich entwickelten, aber
eben so bald im Wachsthum stille standen, als die Gelatineculturen.
Die Impfstriche auf Agar- und Gelatineplatten oder Eprouvetten
mit schief erstarrter Oberfläche ergaben nach 1 — 3 Tagen runde
oder etwas unregelmässige Stippchen, bestehend aus diesen Strepto-
coccen. Die Impfstriche entwickelten sich jedoch niemals so schön,
als die Stiche.
Im hohl geschliffenen Objectträger entwickelten sich schöne
lange Ketten von diesen Coccen.
Auf Blutserum gelangten diese Kettencoccen ebenfalls zu schöner
Entwickelang, die Culturen boten keinen wesentlichen Unterschied
von den oben beschriebenen Agarculturen. Die Agar- und Gelatine-
Stichculturen wurden durch mehr als 10 Generationen hindurch
fortgesetzt und ergaben stets dieselben Eigenschaften.
Verglichen mit echten Erysipelculturen , von denen ich durch
die gütige Vermittelung meines Freundes Dr. R. Pal tauf einige
aus dem hygienischen Institute in Berlin erhielt, die direct von
den Feh leisen 'sehen Originalculturen abstammten, zeigten sich
meine aus der Zimmerluft gezüchteten Streptococcen in jeder Be-
ziehung vollkommen identisch. Eben so sehr stimmten sie mit
einer von mir gezüchteten Erysipelcultur und deren weiteren Ge-
nerationen überein. Diese letztere Cultur war dadurch erhalten
worden, dass in einem Falle von ausgedehntem Kopf- und Rumpf-
Erysipel am Rücken, entsprechend dem Rande der Röthung, nach
vorheriger Desinfection der Haut, mit einem sterilen Messer eine
ganz kleine Incision gemacht worden war. Der Blutstropfen wurde
mittelst Platinöse weggesogen und von dem folgenden röthlichen
Serum sofort Impfungen auf Gelatine und Agar angestellt. Es
entwickelte sich dabei in 5 von den 6 auf diese Weise inficirten
Eprouvetten der Streptococcus des Erysipels rein.
um vollkommen sicher zu gehen, stellte ich mit meinen aus
der Luft erhaltenen Streptococcen-Culturen einige Thierversuche an:
Es wurden bei Kaninchen an einer Stelle in der halben Höhe des
Ohres die Haare mittelst geglühter Scheere sorgfältig entfernt, die
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Nachweis von Erysipel-Coccen in der Laft chirargisoher Krankenzimmer. 7
Haut daselbst gemäss einer Empfehlung Passet's^) statt mit Sa-
blimat mit sterilisirtem Wasser gründlich gewaschen und hierauf
mit einer zuvor ausgeglühten Platinlancette*) eine Hauttasche ge-
bildet, in welche sofort eine Platinöse von der 3. Generation der
Streptococcen eingeimpft wurde. Stets wurde beim Einstiche jedes
sichtbare Gefäss vermieden; zur Controle wurde am anderen Ohre
an symmetrisch gelegener Stelle auch eine Hauttasche gebildet,
dieselbe jedoch nicht weiter inficirt.
I. Versuchsreihe.
7 Kaninchen werden auf diese Weise mit der 3 Tage alten III. Genera-
tion geimpft:
Ein Kaninchen blieb ohne Reaction. 4 Ohren zeigten nach 24 Standen
eine etwa linsengrosse Röthung, die am folgenden Tage kreazergross war und
gegen die Ohrwurzel zu fortwanderte. Die Blutgefässe zeigten sich merklich
erweitert, auch war die Temperatur der Ohren erhöht. In zwei Fällen ver-
schwand die Röthung am 4. Tage yollkommen, in 2 Fällen wurde das Ohr
am 3. Tage nach dem Auftreten der Entzündungserschein angen mittels eines
reinen Rasirmessers nahe an der Basis amputirt. Die Röthe war am folgen-
den Tage am Amputationsstumpfe noch sichtbar, um nach kurzer Zeit in der
benachbarten Nackenhaut vollkommen zu schwinden.
2 Kaninchenohren zeigten dieselben, eben beschriebenen erysipelartigen
Entzündungserscheinungen in grösserer Intensität. Es kam zu einem bald
wieder schwindendem fühlbaren Infiltrate der Impfstelle. Einmal wurde das
Ohr wiederum amputirt, in beiden Fällen waren nach 5 Tagen alle Reactlons-
ersebeinungen vollkommen geschwunden. Die drei amputirten Ohren wurden
in Alkohol gehärtet, geschnitten and die Schnitte nach Gram, Löffler,
sowie auch mit Carbolfuchsin , mit folgender Essigsäurebehandlung gefärbt.
Dabei zeigten sich in den Lymphgefässen, sowie an einzelnen Stellen um die-
selben Goccen in kleinen Gruppen und kurzen Ketten, sämmtlich von der Grösse
der zur Impfung verwandeten Streptococcen, bei spärlicher Zellinfiltration.
n. Versuchsreihe.
Es wurden die 3 Tage alten IIL Generationen auf Gelatine bei 30^
verflüssigt, in die Koch^sche Injectionsspritze gefällt, und einige Tropfen den
Kaninchen subcutan am Ohre injicirt. Die 5 auf diese Weise inficirten Ka-
*) Untersuchungen über die Aetiologie der eiterigen Phlegmone des
Menschen. 8. 37.
') Ich Hess beim Instrumenten macher Marconi eine feine Lancette aus
einem dicken Platindraht anfertigen und in einen Glasstab einschmelzen. Der
Vortheil dieses Instrumentes gegenüber den Lancetten und Nadeln aus Stahl
ist der, dass die Schneide durch das öftere Ausglühen nichts an ihrer Schärfe
verliert.
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8 Dr. A. von Biseisberg;,
nincbenohren verhielten sich folge ndermassen gegen diese Impfung: Bin Ohr
blieb ohne Reaction, 4 Ohren zeigten nach 24 Stunden linsen- bis kreuzer-
grosse Röthungen. die gegen die Ohrbasis zu fortschritten. In einem Falle kam
es wieder zu einer leichten Infiltration der Impfstelle.
Ein Ohr wurde am 3. Tage nach der Impfung amputirt, gehärtet und
geschnitten. Die Schnitte ergaben das oben gefundene Resultat. In allen
4 Fällen schwanden die Bntzundungserscheinungen nach 5 Tagen vollkommen.
Die zur Gontrole am andern Ohre gebildeten Hauttaschen blieben stets ohne
12 mit Streptococcen der Zimmerluft geimpften Ohren
> 10 eine deutliche Reaction. 4 Mal wurde auch in
II durch das Mikroskop der Streptococcus nachgewiesen,
»rgleiche stellte ich nun einige Impfversuche mit den aus Berlin
und den von mir aus der Haut eines Erysipelatösen gezüchteten
ren an:
tchen wurden mit einer 3 Tage alten Gultur von den aus dem
Institute stammenden Erysipelcoccen durch Bildung einer Haut-
rt.
)lieb die Impfung ohne Reaction. — 2 mal zeigten sich genau
ränderungen, wie sie eben beschrieben wurden, ein Ohr wurde
\ ergab dasselbe Resultat. — 4 Kaninchen wurden mit der
'.. Generation der von mir gezüchteten Erysipelcoccen geimpft,
die Reaction aus, dreimal ergab sich der oben beschriebene
iube hiermit die Identität meiner aus der Luft gezüch-
bococcen mit den Erysipelcoccen genügend erwiesen zu
Einige Zeit nach Ausführung der soeben mitgetheilten
5kam ein Patient der Klinik des Herrn Prof. Billroth
leinen Plastik im Gesichte ausgehend ein sehr schweres
welches über Gesicht, Kopf und Rumpf sich verbreitete
12 Tage die heftigsten Fiebererscheinungen hervorrief,
tient wurde sofort nach Constatirung des Erysipels in eines der
ik zur Verfügung stehenden Isolirzimmer gelegt. 14 Tage nach
Rothlaufes, als im Gesicht bereits deutliche Abschuppung sich
Crysipel am Rumpfe jedoch noch florid war, stellte ich in der
ibenen Weise 6 Agarplatten in unmittelbarer Nähe des Kranken-
iter eine dicht neben dem Kopfe des Patienten auf dem Nacht-
Nachdem die Platten V4 Stunde hindurch exponirt waren, wur-
r die Glasglocken gebracht.
^ei Tagen zeigten sich zahlreiche verschiedene Golonien (Pilze,
m und Goccen), die mir von den früheren Untersuchungen des
der Krankenzimmerluft her bekannt waren. Nach erysipel-
Ituren wurde anfangs vergeblich gesucht, bis ich am 4* Ta^e an
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Nachweis von Erysipel- Cocoen in der Luft chirurgischer Krankenzimmer. 9
der unmittelbar neben dem Kopfe des Patienten aufgestellten Platte vier kleine,
fast farblose, runde Colonien entdeckte, deren Untersuchung Streptococcen,
ToUkommen identisch mit denen des Erysipels ergaben. Es wurden nun sofort
zahlreiche Gelatine- und Agareprouvetten, sowie drei hohlgeschliffene Object-
trager mit diesen Kettencoccen inficirt und in vielen Generationen weiter ge-
züchtet, wobei sich eine vollkommene Uebereinstimmung mit deA typischen
Erysipelcultaren ergab. Mit den 3 Tage alten, III. Generationen dieser Gul-
turen wurden an 3 Kaninchen Impf versuche gemacht, wobei sich zweimal, dar-
unter in einem Falle ganz besonders schön, eine gegen die Ohrwurzel zu fort-
schreitende Röthe entwickelte. Das Ohr wurde am 3. Tage amputirt und
ergab auf den Schnitten die Lymphgefasse mit kurzen Ketten und Haufen der
Erysipelcoccen erfüllt.
In einem andern Falle von einem schweren, jedoch rasch in Genesung
übergehenden GesichtserysipeP) konnten in den exponirten 6 Agarplatten, trotz
vielfachen Durchmusterns derselben, keine Erysipelcoccen gefunden werden.
Bei der anerkannt grossen Aehnlichkeit der Erysipel-Strepto-
coccen mit denen des Eiters (Streptococcus pyogenes Rosen bach),
hielt ich es für geboten, auch in dieser Beziehung einige Unter-
suchungen anzustellen, um so mehr, da in diesem Punkte den
Ansichten Rosenbach's 2) und Pehleisen's 3) die Resultate
Passet's^) gegenüber stehen. Rosen bach und Fehleisen be-
schreiben genaue Unterscheidungsmerkmale zwischen beiden Ketten-
coccenarten, Passet vermag dieselben nicht zu finden.
Zum Vergleiche dienten mir einerseits die Berliner Erysipel-
culturen, dann der von mir aus der Haut eines Erysipelatösen ge-
züchtete, sowie die in der Krankenzimmerluft gefundenen Erysipel-
culturen, andererseits drei von verschiedenen Quellen herrührende
Eiter-Streptococoen. Zwei derselben hatte ich aus dem Eiter von
zwei acuten Phlegmonen durch einen Agarplattenguss isolirt, der
dritte stammt ebenfalls von einer Phlegmone und wurde mir eine
2. Generation desselben von Dr. Paltauf freundlichst überlassen.
Es wurden, wo möglich stets mit gleich alten Generationen der
beiden Kettencoccenarten, Parallelimpfungen auf Gelatine, Agar,
Blutserum und Fleischbouillon angestellt und schliesslich eine Reihe
von Thierexperimenten ausgeführt.
') Dem Patienten war nach der Entfernung eines Epithelioms der Wan-
gengegend der dadurch entstandene Defect durch eine ausgedehnte Plastik
gedeckt worden. Das Erysipel hatte sich 6 Tage nach der Operation ent-
wickelt, worauf Patient sofort auf das Isolirzimmer gebracht wurde.
') Mikroorganismen bei den Wundinfectionskrankheiten des Menschen.
') Die Aetiologie des Erysipels.
*) 1. c. und Ueber Mikroorganismen der eiterigen Zellgewebsentzündung.
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10 Dr. A. von Eiseisberg,
Was zunächst die Grösse der beiden Streptococcenarten anbe-
langt, so konnte ich keinen merklichen Unterschied finden. Bei
dem Vergleiche der Culturen auf verschiedenen Nährböden glaubte
ich zu wiederholten Malen einige, wenn auch geringfügige Unter-
schiede zu bemerken, doch waren dieselben zu unbedeutend, vor
Allem aber zu inconstant, als dass ich es wagen dürfte, daraus
auf eine Sonderung der beiden Coccenarten zu schliessen. So
wollte es mir mehrmals scheinen, als ob das von Hoffa*) neuer-
dings betonte Unterscheidungsmerkmal, nach welchem ältere Cul-
turen des Eiterkettencoccus in ihrer Mitte etwas höher und bräun-
lich verfärbt sein sollen, zuträfe, doch fehlte bei meinen Unter-
suchungen in der Mehrzahl der Fälle dieses Merkmal, so dass ich
es auch nicht als differentialdiagnostisch verwerthbar anerkennen
kann. Häufig konnte ich das von Rosen bach angegebene Kenn-
zeichen, nach welchem die Ränder von Erysipelculturen „dickere
und opakere weisslichere Klümpchen** bilden, als die des Eiter-
kettencoccus, zutreffen sehen, jedoch ebenso häufig war dies Merk-
mal nicht vorhanden. Die von Rosenbach als charakteristisch
beschriebenen Eigenthümlichkeiten, nach welchen die Eitercoccen-
culturen in ihrem Aussehen an ein Akazienblatt, die des Erysipels
arrenkraut erinnern, konnte ich niemals finden. Auch
iterschied in Bezug auf die Schnelligkeit des Wachs-
eiden Kettenco(5cenarten zu erkennen. Schliesslich er-
hierversuche, die mit Streptococcus pyogenes Rosen-
:ellt wurden, nicht die von Rosen bach und Hoffa
Unterschiede:
1. Versuchsreihe,
linchen wurden mit dem von mir aus einer Phlegmone rein ge-
iptococcus pyogenes durch Bildung einer Hauttasche am Ohre
Verwendung kam die 3 Tage alte III. Generation.)
blieben ohne Reactionserscheinungen. — Ein Ohr zeigte eine
ch am 2. Tage wieder verschwindende Röthe um den Impfslich
nfiltration. -- Ein Ohr zeigte eine deutliche gegen die Ohrbasis
ohne fühlbare Infiltration oinhergehende Röthe; das Ohr wurde
lem Auftreten der Reactionserscheinungen amputirt. Die Schnitte
dasselbe mikroskopische Verhalten, wie die Präparate, welche
;ion von mit echtem Erysipel geimpften Ohren erhalten waren.
jriologische Mittheilungen aus dem Laboratorium der chirurg.
of. Maas, ^Fortschritte für Medicin. Februar 1886.^
Nachweis von Erysipel-Coccen in der Lnft chirurgischer Krankenzimmer. 11
n. Versuchsreihe.
Vier Kaninchen werden mit einer von Dr. Pal tan f mir überlassenen
3 Tage alten III. Generation von Streptococcus pyogenes (Gelatine) nach vor-
heriger Yerflüssigung derselben mittels Koch'^cher Spritze inficirt.
Ein Ohr bleibt ohne Reaction. — 3 Ohren zeigen die oben beschriebene
fortschreitende Röthe. Ein Ohr wird amputirt. Die in den Schnitten beob-
achtete Vertheilung und Anordnung der Coccen ist in keiner Weise von dem
Befunde der Schnitte, die von Erjsipelinfectionen herrühren, zu unterscheiden.
Zum Schlüsse möchte ich noch beifugen, dass ich je zwei Kaninchen an
der Cornea durch oberflächliche Ritzung mit Streptococcus erysipelatosus und
pjogenes impfte. In allen diesen Fällen entwickelte sich eine Exsudation um
die Impfstelle, aus der die Streptococcen in II. Generation rein gezüchtet
werden konnten. Mehrere mit beiden Kettencoccenarten an der Schwanz -
Wurzel mittels Hauttaschenbildung inficirte Mäuse blieben ohne jede Reaction.
Ebenso vergeblich bemühte ich mich auch wiederholt die Kettencoccen auf
die Flughaut einer Fledermaus zu übertragen.
Nach dem Gesagten wollte es mir also nicht gelingen, zwischen
den Erysipelcoccen und den Streptococcen des Eiters ganz sichere
Unterscheidungsmerkmale zu finden, so dass ich mich den bezüg-
lichen Anschauungen Passet's vollkommen anschliessen rauss.
Fassen wir die so eben dargestellten Untersuchungen zusammen,
so ergiebt sich, dass es unter drei Fällen zweimal gelang, aus der
Luft von Krankenzimmern , in welchen Erysipelpatienten sich be-
fanden, einen Streptococcus zu züchten, der in jeder Beziehung mit
dem von Fehleisen als die Ursache des Erysipels beschriebenen
Mikroorganismus identisch war. Des Weiteren gelang es mir nicht,
den Erysipelstreptococcus von dem des Eiters auseinander zu halten,
so dass ich meine früher gemachte bezügliche Mittheilung*) auf-
recht halten muss.
Für die Gleichwerthigkeit dieser beiden Coccenarten spricht
auch die häufig beobachtete Thatsache, dass Hautpartien, die in
erysipelatöser Entzündung sich befinden, ab und zu vereitern, ja
dass selbst an von Erysipel verschont gebliebenen Hauttheilen
Abscesse sich entwickeln können. In einem von Landouzy^) be-
richteten Falle entwickelten sich im Verlaufe eines Erysipels
69 Eiterherde in der normalen Haut. Hoffa^) berichtet, dass er
aas dem Eiter einer bei Erysipelas migrans entstandenen, eitrigen
') Wiener med. Wochenschrift. 1886. No. 8.
^ Jaecoud, Trait^ de path. interne. T. H. p. 566.
») 1. c
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12 Dr. A. von Eiseisberg.
Kniegelenksentzündung die typischen Erysipelcoccen gezüchtet habe,
die er genau von den Streptococcen des Eiters unterscheideh Einen
ganz ähnlichen Fall beobachtete ich vor V/^ Jahren auf der Klinik
Billroth*). Ein Patient bekam ein Erysipel, welches nach län-
gerer Zeit zuletzt in der Kreuzbeingegend schwand. Kurze Zeit
hernach entwickelte sich daselbst ein Abscess, aus dessen Inhalte
Streptococcus erysipelatosus (resp. pyogenes) als einziger Mikro-
organisnius rein gezüchtet wurde. In jüngster Zeit demonstrirte
WinckeP) auf deno I. deutschen Gynäkologencongresse in München
typische Erysipelculturen , die aus dera Herzblute einer an Puer-
peralperitonitis Verstorbenen rein gezüchtet wurden. Er konnte
damit am Kaninchenohre ein typisches Erysipel erzeugen. Winckel
tritt mit Rosen bach für die Unterscheidbarkeit der beiden Strepto-
coccenarten ein.
Sobald also, wenn auch nur in seltenen Fällen der Erysipel-
coccus Eiterung erzeugen kann, fällt damit der Hauptunterschied
der beiden in der Form gleichen Kettencoccen in Bezug auf ihre
pathogene Wirkung auch am Menschen weg. Nachdem der Strepto-
coccus pyog. bisher noch nicht auf Menschen experimentell über-
tragen wurde, die Einimpfung von Erysipelculturen — wie Fehl-
eisen gezeigt hat — ein typisches Erysipel hervorruft, so bliebe
noch übrig, will man die DifFerenzirung des Erysipelcoccus vom
Eitercoccus mit vollem Rechte aufrecht erhalten, — an Menschen
zu beobachten, dass die Einimpfung des Eitercoccus jederzeit Eite-
rung und niemals Erysipel erzeugt. Hierauf bezügliche Versuche an
Anderen oder an mir vorzunehmen, hielt ich für nicht erlaubt, da
nach meinem Dafürhalten bei aller Achtung für das Interesse
eines derartigen Versuches, die Wichtigkeit desselben nicht die
damit verbundene Gefahr aufwiegt.
Fragen wir nach der Art und Weise, wieso die Erysipel-
streptococcen aus den oberflächlichst gelegenen Lymphbahnen der
Cutis, in denen Lukomsky^), Fehleisen*) und Koch^) dieselben
nachgewiesen, in die Luft und damit in meinen Fällen auf die
Gelatine- und Agarplatten kamen, so dürften nachfolgende Boob-
•) 1. c.
^) Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie. Juni 1886.
») Virchow's Archiv. Bd. 60.
*) Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, ßd. 16.
') Mittheiluugen des Reichs -Gesundheitsamtes. Bd. I.
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Nachweis von Erysipel-Coccen in der Luft chirurgischer Krankenzimmer. 13
achlungen dafür einigen Aufschluss bieten: Aufmerksam gemacht
durch den umstand, dass in meinem zweiten Falle nur auf der
unmittelbar neben dem Kopfende des Patienten befindlichen Agar-
platte der Erysipel coccus wuchs und das Gesicht sich gerade
in vollster Abschuppung befand, ferner durch die bei Aerzten
hie und da zu findende Ansicht, dass der Rothlauf speciell zur
Zeit des Abschuppens am häufigsten contagiös wirke, entnahm ich
von Erysipelpatienten und zwar von Stellen, an denen der Process
am intensivsten war, die Schwellung und Röthung jedoch bereits
geschwunden und die Haut in vollster Abschuppung sich befand,
Schuppen und brachte dieselben sofort in Agar und Gelatineröhrchen
mit schief erstarrter Oberfläche. Von den Gelatineröhrchen wurden
stets einige Platten gegossen. Es entwickelten sich in den Nähr-
medien um die Schuppen herum Colonien von verschiedenen Mikro-
organismen. Es kamen die Schuppen von 5 Patienten, welche
so eben ein Erysipel überstanden hatten, zur Untersuchung und
zwar wurden in jedem Falle mindestens 6 Röhrchen inficirt und
theilweise zu Platten gegossen. In 4 von diesen 5 Fällen fand
ich jedesmal (in einem Röhrchen und einer Platte) nebst den an-
dern Colonien einige weissliche, kleine, runde, langsam wachsende,
welche bei ihrer mikroskopischen Untersuchung Streptococcen von
der Grösse und Anreihung des Erysipelcoccus ergaben. In den so-
fort angestellten Abimpfungen auf Agar und Gelatine, die durch
viele Generationen fortgesetzt wurden, zeigten sich die für die
Streptococcen des Erysipels (ev. Eiters) characteristischen Wachs-
thumserscheinungen. Damit angestellte Impfungen auf Kaninchen-
ohren (es wurden 4 Kaninchen geimpft) ergaben die oben beschrie-
benen Reactionserscheinungen in 2 Fällen. In einem der beiden
wurde das Ohr amputirt und es fanden sich in den Lymphgefässen
und um dieselben kurze Ketten und Häufchen von denselben Coccen,
wie sie zur Impfung verwendet wurden. 2 Mal war das Resultat
der Impfung negativ.
Im Nachfolgenden will ich die um diese Schuppen herum am
häufigsten entwickelten Colonien kurz beschreiben; gleichzeitig muss
ich aber bemerken, dass ich mich beim Durchmustern der ver-
schiedenen Colonien darauf beschränkte zu untersuchen, ob die
Culturen in ihrem mikro- oder makroskopisches Verhalten den Ery-
sipelculturen ähnlich oder gleich waren. Nur die auf Erysipel
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14 Dr. A. von Eiselsberg,
verdächtigen Colonien wurden weiter gezüchtet und beobachtet, die
übrigen Mikroorganismen nicht weiter verfolgt.^) Es ergaben sich
folgende Colonien:
1) Lichtbraune, unregelmässig contourirte, rasch wachsende,
die Gelatine sehr schnell verflüssigende Colonien, bestehend aus
kurzen Bacillen mit abgerundeten Enden.
2) Blassgelbe, strahlenartige Fortsätze in die Umgebung aus-
sendende, die Gelatine nicht verflüssigende Colonien, bestehend aus
langen schmalen Bacillen zu zwei und mehreren an eine Kette gereiht.
3) Lichtbraune, langsam wachsende, nicht verflüssigende Co-
lonien, die abgesehen von ihrer braunen Färbung in der Platte bei
Ocular 1, Objectiv 3 wie Erisypelcolonien aussehen. Die mikro-
skopische Untersuchung erwies feine, kurze, mitunter in langen
Ketten angereihte Bacillen.
4) Braune, grob knollig aussehende, die Gelatine nicht ver-
flüssigende Colonien, bestehend aus grossen Coccen. Dieselben waren
etwa dreimal so gross als die Eitercoccen und in Gruppen angereiht.
5) Fleischrothe, kreisrunde in ihrem Innern knollig aussehende,
die Gelatine schwach verflüssigende Colonien von Coccen zu Gruppen
und kurzen Ketten aneinander gereiht.
6) Hellgelbe, kreisrunde, im Innern eine feine concentrische
Schichtung zeigende, die Gelatine nicht verflüssigende Colonien von
Coccen zu 2 und 3 und in Gruppen aneinander gereiht. Die Coccen
sind grösser als die Erysipelcoccen.
7) Graue, runde an der Peripherie mit feinen Stippchen und
Pünktchen versehene langsam wachsende, nicht verflüssigende Co-
lonien, bestehend aus zu langen Ketten aneinander gereihten Coccen,
die jedoch merklich grösser als die Erysipelcoccen sind. Denselben
Befund ergaben die IL und UI. Generationen dieser Coccen.
8) Die bereits oben beschriebenen Erysipel- ev. Eiterstrepto-
coccencolonien.
Zur Controle wurden noch mehrere Male Schuppen von der
Haut gesunder Individuen, und zwar Schuppen vom Kopf, meist
aber von Hautpartieen von der Innenseite des Oberschenkels, wo
*) In Bezug aaf eine Beschreibung der Hautmikropbyten muss ich auf
die Arbeit von Bizzozero, üeber die Mikrophyten der normalen Epidermis
des Menschen. Virchow's Archiv. Bd. 98 und von Bondoni üffreduzi,
Ueber biologische Eigenschaften der normalen Haatmikrophyten. Fortschritte
für Medicin. 1886 verweisen.
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Nachweis von Erysipel-Coccen in der Luft chirurgischer Krankenzimmer. 15
das Sero tum demselben anliegt, untersucht. In den Platten ent-
wickelten sich die oben beschriebenen Formen, niemals konnten
jedoch Erysipelähnliche Culturen gefunden werden.
Des Weiteren untersuchte ich in 3 Fällen von Erysipel den
Inhalt von Blasen. In zwei Fällen, in denen die Blasen noch
vollkommen frisch waren, wurde vergeblich nach Mikroorganismen
gesucht. Auch blieben 8 mit dem Inhalte inficirte Eprouvetten
(Agar und Gelatine) ohne Entwickelung einer Cultur.
Im 3. Falle jedoch war der Inhalt der Blase eben merklich
trübe. Unter der Immersion Yij zeigten sich erysipelartige Strepto-
coccen neben und auch in den lymphoiden Zellen, ausserdem
etwas grössere vereinzelte Coccen und einige mittelgrosse Bacillen.
Mehrfache Gelatine- und Agarplattengüsse ergaben zahlreiche, weisse,
die Gelatine etwas verflüssigende Colonien von Staphylococcen
von der Grösse der Eitercoccen ; ausserdem einige rasch wachsende
Colonien von Bacillen (und zwar Colonien von mittelgrossen und
und kleinen Bacillen) schliesslich mehrere 8 — 12 kleine zerstreut
liegende Streptococcencolonien , die erst nach mehrfachem vergeb-
lichen Mühen (wegen der grossen Anzahl der übrigen Colonien) aus
einer einzigen Platte rein weiter gezüchtet werden konnten. Der
Ooccus stimmte in seiner Grösse, sowie in seinem Wachsthum auf
Gelatine und Agar vollkommen mit dem des Erysipels (ev. des
Eiterstreptococcus) überein. Es wurden mit der 3 Tage alten
III. und IV. Generation dieser Streptococcen je 4 Kaninchen durch
Hauttaschenbildung am Ohre geimpft. 7 Kaninchen zeigten eine deut-
liche erysipelartige Entzündung am Ohre. In den Schnitten von zwei
amputirten Ohren fand sich das gleiche oben beschriebene Resultat.
Es finden sich daher Erysipelcoccen und Lymphzellen im In-
halte älterer Erysipelblasen, dieselben dürften nach Platzen der-
selben an der Haut antrocknen und mit den sich später abstos-
senden Hautpartikelchen in die Umgebung der Patienten, also
zunächst in die Luft kommen. Der Umstand, dass ich in den
Schuppen nach Erysipelen auch ohne Blasenbildung den Erysipel-
coccus durch die Cultur nachweisen konnte, gestattet die Annahme,
dass von den oberflächlichsten Schichten des Chorions, in deren
Lymphgefässen und Spalträumen viele Erysipelcoccen vorkommen^).
Lukomsky, Fehleisen, Koch.
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16 Dr. A. von Eiseisberg,
dieselben ebenfalls mit den transsudirten Flüssigkeiten und den
Exsudatzellen zwischen die tieferen aufgelockerten Schichten der
Epidermis gelangen. Mit dem Vorrücken der Epidermiszellen
kommen schliesslich die tiefsten Schichten derselben an die Ober-
fläche, so dass dann mit Erysipelcoccen beladene Schuppen abgo-
stossen werden, welche entweder direct oder durch Vermittelung
der atmosphärischen Luft eine weitere Verschleppung des Roth-
laufes bedingen können.
Wenn Fehleisen durch seine schönen Untersuchungen über das
Erysipel nachgewiesen, dass die Ursache dieser Krankheit ein in den
Lymphgefassen wohnender Coccus ist, so war damit die besonders
in vorantiseptischer Zeit häufig vorkommende Verschleppung dieser
Wundinfectionskrankheit von einer erysipelatösen Wunde durch un-
reine Hände, Instrumente und Verbandsachen auf bis dahin normal
verlaufende Wunden vollkommen erklärt. Diejenigen Fälle jedoch, in
denen die strengste Handhabung der Antisepsis eine derartige
Uebertragung unwahrscheinlicher macht, drängen zur Annahme,
dass der Erysipelcoccus auch durch Luftinfection sich verbreite, und
zu den selbst noch in der modernen Zeit vorkommenden Zimmer-
epidemien von Erysipel Veranlassung geben kann. Diese Annahme
einer Uebertragung des Erysipelcoccus durch die Luft, wobei näm-
lich die mit Erysipelcoccen beladenen Partikelchen der sich ab-
stosseuden Haut, die in Staub zerfallen, es sind, welche die
Weiterinfection bewirken, wird durch die vorhergehenden Unter-
suchungen höchst wahrscheinlich gemacht.
Möchten diese kleinen, unbedeutenden Beobachtungen bei den
hieför massgebenden Persönlichkeiten hinreichende Würdigung und
Verständniss für die aus diesen gewonnenen Resultate finden,
welche dahin lauten: Zur Isolirung von Erysipelatösen und Phleg-
monösen genügen nicht einfach separirte Räume im Verbände einer
chirurgischen Abtheilung (gemeinsamer Arzt und Wartepersonal),
sondern es sind vollkommen isolirte Abtheilungen mit eigenem
Personal hierfür nöthig.
Es würden dann die trotz aller Antisepsis noch heut zu Tage
häufig vorkommenden Fälle von Verschleppung der Wundinfections-
hrankheiten sicherlich noch bedeutend reducirt werden.
Darin erblickte ich den schönsten Erfolg dieser Arbeit.
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Nachweis von Erysipel-Coccen in der Luft chirurgischer Krankenzimmer. 17
Nachtrag.
Im Herbst 1886 hatte ich noch Gelegenheit, 2 Fälle von
Erysipelblasen zu untersuchen. Im ersten konnten in dem Bläs-
cheninhalte nebst Lymphzellen wieder Erysipel- Streptococcen nach-
gewiesen werden, iqa zweiten Falle ergab die Untersuchung ein
negatives Resultat.
Seit Abschluss vorstehender Arbeit wurde ferner eine Reihe
von Mittheilungen veröffentlicht, welche mit meiner in gewisser
Beziehung stehen. Unter denselben möchte ich bloss die Emme-
rich 's und Hajek's erwähnen.
Emmerich („Ueber den Nachweis von Erysipelcoccus in einem
Secirsaale", Berliner Naturforscher- Versammlung, 1886, 5. Sitzung)
konnte in der Luft eines Secirsaales mittelst eines Aspirations-
apparates grosse Mengen von Erysipelcoccen nachweisen, ein Re-
sultat, welches mit meinen obigen Befunden vollkommen überein-
stimmt.
Hajek („Ueber das ätiologische Yerhältniss des Erysipels zur
Phlegmone**, Vortrag, gehalten in der k. k. Gesellschaft der Aerzte
in Wien, November 1886) fand, im Einklänge mit meinen bezüg-
lichen Ergebnissen, dass der Eiter- und der Erysipelcoccus durch
ihre Culturmerkmale nicht zu trennen sind. Hajek's Schlüssen
aus den Impfresultaten am Kaninchenohre, bei denen er eine Unter-
scheidung der beiden Kettencoccenarten erzielte, kann ich jedoch
nicht vollkommen beipflichten. In meinen Fällen war der mikro-
skopische Befund der Ohren, die mit Erysipel-, und derjenigen, die
mit Eiter-Streptococcen geimpft waren (s. oben) stets derselbe.
üebrigens verwendete Hajek zu seinen Impfungen stets re-
lativ grosse Quantitäten von Culturmaterial , ein Umstand, der
vielleicht die Verschiedenheit der Impf resul täte zu erklären im
Stande ist.
V. Laag«Bb«ck, ArekHf. Ohlrurfi«. ZXXV. 1. 2
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n.
Ueber gewisse Verletzungen (Fracturen und
Luxationen) im Humero-Radialgelenke.
Von
Dr. Karl liSbker,
Doeent in OreUswald. ')
(Mit üolzschnittcD.)
M. H. ! Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf ein Kapitel der
Lehre von den Fracturen und Luxationen lenken, welches zwar
oft bearbeitet wurde, auf dem aber bisher nichts weniger als Klar-
heit herrschte. Schon vor einigen Jahren konnte ich sechs Fälle
von veralteter Luxation des Radiusköpfchejis nach vorn oder aussen,
von denen drei mit intraarticulärer Fractur des Knochens compli-
cirt waren, veröffentlichen 2). Es kam mir damals wesentlich dar-
auf an, zu erhärten, dass bei solchen veralteten Verletzungen, die
oft mit recht erheblichen Functionsstörungen verknüpft sind, die
Resection des Köpfchens im Stande ist, völlig normale Bewegungen
wieder herzustellen. Diese Operation war in den genannten Fällen
in der chirurgischen Klink zu Greifswald zum Theil vom verstor-
benen P. Vogt, theils von mir ausgeführt worden, nachdem ich
schon früher (1881) einmal wegen dauernder Dislocation des
Radiusköpfchens nach vorn, welche nur die halbe Beugung im
Ellenbogengelenk gestattete, mit gutem Erfolge dieselbe Operation
ausgeführt hatte. Die Gunst des Zufalls hat inzwischen meine
Sammlung von resecirten Radiusköpfchen noch um zwei vermehrt.
') Abgekürzt vorgetragen am 2. Sitzungstage des XY. Congresses der
Deutschen Gesellschaft für Chirurgie zu Berlin, 8. April 1886.
'} Mittheilungen aus der chirurgischen Klinik in Greifswald. Wien und
Leipzig 1884. Bei Urban u. Schwarzenberg.
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Ueber gewisse Yerletzangen im Humero-Radialgelenke. 19
Nachdem ich also recht häufig Gelegenheit hatte, am Leben-
den den klinischen Befund bei solchen Verletzungen im Ellenbogen-
gelenke aufzunehmen und während der Operation die anatomischen
Veränderungea im Gelenk und an den Knochen festzustellen, habe
ich in den letzten beiden Jahren eine grössere Anzahl von Leichen-
experimenten ausgeführt, deren Resultate sehr gut mit den am
Kranken gemachten Beobachtungen übereinstimmen. Inzwischen
haben noch zwei andere Forscher SchüUer*) und Barros^) über
denselben Gegenstand experimentirt und die Resultate ihrer Ver-
suche bekanntgemacht. Ich will vorweg bemerken, dass das Er-
gebniss meiner Experimente über die Entstehung dieser Verletzun-
gen vielfach mit dem der genannten Autoren übereinstimmt. Ich
glaube aber, dass sich unsere Arbeiten ergänzen, wenn ich im Fol-
genden den Theil meiner Untersuchungen, aber auch nur diesen
vorbringe, welcher sich auf Verletzungen bezieht, die ich zugleich
am Lebenden untersuchen konnte. Leichenexperimente über Knochen-
bräche und Verrenkungen haben allein ja nur einen bedingten
Werth. Ohne mir also anmassen zu wollen, Ihnen nur Neues
mitzutheilen und alle im Humero-Radialgelenke vorkommenden
Verletzungen zu berücksichtigen, glaube ich die in Folgendem
behandelten Arten der Verletzungen als typische hinstellen zu
dürfen.
Die isolirte Luxation des Radiusköpfchens, deren
Vorkommen früher fast allgemein auf die Autorität von J. L.
Petit hin geleugnet wurde, ist inzwischen durch eine relativ
grosse Anzahl von Beobachtungen sichergestellt. Das Radius-
köpfchen wird dann entweder nach hinten, ^ oder nach vorn, oder
nach aussen dislocirt. Mit Boy er, welcher überhaupt nur zwei
Fälle von Luxation des Köpfchens nach hinten gesehen hatte,
nahm man bis in die neueste Zeit vielfach nur diese als
eine typisch vorkommende Verletzung an. So sagt z. B. C.
Hueter'): „Die einzige Luxation, welcher ich noch, ausser den
oben geschilderten Luxationen beider Vorderarmknochen einfach
') M. Schul ler, Cbirargiscbe Anatomie. Berlin 1885.
*) J. Marceliino de Moraes Barros, Contribution k T^tude des
luiations de l'extrimlt^ sup6rieure du radins. Gen^ve 1886.
*) C. Hueter, Klinik der Gelenkkrankbeiten. 2. Aufl. 1877. Bd. II.
S. 564.
3*
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20 Dr. Karl Löbker,
nach hinten oder nach hinten und aussen, einen typischen Charakter
zuerkennen möchte, ist die isolirte Luxation des Capitulum radii
auf die hintere Fläche der Rotula." und doch hatte schon A,
Cooper') im Jahre 1824 sechs Fälle von Luxation nach vorn
genau beschrieben, und Streu bei*) konnte im Jahre 1850 gegen
10 hintere, nicht weniger als 30 vordere Luxationen aufzählen!
Aber das Ansehen Boyer's stand Vielen höher, als die entgegen-
stehenden schlagenden Ausführungen von Malgaigne, Denuc6,
Hamilton u. A. Ich habe 5 Mal die reine Luxation des Radius-
köpfchens nach vorn, aber keine hintere Luxation gesehen. Alle
Fälle betrafen jugendliche Individuen von 5, 9, 10, 12 und 17
Jahren — eine neue Bestätigung der Thatsache, dass diese Ver-
letzung dem jugendlichen Alter angehört. Der Grund hierfür ist
in der verschiedenen Configuration des Radiusköpfchens bei Kin-
dern und Erwachsenen, namentlich aber auch in der schwächeren
Entwickelung der Bandapparate sowohl im oberen wie im unteren
Gelenke des Radius und die dadurch bedingte leichtere Verschieb-
barkeit der beiden Vorderarmknochen an einander zu suchen. Ich
kann in dieser Beziehung das Resultat der Untersuchungen Schül-
ler's lediglich bestätigen. Den älteren französischen Schrift-
stellern war übrigens diese anatomische Thatsache nicht unbekannt,
was aus der klassischen Arbeit Donuc6's') deutlich hervorgeht:
nUne cause pr^disposante exerce une grande influence sur ce genre
de luxations; leur grande fr6quence pendant Tenfance les a fait
longtemps consid6rer comme l'apanage exclusif de cet äge. On a
consid6r6, en effet, qu'ä cette 6poque les ligaments ^taient plus
läches, moins fortement fixes aux os, qu'ils avaient en outre alors
la propri6t6 de s'6tendre graduellemont sous une pression continue
que la cupule du radius et la petite cavit6 sigmoide 6tait moins
etendue, ce qui rendait l'union des os plus faible; que le ligament
annulaire 6tait proportionnellement plus long et moins rösistant, et
les os enfin moins tordus sur eux-m^mes, ce qui donne une forme
reguliere ä l'espace interosseux et facilite Tötendue des mouvements
*) A. Cooper, A treatise on the Dislooations and od Fractures of the
joints. London 1824. S. 419.
*) Streubel, Ueber die sämmtlichen im Ellenbogengelenke vorkommen-
den LuxationeD. Vierteljahrsschrift für die prakt. Heilkunde. 7. Jahrg. 1850.
Bd. II. S. 66.
') Denuc6, Memoire sur les lozations du coude. Paris 1854. p. 179.
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Ueber gewisse Verletznngen im Hamero-Radialgelenke. 21
(Martin, de Lyon, Boyer). Joigoons h toutes ces causes
l'habitude que Ton a de soulever les enfants par Tavant-bras.**
Dem entsprechend gelingt es auch durchaus nicht leicht an der
Leiche eines erwachsenen Menschen eine isoiirte Luxation des
Radiusköpfchens nach irgend einer Bichtung zu Stande zu bringen,
während Versuche an jugendlichen resp. kindlichen Leichen schon
eher zum Ziele führen. Die flache Gelenkverbindung zwischen
Radius und Humerus wird beim Erwachsenen durch so feste Liga-
mente verstärkt, dass der Austritt des Köpfchens in hohem Maasse
erschwert ist. Und selbst nach Sprengung der Kapsel verhindert
die sonstige Verbindung der Vorderarmknochen unter einander das
Bestehenbleiben der Luxation.
Was nun den Entstehungsmechanismus der einfachen Luxation
des Radiusköpfchens anlangt , so kommen dieselben wohl mit nur
sehr wenigen Ausnahmen auf indirectem Wege zu Stande — die
Gewalt trifft zunächst die Hand und wird von dieser auf den
Vorderarm und den Ellenbogen übertragen. Bei einem genauen
klinischen Examen über die Anamnese bekommt man allerdings
mitunter die Antwort, der Verletzte sei direct auf den Ellenbogen
gefallen; der Arm sei beim Niederfallen unter dem Körper zu
liegen gekommen. Es wäre aber durchaus falsch, wenn man aus
dieser Angabe schliessen wollte, dass die Luxation in einem
solchen Falle durch directen Stoss gegen das Capitulum radii zu
Stande gekommen sei. Dies gilt sowohl für die Luxation des
Köpfchens nach vorn, als auch für die Verrenkung nach hinten.
Ich kann daher StreubeP) durchaus nicht beipflichten, wenn er
behauptet: »In allen jenen Fällen, in welchen der Kranke sich
genau erinnert, dass er sich die Luxation der Speiche durch Fall
auf den Ellenbogen des gebeugten Armes zugezogen habe, hat di-
recte Gewalt den Radiuskopf von hinten nach vorn getrieben.*
Wer will behaupten, dass bei einem Falle auf den Ellenbogen der
Stoss allein das Radiusköpfchen getroffen hat, wenn dabei der
breite Contact des Armes mit dem Erdboden nicht ganz bestimmt
auszuschliessen ist? Drehbewegungen des Vorderannknochens und
Knickung des Ellenbogens im Sinne der radialen resp. der ulnaren
Abduction sind dabei sehr häufig. Trotzdem muss aber zugegeben
*) L c. p. 74.
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22 Dr. Karl Löbker,
werden, dass ausnahinsweise ein directer Stoss die Luxation zu
Wege bringen kann. Wenn man an der Leiche die Spannungs-
verhältnisse der Gelenkkapsel bei verschiedener Stellung der
Knochen im Ellenbogengelenke betrachtet, so müsste ein Schlag,
welcher das Köpfchen trifft, das letztere bei massiger Beugung im
Ellenbogen am leichtesten dislociren, da in dieser Stellung die
beiden Gelenkkörper ein wenig von einander abstehen und das
Lig, laterale entspannt ist. Wenn man die bislang beschriebenen
Fälle genau prüft, so findet sich kaum einer, bei welchem die
Entstehung der Luxation durch directe Gewalteinwirkung ganz
zweifellos sicher ist. In erster Reihe wäre der von Robert^)
veröffentlichte Fall von vorderer Luxation zu verwerthen, welcher
einen jungen Menschen betrifft, der von einer Treppe fiel und dabei
mit dem Ellenbogen auf die vordere Kante einer Stufe aufstiess.
In den meisten Fällen aber, wo der Stoss oder Schlag das Radius-
köpfchen allein trifft, wird es zu einer Fractur und nicht zu einer
Luxation des Knochens kommen; das kann man bei den Leichen-
versuchen leicht feststellen. Mir ist es niemals gelungen auf diese
Weise eine isolirte Luxation des Köpfchens nach irgend einer Rich-
tung an der Leiche zu erzeugen. Barros^) dagegen konnte einige
Male die Luxation nach hinten und einmal die nach vorn durch
directen Schlag hervorrufen, im übrigen erzielte auch er hierbei
nur Brüche des Knochens. Will man reine Luxationen des Ra-
diusköpfchens erzeugen, so muss man durch Argriffe am Vorderarme
oder an der Hand im Ellenbogen gewisse Bewegungen hervor-
rufen, welche theils als physiologische zu bezeichnen, zum Theil
aber unter normalen Verhältnissen im Gelenk nicht auszuführen
sind. Dieselben Bewegungen können auch am Lebenden zur Luxa-
tion des Radiusköpfchens führen, sei es, dass der Verletzte auf
die vorgestreckte Hand gefallen, sei es, dass bei einem Falle auf
die Seite der Arm unter dem Körper zu liegen kam. Dabei kann
sowohl der Vorderarm gegen den Oberarm , oder auch bei fixirtem
Vorderarm der Humerus gegen letzteren bewegt werden, wie Streu-
beP) sehr richtig hervorhebt. Bis in die neueste Zeit nahm man
nun fast allgemein an, dass forcirte Torsionsbewegungen der beiden
») Gaz. des hop. 1847. p. 177.
«) 1. 0. p. 84 u. 46.
») L c. p. 75.
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lieber gewisse Verletzungen im Humeio-Radialgelenke. 23
Vorderannknochen gegen einander zumeist die isolirte Luxation
des Badiusköpfchens herbeiführen, und zwar sollte nach der
Mehrzahl der Autoren die forcirte Pronation in der Weise zur
Luxation nach vom fuhren, dass ein Hypomochlion durch directen
Contact der beiden Vorderannknochen an ihrer Kreuzungsstelle ge-
bildet würde. Diese Lehre von der directen Berührung beider
Vorderarmknochen bei forcirter Pronation ist noch heute in Deutsch-
land weit verbreitet. Auch ich habe dies Märchen bis vor Kurzem
colportirt, obgleich schon Denuc^ sich auf das entschiedenste da-
gegen ausgesprochen und die Hemmungsvorrichtungen der Pro- und
Supination lediglich in die federnden Bandapparate der Gelenk-
kapseln verlegt hatte: ,»Cette opinion repose sur une erreur d'ana-
tomie; nous avons, en efifet, montr6 dans nos consid6rations ana-
tomiques, que cette rencontre des deux os n'avait jamais lieu*. *)
Durch eine einfache anatomische Untersuchung an der Leiche kann
man sich leicht davon überzeugen, dass die Lehre vom directen
Contact der Vorderarmknochen bei extremer Pronation nur durch
Experimente mit skeletirten Knochen entstanden sein kann. Es
ist daher recht verdienstlich, wenn neuerdings SchüUer^) auf
Grund vieler Untersuchungen sich sehr energisch gegen diesen noch
weit verbreiteten Irrthum wendet. Die Luxation des Radiusköpf-
chens nach hinten sollte umgekehrt durch forcirte Supination zu
Stande kommen. Die Minderzahl der Chirurgen Hess die vordere
Luxation durch forcirte Supination und die hintere durch forcirte
Pronation entstehen. Aus meinen in den letzten Jahren vielfach
wiederholten Untersuchungen an der Leiche habe ich ganz ähnliche
Resultate wie Schüller erhalten. Die einfache Pronation fuhrt
bei den Leichen Erwachsener wohl kaum jemals, bei den Leichen
jüngerer Individuen recht selten zur Zerreissung der Kapsel und
zur Luxation nach vorn, welche obendrein sich fast immer von
selbst reponirt. Die elastischen Hemmungsvorrichtungen dieser
Bewegung sind so fest, dass entweder bei jugendlichen Individuen
eher Brüche des Radius zu Stande kommen; andererseits entstehen
bei den Erwachsenen hierdurch fast immer Zeneissungen am
inneren Umfang der Gelenkkapsel des Ellenbogengelenks resp.
') Denuc6, 1. c. p. 180.
^ Schüller, 1. o. p. 222.
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24 Dr. Karl Löbker,
partielle Verschiebungen der beiden Vorderarroknochen gegen den
Hnmerus. Durch mehr oder weniger ausgedehnte Entblössung der
Knochen von den umgebenden Weichtheilen, partielle Durschneidung
der Gelenkkapsel des Humeroradialgelenks kann man allerdings
die Luxation des Radiusköpfchens nach vorn erzeugen. Bei Nach-
lassen der Pronationsbewegung schlüpft aber das Köpfchen, nament-
lich aber fast immer bei Erwachsenen, sofort wieder in das Gelenk
zurück. Auf diese Experimente lege ich wenig Werth, da die An-
ordnung derselben zu sehr von den Verhältnissen am Lebenden bei
Entstehung der Luxation abweicht. In ähnlicher Weise verhält es
sich mit den Resultaten der forcirten Supination, wodurch eine
ganze Reihe von Verletzungen am Vorderarm und im Ellenbogen-
gelenk erzeugt werden kann, ohne dass man durch diese Gewalten
gerade die isolirte Luxation des Radiusköpfchens nach hinten
häufiger entstehen sähe.
Ich muss nun gestehen, dass es überhaupt a priori gar nicht
wahrscheinlich ist, dass eine einfache Pro- resp. Supinationsbewe-
gung, welche nur von elastischen Hemmungsvorrichtungen begrenzt
werden, die Ursache dieser Luxationen sein sollten, wenn man be-
denkt, dass die in Frage stehende Verletzung im Leben fast immer
durch Fall auf die vorgestreckte Hand, oder seltener durch Fall
auf den ganzen Arm, der unter den Körper zu liegen kommt, ver-
ursacht wird. Auch für diese Verletzung sollte man eher geneigt
sein, Bewegungen der Gelenkkörper, welche nicht zu (Jen physio-
logischen zählen, als die schuldigen anzusprechen, das sind für das
Ellenbogengelenk die seitlichen Flexionsbewegungen. Gerade beim
Fall auf den Thenar bei gestrecktem Ellen bogengelenke kommt
sehr häufig die seitliche Abknickung des Vorderarms gegen den
Humerus zu Stande. Ich wurde auf diese Bewegungen bei meinen
Versuchen um so aufmerksamer, als schon Denuc6 darauf hinge-
wiesen hatte, dass seitliche Flexionsbewegungen die Luxation des
Radiusköpfchens verursachen können. Ja, er beschreibt sogar schon
recht deutlich den Verlauf und die pathologischen Veränderungen
am Gelenk. In der That kann man an Leichen jugendlicher In-
dividuen die vordere Luxation häufiger zu Stande bringen, wenn
man bei gestreckter Stellung des Ellenbogens kräftig abducirende
Bewegungen am Vorderarm bei gleichzeitiger Pronation ausführt,
üeberwiegt bei diesen Versuchen dagegen die forcirte Pronation, so
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Ueber gewisse Verletzangen im Hnmero-Radialgelenke. 25
schlägt der Versuch fehl. Fast ausnahmslos findet man bei der
Präparation, dass hierbei das Lig. annulare nicht zerrissen, sondern
das Köpfchen aus der Schlinge nach unten herausgeschlüpft ist.
Wiederholt gelang mir auch die Her-
stellung der hinteren Luxation durch ^^K* ^'
forcirte Abduction und Supination, je-
doch sehr viel seltener, als die der
vorderen. Wenn ich aber die Leichen-
befunde genau betrachte, so scheint
es mir nicht unwahrscheinlich, dass
gerade die abducireude Bewegung so-
wohl für die vordere als für die hin-
tere Luxation in erster Linie in Be-
tracht kommt. Wenn dabei das Köpf-
chen zunächst nach aussen das Gelenk
verlässt, so kann daraus durch irgend
welche weiter auf dasselbe einwirkende
Gewalten secundär eine vordere oder
hintere Luxation sich entwickeln.
Es ist den Chirurgen längst be-
kannt, wie grosse Schwierigkeiten recht
häufig die Einrichtung des dislocirten
Radiusköpfchens bereitet und die rela-
tiv sehr grosse Anzahl von Beobach-
tungen, welche ich in kurzer Zeit ge-
macht habe, zeigt zur Genüge, wie oft
die Luxation, sei es erkannt oder nicht
erkannt, thatsächlich irreponirt bleibt.
An den vorliegenden Präparaten er-
kennen Sie, m. H., dass in solchen
Fällen das Köpfchen entweder seine
natürlichen Formen durchaus nicht ver-
ändert, dass andererseits dasselbe aber
auch bedeutend hypertrophisch werden,
oder auf's äusserste atrophiren ikann.
In diesen Veränderungen des Gelenk-
körpers liegt es zum Theil begründet,
dass in veralteten Fällen einfache Re-
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26 Dr. Karl Löbker,
positionsmanöver nutzlos sein werden. In frischen Fällen sind die
Schwierigkeiten wohl wesentlich in der totalen oder partiellen Inter-
position der relativ sehr weiten Kapsel des Humero-Badialgelenks
zu suchen.
Es gehört nun aber durchaus nicht zu den Seltenheiten, dass
die Luxation des Radiusköpfchens mit irgend einer anderen Ver-
letzung complicirt ist, eine Thatsache, welche nach den geraachten
Beobachtungen und Untersuchungen keineswegs auffallen kann.
Fig. 2.
Fig. 1, 2, Frai^tur des Ulnarschaftes (Fig. 2 b) mit Luxation des Badiusköpf
ebens Dacb vorn (Fig. la).
Am bekanntesten ist in dieser Beziehung die von Roser be-
schriebene Luxation des Radiusköpfchens nach vorn bei
gleichzeitig bestehender Fractur des Ulnarschaftes. Ich
habe diese Verletzung in zwei Fällen beobachtet. Die Figuren 1
und 2 geben ein recht getreues Bild von einem Falle, welcher auf
der Helferich'schen Klinik kürzlich behandelt wurde. Es gelingt
an der Leiche auf keine andere Weise leichter, die Luxation des
Radius nach vorn zu erzeugen, als wenn man zuvor die Ulna durch-
sägt hat; eine einfache Dorsalflexion des Vorderarms führt sofort,
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Ueber gewisse Verletzongen im Humero-Radialgelenke. 27
onter Zerreissung der yorderen Kapselwand zar Luxation. Ich
möchte nicht gerade glauben, dass diese Verletzung häufiger als
die uncomplicirte Luxation nach vorn ist; bei Erwachsenen ist sie
aber wohl entschieden die vorwiegende, so dass man mit Roser
nur rathen kann, bei jeder Fractur des Ulnaschaftes auch auf das
Radiusköpfchen sein Augenmerk zu richten. Zweifellos ist die
Fractur der Ulna die Vorbedingung für das Zustandekommen der
Radiusluxation. Von von Pitha und Albert wurde die Fractur
der Ulna mit Luxation des Radiusköpfchens nach aussen complicirt
gesehen. Nach meinen Versuchen an der Leiche möchte ich an-
nehmen, dass diese Verletzung nur eine Varietät der vorigen ist;
am Lebenden habe ich sie nie gesehen.
Nicht ganz selten scheint am Lebenden die Luxation des
Radiusköpfchons vorzukommen, wenn durch die Verletzung zugleich
am Gelenkkörper des Humerus Fracturen gesetzt wurden. Roser
machte schon darauf aufmerksam, dass man die vordere Luxation
des Radius an der Leiche sehr leicht durch Dorsalflexion zu Wege
bringen könne, wenn man den Condylus internus zuvor abtrennt;
er sah auch eine derartige Combination in einem Falle am Leben-
den. Sehr häufig aber kommen am Lebenden durch directe Gewalt-
einwirkung auf die Aussenseite des Gelenks Fracturen am Condylus
extemus vor, welche entweder ganz ausserhalb des Gelenks ver-
bleiben oder selbst bis in die Trochlea schräg in's Humero- Radial-
gelenk hinein verlaufen. Da hierbei die Gelenkkapsel einreisst und
die Festigkeit der Gelenkverbindung erheblich alterirt wird, so ist
das Zustandekommen der Luxation de^ Köpfchens ohne Weiteres
erklärlich. Es gelingt in der That an der Leiche die Herstellung
der vorderen und hinteren Luxation recht leicht nach Abmeisselung
des Condylus extern us humeri durch directen Druck bei gleich-
zeitiger Vornahme von prominirenden resp. supinirenden Bewegungen.
Ich sah im Jahre 1882 einen solchen Fall von vorderer Luxation
des Köpfchens bei einem 9jährigen Knaben. Gurlt*) erwähnt aus-
drücklich, dass mit den ausgedehnteren Fracturen des äusseren Theils
des Gelenkendes vom Humerus in der Regel incomplete Luxation der
Vorderarmknochen, namentlich des Radius vorkommen und Schül-
1er sah zwei derartige Fälle, stellte ausserdem die Verletzung
•) B. Uurli, Kiiocheubrächc. II. Tbl. S. 797.
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28 Dr. Karl Löbker,
mehrfach an der Leiche her. Man kann daher auch dieser den
typischen Charakter nicht absprechen.
Ich kann Ihnen, m. H., nun aber noch einige Präparate vor-
legen, welche uns zeigen, dass die Dislocation des Radiusköpfchens
eintreten kann, wenn dasselbe durch ganz bestimrate Fracturen
seine natürliche Form eingebüsst hat. Hier sehen Sie zwei Köpf-
chen, welche 70m Lebenden gewonnen wurden, und welche genau
Fig. 3.
Fractur (ff) der äusseren Peripherie des Radiusköpfchens bei Luxation
desselben nach vorn.
dieselbe Form Veränderung zeigen; sie stammen von einem 16jährigen
Knaben und einer 48jährigen Frau, von denen die letztere mit der
Aussenseite des Ellenbogens auf eine scharfe Kante gefallen war,
während die Entstehungsart im anderen Falle nicht ganz aufge-
klärt wurde. Bei beiden war das Köpfchen, allerdings nicht voll-
kommen, nach vorn und innen dislocirt; zugleich aber ist die
äussere Peripherie des Gelenkrandes, welche bekanntlich etwas
höher entwickelt ist, als die innere, in einer Bruchlinie, welche
schräg von aussen unten in das Gelenk eindringt, abgebrochen ge-
wesen und nur mit geringer Verschiebung des Fragmentes nach
unten wieder angeheilt. Diese Spaltung des Köpfchens war noth-
wendig, ehe die Verschiebung des Köpfchens nach vorn zu Stande
kommen konnte. Die Fälle gehören in die Categorie der sogenann-
ssel fracturen, welche von Lesser*), P. Bruns^), Pinner^)
leschrieben wurden; die höher vorspringende äussere Kante
}fchens wird durch den Gelenkkörper des Humerus abge-
während das Capitulum selbst nach innen vorn verschoben
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. Bl. I. S. 289.
Centralblatt für Chirurgie. 1880. S. 353.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. Bd. 19. S. 74.
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Ueber gewisse VerletzuDgen im Humero-Radialgelenke. 29
wird. Pinner beschrieb einen ähnlichen Fall, wo die hintere Kante
des Köpfchens schräg abgebrochen war. Der eine Fall von mir
beweist zur Evidenz, dass ein direct einwirkendes Trauma (Stoss,
Schlag etc.) die Verschiebung und Fractur des Köpfchens herbei-
führen kann; auch gelang es mir, die gleichen Verletzungen an der
Leiche durch directen Schlag auf das Capitulum radii von aussen
hinten herzustellen. Zweifellos aber wird die Verletzung am Loben-
den mindestens ebenso häufig durch Fall auf die vorgestreckte
Hand hervorgerufen werden; und ich glaube mit P. Bruns, dass
die gestreckte Stellung des Ellenbogens das Zustandekommen be-
günstigt. Die äussere Peripherie des Köpfchens bricht nach meinen
Versuchen dabei am leichtesten, wenn der Stoss das Eilenbogen-
gelenk gleichzeitig radialwärls abknickt. Sobald aber, wie in un-
seren Fällen, die Fractur die Grenzen des Gelenks nach unten über-
schreitet, genügt die partielle Zerreissung der Kapsel vollkommen
für die Entstehung der Dislocation, zumal wenn die die Fractur
erzeugende Gewalt noch weiter in diesem Sinne zur Wirkung
kommt. Gerade dem Umstände, dass die Fractur theilweise extra-
capsulär gelegen, ist auch die relativ vollkommene Heilung des
Fragmentes zuzuschreiben; die Verschiebung des Köpfchens nach
vorn bleibt aber eine dauernde, da die secundäre Äuftreibung des-
selben eine Reposition erst recht unmöglich macht.
Endlich erlaube ich mir noch zwei, gleichfalls durch Resection
gewonnene Radiusköpfchen vorzulegen, an denen umgekehrt ein
Stück der inneren Peripherie des Gelenkrandes abge-
stossen ist; das Köpfchen selbst war nach aussen sub-
luxirt und ziemlich stark gewuchert (Fig. 4 A. und ß.)
In diesen Fällen, welche eine völlig intraarticulär gelegene Fractur
darstellen, ist das kleine innere Fragment nicht wieder angeheilt,
sondern es stellt sich als ein gestielter freier Gelenkkörper dar.
Auf diese interessanten, niedlichen Präparate ist in der neueren
25eit, seitdem 0. Hu et er*) einen freien Gelenkkörper, welcher
einem Fragmente von 7, der Grösse des ganzen Radiusköpfchens
entsprach, durch Arthrotomie ans dem Humeroradialgelenke ent-
fernte, mehrfach aufmerksam gemacht worden. Auch die Ent-
stehung dieser Fractur kann durch directe Gewalteinwirkung auf
') Yerhandl. der Deutsohen Gesellsoh. für Chirurgie. Y. Congr. 1876.
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30 Dr. Karl Löbker,
das Köpfchen erklärt werden, indem dabei die innere Peripherie
desselben gegen die Gelenkfläche der Ulna gepresst und abge-
quetscht wird; in den meisten Fällen entsteht auch sie gewiss
durch Meisselwirkung von Seiten des Humerus, während durch ro-
tirende und abducirende, durch Fall auf die Hand bedingte Gewalt
das Köpfchen nach aussen luxirt wird. Die Verrenkung kann na-
türlich nun um so eher zu Stande kommen und durch Zwischen-
lagerung des inneren Fragmentes bleibt die Verschiebung irrepo-
nibel. Vielfach sind diese Absprengungen am Köpfchen des Radius
bekanntlich bei denjenigen Experimenten beobachtet worden, welche
zur Erzielung von Fracturen des Proc. coronoides angestellt wur-
den; überhaupt findet man diese kleinen Absprengungen vielfach
bei den Leichenversuchen über die Verletzungen des Ellenbogen-
gelenks. In den vorliegenden beiden Fällen war die Verletzung
lediglich auf das Radio- Humeralgelenk beschränkt.
Fig 4
Radiusköpfeben mit Absprengung des Innenrandes und Wucherung der
äusseren Hälfte. A von oben gesehen, B von innen gesehen.
Und nun, m. H., gestatten Sie mir noch ein Paar Bemerkungen in
Bezug auf die Behandlung. Sämmtliche Radiusköpfchen, welche
ich vorzeigte, stammen von veralteten Fällen, bei denen zum Theil
vorher fruchtlose Versuche der Reposition gemacht waren, zum an-
deren Theil hatte überhaupt keine Behandlung stattgefunden. Als
die Fälle in unsere Behandlung traten, wurde zunächst ein Repo-
sitionsversuch ausgeführt, aber stets ohne Erfolg. Die Schwierig-
keit der Rsposition ist ja selbst in frischen Fällen allgemein be-
kannt, und wenn wir die oben geschilderten anatomischen Verhält-
nisse sowie die Oomplicationen berücksichtigen, so werden wir
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üeber gewisse Verletzangen ira Hamero-Radialgelenke. 31
uns keinen Augenblick wundern, wenn namentlich in veralteten
irreponirten Fällen derartige Versuche ohne Erfolg bleiben. Wir
haben daher, nachdem wir uns in jedem Falle zunächst auch von
der Unmöglichkeit überzeugt hatten, die Reposition nach Besei-
tigung des jeweiligen Hindernisses durch die Arthrotomie zu Wege
zu bringen, die Resection des Köpfchens vorgenommen. Ich habe
darüber an anderer Stelle*) berichtet, will hier nur nochmals
betonen, dass in allen Fällen ausgezeichnete Functionen erzielt
wurden. Es ist selbstverständlich, dass in allen Fällen, wo die
einfache Arthrotomie mit Beseitigung des Hindernisses und die
nachfolgende Kapselnaht die Reposition und die dauernde Re-
tention ermöglicht, die Resection nicht in Frage kommt. Spren-
gel') hat ja kürzlich einen derartigen schönen Erfolg mitgetheilt.
Ich habe aber auf Grund meiner Beobachtungen die üeberzeugung,
dass man in der Regel nur durch die Decapitation sicher zum Ziele
kommen wird; die letztere ist inzwischen, wie ich durch Privat-
mittheilungen weiss, mit gutem Erfolge auch von Reverdin und
Wagner ausgeführt worden. Was endlich die operative Freilegung
des nach vorn luxirten Köpfchens anbelangt, so ist dabei eine Gefahr
wohl in Betracht zu ziehen. Als ich im Herbst 1883 einen meiner
Fälle in Behandlung nahm, konnte ich den Zuhörern die auffallend
weit nach vorn und innen bestehende Dislocation des Köpfchens
demonstiren, welche mich veranlasste, in diesem Falle ausnahms-
weise von vorn den Schnitt durch den M. supinator direct auf die
Prominenz zu verlegen, während wir bis dahin stets von aussen
unterhalb des Epicondylus humeri die Incision ausgeführt hatten.
Ich machte vor Beginn der Operation darauf aufmerksam, dass ich
eventuell mit dem N. radialis in CoUision kommen müsse und
trennte daher den Muskel stumpf mit einem Elevatorium. In der
That präsentirte sich in der Tiefe der Nerv, die Theilungsstelle
des Stammes umschlang den vorderen Rand des Köpfchens und
den Hals — ein brüsker Schnitt hätte ihn sicher getrennt. Ich
schob den Nerven zur Seite und konnte dann die Decapitation
vollenden. Ich habe sofort eine Anzahl an der Leiche erzeugter
Luxationen auf dieses Verhalten untersucht und stets dasselbe Bild
*) Mittheilungen aus der Chirurg. Klinik zu Greifswald. Wien und Leipzig
1884. Bei Urban u. Schwarzenberg.
*) Centralblatt für Chirurgie. 1886. No. 10.
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32 Dr. Karl Löbker, Ueber gewisse Verletzungen im Humero-Radialgelenke.
(Fig. 5) erhalten. Da, wie ich mich nachträglich überzeugen
konnte, auch Schäller denselben Befund an seinen Präparaten
constatirt hat, so muss noan denselben als typisch betrachten. Um
daher ohne Gefahr für den N. radialis die Arthrotonaie resp. De-
capitation bei vorderer Luxation des Radiusköpfchens auszuführen
Fig. 5.
M. Bupinator. M. pronmt teret. Capit. radii. Bic«pssehne. N. radialis.
UmsChlingQDg des nach vom luxirten Eadiusköpfcbens darcb den N. radialis.
— ich weiss, dass ein Arzt vor nicht langer Zeit durch eine In-
cision von vorn auf das prominirende Köpfchen in der That eine
Radialislähmung zu Stande gebracht hat — soll der Einschnitt in
der Linie des Hueter 'sehen radialen Längsschnittes von der Spitze
des Epicondylus ext. humeri abwärts verlaufen; die Incision von
vorn, welche auf den ersten Blick viel verlockendes hat, soll da-
gegen lieber ganz vermieden werden.
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m.
Die ßlasennaht
Eine experimentelle Studie
von
Dr« AleiLander Brenner^
AMlstent an der Klinik Hofrath Profeasor Billrotli't in Wien.
(Hierzu Tafel I.)
In der Geschichte der modernen Chirurgie macht sich das
Bestreben geltend, den hohen Blasenschnitt zur alleinigen Methode
der Lithotomie zu machen und den Perinealschnitt allmälig zu
verlassen; ja von Volkmann ging auf der Naturforscher -Ver-
sammlung zu Magdeburg 1884') so weit, auch die Lithotripsie
und Litholapaxie als Methoden, die nicht mehr in unsere anti-
septische Zeit hineinpassen, zu verwerfen — vielleicht mit unrecht,
da diese Operation, von der Hand eines geäbten Chirurgen aus-
geführt, der unbedeutendste Eingriff zur Entfernung eines Steines
ist, und die Statistik vorzüglicher Operateure, wie z. B. Professor
von DitteTs*), ausgezeichnete Resultate aufweist. Dass aber
die Sectio alta trotz der von allen Seiten anerkannten Vorzüge
und trotz der warmen Empfehlungen von Seite hervorragender
Chirurgen') noch nicht zur allein herrschenden Methode geworden
ist, scheint seinen Grund vorwaltend in der bisher noch mangel-
haften Technik zu haben. Die Gefahren, welche der Sectio alta
anhängen, sind einerseits die Eröffnung der Peritonealhöhle, anderer-
seits die Möglichkeit der Infiltration des Harnes aus der Blasen-
Nach dem Referate in der Deutschen med. Wochenschrift. 1884.
^ von Dittel, Ueber das Yerhältniss der Litholapaxie zum hohen
Steinachnitte. Wiener med. Wochenschrift. 1884.
•) r n B e r g m a n n auf der Magdeburger Naturforscher- Versammlung, 1884.
▼. LaBK«Bboek, Areldv f. Chlnirfi«. XXXV. 1. 3
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34 Dr. A. Brenner,
wunde in das prae- und perivesicale Zeilgewebe. Die erste Gefahr
kann heute wohl als beseitigt betrachtet werden, nachdem Pe-
tersen*) gezeigt hat, dass man durch die AnfuUung des Rectum
die volle Blase so über die Symphyse emporheben kann, dass die
vordere, von Peritoneum nicht bekleidete Wand derselben in grosser
Ausdehnung zugänglich wird; ausserdem ist ja heute unter anti-
septischen Cautelen die Eröffnung des Bauchraumes wohl ein un-
angenehmer Zwischenfall, aber keine ernstliche Gefahr. Die Furcht
vor der Hamin^ltration ist es also, welche den Siegeslauf des
hohen Blasenschnittes hemmt. Ihr zu begegnen giebt es zwei Wege:
1. Das Offenlassen der Blasen- und Bauchwunde mit Drainage
in der Rückenlage, wie dies Prof. von DitteP) in Wien, Guyon
in Paris, Thompson in London übt, oder Verhalten des Kranken
nach der Operation in der Bauchlage, wie Trendelenburg') und
nach ihm Arnold Schmitz*) empfehlen. Diesem vielverbreiteten
Verfahren schliesst sich an die zweizeitige Eröffnung der Blase nach
Vidal de Cassis^ und das Annähen der Blasenwand in die Bauch-
wunde, wie es Sonnenburg ^) in einem Falle ausgeführt hat.
2. Der zweite und ideale Weg, der Harninfiltration zu begegnen,
ist die Naht der Blasenwunde — sie bezweckt den Verschluss
derselben durch prima inten tio, kürzt die Heilungsdauer ab, und
lässt bei glattem Verlaufe den operativen Eingriff harmlos er-
scheinen. Die Vorkämpfer für die Sectio alta sind auch Anhänger
der Blasennaht, so Alberf) schon im Jahre 1876 und v. Berg-
mann auf der Magdeburger Naturforscherversammlung 1884; ihnen
stehen diejenigen Vertreter des hohen Blasenschnittes gegenüber,
welche die Blasennaht verwerfen und bewusst oder unbewusst dem
Ausspruche Guyon's®): „La suture v^sicale sera herm6tique ou eile
ne sera pas"" zu ihrem Wahlspruche machen. Ich glaube, dass
') Petersen, üeber Sectio alta. Archiv für klin. Chirurgie. Bd. XXV.
'} Schnabel, Ueber den hohen Blasenschnitt. Wiener med. Blätter. 1884.
') Willy Meyer, Ueber Nachbehandlung des hohen Steinschnittes.
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. XXXI.
*) Arnold Schmitz, Die Steinoperationen bei Kindern. Archiv f&r
klin. Chirurgie. Bd. XXXIII.
^) ültzmann, Wiener med. Presse. 1879.
•) Sonnenburg, Operationen an der Blase. Archiv für klin. Chirurgie.
Bd. XXVIII.
'') Albert, Fälle von Concrementen und fremden Körpern in den Harn-
wegen. Wiener med. Presse. 1876.
^) Orlowski, Deutsche Zeitschrift f&r Chirurgie. 1885. S. 152.
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Die Blasennäht. 35
dieser Aussprach volle Berechtigang hat; die vielfachen Versuche
der letzten Jahre, die bestehende Methode der Blasennaht zu ver-
vollkommnen, deuten darauf hin, dass man die Unzuverlässigkeit
der Blasennaht schwer fühlt, und die Statistik spricht keineswegs
zu Gunsten der Naht, denn unter 52 Blasennähten nach Sectio alta
bei Lithiasis sindf nach der Zusammenstellung von Arnold
Schmitz') nur 31 Fälle tadellos geheilt, in den übrigen 21 Fällen
hielt die Naht nicht vollständig, es bildete sich eine vorüber-
gehende Harnfistel; und wenn auch das Endresultat in diesen
Fällen ein gutes war, so ändert das doch nichts an der Thatsache,
dass unter je 10 Fällen von Blasennaht 4 technische Misserfolge
zu verzeichnen sind (40,3 pGt.)
Es darf daher nicht Wunder nehmen, wenn hervorragende
Chirurgen, nachdem sie mit der Blasennaht Unglück gehabt haben,
diese wieder verlassen und zur primitiveren aber sicheren Form
der Drainage der Blase zurückkehren.
Mit der Naht steht und fällt die Zukunft der Sectio alta.
Desshalb möge es gestattet sein, die Aufmerksamkeit der Chirurgen
auf eine Methode des Blasen verschlusses zu lenken, welche bisher
nicht versucht wurde, aber sowohl am menschlichen Cadaver als
an lebenden Hunden allen Anforderungen entsprach, die ich an sie
stellte und zur Hoffnung berechtigt, dass mit ihr eine ,)Suture her-
m6tique*' geschaffen sei.
Die der Methode zu Grunde liegende Naht ist nicht neu, son-
dern schon von Dieffenbach*) als subcutane oder Schnürnaht
zur Schliessung von Fistelöffnungen empfohlen worden, sie gerieth
aber in Vergessenheit und wird von modernen chirurgischen Hand-
büchern') nur noch dem Namen nach erwähnt.
Ich will der Beschreibung dieser Nahtmethode einen kurzen
Ueberblick über die heute herrschende vorausschicken:
') Arnold Schmitz (1. c.) zahlt 57 Fälle von Blasennaht aaf, von diesen
sind aber für unsere Frage auszuschalten 2 Fälle Liste r's wegen mangelnder
Angaben und 3 Fälle, wo der Tod schon in den ersten Tagen durch Harn-
infiltration (1), Erysipel (2) und allgemeine Peritonitis (3) eingetreten war
und die Naht bei der Section sufficient gefunden wurde; es beweist dies aber
keineswegs, dass die Naht gehalten hätte, wenn der Tod nicht eingetreten wäre,
denn nach Schmitz kann dieselbe noch bis zum 10. Tage p. op. insufficient
werden »
*) Günther's Chirurgie. 1859.
') z. B. Georg Fischer, Handbuch der Operations- und Instrumenten-
lehre. Stattgart 1880. S. 259.
3*
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36 Dr. A. Brenner,
Brans!), welcher 1858 zum erstenmale die Blase vernähte,
übertrug die an anderen Orten übliche Methode, eine lineare Wunde
wieder linear zu vereinigen, auf die Blase, und hatte in seinem
Falle einen vollständigen Erfolg, so dass die Naht Nachahnaung
fand. Es hat sich aber eigentlich Niemand verhehlt, dass sie
physikalisch schlecht sei, da ja die Länge der Wunde mit dem
verschiedeneu Fullungszostande der Blase sich ändert und die
Nähte, welche an der coUabirten und contrahirten Blase angelegt
wurden, bei der Fällung und Ausdehnung der Blase zu weit aus-
einanderrücken können, wodurch die Naht insufficient wird.
Man hat desshalb vorgeschlagen, die Blase vor Schluss der
Bauchwunde von der Harnröhre aus mit Flüssigkeit zu füllen, un-
dichte Stellen der Naht (wo die Flüssigkeit schon bei massigem
Drucke austritt) durch Zwischennäthe zu sichern und ausserdem in
den ersten Tagen nach der Operation durch fleissiges Eatheterisiren
oder durch Einlegung eines Yerweilkatheters die Ansammlung von
Harn in der Blase zu vermeiden, wodurch natürlich die Blasennaht
vor jeder Zerrung und Spannung bewahrt bleibt. Durch Verstopfung
des Verweilkatheters mit Blutgerinnseln kam es trotzdem häufig zu An-
ffiUung der Blase und zum Bersten der Naht, weshalb man dieser eine
besondere Aufmerksamkeit widmete, um sie dauerhafter zu machen.
Maksimow^) hat 1876 darauf hingewiesen, dass das Mit-
fassen der Schleimhaut in die Naht zwei Gefahren berge: erstens
rollt sich die Schleimhaut leicht nach aussen um und verhindert
das Aneinanderliegen der Wundränder der Mukelschicht, zweitens
geben die Nahtstücke, welche innerhalb der Schleimhaut in der
Blase liegen, leicht Veranlassung zur Harnincrustation. JuUiard^)
dachte, dass der Harn den Fäden entlang durch die Stich kanäle
nach aussen dringe und kam ebenfalls zu dem Schlüsse, dass die
Schleimhaut nicht in die Naht mitzufassen sei. Nachdem auch
Petersen (1. c.) diese Methode empfohlen, kann sie als die all-
gemein gültige betrachtet werden.
Da die Kürschnernaht zur Vereinigung der Blasenwunde un-
brauchbar ist, wie die ungünstigen Erfolge von Health und Pe-
^) Lotzbeck, Deutsche Klinik. 1858.
^ Znamensky, Ueber partielle Beseotion dei Uarnblasenw&nd. Archiv
für klin. Chirurgie. Bd. XXXL
*) J Uli iard, Riss der Harnblase. Archiv für klin. Chirurgie. Bd. XX Vm.
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Die Blasennabt. 37
tersen') zeigten, bleibt die Knopfnaht als allein herrschende be-
stehen, auch gegenüber der conoplicirtenNaht, die Ludwig Fischer 2)
bei seinen Versuchen an Hunden angewendet hat und der Gely'-
schen Naht, die Orlowsky^) in 2 Fällen ano Menschen versuchte
(das erste Mal wurde die Naht am 2., das zweite Mal am 5. Tage
insufficient.)
Eine wesentliche Verbesserung der linearen Blasennaht ist nur
die von Tiling*) angegebene Methode. Tiling legt zur Ruhig-
stellung der Knopfnaht über diese noch eine Kärschnemaht an,
deren Einstichsöffnungen nach aussen von denen der Knopfnaht
liegen; wird nun die Kürchnemaht angezogen, so wird die Blasen-
wand coulisscnartig über die Knopfnaht herübergezogen und letztere
vollständig bedeckt. Tiling hat in einem Falle Heilung per
primam intentionem erzielt.
Von der ursprünglichen Form der linearen Blasennaht entfernt
sich bereits die von AntaP) vorgeschlagene und einmal mit gün-
stigem Erfolge angewendete trichterförmige An frischung der Blasen-
musculatur, wodurch eine flächenhafte Vereinigung der Wunde an-
gestrebt wird. Endlich hat Znamensky (1. c.) in einer Reihe
von Thierexperimenten eine Methode ausgebildet, welche auch eine
lineare Vereinigung der Wunde erzielt, aber die plastische Exsu-
dation des Peritoneums in Anspruch nimmt, um die Wunde zu
schliessen. Znamensky invertirt die Wundränder und vernäht
deren Aussenseiten durch Lembert'sche Nähte, welche Serosa und
Muscularis durchsetzen und in 2, ja selbst 3 Reihen übereinander
angelegt werden ; er hat damit bei Hunden sehr gute Resultate er-
zielt, doch ist die Anwendung auf den Menschen dadurch erschwert,
dass die menschliche Blase gerade vorn keinen Peritonealüberzug
hat. Uebrigens hat Zesas^) schon im Jahre 1883 die Lem-
bert'sche Naht für die Blase empfohlen.
Von den hier angeführten Nahtmethoden sind nur 2 für wei-
') Znamensky, 1. c.
^ Ludw. Fischer, üeber Resection der Harnblase. Arohiv für klin.
Chirurjfie. Bd. XXVII.
») Orlowski, 1. c.
*) Tiling (Petersburger med. Wochensohr.) nach dem Referate im Cen-
tralblatt für Chirurgie. 1886. S. 507.
') Antal, Neue Methode der Sectio alta. Archiv für klin. Chirurgie.
Bd. XXXII.
*) Zesas, Zur Frage des hohen Steinschnittes. Archiv für klin. Chir-
urgie. Bd. XXVIU.
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38 Dr. A. Brenner,
tere Versuche zu empfehlen, die eine ist die von Antal, die andere
von Tiling; beide sind mit gutem Erfolge angewendet worden,
jedoch bisher nur je einmal.
Der Vorschlag Eraske's!) nach der Blasennaht einen Jodo-
formgazestreifen durch die Bauchwunde bis zur Nahtstelle zu fähren,
drückt sehr gut das Misstrauen gegen die Blasennaht überhaupt aus.
Ich habe mir nun die Frage vorgelegt: Ist die lineare Ver-
einigung der Blasen wunde die einzig mögliche oder nicht? Wenn
ein aus einem elastischem Material aufgebauter Ballon von dünner
Wandung an irgend einer Stelle ein Loch oder einen Riss bekommt,
so fällt es Niemandem ein» dieses Loch durch eine Naht zu
schliessen, da der Inhalt bei erneuerter Füllung doch durch die
Stichkanäle oder zwischen den Nähten herausdringen wird, man
zieht am besten die Ränder des Einrisses empor, faltet sie zu-
sammen und legt eine feste Ligatur herum; die Form des Ballons
leidet, aber er ist wieder luft- und wasserdicht wie früher, voraus-
gesetzt, dass die Ligatur sich nicht lockert oder abgleitet; dieser
Gefahr des Abgleitens ist aber bei der Blase viel leichter zu be-
gegnen als bei dem gedachten Ballon.
Diese sehr einfache im ersten Momente barbarisch scheinende
Methode habe ich in folgender Weise auf die Harnblase übertragen.
Ich legte mir am Gadaver durch den üblichen Schnitt in der
Linea alba die vordere Blasen wand bloss, incidirte diese durch
einen 4—5 Gtm. langen Längs- oder Querschnitt und liess mir die
Blasenwunde durch einen Haken oder eine Fadenschlinge fixiren.
Nun zog ich die Blasenschleimhaut mit einer anatomischen Fincette
vor, isolirte sie etwas von der Muskelschicht und legte 2 — 3 Mm.
vom Wundrande entfernt einen Faden durch das submucöse Gewebe
in der Weise, wie es auf Taf. I Fig. 1 dargestellt ist. Besondere
Aufmerksamkeit widmete ich dabei den beiden Wundwinkeln, in-
dem ich dort 4 Mm. vom Wundrande entfernt das Gewebe durch-
stach, um ja ein Abgleiten des Randes unter die Schlinge zu ver-
hindern. Die Aufgabe des Fadens ist leicht zu verstehen; wenn
derselbe an seinen beiden Enden angezogen wird, lässt sich der
Schleimhautrand bis zur Berührung der einzelnen Falten zusammen-
schieben und durch das Zusammenschnüren des Fadens die im
*) Kraske, Zur Steinscbnittfrage. Berliner klin. Wochenschrift. 1885,
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Die Blasennaht. 39
Gentram der Faltung befindliche Oeffnang schliessen; da nnn der
Faden allenthalben 2 Mai. vom Wandrande darch das sabmucöse
Gewebe darchgeführt ist, ist ein Abgleiten desselben anmöglich;
am das Abgleiten aach einzelner Randpartien za verhindern, ist
es angezeigt, den Faden in regelmässigen Entfernungen durch das
Gewebe zu fixiren; auch empfiehlt es sich, die Schleimhaut nicht
za durchstechen, weil von einer solchen Stelle aus leicht ein wei-
terer Einriss der Schleimhaut erfolgt, der die Sicherheit der Naht
beeinträchtigt.
In derselben Weise führte ich dann einen etwas stärkeren
Faden durch die Mnskelschicht der Blase. Der Faden wurde überall
3 Mm. vom Wundrande entfernt in gleichen Abständen nahezu
durch die ganze Dicke der Muskelschicht hindurchgefuhrt.
Erst nachdem beide Fäden eingelegt waren, schnürte ich den
Faden um die Schleimhaut zu, wobei natürlich Epithel an Epithel
kommt und die freien Schleimhautränder rosettenartig über den
umschnürenden Ring hervorquellen; die umgebende Sehleimhaut
wird dabei in radiale Falten gelegt, die in der Richtung des
Schnittes am stärksten gespannt sind, da ja hier der eine an den
anderen Wundwinkel herangezogen erscheint; der Effect dieser An-
näherung der beiden Wundvrinkel der Schleimhaut ist zunächst eine
Verkürzung der Wunde in der Muscularis wie auf Taf. 1, Fig. 2
dargestellt ist.
Nachdem die Schleimhautöffnung fest zugeschürt war, schloss
ich in derselben Weise auch den Seidenfaden in der Muscularis.
Es ist aber ein Unterschied zwischen den beiden Seidenringen fest-
zuhalten: während der innere im submucösen Gewebe gelegen die
ganze Schleimhaut zusammenschnürt, liegt der äussere Faden zum
Theil an der Oberfläche der Muskulatur, zum Theil in der Mus-
kelschicht; wird er nun fest zusammengezogen, so wird nicht die
ganze Mnskelschicht eingeklemmt, sondern es bleiben Theile der-
selben ausserhalb des Ringes.
Diese Strecken nun, in welchen der Faden von der Muskel-
schicht bedeckt verläuft, sind als schwache Stellen des Knotens
aufzufassen; hier ist nicht die ganze Muskel wand in den Ring ein-
bezogen und es kann durch eine sehr starke Drucksteigerung zu
einem Abreissen dieses Theiles der Muskulatur von der im Seiden-
faden fixirten kommen ; es ist daher angezeigt, den Faden in keiner
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40 Dr. A. Brenner,
grösseren Ansdehnang als Vs Gtm, lang in der Maskelschicht
verlaufen zu lassen. Welche Strecke man den Faden an der
Oberfläche verlaufen lässt, ist nach der Dicke der Blasenwand und
nach den Spannungsverhältnissen verschieden, weshalb ich es unter-
lasse, die Entfernung der Ein- und Ausstichöffnungen genau anzugeben.
Schnürt man den Faden in der Muskelschicht zusammen, so
faltet sich diese in derselben Weise wie die Schleimhaut. Der da-
durch entstehende Bürzel ist aber nicht so regelmässig rosetten-
artig, sondern mehr flachgedrückt, weil jene Theile der Muscularis,
welche nach aussen vom Seidenringe liegen, sich brückenartig über
denselben hinwegspannen und einen Uebergang von der Blasenwand
zur Höhe des Muskelknopfes herstellen. Hier und da rollt sich
auch ein Theil des Muskel wundrandes ein, wenn der Faden zu
nahe dem Bande oder oberflächlich durch die Muskelschicht hin-
durchgeht; geschieht dies ab und zu in der Gegend der seitlichen
Wundränder, wo die Spannung gering ist, so ist keine Gefahr.
In der Gegend der Wundwinkel, wo die Spannung nach Schluss
der Naht am grössten ist, ist die Gefahr des EinroUens und Ab-
gleitens dadurch zu vermeiden, dass man den Faden 4 Mm. vom
Wundwinkel entfernt, durch die halbe Dicke der Muscularis hin-
durchfährt und so einerseits den Faden in der Gegend des Wund-
winkels fixirt, andererseits eine Gewebsschicht in die Ligatur be-
kommt, die dick genug ist^ um diesen Theil der Blasenwand im
Seidenfaden fixirt zu halten.
Man könnte über diese Muskelligatur noch eine zweite an-
legen, welche mit der ersten alter nirt d. h. dort, wo die eine in
der Tiefe verläuft, verläuft die andere oberflächlich und es würde
die Muscularis durch die zwei Fäden wirklich ringförmig ligirt; ich
habe dies nicht gethan, um die Girculation nicht in zu hohem
Maasse zu beeinträchtigen.
Füllt man die Blase nach Anlegung der Naht, so sieht man
die verschiedene Spannung in der Blasenwand ausgedrückt durch
4 dreieckige Felder, welche .in der Naht zusammenstossen (Fig. 3);
2 davon, welche sich in der Richtung der ursprünglichen Blasen-
wunde ausdehnen, sind prall gespannt, die 2 anderen, zwischen den
ersteren gelegen, sind in longitudinale und radiale Falten gelegt;
sie entsprechen den Wundrändern, welche in dieser Weise gefaltet
wurden. Die Form der vollendeten Naht ist auch bei grossen
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Die Blasennaht. 41
Substanzverlusten oder Wunden unscheinbar; von aussen sieht man
den Muskelknopf (Fig. 3), von innen eine strahlige Figur von
Schleimhaut falten gebildet, welche ziemlich unregelmässig gegen
die Nahtstelle der Schleimhaut hinziehen (Fig. 4). Die Form der
Blase ist, wenn die Wunde nicht zu gross ist, durch die Naht nur
wenig geändert.
Der Vortheil dieser Naht, welche zum Verschlusse einer li-
nearen Wunde befremdend erscheint, wird viel mehr einleuchtend,
wenn es sich darum handelt, nach der Resection eines Theiles der
Blasen wand diese wieder zu schliessen; hier werden alle Theile
des Wundrandes gleichmässig gegen das Centrum des Defectes
hingezogen und miteinander verknüpft.
Die Versuche, welche ich auf die Haltbarkeit dieser Naht an-
gestellt habe, bestanden darin, dass ich die Blase durch die Harn-
röhre allmälig mit Wasser füllte, bis sie platzte. Nur bei dem
ersten Versuche, bei welchem ich den unteren Wundwinkel der
Schleimhaut nicht durch das Einziehen des Fadens in das sub-
mucöse Gewebe fixirt hatte, lief das Wasser bei massigem Drucke
unter der Enotenstelle heraus; bei allen anderen Versuchen hielt
die Naht und die Blase platzte 1 Ctm. ober- oder unterhalb der
Nahtstelle. Bei der Untersuchung zeigte sich dann jedesmal, eine
der besonders stark gespannten Schleimhautfalten in der Nähe der
Naht eingerissen; die Flüssigkeit war durch die Lücke unter die
Muscularis gedrungen, hatte diese durchwühlt und war so nach
aussen gekommen. Prädisponirt sind diese Stellen für den Durch-
bruch der Flüssigkeit dadurch, dass, wie ich oben gezeigt habe,
gerade hier nur die halbe Dicke der Muscularis ligirt ist.
Im Centrum des Sternes, den die Schleimhautfalten bilden,
zeigte sich in diesen Fällen immer ein Auseinanderweichen der
Epithelschicht der Schleimhaut.
Die Control versuche, welche ich mit der Knopfnaht und Kürsch-
nernaht anstellte, fielen alle ungünstig aus, indem die eingespritzte
Flüssigkeit schon bei viel niedrigerem Druck durch die Nahtstelle
drang. Am meisten hielt noch die Tiling'sche Naht aus, aber
auch sie gab nach, indem die Flüssigkeit den Weg zwischen den
Nähten nach aussen fand.
Man wird einwenden, dass es am Lebenden nie zu einer sol-
chen Füllung und Spannung kommen kann, als ich zu meinen
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42 Dr. A. Brenner,
Versuchen anwandte, da man ja durch fleissiges Gatheterisiren
oder durch Einlegen eines Verweilcatheters die Ansammlung von
Harn in der Blase überhaupt vermeiden kann. Ich bemerke da-
gegen, dass es mir vorläufig nur darum zu thun war, die physi-
kalische Leistungsfähigkeit dieser Naht gegenüber den anderen zu
prüfen, und dass an der lebenden Blase durch die Gontraction der
Muskulatur auch um ein geringes Flüssigkeitsquantum der Druck
in der Blase so hoch werden kann, dass er eine Naht insufficient
macht. Ich habe mich davon überzeugt, indem ich bei einem meiner
Versuchsthiere die Blase durch Knopfnähte linear vereinigte (auf
eine 2 Gtm. lange Wunde waren 7 Knopfnähte gesetzt). Als ich
bis zu einem massigen Drucke Flüssigkeit in die Blase injicirte,
hielt die Naht; als ich aber die Muskulatur durch einen Inductions-
ström, dessen Pole ich an die seitlichen Wände der Blase aufsetzte,
zur Gontraction reizte, trat der Inhalt der Blase in einigen Tropfen
zwischen den zwei mittleren Nähten aus der Wundspalte heraus,
obwohl diese in derselben Entfernung von einander waren, wie die
übrigen; selbst wenn die Wundränder nicht ganz exact gelegen
wären, so zeigt dies Experiment doch, dass erst unter dem Ein-
flüsse der Gontraction der Blasenmuskulatur und der plötzlichen
Drucksieigerung die Insufficienz zu Tage trat.
Es kommt bei der Gontraction der Blase überhaupt in Betracht,
dass die senkrecht zur Schnittrichtung in der Blase gelegenen
Muskelschichten — beim Längsschnitt die in der vorderen Wand
besonders schön entwickelte Ringmuskulatur, beim Querschnitte die
Längsmuskulatur — die Tendenz haben, die Wundspalte auseinander-
zuziehen und es um so leichter thun, wenn die vereinigenden Knopf-
nähte an einer Stelle zu weit auseinanderliegen. Beim Darme, wo
die Schichten ähnlich liegen, hat dieser Umstand für die Naht
keine so grosse Bedeutung, weil man denselben ruhig stellen kann,
weil die peritonealen Theile sehr rasch miteinander verkleben und
weil fast gar nie ein so hoher Druck im Innern entsteht wie in
der Blase; hier muss die Naht Alles leisten, und es scheint von
vornherein die Vereinigung der Wundränder in einen Knoten viel
mehr zu versprechen für die Leistungsfähigkeit der Blase, als die
lineare Vereinigung; im ersteren Falle hat jede durchtrennte Mus-
kelfaser einen neuen Fixpunkt erhalten, von dem aus sie ihre Gon-
traction wirken lassen kann, es ist die Gontinuität in der Blasen-
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Die Blasennaht. 48
moskulator dadurch wieder hergestellt, dass die darchschnittenen
Maskelfasern in Masse aneinandergeknüpft sind, während bei der
linearen Vereinigung der Wunde die Continuitat erst durch die Bil-
dung der Narbe restituirt wird.
Die zweite und wichtigste Frage war nun: Verträgt die lebende
Blase ein solches Zusammenschnüren ihrer Wand und werden die
in der Ligatur gefassten Theile nicht etwa gangränös, oder im
Laufe der ersten Tage so eingeschnitten, dass die Ligatur abfällt
und die Blasen wunde auseinandergeht? Ich wandte mich zur Be-
antwortung dieser Frage an das Thierexperiment, und wählte wegen
der leichten Beschaffung und ihrer vielfachen Verwendung zu Blasen-
operationen Hunde. Ich hatte zu meinen Versuchen nur kleine
Hunde, die ich durch eine Injection von 0,05 Morphium unter die
Brusthaut and durch 0,1 Cocain unter die Hautstelle, die ich in-
cidirte, anästhesirte; die Thiere hielten sich dabei vollständig ruhig,
gaben keine Aeusserung eines Schmerzes von sich; nach der Ope-
ration waren sie noch einige Zeit betäubt, dann aber viel wohler
als nach Ghloroformnarcose. Die Operation fährte ich unter anti-
septischen Cautelen aus und gebrauchte dabei auch für das Peri-
toneum 5 proc. GarboUösung, was die Thiere auffallend gut vertrugen.
Der Schnitt wurde bei den Weibchen genau in der Medianlinie in
der Länge von 6 Otm. bis zum vorderen Rande der Symphyse ge-
macht, die Mm. recti nach der Incision der Linea alba stumpf
auseinander gedrängt, der von lockeren weissen Fettklumpen er-
füllte präperitoneale Raum durchschritten, das Peritoneum incidirt
und die meist nur wenig gefüllte Blase, die vom Peritoneum voll-
ständig überkleidet leicht beweglich im Bauchraum liegt, durch die
Wunde hervorgezogen, nach den an ihr ausgeführten Operationen
wieder reponirt, das Bauchfell und die Muskulatur durch Knopf-
nähte geschlossen, die Hautwunde durch eine fortlaufende Kürsch-
nernaht, in den späteren Fällen durch Knopfnähte vereinigt; Drai-
nage und Verband sind bekanntlich bei den Hunden unmöglich.
Bei den Hündinnen, die ich verwendete, hatte ich den besonderen
Debelstand zu bekämpfen, dass sie zur Zeit meiner Untersuchungen
läufig waren und die Brustdrüsen sehr geschwollen hatten; ausser-
dem wurde die erste Hündin, an der ich experimentirte, nach der
Operation von den männlichen Hunden, von denen ich sie nicht
isoliren konnte, verfolgt, so dass ich mich nicht wunderte, dass
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44 Dr. A. Brenner,
schon am 3. Tage die Hautnaht weit klaffte und durch eine secun-
däre Naht gesichert werden musste; ich wählte daher zu den an-
deren Versuchen naännliche Thiere, machte den Schnitt an der
linken Seite der Ruthe hinter der Mündung des Präputiums be-
ginnend bis an den Symphysen wand , schob den Penis über die
Mittellinie nach rechts, worauf die Verhältnisse analog den erstge-
schilderten waren. Nur die Hautnaht war erschwert, weil sich die
Haut nach der Naht brückenförmig vom Penis über die seitliche
Furche zur übrigen Bauchhaut hinüberspannte, wodurch ein leerer
Raum entstand, der, wie ich vermuthe, im Verein mit dem fort-
währenden Benagen und Zerren der Nähte, die Ursache war, dass
auch bei diesen die Hautwunde nach einigen Tagen klaffte, doch
hinderte die granulirende Bauchwunde ja in keiner Art den Schluss-
effect meiner Versuche. Diese bestanden darin, dass ich die Blase
mit Bezugnahme auf die Blasenresectionen, die Znamensky (1. c.)
angestellt hat, nicht bloss durch Längs- und Querschnitte incidirte,
sondern auch in 2 Fällen (1 und 6) Theile der vorderen Blasen-
wand, in einem Falle (4) den Blasenscheitel bis zur Mitte der
Blase kreisförmig abtrug und den Blasenrest durch die in zwei Eta-
gen gelegene Schnürnaht vereinigte. Ich achtete hierbei gar nicht
auf die Art, wie die Schleimhaut sich faltete, sondern überliess
das dem Zufalle, um jede Feinheit in der Methode auszuschliessen,
ich durchstach einmal absichtlich die Schleimhaut, so dass der
Faden an deren Innenseite lag, um zu sehen, welchen Effect dieser
Fehler haben würde, ich stülpte ferner die Schleimhaut nicht ein,
sondern Hess ihre Ränder freiliegen und schloss über ihr dann die
Muskelschicht in derselben Weise, wie ich es an menschlichen
Leichen geübt, hierbei liess ich das erstemal die freien Ränder
durch eine Pincette etwas einrollen und schnürte den Faden dann
erst zu, so dass die Serosaflächen der einzelnen Falten sich be-
rührten, was den Schlusseffect verschönerte; da aber beim Menschen
die plastische Thätigkeit der Peritonealbekleidung nicht in Betracht
kommt, unterliess ich dieses Experiment in den übrigen Fällen, so
dass nur Muskel an Muskel l£ig und eine ca. linsengrosse Wund-
fläche von den^ gefalteten Wundrändem gebildet, frei lag. Den
Faden schnürte ich sowohl um die Schleimhaut als um die Muscu-
laris mit ziemlicher Kraft und Rücksichtslosigkeit zu — einerseits
um auch nicht den kleinsten Kanal zu lassen^ andererseits um die
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Die Blasennaht. 45
grosste Gefahr dieser Nahtmethode, das Durchschnüren der ge-
fassten Weichtheile heraufzubeschwören — es gelang mir nicht.
Die umschnürten Gewebspartien zeigten stets eine frische röth-
liche Farbe, nur die Schleimhautränder waren öfter bläulich
verfärbt und ödematös; es ist auch nicht wahrscheinlich, dass sie
später gangränös werden; es liegen ja ziemlich ausgedehnte Par-
tien der Blasenwand ausserhalb des einschnürenden Ringes, näm-
lich diejenigen, unter welchen der Faden durchgeführt wird (siehe
Fig. 1) und welche von der Circulation nicht ausgeschlossen die
Ernährung der im Centrum vielleicht wirklich strangulirten Partien
vermitteln können.
Die Zahl der von mir, unter der freundlicher Assistenz meines
CoUegen Dr. v. Eiseisberg, operirten Thiere beträgt allerdings nur
6 (das während der Operation verendete ist in Abrechnung zu brin-
gen); doch liess mir der ungestörte Verlauf der Heilung weitere
Tbierversuche überflüssig erscheinen. Ich lasse hier die Kranken-
geschichte der operirten Thiere folgen:
I. 9. August: Semmelfarbener kleiner Dachshund, läufiges Weibohen.
Narkose mit Morphium (0,05) und Cocain (0,1). Schnitt in der Medianlinie,
10 Ctm. lang, bis über den vorderen Rand der Symphyse reichend. Blase
Nussgross, nahezu leer, 2 Ctm. langer Sagittalsohnitt in der Mitte der vorderen
Wand; Vereinigung der Wunde durch Knopfnähte in der Absicht, die Blase
zu füllen and dann darcb electrische Reizung zur Contraction zu bringen und
die Naht zu prüfen: die Fällung gelingt nicht, da die Urethralmündung für
meinen Tubus zu klein war. Excision der Naht sammt angrenzender Blasen-
wand in Form eines langgestreckten EUipsoides mittelst Scheere. — Um-
schnürende Etagennaht in oben beschriebener Weise mit feiner Seide angelegt.
Die Muscniaris lässt sich schön einstülpen, so dass nach dem Schürzen der
umschnürenden Naht im Centram des gefassten Knotens eine rosettenartige
vertiefte Figur entsteht und die peritonealen Flächen der Faltungen aneinander
liegen. Versenkung der Blase, Peritonealnaht, Muskelnaht durch Knopfnähte,
Hautnaht durch Kürschnernaht. — 12. Aug.: Die Hautwunde klafft weit, so
dass die Muskelnähte sichtbar sind; Harnentleerung per urethram, durch die
Banchwunde kommt kein Harn heraus; 6 Secundämähte mit dicker Seide. —
16. Aug.: Der Hund hat sich die Secundämähte bis auf 2 aufgebissen, so
dass die Wunde wieder klafft, es dringt kein Harn aus der Banchwunde, son-
dern wird nur durch die Urethra entleert. 3 secundäre dicke Seidennähte. —
16. — 19. Aug.: Der Hund duldet die Nähte, die Wunde granulirt gut, Harn-
entleerung normal. — 19. — 26. Aug.: Die Wunde heilt langsam per granu-
lationem.
26. Nachmittags, am 17. Tage post operationem Tödtung des Hundes.
Die Banchwunde nach Lösung der locker haftenden Seidennähte weit klaffend,
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46 Dr. A. Brenner,
von dickem, rahmigem Eiter bedeckt; der Grand der Wunde von der von Gra-
nulationen bedeckten Muskelfascienschicht gebildet; nach Eröffnung der Peri-
tonealhöhle zeigt sich die Blase unter ihrem Scheitel an die vordere Bauch-
wand adhärent; nach Excision der Blase sammt Urethra und der vorderen
Bauchwand wird die Blase mit Wasser gefüllt; sie erscheint dicht; nach Los-
präparirung der Blase von der Bauchwand zeigt sich an der Stelle der Ad-
härenz eine stecknadelkopfgrosse rauhe Stelle an der Peritonealfläche der
vorderen Bauchwand; an dieser Stelle ragt auch die Bauchwunde am tiefsten
gegen das Peritoneum vor. Die Form der Blase ist in Fig. 5 wiedergegeben,
die Ansicht von der Schleimhautseite auf Fig. 6, der Durchschnitt durch die
Narbe, in sagittaler Richtung geführt, in Fig. 7.
Der Befund an der Blase, die durch Injection von absolutem
Alkohol und Einlegen in absoluten Alkohol in gefälltem Zustande
gehärtet wurde, ist insofeme auffallend, als die Blase durch eine
Querfurche in transversaler Richtung eingeschnürt erscheint, wäh-
rend doch die grösste Spannung in sagittaler Richtung durch An-
einanderlegen des oberen und unteren Wundwinkels zu erwarten war.
Von der Schleimhautseite bot die Blase ein Paltensystem dar, wel-
ches um eine sagittale Linie angeordnet ist, nicht, wie ich erwar-
tete, analog der Figur 4; es machte den Eindruck, als wäre die
Schleimhautnaht doch aufgegangen; als ich aber die Naht in sa-
gittaler Richtung durchschnitt, fand ich die Schleimhautränder von
dem Seidenfaden umgeben vollkommen exact aneinanderliegend und
durch derbes Narbengewebe, welches zwischen den Muskelrändern
sich gebildat hatte, fixirt (Fig. 7). Wahrscheinlich ist durch die
auffallend dicke Narbenmasse, welche in natärlicher Grösse darge-
stellt ist, und die als breite Platte der vorderen Blasenwand, auf-
liegt, diese in querer Richtung eingezogen worden, die Anordnung
der Schleimhautfalten lässt sich so erklären, dass am unteren und
oberen Wundwinkel je eine straff gespannte Falte ausgeht, um
welche sich dann die Falten der seitlichen Wand, welche keine
Spannung erfuhren, anordneten.
{• 11. Aug. : Kleiner schwarzer Rattler (Männchen). Narkose mit Mor-
phium (0,05) und Cocain (0,1). Schnitt an der linken Seite des Penis, vor
der Präputialöffnung beginnend bis über den Symphysenrand ; nach Beiseite-
schieben des Penis Eröffnung der Bauchhöhle wie oben , Blutung fast keine.
Blase enthält 20 Gern, concentrirten Harnes, lässt sich leicht aus der Bauch-
wunde hervorziehen ; Eröffnung derselben durch einen 3 Ctm. langen Sagittal-
schnitt. Umschnürende Naht der Schleimhaut mit Seide No. 6, der Muscularis
mit Seide No. 5. Einzelne Schleimhautfalten blauviolett ödematös; die Mus-
kulatur wird nicht eingestülpt, drängt sich nach dem Zusammensohnüren
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Die Blasennaht. 47
rosettenartig über den Ring hervor. Peritoneum, Maskelschicht, Haut darch
in Etagen liegende Knopfnähte vereinigt. — 1 1. — 16. Aug.: Der Hund ent-
leert seinen Harn per urethram, Bildung eines Abscesses unter der Bauchnaht,
Entleerung desselben erfolgt spontan durch das Platzen einiger Nähte, der
Inhalt des Abscesses ist eiterig-serös, lässt keine Beimengung von Harn er-
kennen. — 16. Aug.: Der vordere Theil der Wunde in der Haut offen, gra-
nulirend', der geängstigte Hund entleert einige Tropfen Harn per urethram;
durch die Bauchwunde kommt nichts. — 16. — 19. Aug.: Die Wunde gra-
nulirt, der Hund harnt normal. — 19. - 26. Aug.: Heilung der Wunde per
granulationem bis auf eine kreuzergrosse Stelle. Harnentleerung stets normal.
— Bei der Tödtung im October Bauch- und Blasenwunde durch eine solide
Narbe geheilt. Beide durch eine lange dünne Adhäsion mit einander in Zu-
sammenhang.
S, 11. Aug. : Semmelfarbener kleiner Hund (Männchen). Narkose mit
Morphium (0,05) und Cocain (0,1). Schnitt hinter der Präputialöffhung be-
ginnend bis zur Symphyse; eine blutende Vene wird unterbunden. Eröffnung
der Bauchhöhle wie in Fall 2. Harnblase hühnereigross, lässt sich durch die
Bauchwunde hervorziehen. Eröffnung derselben in 2 Zeiten durch einen
3 Ctm. langen, transversal verlaufenden Schnitt in der Mitte der Blase. Nach
Dnrchtrennung der Muskelschicht wird diese von der prall gespannten Schleim-
haut zurückgeschoben, der Faden zur umschnürenden Naht angelegt, hierauf
die Schleimhaut in derselben Ausdehnung wie die Muscularis durchschnitten,
der Harn entleert, der umschnürende Faden um die Schleimhautwunde ange-
legt. Beide Fäden, der für die Schleimhaut ist etwas dünner als der für die
Muscularis, angezogen und so wie in Fall 2 geschlossen. — 14. Aug. : Bauch-
deckenabscess. — 16. Aug.: Der Abscess ist offen, der vordere Theil der
Wunde klafft und granulirt; der Harn kommt nicht durch die Bauchwunde. —
16. — 19. Aug.: Die Wunde granulirt gut, Harn per urethram entleert. —
19. — 26. Aug.: Heilung schreitet vor, Harnentleerung stets normal. — Bei
der Tödtung im October zeigte sich die Blasenwunde ebenso solide verheilt,
wie in den vorigen Fällen; die mikroskopische Untersuchung Hess eine dichte
Narbe in der Muscularis, aber keine auffallende Veränderung in der Mucosa
erkennen, welche glatt über die Narbe hin wegzog.
4. 18. Aug. Abends: Schwarzer kräftiger Rattler (Männchen). Narkose
wie oben. Schnitt 1 Ctm. hinter der Präputialöffnung beginnend, bis zur
Symphyse nur 5 Ctm. lang. Blutung aus mehreren Venen, durch Ligatur ge-
stillt. Blase gänseeigross, prall gefüllt, lässt sich nicht durch die Bauchwunde
herausheben. Incision der vorderen Wand. Entleerung von ca. 150 Com.
concentrirten stinkenden Harnes (der Hund hatte auch einen eiterigen Aus-
fluss aus der Urethra), der zum Theil in den Bauchraum und das präperito-
neale Gewebe floss; nach Entleerung des Harnes wird die contrahirte Blase
aus der Wunde herausgezogen und unter der Incisionswunde mit der Scheere
quer abgekappt, so dass nur die untere Hälfte der Blase zurückblieb; Blutung
aus 2 seitlichen Gefässen der Blasenwandung beträchtlich wird durch An-
legen von Schieberpin oetten vorläufig gestillt. Anlegen der umschnürenden
Naht an der Schleimhaut mit Seide No. 6, an der Muscularis mit einem Doppel-
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48 Dr. A. Brenner,
faden der Seide No. 6 ; beim Zuziehen des Doppelfadens reisst derselbe beim
zweiten Knoten; es wird die Stelle des Knotens umstocben and durch einen
quer auf den Knoten gestellten neuen Knoten der erstere fizirt nnd gesichert.
Die Operation war durch schlechte Beleuchtung und die unerwartet reichliche
Blutung sehr erschwert. — Peritoneum, Muskelschicht und Haut durch Etagen-
Knopfnähte vereinigt, die Hautwunde ausserdem noch durch eine fortlaufende
Naht gesichert. — 14. Aug.: Der Hund ist mürrisch, isolirt sich Ton den
übrigen. Die Bauchwunde, wie es scheint, reactionslos. Entleerung des
Harnes in kräftigem Strahle per urethram, doch ist die Menge des entleerten
sehr gering. — 14. — 19. Aug.: Es bildet sich eine Schwellung unter der
Hautwunde. Harn wird per urethram entleert. Aussehen des Hundes gut. —
19. — 26. Aug.: Die Wunde am Bauche per primam geheilt. Harnentleerung
stets normal. ^ Tödtung im November. In den letzten 3 Wochen hatte sich
eine Harnfistel entwickelt, die zu einer Oeffnung in der Blasen wand führte,
an welcher noch der umschnürende Faden lag, so dass es wahrscheinlich ist,
dass durch die Sequestrirung des Fadens die Bildung der Fistel zu Stande
kam. Die Oeffnung in der Blase war mit der Fistel in der Bauchdecke nur
durch einen dünnen Adhäsioosstrang verbunden, welcher den Fistelgang
umschloss.
Ii. 16. Aug.: Kleiner zottiger Pinscher (Männchen). Narkose mit
Morphium (0,08) und Cocain (0,1). Beim Versuche, die Blasenwunde zu
vereinigen, verendet der Hund plötzlich, wahrscheinlich durch zu starkes
Zubinden der Schnauze und Ueberbängen des Kopfes erstickt.
(• 17. Aug.: Schwarzer, glatthaariger, magerer Hund (Weibchen, aber
nicht läufig), am linken Oberschenkel durch eine granulirende Wunde nach
Cruralisunterbindung markirt. Narkose mit Morphium (0.05) und Cocain (0, 1 ).
5 Ctm. langer Schnitt in der Medianlinie bis zum vorderen Epiphysenrande.
Blase fast leer, leicht herauszuziehen. Zweizeitige Eröffnung der Blase durch
eine 3 Ctm. lange, sagittale Incision zuerst der Muscularis und nachdem diese
zurückgeschoben und der umschnürende Faden angelegt war, auch der
Schleimhaut. Anlegen der umschnürenden Schleimhautnaht, Zuschnüren
beider Nähte ohne Einstülpung der Ränder. Peritoneum, Muskelschicht und
Haut durch Etagen- Knopf näthe vereinigt. — 17. — 19. Aug.: Wunde reac-
tionslos, Harnentleerung normal. — 19. — 26. Aug.: Verlauf normal. —
Tödtung im October, Befund wie bei 3.
7« 17. Aug.: Schwarze, läufige Hündin; durch eine granulirende
Wunde nach Carotisunterbindung am Halse markirt. Narkose mit Morphium
(0,05) und Cocain (0,1). Schnitt in der Medianlinie, 8 Ctm.Jang, bis zum
Symphysenrande. Blase fast leer, leicht vorzuziehen; Eröffnung durch einen
2 Ctm. langen Sagittalschnitt. Einführung einer Sonde von der Harnblase
aus in die Urethra, um beim Zurückziehen derselben einen an ihr mittelst
Faden befestigten feinen Tubus per urethram in die Blase zu bringen. Nach-
dem dies gelungen^ wird die Wunde linear durch 7 in genauen Abständen
von einander gelegenen Knopfnähten, welche nur die Muscularis fassten, ver-
einigt , die Blase durch den Tubus mit Wasser gefüllt bis zu massiger Span-
nung — es tritt keine Flüssigkeit durch die Nahtstelle aus; nun werden an
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Die Blasennaht. 49
die Seiten der Blase die Pole eines Induotionsstromes angesetzt, die Blase
cootrahirt sich und zwischen den mittleren Nähten tritt Flüssigkeit aus. —
Excision der Nahtstelle wie in Fall 1 und 5, Anlegung der umschnürenden
Naht an Schleimhaut und Mnskelschicht mit absichtlicher Durchstechung der
Schleimhaut. Fällung der Blase bis zu massiger Spannung, electrische Reizung,
die Naht hält. Versenkung der Blase. Etagen - Knopf nähte an Peritoneum,
Muskebchicht und Haut. — 17. — 31. Aug.: Harnentleerung stets per urethr.
Heilung der Hautwunde per granulationem. — Tödtung im October, Befund
wie bei 2.
Der die Muscularis umschnürende Faden war in den Fällen 1, 2, 3, 6, 7
in die Narbe eingeheilt und, wie die mikroskopische Untersuchung bei Fall 3
und 6 ergab, von Granulalionszellen durchwuchert; der Seidenfaden um die
Mucosa in Fall 1 noch im submucösen Gewebe erhalten, in Fall 4 wahrschein-
lich durch die Eiterung schon frühzeitig abgestossen und nicht mehr zu finden,
in den übrigen Fällen an der Innenseite der Mucosa in der Narbe fixirt und
frei gegen das Lumen der Elase vorspringend.
Die Resultate der hier mitgetheilten Versuche sind ausseror-
dentlich günstig. Es hat sich gezeigt, dass die Schnürnaht als
Blasennaht verwendbar ist, dass sie nach den Versuchen an) Oa-
daver mehr leistet als die anderen bisher geübten, und dass sie
von Hunden ganz gut vertragen wird.
In die Chirurgie eingeführt, würde sie folgende Vortheile bieten:
1) dass die Blasenmuskulatur schon durch die Naht functions-
fahig wird, wodurch das Einlegen des Verweilkatheters
entfallen kann;
2) dass die Wundfläche sehr klein ist und daher rasch ver-
narben kann;
3) dass die Narbe sehr dick und solid wird;
4) dass nur zwei kurze Seidenfäden in die Tiefe versenkt
werden.
Als Nachtheil der Methode wüsste ich nur hervorzuheben, dass
das Volumen der Blase um ein geringes verkleinert wird. Ob die
Faltungen der Schleimhaut zu Folgekrankheiten Anlass geben
können, lie?se sich natürlich erst durch längere Beobachtung am
Menschen bestimmen.
Ich glaube, die in 2 Etagen angelegte Schnümaht auch für
die menschliche Blase empfehlen zu dürfen und unterbreite sie
hiermit dem ürtheile der Fachgenossen.
▼. Langenbeck, ArchW f. Chirurgie. XXXV, i. 4
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IV.
Aus der Heidelberger chirurgischen Klinik
des Prof. Dr. Czerny.
I. Die mdigiei Tai*reM 4cr fieftssMlieide.
Ton
Dr. Carl neyniuilt
in Speier.
Wenn schon eine ziemliche Zahl von Neubildungen als Mutter-
boden theils die arterielle, theils die venöse Gefasswand besitzt, so
dürfte doch die Entwicklung bösartiger Neubildungen der die Ge-
fasswand umhüllenden Scheide grösserer Gefässstämme ein etwas
seltneres Vorkommniss und gerade in operativer und klinischer Be-
ziehung von hohem Interesse sein. Man darf sich daher nicht
wundern, die allerdings nicht bedeutende Anzahl derartiger publi-
cirter Fälle meist in chirurgischen Abhandlungen, in denen es sich
um Unterbindung oder Verletzung grösserer Gefässstämme handelt,
zu finden; aus diesem Grunde ist auch die genauere mikroskopische
Beschreibung derartiger Geschwülste in der grössten Mehrzahl der
Fälle unterlassen.
V. Langen b eck*) war wohl der Erste, der unter der Auf-
schrift „Gefassscheidentumoren* einige Fälle vom klinischen Stand-
punkte aus zusammenstellte. Dieselben können sich in der Gefass-
wand entwickeln und auf die Scheide übergreifen, sie können
primär in der fibrösen Scheide der grossen Gefässe entstehen, sie
können aber auch ausserhalb dieser Theile entstehen und dieselben
*) Zur Chirurg. Pathologie der Venen. Archiv für klin. Chirurgie. Bd. I.
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Die malignen Tumoren der Gefässsoheide. 51
secundär in Mitleidenschaft ziehen. Zu den ersteren Fällen zählen
die seltneren Vorkommnisse von Carcinom, Myom und Sarcom der
Gefasswand, wie sie von Aufrecht, Boettcher, Virchow*) in
des letzteren Archiv genauer beschrieben sind. Sind dieselben wirk-
lich bösartiger Natur, so werden sie selten Gegenstand operativer
Behandlung in Folge einer sehr frühzeitig eintretenden Generalisi-
rung.') Die beiden letzten Arten möchte ich jedoch besonders
zum Vorwurf meiner Arbeit machen und hiervon hauptsächlich die
primär in der Gefässscheide ^) entstandenen Neubildungen, v. Lan-
genbeck, der ebenfalls nur die beiden letzten Arten erwähnt,
zählt als zu diesen Neubildungen überhaupt gehörend, 3 Arten:
Dermoidcysten, Drüsensarcome, Epithelialcarcinome. Die Dermoid-
cysten sind zu den gutartigen Geschwülsten zu rechnen wegen ihres
langsamen Wachsthums und der ihnen fehlenden Metastasenbildung,
wesshalb ich dieselben nur kurz erwähnen werde. Den Discussio-
nen^), die sich an die hierauf bezüglichen Vorträge von Roser
und Esmarch anschlössen, entnehme ich: Die tiefsitzenden Der-
moid- und Atheromcysten des Halses sind in den meisten Fällen
mit der Gefässscheide verwachsen. Roser, der ihre Entstehung
schon seit 30 Jahren verfolgt, hält die Annahme fest, dass diesel-
ben von abgeschnürten Eiemengangresten oder Einstülpungen des
äusseren Keimblattes sich entwickeln — damit in Zusammenhang
bringt man die in den meisten Fällen zur Pubertätszeit beginnende
Entwicklung dieser Cysten. Die Mehrzahl der Chirurgen stimmt
dieser Annahme bei. Ihren Ausgangspunkt nehmen diese Tumoren
meist von der Theilungstelle der Carotis; der Muse, sternocleido-
mastoideus liegt denselben nach aussen an — ihre Grösse wurde
bis zu der eines Kindskopfes ausgedehnt gefunden. Dieselben bieten
meist deutliche Fluctuation und zeigen öfters Transparenz. Die
flaut über der Geschwulst, wenn deren Ausdehnung nicht zu gross,
bleibt intact. Bei grösseren Tumoren Druckerscheinungen auf be-
nachbarte Organe. Was die Behandlung dieser Tumoren betrifft,
so ist die Exstirpation derselben wegen ihrer Beziehungen zu den
») Virchow'8 Arohiv. Bd. 44, 47, 53.
^ Perl-Sarkom der Vena cava inferior. Ebendas. Bd. 63.
*) Zum besseren Unterschiede möohte ich hier betreffs der Nomenclatar
erwähnen, dass ich Intima, Media and Adventitia als Gefasswand bezeichne
ind nur die fibröse Umhüllung der Gefasswand als „ Gefässscheide" benenne.
*) rV. Congress deutscher Ghirargeu in Berlin. 1875.
4*
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52 Dr. Carl Regnaalt,
Gefässen eine ziemlich missliche und prognostisch ungünstigere als
die von Esmarch empfohlene, öfters wiederholte Injectiön Lu-
gol'scher Jodlösung. Letztere haben in den allermeisten Fällen
zu einem günstigen Resultate geführt.
Als Ursprung für die beiden noch übrigen Formen von Ge-
fässscheidentumoren glaubt v. Langen beck die in der Scheide vor-
handenen lymphatischen Gebilde zu erkennen; er gelangt zuletzt
zu dem Resultate, dass es sehr schwer zu entscheiden sei, ob der
Tumor primär im lymphatischen Gewebe der Scheide und der
Drüsen daselbst entstanden sei, oder ob derselbe von den in der
Umgebung befindlichen und mit der Scheide in Verbindung stehen-
den drüsigen Gebilden auf diese übergegriffen habe.
Ganz in derselben Weise sprechen sich Demarquay') und
Verneuil*) aus, mit Bezugnahme auf die Arbeit v. Langenbeck's.
Verneuil sagt: Es ist gleich und keineswegs sicher festzustellen,
ob diese Tumoren in der Gefassscheide primär oder secundär ent-
standen sind; jedenfalls sind sie vom klinischen Standpunkte aus
höchst interessant und in operativer Beziehung sehr beachtenswerth.
Eine weitere Besprechung der Gefässscheidetumoren finden wir bei
der Veröffentlichung eines solchen Tumors durch v. Mosetig*).
Derselbe möchte den von von Langenbeck genannten 3 Arten von
Tumoren noch eine 4. Art hinzufügen: den Cancer melanodes, eine
Geschwulstform, die heutzutage zu den Sarkomen gerechnet wird.
In allen übrigen, allgemeinen oder speciellen, chirurgischen
oder pathologisch-anatomischen Handbüchern werden diese Tumoren
nur vorübergehend — bezugnehmend auf v.Langenbeck's Arbeit —
oder gar nicht erwähnt, so dass es sich der Mühe lohnen möchte
dieselben einmal kurz zusammenzufassen.
König*) sagt: Primäre Drüsensarcome kommen nicht selten
vor, oft hängen sie mit der Gefassscheide zusammen und nennt sie
Gefässscheidensarcome.
0. Weber') sagt: Es sind zwar oft die kleinen, sehr zahl-
reichen Lymphdrüsen, welche die grossen Gefässstämme begleiten.
*) Gaz. des hop. Soci6t6 imp6r. de chir. 1869.
^) Tumenr fibroplastique naissant de la gaine des vaisseaui. Gaz. des h6p.
') Zur Casaistik der Gefassscheidengeschwülste und deren Behandlung.
Wiener med. Wochenschrift. 1866.
■*) König, Speoielle Chirurgie. Bd. II.
') 0. Weber, Handbuch der allgemeinen und speciellen Chirurgie.
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Die malignen Tamoreii der Gefassscbeide. 53
von denen die Entartung ausgeht; allein sehr bald wird das um-
gebende Bindegewebe der Gefassscbeide inficirt, es entartet zur Ge-
schwulst und das Characteristische für diese Geschwulst ist es,
dass sie die Gefass- und Nervenstämnoe nach allen Richtungen hin
auseinanderdrängen. — Es ist von grosser Wichtigkeit, den Aus-
gang gewisser Geschwülste von der Gefassscbeide zu beachten.
Virchow^) erwähnt die Gefässcheidensarcome als für den Opera-
teur sehr unangenehme Tumoren — stellt sie unter die Rubrik
der fascialen Sarcome — verweist auf die Arbeit v. Langenbeck's.
Leider ist es schwierig alle Fälle zusammenzufinden, theils
wegen der verschiedenartigen Aufschrift, unter welcher dieselben,
wie schon erwähnt, verwerthet wurden, theils wegen der bis in die
letzte Zeit vorhanden gewesenen Unklarheit und Verschiedenheit
der Nomenclatur, Ein weiterer üebelstand ist der, dass mancher
Fall hätte verwerthet werden können, wenn genauere Angaben in
Bezug auf die Topographie der Gefasse zur Geschwulst etc. ange-
geben wären.
I. Dräsensarkom der Scheide der Vasa axillaria. von Lan-
gen beck 2). — Fat. 36 J. all. Eine im 4. Jahre zu Kindskopfgrösse heran-
gewachsene Gesohwolst in der rechten Achselhöhle. Aetiologie nicht erwähnt.
In dem letzten halben Jahre nach einer Gauterisation sehr rasch gewachsen.
Geschwulst unbeweglich, Basis von fester Consistenz, Spitze weicher, ulce-
rirend; nach oben mit der Clavicalarportion des Pectoralis, nach aussen mit
inneren Bändeln des Deltoideus, nach hinten mit der Sehne des Latissimus
dorsi verwachsen. Auf Druck unempfindlich, nie spontane Schmerzen. Keine
Stauungsersobeinungen, keine Palsation. — Operation: Die Ablösung der
Geschwulst von der Scheide der Art. axillaris gelang leicht ohne vollständige
Blosslegung des Arterienrohres. Die Scheide der Vene hingegen war von der
Geschwulst allseitig ergriffen und musste entfernt werden. Die Vene Hess
sich leicht daraus isoliren, bis an einer kleinen Stelle dieselbe einriss; seit-
liche Ligatur. Fortpflanzung der Geschwulst in der Scheide der Vena basi-
lica, thoracica longa, subscapularis . Thrombose dieser Venen. Entfernung
derselben mit der Geschwulst. Heilung.
2« Drüsensarkom der Scheide der Vasa cruralia'). von Lan-
ge nb eck. — Fatientin 49 J. alt. Eine in 4 Jahren zu Mannskopfgrösse
herangewachsene Geschwulst im oberen Dritttheile des linken Oberschenkels.
Aetiologie nicht erwähnt. Der untere Theil der Geschwulst, die in der letzten
Zeit rasch gewachsen , ist auf der Schenkelfascie beweglich , der obere Theil
') Virchow, Die bösartigen Geschwülste. IL S. 343.
>) Archiv für klin. Chirurgie. Bd. L Fall 3.
^ Ebendas. Fall 10.
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54 Dr. Carl Regnault,
erstreckt sich in die Povea ovalis, wo er yon der Tiefe ans noch das Ligam.
Poapartii in die Bauchhöhle vordrängt. Consistenz fest-elastisch, Oberfläche
höckerig, keine Pnlsation. — Operation: Die Geschwulst war nach Darch-
trennung der Fascie leicht zu isoliren bis nach oben, wo dieselbe 1 Qaer-
finger breit unter dem Poupart'schen Bande in die Tiefe trat. Von aussen
nach innen vorgehend, wurde die Arterie von der mit der Geschwulst ver-
wachsenen Scheide getrennt. Dabei wurde die Vene yerletzt. Ais nach Unter-
bindung des peripheren und centralen Venenendes die Blutung nicht stand,
die Geschwulst durch einige Schnitte vollständig gelöst war, unterband von
Langenbeck die Arterie. Heilung. — Die exstirpirte Geschwulst bestand
oberflächlich aus einer lappigen Masse, in der Tiefe aus einem gleichmässigen
Gewebe von gelblicher Färbung. Serum und reichliche Mengen von Lymph-
kemen lassen sich ausstreichen, von Langenbeck bemerkt noch hierzu:
Die eigenthümliche hemdsknopfförmige Gestalt derGeschwulst lässt annehmen,
dass dieselbe in den Lymphdrusen der Gefässscheide entstanden, sich unter
der Fascie ausgebreitet, sodann aber sich durch die Fovea ovalis an die Ober-
fläche gedrängt hat.
S. Drüsensarkom der Gefässscheide der Halsgefässe^). —
Patient 1 3 V2 J» *1*- Keine Zeichen von Scrophulose. Vor y, Jahr zeigte
sich ein fester, haselnussgrosser Tumor in der Höhe des Zungenbeines. Die
Geschwulst wuchs rasch bis zu Kindskopfgrösse, nahm das rechte Trigonum
inframaxiliare ein. In der Tiefe des Halses sass dieselbe fest auf. Oberfläche
höckerig, von verschiedener Consistenz. Halsvenen ausgedehnt, keine ab-
normen Pulsationen. Bei der Operation kam man über dem Niveau des
Sternocleidomastoideus auf die Vena jugularis communis, die, vollständig mit
der Geschwulst verwachsen, stellenweise nur noch undeutliche Wandungen
besass. Die Carotis lag frei in der Tiefe, in ihrer noch unversehrten Scheide.
Tod nach 22 Tagen an Pyämie.
Dieser Tumor ist sicherlich zuerst aus einer Lymphdrüse ent-
standen und hat sich dann hauptsächlich in der Gefässscheide und
der Venenwand ausgedehnt. Dafür spricht das circumscripte Auf-
treten eines Geschwulstknotens in einer drüsenreichen Gegend.
König sagt in seiner speciellen Chirurgie, auf die Arbeit von
Langen beck's verweisend: „Diese Tumoren pflegen besonders
auf dem mehr beweglichen Gefässscheidentheil der Jugularis interna
zu wachsen und, indem sie die Veno allmälig emporheben, sich
auf die Arterie zu legen.** Eine derartige Topographie kann am
Halse und in der Achselhöhle entstehen; bei den Geschwälsten
des Oberschenkels jedoch wird eine Trennung der Arterie und
Vene nicht eintreten können, da hier beide Gefässe von einer ge-
') von Langenbeck, Archiv für klin. Chirurgie. Bd. I. Fall 13.
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Die malignen Tumoren der Ge fassscheide. 55
meinsamen Scheide, nur durch eine Zwischenscheidewand getrennt
umgeben sind. ^)
Der Arbeit von Langen beck's möchte ich hier noch die Fälle
von „Carcinom der Gefässscheide" entnehmen. Es sind daselbst
2 Fälle verzeichnet, welche, wenn ich ihre Entwickelung und Be-
ziehung zu der Gefassscheide mit derjenigen der Sarkome ver-
gleiche, den Namen »Gefässscheidengeschwülste** zu verdienen
scheinen; auch von Langen beck erwähnt sie als solche. Es ist
ja gerade bei dem raschen Wachsthum der Geschwülste und bei
ihrer hochgradigen Infectiosität ein Umsichgreifen des Carcinoms
auf die Nachbarschaft sehr häufig, so dass es bestimmt eine grosse
Anzahl von Fällen giebt, die ein üebergehen des Carcinoms auf
die Gefassscheide und deren Inhalt im Gefolge hatten. Diese sind
jedoch in Bezug auf die Gefassscheide als Metastasen oder als
continuirlich fortgesetzt von benachbarten Organen zu betrachten,
so dass die primären Carcinome der Gefassscheide oder ihrer mit
der Umgebung innig verbundenen lymphatischen Gebilde seltenere
Vorkommnisse sein dürften. Ich werde später noch einmal darauf
zurückkommen.
4« Garoinoma epitheliale von der Scheide der rechten Hals-
gefässe. von Langenbeck^). — Patient 58 J. alt. Ein in 2 Jahren za
Kindskopfgrösse angewachsener Tumor. Aetiologie unbekannt. Consistenz
fest. Oberfläche höckerig, nicht verschiebbar. Sehr starke stechende und
brennende Schmerzen. Bei der Operation zeigt sich die Vene vollständig in
die Geschwulst aufgegangen, auch die Arterie liess sich nicht vollständig aus
der derben Scheide isoliren. — Die exstirpirte Geschwulst erwies sich als
Epithelialcarcinom. Aus der Schnittfläche liess sich eine Menge gelblich-
weissen Epithelbreies streichen. Die Gontouren der Vena jugularis communis
verschwanden vollständig. Die Garotis ist von der Geschwulst umwachsen,
aber wegsam geblieben. Beide wurden unterbunden und resecirt. Pat. starb
13 Tage nach der Operation an acutem Bronchialkatarrh. — Die Section
ergab noch kein Recidiv, keine Metastasen, keine abnormen Thromben in den
Oefassen. In Bezug auf die Entwickelung wird noch erwähnt, dass die Ge-
schwulst sich aus kleinen, harten, beweglichen Tumoren zu einem grossen
unbeweglichen Tumor heranbildete.
%. Garcinoma epitheliale an der Scheide der linken Hals-
gefässe. von Langen beck*). — Patient 65 J. alt. Ein in y^ Jahren
zu Faustgrösse herangewachsener Tumor. Zuerst traten spontane Schmerzen
Pirogoff's Chirurg. /Anatomie der Gefaue und Fasoien. 1860.
*) a. a. 0. FaU 14.
•) a. a. 0. Fall 16.
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56 Dr. Carl Regnaolt,
auf; dann zeigte sich ein kleiner Tamor an der schmerzhaften Stelle des
Halses. Mit dem Nachlassen der Schmerzen wachs der Tnmor zq der ange-
gebenen Qrösse. Nnr hier und da stechende Schmerzen. Consistenz hart.
Oberfläche uneben. Die Basis mit den tieferen Halstheilen fest verwachsen.
Carotispuls unten an der Geschwulst zu fühlen. Temporalispuls ungleich
gegen den der anderen Seite. Oedem der linken Gesichtshälfte, Geschwulst
mit der Vene yollständig verwachsen. Die Carotis lässt sich bis auf eine
kleine Strecke loslösen aus der Scheide, hier war sie mit der Geschwulst ver-
wachsen und wurde unterbunden. Von der Arterie und Vene wurde ein Theil
mit der Geschwulst entfernt. Der Nervus vagus konnte aus der Geschwulst
herausgelöst werden. — Die exstirpirte Geschwulst erwies sich als Epithelial-
carcinom. Die von derselben umwachsene Carotis erscheint gesund, die Vena
jugularis communis ist comprimirt und stellenweise von Gesohwulstmassen
durchwachsen, aber nicht vollständig verödet. Tod 48 Stunden nach der
Operation. Keine Section.
Während diese beiden von v. Langenbeck als Gefassscheiden-
tumoren geschilderten Geschwülste ziemlich sicher den lymphati-
schen Gebilden der Gefässscheide und ihrer Umgebung zu ent-
springen scheinen, können die nun folgenden Fälle als Beispiele
dienen für die Entwickelung von Carcinomen in der Gefässscheide
ausserhalb der lymphatischen Gebilde, ohne jegliche Betheiligung
der Lymphdrüsen, von Volkmann ^) erwähnt solche Fälle als
branchiogene Halscarcinome. Es sind dies Geschwülste, die weder
mit der äusseren Haut, noch mit der Schleimhaut des Pharynx
zusammenhängen, sicher nicht von Lymphdrüsen ausgegangen sind
und bei Abwesenheit jedweder anderweitigen Carcinombildung als
primäre aufgefasst werden müssen. Im Allgemeinen ist das Re-
sultat der drei von von Volkmann erwähnten Fälle folgendes:
t %y hf e. Es waren Männer im Alter von 40 — 50 Jahren. Die Grösse
der Tumoren betrug bis zu Faustgrösse. Im Anfange waren dieselben von
fester Consistenz, später weicher, bei einem Falle wandelte sich die Ge-
schwulst in einen grossen fluctuirenden Sack um. Die Haut blieb intact,
ebenso die Schleimhaut der Mund- und Rachenhöhle. — Die Operation von
2 Fällen ergab: Die Localität der Tumoren war das Gebiet zwischen Kehl-
kopf und Zungenbein einerseits und den grossen Gefässen andererseits, nach
hinten bis an die Pharynxwand, nach oben bis an den Proc. styloideus. Be-
sonders mit den grossen Gefässen waren die Tumoren sehr stark verwachsen,
so dass beide Maie ein grosses Stück der Vena jugularis interna excidirt, ein-
mal die Carotis communis unterbunden werden musste. Auch grössere Par-
tieen der Halsmuskuiatur , namentlich des daraufliegenden Stemocleido-
mastoideus, waren carcinomatös erkrankt. Der eine der operirten, sowie der
*) Centralblatt für Chirurgie. 1882.
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Dio malignen Tumoren der Gefassscbeide. 57
nicht operirte Fall starben an Blatung. Der 3. Fall wird nicht weiter er-
wähnt. Das Wachstham der Geschwülste ist ein sehr rasches. Die mikro-
skopische Untersuchung erwies in allen 3 Fällen unzweifelhafte Carcinome,
im Allgemeinen zum Homkrebs gehörend , mit Bildung zahlreicher geschich-
teter Kugeln und Zapfen und grossen platten Zellen, in einem Falle mit
Stacheln und Riffen besetzt. Das Stroma sehr derb, aus dicken Zagen sklero-
tischen Bindegewebes bestehend. Die alveoläre Structur der Geschwulst und
Fettmetamorphose der Zellen waren schon makroskopisch zu erkennen. —
Zum Schlüsse bemerkt von Volkmann: Das Räthsel des Garcinoms wird
durch die Hypothese der embryonalen Keiimanlage nicht gelöst, nur sein Vor-
kommen am ungewohnten Orte erklärt.
Diesen hier erwähnten Fällen fnge ich einen aus der Klinik
des Herrn Geh.-Rath Czerny bei:
7. A. M., 48 J., stets gesund. Vor 12 Wochen bemerkte Patient eine
längliche, ohne bekannte Ursache entstandene Geschwulst in der Gegend der
Theilangsstelle der Carotis (rechts). Unter geringen Schmerzen, aber grosser
Empfindlichkeit gegen Kälte wuchs dieselbe sehr rasch. Von Anfang an hart,
unbeweglich, wurde dieselbe später fluctuirend. Nach einem Einschnitte vor
4 Wochen entleerte sich nur Blut, nach einem zweiten vor 14 Tagen kam
übelriechender Eiter. Seit 8 Tagen Schmerzen im Rachen and Schlingbe-
schwerden. Die Ernährung des Patienten nahm zusehends ab. — Status
praesens vom 21. Mai 1883: Kräftig gebauter Mann mit ziemlich gesunder
Gesichtsfarbe. In der rechten oberen seitlichen Halsgegend sitzt eine vom
Unterkieferwinkel nach abwärts verlaufende, faustgrosse, derbe Geschwulst,
über der die Haut geröthet und stellenweise nicht abhebbar ist. Der Tumor
selbst sitzt vollständig unbeweglich. Auf der Kuppe desselben ist eine enge
Fistelöffnung, die auf Druck von unten her dünnen, übelriechenden Eiter
entleert. Demselben sind mikroskopisch grosse rundliche und polygonale, so-
wie geschwänzte Epithelzellen beigemengt. Schwellung der Rachenschleim-
haut und der Tonsillen. Drüsenanschwellung sonst nicht vorhanden. Der
Mund wird gut geöffnet. Massiges Fieber. An anderen Stellen keine Neu-
bildung nachzuweisen. — Operation: In Narkose Spaltung der Fistel und
Eingehen mit dem Finger. Blutung sehr gering. Man findet erweichte Ge-
schwulstmassen ohne deutliche Abgrenzung nach irgend einer Seite hin. Aus-
löffelang, Desinfection, Tamponnade mit Jodoformgaze, Watte verband. Der
Eingriff wurde gut ertragen, so dass Patient nach 4 Tagen als inoperabel die
Klinik verliess.
Aus einem vorhandenen Präparate der Geschwulst erkennt
man im Allgemeinen den gleichen Befund, wie in den Fällen von
von Volkraann: Alveolärer Bau, grosse epitheliale Zellen, sowie
eine reiche Anzahl von Epidermiskugeln und Zapfen. Aber auch
makroskopisch ist der Fall den obigen nahezustellen. Die um-
liegenden Drüsen waren alle, so weit nachweisbar, intact. Dass
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58 Dr. Carl Regnault,
wir hier eine Schwellung und Rothung der Rachenschleinohaut, so-
wie Schlingbeschwerden haben, dafür mag die Thatsache genügen,
dass diese Symptome erst in den letzten Tagen auftraten, um die-
selben mit dem Wachsthum und der Ausdehnung der Geschwulst
in Zusammenhang zu bringen. Die stellenweise Verwachsung der
Haut mit dem Tumor findet ihre Erklärung in demselben Grunde,
jedenfalls war dieselbe nicht primär ergriffen, da der Tumor von
Anfang an unbeweglich war ^nd ferner zwei in die Geschwulst
gemachte Incisionen wieder glatt vernarbten, von der kleinen Aus-
flussöffnung für den Eiter abgesehen. Letzterer war auch wohl die
Ursache der in der Umgebung der Fistel erhaltenen ßöthe der
Haut. Da auch an den übrigen Körpertheilen kein Carcinom nach-
weisbar, so müssen wir diesen Sitz der Geschwulst als den pri-
mären ansprechen. Es bleibt also auch für diesen Fall die von
von Volk mann gegebene Erklärung der Entstehung als plau-
sibelste. Bei der allgemeinen Besprechung werde ich noch darauf
zurückkommen und will hier zunächst die noch übrigen Fälle von
Gefässscheidentumoren anführen.
8. Fibrosarkom am Oberarme von Caspari^). — Patient 32 J.
alt. Gin in 4 Jahren za Mannskopfgrösse angewachsener Tamor. Aetiologie
n'cht erwähnt, unbeweglicher, harter, an einzelnen Stellen weicherer Tumor
von ovoider Form, den ganzen vorderen inneren Theil des Oberarmes in der
Länge der Diaph3rse einnehmend. Starke Yenenectasie bis über die* vordere
obere Brusthälfte. Radial- und Uinarpuls schwächer als auf der gesunden
Seite. Ueber der Geschwulst keine Geräusche und Pulsationen. Benachbarte
Lymphdräsen frei. Nach der Exarticnlation des Humerus zeigte sich die
Arteria und Vena axillaris vollständig in Geschwulstmassen eingebettet. Die
Geschwulst war fast überall vom Periost ablösbar, starke Verwachsungen
waren nicht vorhanden. Die Vene war in die Geschwulstmassen aufgegangen,
die Arterie wird leider nicht mehr erwähnt. Patient starb nach einigen Tagen.
Bei der Section wurde die Geschwulstmasse längs der Gefasse in den Thorax
hinein verfolgt. Die Vena axillaris lief neben der noch offenen Arterie als
WurstfÖrmiger Strang. In der Vena cava superior war ein mit der Gefass-
wand nicht verwachsener Thrombus. Ebenso waren alle Aeste der Vena
axillaris thrombosirt, zum Theil war auch die Wand der letzteren vollständig
geschwunden und in Geschwulstmasse aufgegangen. Der Tumor wurde als
eine Mischform zwischen Fibroid und Sarkom bezeichnet.
Betrachtet man die Form und Entwickelung des Tumors längs
der Gefässe, die im Verhältniss zur Grösse des Tumors und seiner
») Deutsche Klinik. 1861.
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Die malignen Tumoren der Oefässsobeide.
59
Entwickelongszeit nicht sehr aasgedehnte Zerstörung der Gefäss-
wände, die sehr geringe Verwachsung mit den Muskeln und die
TöUige Unversehrtheit von Periost und Knochen, so rauss man
wohl die Entwickelung dieses Tumors in den fibrösen Gebilden des
Oberarmes suchen und zwar in dem meist ergriffenen Gewebe der
Gefässscheide. Das Intactsein der benachbarten Lymphdrüsen
rechtfertigt die weitere Annahme, dass derselbe nicht in den
lymphatischen Gebilden, sondern im Bindegewebe der Scheide sich
entwickelt hat.
tt Sarkom, der Scheide der Cruralgefasse entstammend.
G. von Oettingen^). — Patient 45 J. alt Eine seit 3 Jahren bestehende
Gesehwolst. — Operation: Der Tomor konnte leicht isolirt werden bis auf
einen Stiel, mittelst dessen er der Vena femoralis fest anfsass. Der Stiel be-
stand aas der Vena saphena magna. Bei der weiteren Loslösang musste die
Arterie auf 1 Zoll von der degenerirten Scheide befreit werden, aber auch die
ganse Vena femoralis mit der von der Geschwulst ergriffenen Scheide musste
entfernt werden. Eine starke venöse Blutung bestimmte den Operateur, die
Arterie an der schon freigelegten Stelle zu unterbinden. Tod nach 24 stän-
diger Agonie.
I#. Cancer melanodes von der Scheide der Schenkelgefässe
ausgegangen, von Mosetig^). Patient 36 J. alt. Eine in einem Jahre
zu Apfelgrösse herangewachsene Geschwulst. In den letzten 3 Monaten sehr
rasch gewachsen. Nie Schmerzen, zeitweises Oedem der Extremität. 1.5 Ctm.
unter dem Poupart'schen Bande eine birnenförmige Geschwulst mit dem
dicken Ende nach oben. Oberfl&che glatt, Consistenz hart, Tumor unbeweg-
lich. Am unteren dänneren Ende mitgetheilte Pulsation — keine Geräusche.
Nach innen zwei verschiebbare bohnengrosse Lymphdrusen. Geschwulst
wurde nebst einem 1 Pfennig grossen Stück der alterirten Gefässscheide. wo-
durch die Ven. femoralis blosslag, exstirpirt. Exstirpation der Lymphdrüsen.
Kach 1 . Jahr trat Recidiv auf. Geschwulst stärker mit der Gefässscheide ver-
wachsen. Arterie und Vene wurden von der Gefässscheide befreit — erstere
nach aussen, letztere nach innen gehalten. Auch die Zwischenwand der Scheide
war ergriffen. Die Geschwulst wird in der Tiefe der Wunde losgelöst und
sammt der Gefässscheide entfernt, Patient geheilt entlassen. Als mikro-
skopische Diagnose wird nur das Resultat der Untersuchung : Cancer melanodes
angegeben.
11. Tumeur fibroplastiques der Scheide der Oberschenkel-
gefässe von Demarquay'). Patient 44 J. alt. In dem letzten halben
Jahre rasch gewachsener Tumor an der inneren unteren Partie des Oberschen-
kel unter dem Muse, sartorius von der Grösse eines Strausseneies. Ovoide
*) St. Petersburger med. Zeitschrift 1865.
*) Wiener med. Wochenschrift. 1866.
') Gas. des hdp. 1869. p. 447.
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60 Dr. Carl Regnanlt,
Form, 15 Cim. lang — 12 Ctm. breit. Oberfläche abgeplattet. Gonsistens
an einigen Stellen weich, selbst fluctuirend, an andern hart. Haut intaot
Keine Pulsationen oder Geräusche. Bei der Operation wird der Sartorias
nach innen, der Vastus internus nach aussen gehalten. Leichte Verwachsung
des Tumors mit den Muskeln. Ober- und unterhalb des nun frei sichtbaren
Tumors fühlt man Pulsation. Die Qe fasse sind in einer Ausdehnung von
5 Ctm. dem Tumor adhärent. Demarquay schneidet den Tumor stückweise
aus mit Schonung der Gefasse. Arterie und Vene hätten unterbunden werden
müssen, was, wie Demarquay annimmt, immer Gangrän der Extremität im
Gefolge habe. Auf den Tumor einzuschneiden und Arterie und Vene von der
Scheide loszulösen, hält derselbe für zu gefährlich, geradezu für unmöglich.
So blieb die Operation unvollendet. Patient starb unter den Erscheinungen
von Pyämie. Demarquay citirt als ähnliche Fälle einen tumeur fibroplastique
von der Scheide der Halsgefässe und einen gleichen Tumor von den Achsel-
gefässen mit Resection derselben und darauffolgendem Tod. Ersterer von
Fourget, letzterer von Roux. Es war mir nicht möglich, diese Fälle auf-
zufinden.
12, Sarcome ganglionnaire von der Scheide der Schenkei-
ge fasse von Verneuil *). Patient 53 J. alt, weder scrophulös noch syphi-
litisch. Seit 6 Wochen bemerkt Pat. einen Tumor in der Schenkelbeuge. Ur-
sache unbekannt. Derselbe war kleinmandelgross und unter der Haut drehbar.
Rasches Wachsen. Ein Arzt glaubte nach Anwendung von Cataplasmen Fluc-
tuation zu fühlen. Eine Probeincision ergab nur Blut. Das Wachsthum des
Tumor schien dadurch noch befördert. — Verneuil fand einen ovoiden Tumor
das Scarpa'sche Dreieck einnehmend und leicht beweglich. Consistenz fest,
Oberfläche gelappt, höckerig, nie schmerzhaft. Der Tumor, welcher sich leicht
löste, war zuletzt mit der Gefässscheide verwachsen und schickte zwischen die
Gefässe einen fingerdicken Fortsatz. Die von der Scheide leicht befreite Ar-
terie wurde seitlich gehalten. Die Vene musste wegen starker Verwachsung
resecirt werden. Nach Entfernung der Geschwulst sah man die Arterie in der
Tiefe pulsiren. Es trat Eiterung der Wunde ein. Die Gefässwand der Ar-
terie erscheint brandig. Patient starb an einer Blutung aus der Art. femoralis.
Die Section ergab keine inneren Metastasen, jedoch Erkrankung der Lymph-
drüsen längs der Schenkelgefässe aufwärts. Der Tumor erwies sich als
Lymphosarcom.
IS« Sarcom der Schenkelgefässgegend von Bryk^). Patient
24 J. alt. Seit einem Jahr kindskopfgrosse Geschwulst am rechten Ober-
schenkel. Dieselbe hat die Form eines abgestumpften Kegels und ist nach
innen oben gerichtet, nach aussen verliert sie sich diffus in die Weichtheile.
Oberfläche höckerig, Consistenz elastisch. Bei Beugung ist der Tumor seitlich
etwas verschiebbar. Bei der Inspection merkt man ein Heben der Geschwulst
— die Auscultation ergiebt ein Geräusch. Unter und oberhalb der Geschwulst
*) Gaz. des hop. 1869. p. 451.
') Ueber Pulsationen und Geräusche in Geschwülsten. Wiener med.
Wochenschrift. 1880.
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Die malignen Tamoren der Gefässscheide. 61
ist das Geräusch nicht mehr zu hören. Die Geschwulst liegt yollständlg anier
der Fascia lata. Kein Oedem, nar kleine Varicen. Während der Operation
drang auf den Einschnitt in die Fascia lata die Geschwulst hervor. Dieselbe
zeigte sich nur mit der Gefässscheide verwachsen. Keine Drüsenschwellung.
Die Geschwulst dehnte sich in der Fossa ileo-pectinea an der Gefässscheide
weiter ans. Beim Loslösen derselben wurde die Vene verletzt Zur sicheren
Stillung wurden Arterie und Vene unterbunden. Fat. genas.
14« Einen sehr interessanten Fall giebt Berkley Hill an im Lanoet
1878*). Eine in 8 Monaten entstandene Cocosn »^grosse Geschwulst bei
einem 26jährigen Manne in der linken Fossa poplitea. Dieselbe bot alle
Symptome einer Cyste, entleerte auf eine Probepunction hin seröse Flüssigkeit,
in welcher Rund- und Spindelzellen sich vorfanden. Dieselbe ging von der
Scheide der Vena poplitea aus und zeigte sich bei der Exstirpation nur an
einer kleinen Stelle mit der Venenwand verwachsen. Von dieser Stelle aus
erstreckte sich ein Tumor in die Cyste mit blumenkohlartiger Oberfläche.
Derselbe wird als ein Sarcom bezeichnet. Wandständige Ligatur der Vene.
Heilung.
IC* Sarcom der Scheide der Axillargefässe von Jouillard^).
Eine in zwei Jahren zu einem bedeutendem Tumor angewachsene Geschwulst
der Achselhöhle bei einem 28jährigeu Manne. Von früh an Oedem, Kribbeln,
hie und da Schmerzen in der oberen Extremität. In der letzteren Zeit rasches
Wachsthum. Die Operation ergab: Venenwand theilweise mit der degene-
rirten Scheide verwachsen — wurde resecirt. Die Arterie Hess sich isoliren,
musste aber, da sie stärkere Aeste in die Geschwulst schickte, unterbunden
werden. Heilung. Die sensiblen Störungen in diesem Falle könnten dazu
verleiten, den Ursprung der Geschwulst auch in der Nervenscheide zu suchen.
Die frühzeitigen und heftigen Stauungserscheinungen sprechen dagegen.
IS. Sarcom der Schenkelgefässgegend von Schede.^) Patientin
53 J. alt. Seit einem Jahr Anschwellung der Gegend unter dem Poupart-
sehen Band nach einem Sturze von der Treppe. Bei der Aufnahme zeigte
sieb eine harte, knollige, mannsfaustgrosse Geschwulst im oberen Drittel des
Oberschenkels an dessen vorderer Seite. Dieselbe sass der Scheide der grossen
Qefässe fest auf. Die Arterie konnte herausgeschält werden — die Vene
wurde resecirt. Das Kaliber derselben war bis auf die Halte redncirt. Die
mikroskopische Untersuchung ergab ein Mjrxo-fibro sarcom. Inwieweit im An-
fangsstadium der Entwicklung dieses Tumors die Drüsen der Gefässscheide
sich betheiligten, lässt sich nicht bestimmen. — Doch berechtigt die Ausdeh-
nung der Geschwulst längs der Scheide dieselbe zu den Gefässscheidetumoren
zu rechnen.
Die beiden nun folgenden Fälle entstammen aus der Klinik
des Herrn Geh.-Rath Czerny. Der erste dieser Fälle wurde schon
*) Centralblatt für Chirurgie. Bd. V.
^) Revue m6d. de la Suisse romande.
') Braun, Unterbindung der Schenkelvene am Poupar tischen Bande.
Langenbeck's Arohiv. Bd. XXX
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62 Dr. Carl Regnaalt.
einmal von Dr. Pilger') in einer Abhandlung «Ueber die Be-
section von grossen Venenstänamen^ verwerthet Derselbe ver-
mathete den Ursprang der Geschwulst vom Vastns internus. Bei
Betrachtung der Krankengeschichte ergiebt sich jedoch, wie auch
nachträgliche Bemerkungen zeigen, dass der Tumor eher aus dem
von ihm am meisten ergriffenen Gewebe der Gefässscheide, als von
der nur wenig ergriffenen Muskulatur und deren Hüllen seine Ent-
stehung nahm. Die , vorliegende Krankengeschichte ergiebt:
17. Patient erhielt 1873 einen Schlag auf den linken Oberschenkel. Diese
Stelle btieb schmerzhaft, bis Pat. 1877 an derselben Stelle einen kleinen
Höcker fühlte. Derselbe nahm langsam, aber stetig zn. Schmerzen traten
öfters ein. Im März 1878 ergaben mehrere Punctionen blutig klebrige Flüssig-
keit. Ende 1878 wurde die nun rascher zunehmende Geschwulst von einem
Kurpfuscher mit Aetzpaste behandelt. Die Geschwulst wurde immer grösser,
so dass sich Pat. im Mai 1879 einer Operation durch Herrn Geh. Rath Czerny
unterzog. Pat. ist 33 J. alt, kräftiger Körperbau. Keine vorhergegangenen
Krankheiten. In der unteren inneren Hälfte des linken Oberschenkels ist eine
kindskopfgrosse Geschwulst von ovoider Form, weicher Consistenz, unebener
Oberfläche. In der Haut darüber eine Narbe (Aetzung). Die Gescfiwulst,
welche un verschiebbar ist, sendet den Gefässen entlang einen Fortsatz. Die
Operation mit Esmarch'scher Blutleere ergiebt, dass der Tumor, welcher von
der Umgebung leicht gelöst werden kann, mit der Gefasscheide verwachsen
and derselben entlang durch den Adductorenschlitz nach hinten gewuchert
war. Es wird desshalb din Amputation vorgenommen. Am Stumpfe zeigt
sich nun, dass die Vene noch vollständig von Geschwulstmassen umgeben und
ihr Lumen davon ausgefüllt war. Auch die Arteriensoheide war noch su-
spect, so dass man 4,5 Ctm. vom Amputationsschnitte entfernt das Gefäss
unterband und mit der Scheide entfernte. Die Vene wurde durch einen Längs-
schnitt freigelegt und in einer Länge von 5,5 Ctm. resecirt. Das abgeschnit-
tene Stück zeigte im Durchschnitte einen Geschwulstthrombus bedeckt von
einem gelben Fibrinpfropf. Wegen einer abnormen Härte, welche das unter-
bundene Venenende dem Gefühle darbot, wurden nochmals 2 Ctm. von der
Vene resecirt, wobei die Ven. profunda mit abgebunden wurde. Desinfection,
Drainage, Naht, Li st er verband. Patient geheilt entlassen. Patient starb
nach 1 V2 «Jahren an Lungensarcom, angeblich ohne locales Recidiv.
Die Geschwulst am abgesetzten Beine zeigt ein markiges Aus-
sehen. Im hinteren Abschnitte eingebettet liegen Arterie und Vene.
Erstere ist durchgängig, obgleich etwas verengt. In der Mitte der
Geschwulst ist die Venenwand kaum erkenntlich, an den Enden
ist dieselbe etwas ausgedehnt, jedoch deutlich. Das Lumen ist
mit Geschwulstmassen ausgefüllt. Tumor mit dem Periost nicht
») Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 1880.
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Die malignen Tumoren der QefEsssobeide. 63
T^nrachsen. Die mikroskopische Diagnose lautete: Sarkom, aus
Rand- und Spindelzellen bestehend.
18. R. 0. 70 J. Oberlehrer. Saroom der Scheide der Schenkel-
ge fasse. Patient ist früher nie erheblich krank gewesen und fühlt sich trotz
seines hohen Alters noch ziemlich rüstig. Vor circa 3 Wochen wollte er über
•inen Bach gehen, glitt ans and gerieth, während er sich mit den Händen an
einem Baamast hielt, mit dem linken Bein in's Wasser. Dasselbe wurde ganz
dorchnässi; doch fühlte Pat. in den nächsten Tagen keinerlei Beschwerden.
Vor 14 Tagen traten nun, während Pat. ruhig sass, Schmerzen im linken
Oberschenkel anf. Als Pat. am nächsten Tage seine Stiefel anziehen wollte,
ging dies nur schwer, und am zweitnächsten Tage war der Fuss und die
Wade so stark geschwollen, dass Pat. sein Schuhwerk nicht mehr anbrachte
and sich zu Bette legte. Zu gleicher Zeit bemerkte Pat. an der schon er-
wähnten schmerzhaften Stelle des linken Oberschenkel eine schmerzlose An-
schwellung, die im Laufe der nächsten Zeit rasch an Grösse zunahm. Pat.
empfand nun auch im Bereich der linken Wade Schmerzen, die sich bei Geb-
Tersuchen steigerten.
Stat. praes. Pat. noch recht kräftig. Lungen und Herz normal. Keine
Zeichen von Atherom der Gefässe. Urin klar, sauer, ohne Eiweiss. In der
Mitte des linken Oberschenkels, gerade über den Gefässen, eine Geschwulst.
Dieselbe bildet eine flache Vorwölbung von der Grösse eines halben Apfels
ond lässt sich nicht umgreifen. Haut darüber unverändert. Consistenz derb.
Im oberen Abschnitte Pulsation ; doch macht dieselbe mehr den Eindruck einer
mitgetheilten; keine Expansion, keine Geräusche. Wade stark geschwollen,
ebenso der linke Fuss; starkes Oedem im Bereiche der Malleolen. Die Art.
tibial. postica beiderseits zu fühlen, ein deutlicher Unterschied im Pulse nicht
vorbanden. Keine Drusenschwellung.
Diagnose: Das rasche Wachsthum der Geschwulst nach einem Trauma
liess vor allem Anderen an ein Aneurysma der Art. femoralis denken. In-
dessen war es doch auffallend^ dass nicht nur alle Geräusche fehlten, sondern
dass auch die Geschwulst von so derber Consistenz war, dass sie nicht weicher
wurde bei Compression der Art. femoralis am Poupart'schen Bande und kein
aufißll liger Pulsunterschied an der Arteria tibialis war. Dazu kam noch, dass
trotz regelmässig angewandter Bindencompression und Jodeinpinselungen nach
Stägiger Beobachtung die Erscheinungen sich gar nicht änderten mit Ausnahme
einer entschieden wahrnehmbaren Vergrösserung der Geschwulst. Es wurde
deshalb die Wahrscbeinlichkeitsdiagnose auf ein Sarcom, das mit den Gefässen
in nahem Zusammenhang stehen musste. gestellt; obgleich man ja die Möglich-
keit eines mit derben Coagulis ausgefüllten Aneurysma offen halten musste.
Aach ein Saroom der Gefässscheide musste durch Druck auf die Ven. femora-
lis Oedem, durch Druck und Zerrung des Nervus saphenus excentrische
Sohmerxen in der Wade erzeugen. Immerhin wird man die vollständige Fest-
siellang der Diagnose dem Probeschnitt überlassen. Auch bei einem Aneu-
rysma, welches mit derben Coagulis ausgefüllt war und dennoch sich ver-
gröi«eTte. war von anderen Behandlungen wie Compression oder Injectionen
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64 Dr. Carl Regnaolt,
kein Stillstand zu erwarten. Sowohl in dem einen, wie in dem anderen Falle
musste man anf die Ligatur der Schenkelgefässe gefasst sein — ein Eingriff,
der bei dem hoben Alter des Pat. als ein schwerer bezeichnet werden musste.
Es wurde ihm deshalb die Gefahr der Operation nicht verhehlt and auch die
Frage der Amputation ventilirt. Von letzterer wollte Pat. absolut nichts
wissen. Es konnte deshalb auch während der Operation auf dieselbe nicht
zurückgegriffen werden. In spaierer Zeit der Nachbehandlung, als durch die
circumscripte Gangrän des Fusses und das locale Recidiv die Frage der Am-
putation noch einmal aufgeworfen werden musste, verbot sie sich durch den
herabgekommenen Kräftezustand des Pat., vor Allem durch die psychische
Störung, deren Prognose mit dem psychiatrischen CoUegen Herrn Dr. Zacher 1
als hoffnungslos bezeichnet werden musste. Es war unter diesen Verhält-
nissen zweifelhaft, ob es möglich gewesen wäre, die Tragweite und Noth-
wendigkeit einer solchen Operation klar zu machen und jedenfalls hätten diese
Fragen den geisteskranken Pat. von Neuem sehr geschädigt.
Die Operation wurde am 20. Juli 1883 von Herrn Geh. Rath Gzerny
in dessen Klinik vorgenommen. Narcose. Anfangs 2proc. Garbolspray. Später
zum besseren Einblick weggelassen. Schnitt am inneren Rande des Sartori us,
während der Operation nach oben und nach unten auf 1 9 Ctm. verlängert.
Die Geschwulst erscheint als blaurother, grobhöckeriger, die Fasele stellen-
weise durchbrechender Tumor, in dem nach oben und nach unten die Schen-
kelgefässe verschwinden. Unter Compression der Femoralis wird in die
Geschwulst eingeschnitten und die Diagnose „Sarkom* bestätigt. Darauf dop-
pelte Ligatur der Arterie und Durchschneidung derselben, ebenso wird mit der
thrombosirten Vene verfahren. Eine zum Vorschein gekommene zweite throm-
bosirte Vene gleichfalls zwischen zwei Catgutligaturen durchschnitten. Nun-
mehr wurde die Geschwulst im Gesunden umschnitten, was nach Mitnahme
einiger Muskelsubstanz der Adductoren leicht gelang. So kam man nach unten
bis an den Hunter'schen Kanal, in dem die Geschwulst als Stil die nach
hinten und unten durchtretenden Gefässe besass. Es blieb hier zweifelhaft,
ob alles Krankhafte entfernt werden kann. Da aber die Amputation nicht in
Aussicht genommen war, so begnügt man sich, die Gefässe mit einer Massen-
ligatur doppelt zu umschnüren und die Geschwulst darüber abzutragen.
6 — 8 Rami perforantes wurden einzeln ligirt, die Wunde mit 1 promill. Su-
blimat ausgespült, mit zwei Gummidrains versehen, mit Catgutkürschnernaht
geschlossen und ein Jodoform- Li st er- Verband angelegt. Das Bein wurde in
Watte eingewickelt, geschient, hochgelagert. Nach der Ligatur war Pat.
sehr collabirt, der Puls auf 40 gefallen , doch erholte er sich noch wäh-
rend der Operation. Abends leidliches Befinden, Puls gut, normale Frequenz,
kein Fieber, kein Erbrechen. Zehen Mass, kühl, gnt beweglich. Sen-
sibilität fehlt an dergrossen Zehe. Urin spontan' gelassen. Die Ernäh-
rungsstörungen der Extremität glichen sich nach acht Tagen insoweit aus,
dass die Gangrän eine auf die Planta pedis beschränkte blieb; hier war eine
über die Metacarpi der 2. — 5. Zehe ausgedehnte, handtellergrosse Partie der
Cutis grauschwarz verfärbt, trocken und lederartig sich anfühlend. Dieselbe
zeigte keine weitere Neigung zur Ausdehnung. Ein an einer circumscripten
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Die malignen Tumoren der Qefässsoheide. 65
Stelle der Achillessehne entstandener Deonhitas ging unter der Behandlang
mit Jodoformsalbe langsam zurück. Erst mit dem 8. Tage nach der Opera-
tion trat eine ertiebliche Verschlimmerung im Zustande des Patienten auf.
Während bis dahin die Secretion der Wunde eine gute, auch deren Ränder
▼erklebt waren, zeigte sich dieselbe plötzlich klaffend, die Ränder sowie die
äbrigen Weichtheile in der Umgebung necrotisch und mit reichlichem übel-
riechendem Eiter belegt. Der bisher angewandte Jodoform-Liste r-Verband
wurde mit Umschlägen und Ausspülungen von essigsaurer Thonerde vertauscht.
Die Eiterung wurde so heftig, dass man an der hinteren Fläche des Ober-
schenkels eine Gegenincision machte. Nach 14 Tagen war die Wunde bis
auf eine 5 Pfennigstück grosse granulirende Stelle vernarbt. Auf Druck ent-
leerte sich aus der offen gebliebenen Drainageöffnung noch immer Eiter. Zu
dieser Zeit trat unter der Mitte der Narbe eine umschriebene harte Geschwulst
auf — dieselbe war unbeweglich und dehnte sich ziemlich rasch aus. —
Gleichzeitig mit dem erwähnten Auftreten einer starken Eiterung der Wunde
ging eine zunehmende geistige Störung des Patienten. Derselbe wollte durch-
aus das Bett verlassen, gebrauchte Arme und Beine mit voller Kraft, schwätzte
bestandig monotone und sinnlose Phrasen, erkannte seine Umgebung nicht.
Diese Aufregungen wurden so heftig, dass Pat. zeitweise chloroformirt wurde.
Der Zustand nahm nach 8 Tagen allmählich ab, so dass das Sensorium
des Pat., der selbst dringend nach Hause verlangte, bei der Entlassung nur
noch leicht benommen war. Während dieses ganzen Verlaufes traten keine
bedeutenden Fiebererscheinungen auf — die Temperatur war sogar öfter in
geringem Grade subnormal. Pat. wurde in der vierten Woche nach der Ope-
ration entlassen. Wie ich einer freundlichen Mittheilung des behandelnden
Arztes Herrn Dr. Seiler entnehme, ist die unzweifelhaft als Recidiv zu be-
zeichnende Geschwulst noch rasch gewachsen, drängte die Narbe auseinander,
80 dass ein 10,5 Ctm. langes und 5 Gtm. breites Geschwür entstand mit zer-
fressenen Rändern, jauchiger Secretion. Auch die geistige Störung erreichte
wieder nahezu ihren früheren Grad. Eine stärkere Blutung aus der Wunde
trat nicht ein. Die Lymphdrüsen in der Nähe blieben intact. Bestimmte Er-
scheinungen von Metastasen waren nicht nachzuweisen. Patient erlag der all-
gemeinen Erschöpfung am 7. October 1888. Die Section wurde verweigert.
Die genauere Beschreibung des Tumor werde ich am Schlüsse anfügen. Vor-
läufig sei nur erwähnt, dass sich die Geschwulst als ein gemischtes Sarcom
erwies, bestehend aus Spindel- und Riesenzellen.
Unter den hier aufgezählten Fällen sind 14 Sarkome und
6 Carcinome (4, 5, 6 a, b, c, 7).
Wenn schon das primäre Carcinom der Lymphdrüsen eine
Seltenheit ist, so mag dieses um so mehr für die Gefassscheide
gelten, denn auch hier können nur die lymphatischen Gebilde der
Ausgangspunkt der Geschwulst sein. Birch-Hirschfeld sagt^):
*) Lehrbuch der pathol. Anatomie 1877.
▼. Lang«nb«ek, ArohlT f. CMrurgle. XXXV. 1. 5
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66 Dr. Carl Regnaalt,
Primäre Garcinome mit echt epithelialen Zellen sind in den Lymph-
dräsen nicht sicher nachgewiesen; im Sinne der Waldeyer'schen
Theorie*) wird man den Lymphdrüsen die Fähigkeit zur primären
Carcinomentwickelnng absprechen müssen. Es sind übrigens Fälle
von Förster, Bizzozero, Zahn 2) genauer beschrieben. Eine
weitere Erklärung für die Entstehung des Carcinoms in dem Ge-
webe der Gefassscheide geben uns die von von Yolkmann als
branchiogene Carcinome bezeichneten Tumoren. König') erwähnt
dieselben mit den Worten: „Eine Reihe von zumal cystischen Ge-
schwülsten am Halse sind als congenitale, pathologisch erweiterte
Reste der Eiemenspalten anzusehen, in einer anderen Eteihe von
Fällen entwickeln sich erst im späteren Leben aus Resten dieser
Spalten Cysten und Epitheliome. Auf diese Art wird die Ent-
stehung einer epithelbekleideten Cyste der Gelassscheide, eines
Carcinoms in dieser Gegend nach den jetzt gangbaren Anschauun-
gen erheblich erleichtert." Freilich wäre es wünschenswerth, ein-
mal solche abgeschnürte Epithelien vor ihrem üebergang in eine
Neubildung genau nachzuweisen; denn es ist schwer, im einzelnen
Falle den Ort dieses epithelialen Lagers zur Entstehung solcher
Geschwülste genau anzugeben. Immerhin kann man, die starke
Betheiligung der Gefassscheide und ihres Inhaltes berücksichtigend,
gerade diese als einen Ausgangspunkt und Sitz solcher Geschwulst-
keime mit grosser Wahrscheinlichkeit für die starke Mehrzahl der
Fälle annehmen. Was die Aetiologie der Carcinome der Gefass-
scheide betrifft, so haben wir hierfür keine Anhaltspunkte. In
Bezug auf ihre Entwickelung ist jedoch zu betonen, dass immer
starke Schmerzhaftigkeit, und zwar da, wo die Geschwulst ihren
Anfang nahm, auftrat. Im üebrigen gelten auch hier die allge-
mein feststehenden Unterschiede zwischen Sarkom und Carcinom,
wie sie für diese Tumoren auch in anderen Gebieten sich zeigen.
Die zweite Art von malignen Tumoren der Gefassscheide sind
die Sarkome. Dieselben sind unstreitig häufiger und in ihrer spe-
') Hier bin ich genöthigt, die letzte Veröffentlichung Wald eye r 's «Arohi-
blast und Parablast*" (Archiv für mikroskop. Anatomie. Bd. 22. Heft 1. 1883)
zu erwähnen. Der Autor erklärt, dass er manche von den Ansichten, welche
in seinen früheren Schriften, namentlich über den Eierstock und die Ent-
wickelung von Carcinomen, ihm maassgebend waren, nicht mehr festzuhalten
vermae.
'j Archiv für Heilkunde. 1874.
*) Lehrbuch der speciellen Chirurgie. Bd. I.
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Die malignen Tomoren der Gefässscheide. 67
cielleren Art sehr verschieden, von Langen beck, auch 0. Weber,
bezeichnen dieselben durchweg als Dräsensarkome; doch kann man
ihre primäre Entstehung im Bindegewebe der Gefässscheide nicht
abweisen. Dafür spricht die völlige Unversehrtheit der der Ge-
schwulst benachbarten Drüsen oder ihre Entwicklung an einer
Stelle, wo keine Lymphdrüsen angetrofifen werden (Fall 17 u. 18);
ferner das Vorkommen von Riesenzellen in den Geschwülsten
(Fall 18^, welche in Lymphosarkomen noch nicht beobachtet wor-
den sind. Wir finden unter den hier erwähnten Fällen das Sar-
coma myxomatosum, fibrosum, melanodes — fusocellulare, globo-
cellulare, gigantocellulare und Mischformen. Interessant ist der
Befund eines Sarkoms in einer Cyste der Gefässscheide (Fall 14).
Femer finden wir bald harte, bald weiche Formen; erstere Art
ist häufiger. Bei den vom lymphatischen Gewebe ausgegangenen
Tumoren wird die Entscheidung, ob dieselben von dem betreflFenden
Gewebe der Scheide selbst oder ihrer Umgebung zuerst ausge-
gangen sind, eine äusserst schwierige, in den meisten Fällen un-
mögliche sein.
In Bezug auf die Aetiologie können wir in 3 Fällen (16, 17,
18) ein Trauma mit Bestimmtheit annehmen. Das Alter des Pa-
tienten scheint keine besondere Rolle zu spielen. Zwölfmal beob-
achten wir die Entwickelung der Tumoren im 20. — 50. Lebensjahre,
einmal im 13. und einmal im 71. Lebensjahre. Für die Entwicke-
lung der Carcinome nimmt v. Langen beck an, dass sie wenig-
stens nicht vor dem 40. Jahre entstehen. Die 6 erwähnten Fälle
von Carcinom entwickelten sich im 40. — 50. Lebensjahre. Jeden-
falls ist die Zahl der Fälle zu gering, um darüber endgültig zu
urtheilen. Was das Wachsthum der Sarcome der Gefässscheide
betrifft, so ist die Zeitdauer in den erwähnten Fällen eine ziemlich
ungleiche. In vielen war jedoch ein in den letzten Wochen ein-
getretenes, schnelleres Wachsthum die Ursache, dass die Patienten
Hilfe suchten. Die längste Entwickelungsdauer hätten wir in
Fall 17, nämlich 6 Jahre — die kürzeste Dauer finden wir in Fall 18.
Dieselbe betrug kaum 4 Wochen, als der Tumor schon über apfel-
gross war. Von einem Stillstand im Wachsthum dieser Tumoren
wird in keinem Falle Erwähnung gethan.
Was die Stellung der Diagnose der Gefässscheidetumoren be-
trifft, so fuhren dazu folgende Anhaltspunkte: Wir finden dieselben
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68 Dr. Carl Regnaalt,
an den grossen Gefassen des Halses, Oberarmes, Oberschenkels
und der Kniekehle. Die Carcinome finden wir ausschliesslich an
den Halsgefässen und können sie nach der Volk mann 'sehen
Theorie auch nur hier am Halse sich entwickeln. Sie präsentiren
sich meist als ovoide, dem Verlauf der grossen Gefasse entsprechende
Tumoren. Ihre Beweglichkeit ist eine sehr verschiedene. Liegt
der Tumor ^ wie besonders am Oberschenkel, noch unterhalb der
Fascie (10, 18), so ist seine Oberfläche eine mehr abgeflachte und
die Beweglichkeit eine beschränktere; hat er aber die Pascie durch-
brochen, so liegt er meist frei und beweglich auf derselben (2, 9).
Am Halse und in der Achselhöhle ist die Geschwulst von keinem
so derben Blatte bedeckt und meist eine leichte oberflächliche Be-
weglichkeit zu finden (3). v. Langenbeck glaubt, dass die hier
vorkommende Beweglichkeit ihre Ursache in der Beweglichkeit der
einzelnen Drüsentumoren hat, aus denen die Geschwulst besteht.
Wo die Bedeckung durch eine derbere Fascie fehlt, ist auch die
Oberfläche des Tumors eine mehr höckerige und unebene. Eine
bedeutende Erleichterung der Diagnose bieten Fortsätze der Ge-
schwulst, welche an den Gefassen entlang zu fühlen sind (2, 17).
Hier wäre noch die von 0. Weber erwähnte BeschaflFenheit der
Gefässstränge zu nennen. Derselbe sagt, dass sie bei krebsiger oder
enchondromatöser Entartung eine rosenkranzartige Umgestaltung
erleiden und in diesen Strängen unregeimässige Knoten sind. Die
Ursache hierfür liegt in der Erkrankung der in der Scheide befind-
lichen Lymphdrüsen und mag vorkommenden Falles zur Annahme
der primären Entstehung von Geschwülsten in den Drüsen der
Scheide berechtigen.
Auch das Lagenverhältniss der Gefasse zur Geschwulst bietet
einen gewissen Anhaltspunkt zur Diagnose. In keinem der er-
wähnten Fälle war eine Lageveränderung der Gefasse zu erkennen
(Fall 3 ausgenommen) in vielen Fällen konnte man ober- und
unterhalb der Geschwulst Pulsation fahlen. Wenn diese Tumoren
und besonders die Sarcome ausserhalb der Gefassgebilde entstehen,
so müssten sie doch in vielen Fällen eine Verdrängung der Gefasse
erzeugt haben. Die erwähnten Tumoren haben fast alle bis zur
Operation schon ein Jahr bestanden, so dass das Wachsthum kein
solches war, dass die Geschwulst von Allem, was sie bei ihrer
Entstehung umgiebt, Besitz ergreifen muss, wie wir es bei sehr
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Die malignen Tumoren der Oefässsoheide. 69
rasch wachsenden Garcinomen zq sehen gewohnt sind. — Von be-
sonderem Werthe sind die Erscheinangeo im Blutkreisläufe. Die
Arterie wurde nur in einem Falle so weit beengt, dass ein Ge-
räusch entstanden ist (14), in zwei Fällen (5, 8) war eine Un-
gleichheit im Pulse peripher liegender Aeste zu erkennen. Vermöge
der hohen Elasticität scheint dieselbe ihr Lumen gegen Druck von
der einen oder anderen Seite lange aufrecht zu erhalten. Die
Vene wurde in den meisten Fällen ziemlich verengt, manchmal
auch völlig durch Thromben geschlossen. Mögen auch die Folgen
dieser Erscheinungen der hohen Ausdehnung der Geschwulst nicht
immer entsprechend sein, wegen der mit dem Wachsthum der Ge-
schwulst gleichzeitig einhergehenden Ausbildung eines collateralen
Kreislaufes, so sind doch immerhin geringe Zeichen von Stauung
vorhanden, die unser Augenmerk auf die Gefässe richten. Dass
besonders die Vene in ihrer Scheide so leicht von einer Neubildung
ergriffen wird, glaubt von Mosetig in dem Grunde zu finden,
dass die Wege, durch welche die Lymphe fliesst, sich mehr dem
Venensystem anschliessen, also auch hier die Neubildungen lym-
phatischer Gebilde sich leichter ausbreiten können. Für die jedoch
nicht auszuschliessende Entstehung der Geschwülste im Bindege-
webe der Scheide möchte ich neben der schon vielfach erwähnten
festeren, elastischen Wand der Arterie auch ihre ständige pulsa-
torische Bewegung als ein Hinderniss der leichten Fortpflanzung
einer Geschwulst auf dieselbe erwähnen. Bei der Vene finden wir
gerade die umgekehrten Verhältnisse.
Grosse Schwierigkeiten kann die Unterscheidung dieser Tumoren
vom Aneurysma bieten, wie es besonders im Fall 18 Statt hatte
und auch dort schon betont wurde. Das Aneurysma entsteht nach
Trauma, zeigt gleiche Löcalisation, breitet sich unter den Fascien
aus, kann rasch gewachsen sein, hat ziemlich feste Gonsistenz und
braucht nicht immer die Erscheinungen eines Geräusches zu bieten,
indem dasselbe aus festen coagulirten Blutmassen besteht. Es
kann hier die Diagnose geradezu unentschieden bleiben.
Was die Prognose betrifft, so kann ich mich kurz fassen.
Heilung kann nur, wie bei allen malignen Tumoren, durch voll-
ständige Entfernung der Geschwulst erzielt werden.
Die Ausfuhrung der Operation in technischer Beziehung ist
je nach den pathologisch -anatomischen Verhältnissen in vielen
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70 Dr. Carl Regnaalt,
Fällen eine sehr verschiedene. Fall 11 ist in Bezug auf die Ope-
ration unvollendet. In 17 Fällen war 1 Mal weder Arterie noch
Vene mit der degenerirten Scheide verwachsen (Fall 10), Arterie
und Vene zusammen mussten 6 Mal wegen der Geschwulst resecirt
werden (unter 4 vollständig operirten Carcinomen 3 Mal und 1 Hai
die Vene allein — 2 Fälle von Carcinom waren inoperabel). 10 Mal
liess sich die Arterie isoliren und wurde hier 3 Mal wegen nicht
zu stillender Blutung aus der Vene unterbunden. Im Fall 2 wurde
die Vene nur seitlich unterbunden, ebenso im Fall 14. Es ergiebt
sich daraus, dass in der Mehrzahl der Fälle, wenn auch nicht
beide Gefässe, so doch die Arterie sich vollkommen isoliren lässt.
Bei einer Fortpflanzung der Geschwulst in den Hunt er 'sehen Canal
kann man von vorne herein von einer Isolirung der Gefässe ab-
sehen, da man bis jetzt eine Resection der Gefässe und noch viel
weniger eine Isolirung derselben bei Geschwülsten bis jenseits des
Canales noch nicht vorgenommen. Die Amputation bietet in sol-
chen Fällen die sicherste Heilung. Liegen jedoch, wie meistens,
die Verhältnisse etwas günstiger, so dürfte es rathsam sein, bei
Vornahme der Operation sich die Gefässe aus ihrer Scheide bereit
zu legen, ober- und unterhalb der Geschwulst dieselben mit einem
Ligaturfaden zu versehen, alsdann von oben oder unten her die
Gefässe aus ihrer Scheide zu isoliren zu suchen. Findet eine Ver-
letzung der Gefässe statt, so braucht man die bereiten Ligaturen
nur zu knüpfen; statt dessen ist auch Digitalcompression an einer
höheren Stelle benutzbar, von Langenbeck sagt in seiner viel
erwähnten Arbeit: Man dringe bei der Exstirpation einer tiefen
Geschwulst zunächst auf die centralen Enden der grossen Gefässe
vor und zwar am Halse unterhalb, an der Schenkelbeuge und
Achselhöhle oberhalb der Geschwulst. Eine weitere Beachtung
verdient die Beschaffenheit der Gefässwand und ihres Inhaltes.
Die Vene kann äusserlich ganz gesund scheinen — im Inneren ist
ein Geschwulstthrombus, oder die Wände zeigen sich erst auf Be-
fühlen dick und von Geschwulst ergriffen. Hierfür bietet Fall 17
das beste Beispiel.
Bei der Exstirpation von Gefässscheidetumoren ist es nie zu
unterlassen, den Patienten auf die eintretende Nothwendigkeit der
Amputation vorzubereiten.
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Die malignen Tnmoren der GefEsssoheide. 71
Beschreibung der Geschwulst im Fall 18. — Der exstirpirte
Tamor reprasentirt eine massig feste , etwas höckerige Gesohwulstmasse von
der Form einer im Qaerdarchmesser abgeplatteten Birne. Die Abplattung
entsprach der Vorder- und Binterfläcbe der Geschwulst. Das Stielende der
Geschwulst entsprang dem Hunter'schen Kanal und nahm nach oben hin an
Umfang zu. Gebildet wurde derselbe aus der Arteria und Vena femoralis,
welche in dem hinteren Abschnitte der Geschwulst in einer Länge von 7 Ctm.
eingebettet lagen. Etwa 3 — 4 Ctm. vom oberen Ende der Geschwulst ent-
fernt, traten die Gefösse aus der Hinterfläche des Tumors heraus. Die Unter-
bindung fand hier 1 Ctm. oberhalb der Austrittsstelle statt und zwar an ge-
sunder Stelle. Das untere Ende der Gefässe jedoch war von einer der übrigen
Geschwulst ähnlichen Masse in der Dicke von 0,5 — 1 Ctm. in der ganzen
Peripherie umgeben, so dass hier die Abbindung in krankem Gewebe an den
Eintrittsstellen in den Hunter'schen Kanal statt hatte. Als Beweis hierfür
dient das nach 3 Wochen entstandene Recidiv von dieser Stelle aus.
Herr Dr. Eben au, welcher den Tumor nach der Operation aufbewahrte,
präparirte denselben in der Art, dass er jedes der beiden Gefässe von der
Hinterfläche her aufschnitt, ansei nanderdrängte und die höckerige Vorder-
fläche der Geschwulst ebnete, um das Präparat auf Kork aufzustecken und in
Spiritus zu bewahren. Beim Aufschneiden der Vene fand man den schon wäh-
rend der Operation constatirten Thrombus; er war von bräunlich gelber Farbe,
massig fest und von der Venenwand ziemlich leicht abspülbar. Das Lumen
der Arterie war frei. Die Intima erschien in beiden Gefässen glatt, zeigte
aber, an der Vene durchgängig, an der Arterie jedoch nur an einzelnen Stel-
len und mehr in den unteren Abschnitten deutliche Längsfalten. Die Entste-
hungsursache hierfür kann man in dem allseitigen Druck durch die Geschwulst
und der dadurch bedingten Verengerung der Gefösslumina suchen — ebenso
sind die Verengerung und Längsfältelung die Ursache der schon erwähnten
Venenthrombose.
Ans dem gehärteten Präparate machte ich später topographische Serien-
schnitte senkrecht zur Verlaufsrichtung der Gefässe und zwar aus der oberen,
mittleren und unteren Partie der Geschwulst. Dieselben wurden bis zur voll-
ständigen Durchtränkung in Celloidin eingebettet, die einzelnen Schnitte in
Alaunoarmin gefärbt.
Die unten angegebenen mit Thoma's Mikrotom gefertigten feinsten
Schnitte bieten zunächst makroskopisch folgendes Bild:
An Schnitten aus der oberen Partie der Geschwulst zeigen sich die
Wandungen der Arterie und Vene unverändert. Diesen Gefässwandungen
schliesst sich direct an ein dunkler, roth gefärbter Streifen, der an manchen
Stellen bis zur gleichen Dicke, wie die normale Gefasswand heranwächst.
Derselbe ergiebt sich mikroskopisch als die beginnende Geschwulstmasse.
Dieser Streifen bildet nun einen gemeinschaftlichen Ring um beide Gefösse
zusammen, so dass die Theile der Peripherie der Gefasswand, welche einander
gegenüberliegen d. h. der gemeinschaftlichen Zwischenscheidewand anliegen,
von dem Anfangsstreifen der Geschwulst nicht berührt werden. Derselbe
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72 Dr. Carl Regnanlt,
überbrückt demnach das Interstitium beider Gefa^se. Am deutlichsten ist
dieser die Grenze zur Gefasswand kennzeichnende Streifen an der nach yome
and innen gerichteten Partie der Gefasssoheide und ebenso nimmt derselbe in
der Richtang Ton oben nach unten an Stärke zu. Nach der hinteren Peri-
pherie der Gefässe wird derselbe in allen Böhen schmäler und blässer. An
diesen Streifen schliesst sich die Geschwulst als homogene, gleichmässig heller
gefärbte Masse an. Nach aussen, der Arterie nicht angrenzend, ist an einigen
Schnitten eine lichtere blassroth gefärbte Partie, die sich von der übrigen Ge-
schwulst ziemlich abgegrenzt zeigt und mikroskopisch sich als hyalin degene-
rirte Geschwultspartie ergiebt,
Dieses Verhältniss der Geschwulst zu der Gefasswand bleibt an der Ar-
terie in allen Schnitten unverändert. An der Venen wand ist schon an Schnit-
ten aus der mittleren Partie der Geschwulst eine deutliche Verschmälerung zu
erkennen. An den unteren Schnitten ist dieselbe schon so stark, dass der
Grenzstreifen der Geschwulst ganz an das Venenlumen heranrückt und eine
kaum sichtbare Zone der Venenwand übrig geblieben ist. Dieses Vorrücken
der Geschwulst in die Venenwand findet man jedoch nur an der vorderen und
inneren Partie der Peripherie der Venenwand. Nach der hinteren Peripherie
erreicht dieselbe, von beiden Seiten der in sie vorgerückten Geschwulst, all-
mälig wieder ihre normale Dicke. Dieses Verhältniss zeigt sich in allen
Schnitten der unteren Partie der Geschwulst und zwar am deutlichsten nach
dem der Zwischenscheidewand anliegenden Theil der Venen wand zu. Die
mikroskopische Untersuchung dieser Schnitte ergiebt:
Die Geschwulstmasse besteht im AUgemeinen aus bald mehr, bald weni-
ger dicht stehenden Zellen mit äusserst spärlicher Zwischensubstanz. Die
Form der Zellen ist bald eine spindelförmige und als solche die vorherr-
schen dste, bald trifft man zellenähnliche Gebilde von mehr runder Form, die
theils einen Kern, theils keinen erkennen lassen; Eigenschaften, die Quer-
schnitten von Spindelzellen zukommen. Eine dritte in der Geschwulstmasse
vorkommende Zellenform ist gekennzeichnet durch einen grösseren Zellenleib,
in dem oft bis zu 10 und noch mehr Kerne gezählt werden können. Was
die Vertheilung dieser 3 Zellenformen betrifft, so lässt sich constatiren, dass
Züge von ausschliesslich spindelförmigen Zellen in allen Theilen der Geschwulst
vorhanden; in anderen Partien finden sich ebenso ausschliesslich die oben
erwähnten Querschnitte von Spindelzellen und in wieder anderen Partien
treffen wir bunt durcheinander Spindelzellen im Längs- und im Querschnitte.
Eine scharfe Umgrenzung der einzelnen Züge durch derbe Bindegewebsfasern
lässt sich nicht nachweisen. Die genannten vielkernigen grossen Zellen, die
wir als Riesenzellen anzusprechen haben, finden wir in durchaus unregel-
mässiger Weise in allen Zellzügen eingestreut und zwar so, dass ihre Häufig-
keit gegen die der anderen Zellen zurücktritt. Die Ge fassen twicklung in der
Geschwulst betreffend lässt sich aussagen , dass dieselbe eine sehr spärliche
ist, dass Gefässe kleinen und kleinsten Kalibers wenige, dass vollends grössere
Gefässe gar nicht angetroffen werden. In Schnitten aus oberen Theilen der
Geschwulst findet sich eine inselförmige scharf umschriebene, in die Breite
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Die malignen Tumoren der Gef&sssoheide. 73
nicht sehr ausgedehnte, deutliche verkäste Qeschwnlstpartie , die in weiter
nach nnten gelegenen Schnitten nicht mehr zu finden ist.
In Bezug auf den Zellenreichthum der Geschwulst treffen wir zellen-
ärmere und reichere Stellen an, die dementsprechend auch eine schwächere
und stärkere Tinction zeigen. Die im makroskopische Befund schon ange-
deuteten hellrosa gefärbten Partien entsprechen jenen Geschwulsttbeilen, die
spärliche Kerne in hyalin gequollenen Zellkörpern aufweisen. Es sind dies
hyalin degenerirte Stellen, die ausser der schon makroskopisch erkennbaren
Localisation eine genauere Anordnung ihres Verlaufes nicht erkennen lassen.
Wir finden auch eine auffällige Anhäufung von Zellen in jenen Partien, die
wir in der makroskopischen Beschreibung als Grenzstreifen der Geschwulst
hervorgehoben haben. Wie dort erwähnt, überbrückt dieser Streifen das Inter-
stitium der in die Geschwulstmassen eingebetteten grossenSchenkelgefässe. Er
stellt sich dar als ein Saum dichtgedrängter Spindelzellen (Druckerscheinung
von Seite der Gefässe einerseits und der Geschwulstmasse andererseits), die
auf der Gescbwulstseite ohne scharfe Grenze in dieselben übergehen, um so
'schärfer aber sich abheben gegen die Gefasswand oder deren Rudimente. Diese
dichtgedrängten Spindelzellen, die ausschliesslich circulär um die Gefässe ver-
laufen , treten an jenen Stellen , wo sie makroskopisch als dünner Saum die
Gefasswand begrenzen, bis an die Adventitia derselben heran, lassen indess
dieselbe immer noch erkennbar. Für die Arterie gilt dieses Verhältniss zur
Geschwulst in allen Höhenscbnitten ; für die Vene ändert es sich in folgender
Art: Das dichte Herantreten der gedrängten Spindelzellen bis zur Intima
der Vene geschieht allmälig so, dass man in der Circumferenz der Vene nach
hinten zu und besonders nach der der Zwischenscheidewand benachbarten
Partie des Gefässes nach und nach wieder glatte Muskelfasern sieht, die ihre
volle Entwickelung hauptsächlich an der Arterienseite der Vene zeigen. Man
trifft an dieser Partie ausser der Muscularis wieder eine Adventitia, die sich
zusammensetzt aus einer ziemlich breiten Zone hyaliner Bindegewebsfasern
und spärlichen Bindegewebszellen. Es ist dieselbe dann scharf abgegrenzt
gegen den tiefer tingirten Saum der dichtgedrängten Geschwulstzellen.
Die Zwischenwand der Gefässe und die derselben anliegenden Gefäss-
wände sind durchgehends intact.
Es bleibt uns nun noch die Frage zu erörtern übrig, wo hat der Tumor
seinen primären Sitz?
Wir haben sicherlich in dem von mir schon erwähnten Grenzstreifen der
Geschwulst deren ältesten Bestandtheil zu erkennen. Derselbe ist durch den
Druck seitens der Geschwulst und seitens der Gefässe entstanden und kann
sich entweder von der Adventitia der Vene oder von der gemeinschaftlichen
Gefässscheide entwickelt haben. Letzterer Ursprung scheint mir der wahr-
scheinlichere. Mit der Entwicklung des Tumor in der Adventitia steht jeden-
falls die geringe Ausdehnung derselben in den Gefässwänden — ganz beson-
ders noch im Hinblick auf das rasche Wachsthnm und die Grösse der Ge-
schwulst, im Widerspruch; ja sogar an den, wie wir später sehen werden,
ältesten Theilen der Geschwulst, in welchen durch eine derbere Umgebung
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74 Dr. Carl Regnanlt, Die malignen Tamoren der GefEsssoheide.
das Waohstham der Gesohwalst nach aussen aufgehalten warde, ist die-
selbe an einer nar umsobri ebenen Stelle nur bis zur Intima und in der
grösseren Circamferenz nur theilweise in die Mascnlaris gewuchert, an der der
Zwischenscheidewand anliegenden Venenwand ist sogar die Ad?entitia überall
intact.
In der Scheide selbst bat sich die Geschwulst, von der nach vorne innen
gerichteten Partie aus entwickelt. Dafür spricht erstens die starke Ausdehnung
der Geschwulst in dieser Richtung und das allmalige Abnehmen in entgegen-
gesetzter Richtung, zweitens dass auch die Gefässwand in dieser Richtung am
meisten ergriffen war. Wir hätten also einen Tumor der nach Torne innen
gerichteten Fläche der Gefässscheide und es fragt sich nur noch, in
welcher Höhe entwickelte sich der Tumor. Die Gefässe sind am meisten in
Mitleidenschaft gezogen in der Nahe des Hunter 'sehen Kanales und man wird
verleitet, hier den ersten Ausgang der Geschwulst anzunehmen. Es st^ht
dies keineswegs im Widerspruche mit der geringen Ausdehnung der Geschwulst
an dieser Stelle. Der letzteren steht hier ein starkes Hinderniss entgegen
durch die vom Adductor magnus ausgehenden sehnigen Fasern, welche die
Gefässscheide eine ziemliche Strecke weit nach oben und in ihrer ganzen Peri-
pherie bedecken.
Wir haben also ein gemischtes Sarkom aus Spindel- und Riesenzellen
bestehend, das im Bindegewebe der nach vorne, innen gerichteten Fläche der
Schenkelgefässscheide in der Nähe des Hunter 'sehen Kanales entstanden ist.
Die Geschwulst breitete sich nach allen Richtungen der Gefässscheide (Zwi-
schenscheidewand ausgenommen) hin aus, ergriff stellenweise die Gefässwand
besonders der Vene, zeigte aber ihr Hauptwachsthum in das lockere Zellgewebe
der Moskelscbeiden, stellenweise auf die Muskulatur übergreifend. Die Ge-
schwulst drang bis zur Fascia lat^ vor, durchbrach dieselbe an einigen we-
nigen Stellen and wurde so direot unter der Haut am inneren Rande des Sar-
tori us fühlbar.
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V.
Ueber die Ursachen der Erschwerung des
Döcannlement nach Tracheotomie im
Kindesalter wegen Diphtherie.
Von
Or. EmU KShl,
I. AtfliBtenunt an der Chirurg. Klinik in Zürich.
Während meiner nun bald 27, Jahre betragenden Assistenz-
zeit , die ich zar Hälfte im Kinderspitale, zur anderen Hälfte im
Kantonspitale Zürich durchgemacht habe, hatte ich öfters Gelegen-
heit, die Schwierigkeiten kennen zu lernen, die sich nach Tracheo-
tomie ab und zu der Entfernung der Canüle entgegenstellen. Da
mir diese unliebsame Gomplication der Tracheotomie stets ein leb-
haftes Interesse einflösste, so habe ich mich seit längerer Zeit etwas
eingehender mit diesem Gegenstande beschäftigt und der Erfolg
meines Studiums ist eben diese kleine Arbeit, welche ich heute
hiermit der Oeffentlichkeit übergebe.
Für die mit der liebenswürdigsten Bereitwilligkeit mir ge-
stattete Benutzung der Krankengeschichten des Kinderspitales so-
wohl, als auch des Kantonspitales sage ich Herrn Prof. 0. Wyss,
sowie Herrn Prof. Krön lein und Herrn Prof. E. Rose, Letzterer
zur Zeit in Berlin, meinen besten Dank.
Wenn wir uns im Folgenden mit dem D6canulement beschäf-
tigen wollen, insofern dasselbe unseren Anstrengungen Schwierig-
keiten entgegensetzt, so mässen wir uns zuerst darüber klar sein,
wann unter normalen Verhältnissen die Canule ohne Gefahr für
das Kind definitiv entfernt werden kann. Es ist a priori klar,
dass dies erst dann gesehen kann, wenn der diphtherische Process
abgelaufen und die Schleimhautschwellung so weit zurückgegangen
ist, dass der Kehlkopf für die Luft wieder hinreichend durchgängig
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76 Dr. Emil Kohl,
geworden ist. Dies wird aber je nach der Intensität des diph-
therischen Processes auch ganz verschiedene S^eitränme in Ansprach
nehmen, so dass also ein genauer Termin für Entnahme der Canüle
von vorne herein nicht fixirt werden kann. Höchstens kann etwa
angegeben werden, dass, je älter das Kind ist, d. h. je grösser
die Raumverhältnisse des Larynx sind, und je weniger intensiv die
Diphtherie auftritt, desto schneller die Canüle entfernt werden
kann. Wenn wir nun annehmen dürfen, dass auch eine schwere
Diphtherie des Larynx in ca. 10 — 14 Tagen so weit abgelaufen
ist, dass der Larynx wieder wegsam genug ist, so müsste dem-
nach auch am Ende dieses Zeitraumes die Canüle entfernt werden ;
consultiren wir aber in dieser Beziehung die verschiedenen Autoren, so
zeigt sich uns eine grosse Differenz, indem bei dem Einen die grosse
Mehrzahl der D^canulements schon auf den 4. — 5., bei dem Anderen
dagegen auf den 10. — 14. und bei dem Dritten endlich auf noch
spätere Tage fällt. Da aber die schweren Fälle von Diphtherie
sich gewiss nicht auf einen einzelnen Operateur concentriren, son-
dern sich auf alle Operateure so ziemlich gleichmässig vertheilen
werden, so kann der Grund der Verschiedenheit der Zeiten im
D^canulement nicht einzig in mehr oder weniger heftig auftretender
Diphtherie liegen, sondern derselbe muss noch anderswo gesucht
werden.
Er ist wohl vor Allem in der Art zu suchen, in welcher das
D6canulement vorgenommen wird. Eine schwere Larynxdiphtherie
ist gewiss nach 4 — 5 Tagen noch nicht so weit abgelaufen, dass
der Kehlkopf schon wieder für ein genügendes Luftquantum pas-
sirbar ist und dennoch kann das definitive D6canulement oft
jetzt schon mit Erfolg vorgenommen werden. Dies ist dann der
Fall, wenn die Trachea oberflächlich liegt, wenn sich ein schöner
Wundcanal gebildet hat, der auch die nächstfolgenden Tage noch
offen bleibt. Während der grösste Theil der Respirationsluft noch
durch die Halsfistel strömt, kann sich die Passage durch den
Kehlkopf allmälig so weit verbessern, dass mit Schluss der
Halsfistel der Luftstrom im Kehlkopf kein nennenswerthes Hin-
derniss mehr findet. Wird andererseits die Canüle erst entfernt,
sobald der Kehlkopf vollkommen frei ist, sobald das Kind auch
bei zugehaltener Halsfistel frei athmen kann, dann muss die Ca-
nüle im gleichen Falle schon bedeutend länger liegen bleiben. Da
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Ursachen der Erschwerung des D^canulement nach Tracheotomie. 77
nun das längere Verweilen der Ganüie in der Trachea ernstere
Grefahren mit sich bringt, so mass principiell dem zuerst genann-
ten Verfahren im D6canulement gewiss der Vorzug eingeräumt
werden. — Leider hat aber auch dies Verfahren seine Schatten-
seiten. Sehr oft kommt es vor, dass sich die Halsfistel zu schnell
schliesst, oder dass sich ein grösserer Schleimklumpen so vor die
Oe&ung legt, dass oft momentan Dyspnoe entsteht. Ist nicht so-
forty wie wohl nur selten in der Privatpraxis, gute Hülfe zur Hand,
so kann das Kind gar zu leicht dem verfrühten D^canulement zum
Opfer fallen. Das D6canulement bei noch nicht vollkommen durch-
gangigem Kehlkopfe ist daher nur im Spitale anwendbar, und in
der Privatpraxis jedenfalls nur dann, wenn eine vollkommen zu-
verlässige Croupwärterin zur Hand ist, die mit der Technik der
Wiedereinführung der Canüle oder des Diktators vollkommen ver-
traut ist. Ist aber gute Hülfe jederzeit da, dann entferne man die
Ganüie, sobald der Kehlkopf anfängt wieder durchgängig zu werden.
Trousseau spricht sich hierüber ebenfalls sehr klar aus (1. c.
p. 425):
,,Je ne parle-pas de la m6thode que Mr. Miliard a conseill6e
et qui consiste ä enlever la canule au beut des premi^res vingt-
quatre heures: Mr. Miliard se propose, en agissant ainsi, d'aider
Texpulsion des fausses-membranes volumineuses qui, retenues par
la canule, l'oblitöreraient et pourraient provoquer des acces de suf-
focation. Sans doute dans les cas oü cette sufifocation se produi-
ndt l'indication est pr6cise, mais dans les circonstances ordinaires
je ne vois-pas l'avantage, encore moins la n6cessit6 de suivre
cette m6thode. Je n'en 6tablis-pas moins en principe, que
plus tot la canule est enlev6e definitivement, mieux cela
vauty mais il est rare qu'on puisse l'enlever avant le 6® jour, il
est rare qu'on doive la laisser au delä de dix jours**. — Wenn
Trousseau noch hinzufügt, dass es Fälle giebt, in denen der
Larynx 15, 20, 40 und mehr Tage vollkommen unwegsam bleibt,
so gehören dieselben eben schon in's Gebiet des Anormalen, und
können solche Ausnahmsfalle hier vorläufig keinen Platz finden.
Was die beginnende Wegsamkeit des Larynx anbelangt, so
erkennt man dieselbe sehr leicht daran, dass beim Schlucken von
flüssiger Nahrung ab und zu ein Luftbläschen oder etwas Flüssig-
keit in die Trachea gelangt, ein Phänomen, das das erste Zeichen
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78
Dr. Emil Köhl,
bildet, dass der Larynx wieder beginnt wegsam zu werden und
welches nur selten fehlt. Ebenso gut und viel bequemer natürlich
kann die Durchgängigkeit des Larynx durch Zuhalten der Halsfistel
geprüft werden.
Will man möglichst grosse Sicherheit haben , dass man die
Oanüle nicht wieder einlegen muss, so wartet man mit dem De-
canulement, bis das Kind eine ganze Nacht hindurch mit verstopf-
ter äusserer Oefifnung der Sprechcanüle ruhig geschlafen hat. Bei
diesem Vorgehen wird das D6canulement aber meist ziemlich weit
hinausgeschoben und, wie wir gleich sehen werden, auch gefährdet.
Oefters ist nämlich der obere Winkel der Trachealfistel durch
den Druck der Canüle etwas nach hinten gedrängt und verlegt so
ein Theil des Lumens der Trachea; entspricht nun ausserdem
Das D6canulement erfolgte
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
Passavant, Frankfurt. (1851—1880)
Gl ö ekler, Frankfurt. Tabelle von
Passavant
Eraassold, Frankfurt. Tabelle von
Passavant
Lindner (1882)
Küster, Augusta- Hospital in Berlin
(1877) . , ,
Miliard, Hop. des enfants malades.
Paris. (1857—1858)
Wansoher, Kopenhagen (1877) . . .
Hofmokl, Kinderspital in Wien.
(1877—1880)
- I 2
--1 1
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Ursachen der Erschwerang des Döcanalement nach Tracheotomie. 79
die Sprecböffnong nicht genau dem Tracheallumen nach oben, so
genügen schon diese beiden Momente um, bei in Wirklichkeit ge-
nügend freier Passage, eine unvollkommene Wegsamkeit vorzu-
täuschen. Man wartet zu und der Ei folg ist, dass binnen wenigen
Tagen durch Granulationswucherungen die Trachea in Wahrheit
stenosirt wird. Ein vielfaches CanüleD wechseln behufs Einlegung
einer Canüle mit passenderer Sprechöffnung hat aber auch wieder
seine Schattenseiten, indem auch hier, wie äberall in der Chirurgie
der Grundsatz zu Recht besteht, dass eine Wunde so wenig als
möglich gereizt werden soll.
Beifolgend gebe ich eine Zusammenstellung, welche zeigt, an
welchem Tage die Ganäle definitiv entfernt werden konnte:
Tage nach der Operation.
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80 Dr. Emil Kohl,
1) Kinderspital Zürich. Die mit * beaeiohneten Falle finden sich
in der Gasuistik.
Ferner bieten noch folgende Fälle für uns Interesse:
Ein Kind (Juchler, Carl) wurde wegen Unmöglichkeit des D6oanale-
ments aufgenommen and geheilt entlassen.
Ein Kind (Koch, Nina) wurde wegen Unmöglichkeit des D^nule-
ments aufgenommen und musste angeheilt entlassen werden.
Ein Kind (Surber, Lina) musste ungeheilt entlassen werden.
Ein Kind (Weber, Emil) starb 5 Tage nach der Entlassung lu Hause
an Granulationsstenose.
Ein Kind (Pachoud. Martha) starb im Spitale an Narbenstenose.
Ein Kind (Bosshard, Rosa) starb im Spitale undecanulisirt, an einer
intercurrenten Krankheit.
2) Kantonsspital Zürich, Prof. Krönlein.
€u Diphtherierecidiv. Betracheotomie.
fl. Granulome machten mehrmals energische Aetzung nöthig.
y, Retracheotomie wegen momentaner Compression der Trachea,
17 Tage nach dem D6canulement bei Gelegenheit der Eröffnung
eines Lymphdrüsenabsoesses am Halse.
Weiter bieten noch folgende Fälle für uns Interesse:
1. Bregg, Frieda. Suffocation durch Granulationsstenose.
2. Meier, Martha. Wurde wegen Granulationsstenose aufgenommen
und geheilt.
3) Kantonsspital Zürich. Prof. Rose:
t bezeichnet je eine Tracheotomia superior, sonst inferior.
a. Leichte Granulationen am oberen Wundwinkel.
ß, Relaxation der vorderen Trachealwand.
Weiter interessirt uns noch:
1. Meier, Job. Ulrich. Exitus an dipbther. Paralyse.
2. Ein bei Hugonnai citirter Fall von Granulationsstenose, der wegen
Unmöglichkeit des D6canulement8 hereinkam.
4) Krönlein, Berlin: Durchweg Tracheotomia superior.
a. Nur dieser Fall für uns von Interesse.
5) So ein: Meist Cricotracheotomie.
cu Exitus an Granulationsstenose.
ß. Granulationen erfordern die Application des Thermokauters.
T'. 2 mal Granulationen, 1 mal fehlt die Notiz.
6) Hagenbach: Fast stets Cricotracheotomie.
t bezeichnet je einen Fall, in welchem wegen Granulationspolypen
das D6canulement sich verzögerte, meist wurde der Thermokauter
angewandt, 1 mal bloss der Höllensteinstift, 2 mal wurde das
Evidement gemacht.
Femer interessirt uns:
Sprecher, Elise. Exitus an Narbenstenose, citirt bei Zimmerlin.
7) Demme: 3 Kinder mussten mit Canüle entlassen werden.
8) Rosenthai: a. Relaxation der vorderen Trachealwand.
9) Müller: Dr. Max Müller entfernte die Canüle principiell erst in
späterer Zeit, ob er dabei dann auf Schwierigkeiten stiess oder nicht ist in
der betreffenden Arbeit nicht erwähnt.
10; Plenio: Die Entfernung der Canüle wurde ziemlich regelmässig
ungefähr vom 3. oder 4. Tage an versucht. — Auf diese 67 Heilungen ausser-
dem noch 3 Fälle von erschwertem D6canulement.
11) Passavant: Ein Kind wurde angeheilt entlassen; Grund der Er-
schwerung des D6canulement nicht angegeben; »die Eltern sind von hier
nach München gezogen, bei der Abreise trug das Kind das Röhrchen noch*.
12) Glöckler: a. Durch Granulationsstenose erschwertes D6canulement.
„Weiter sind am 10. März 1883 noch 2 Kinder in Behandlung geblieben, bei
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Ursachen der Erschwerung des D^oanulement nach Tracheotomie. 81
denen seit 3 Monaten die Canüle wegen Granulationen nicht entfernt wer-
den kann.*
13) Kraussold: a. D6canulement durch Granulationen erschwert.
14) Lind n er: a. Laryngotomie. Pat. spricht schlecht, nur bei starker
Anstrengung hat die Stimme Klang. — ß, D^canulement erschwert; Grund
ungewiss. — Dazu kommen noch 2 Fälle, die ungeheilt, mit Canüle entlassen
wurden und dieselbe zur Zeit der Publication noch trugen; Ursache ebenfalls
ungewiss.
15) Küster: 1 Kind wurde mit Canüle nach Hause entlassen, und die-
selbe erst längere Zeit nachher zu Hause entfernt. Dazu, unter total 24 Hei-
lungen, noch 2 Fälle, wo die Canüle gar nicht entfernt werden konnte.
16) Wanscher: 2 Kinder erstickten längere Zeit nach dem D6canule-
ment durch Granulationsstenose. — 1 Kind starb 1 Tag nach dem D6canule-
ment (14. Tag) an Spasmus glottidis. — 3 weitere Kinder litten an Granula-
tionsstenose, wurden aber geheilt. — 1 Kind endlich litt an Granulations-
stenose, starb aber intercurrent an Anorexie während es die Canüle noch trug.
— Die 3 geheilten Fälle sind in der Tabelle aufgezeichnet.
17) Hofmokl: Fast stets Tracheot. inf.
Im Züricher Kinderspitale (Operateur Herr Dr. W. v. Mural t) wurde fast
aussschliesslich die Tracheot. sup. gemacht, das Döcanulement geschah meist
erst nachdem die Kinder 1 oder 2 Nächte mit zugepfrofter Sprechcanüie gut
geschlafen hatten.
Im Züricher Kantonsspitale wurde vom 1. April 1881 bis 1. Juni 1885
unter Leitung von Herrn Prof. Krön lein fast ausschliesslich die Tr. sp.,
eventuell auch die Cricotracheotomie gemacht; das D6c. wurde ohne weiteres
vorgenommen, sobald der Kehlkopf wieder einigermassen für die Luft durch-
gängig wurde, die Wunde wurde einfach offen gelassen oder höchstens mit
einem nassen Gazeläppchen bedeckt.
Unter Herrn Prof. Rose (Züricher Kantonsspilal 1868 — 1881) wurde,
wie ich aus den Krankengeschichten entnehme, zumal in den letzten 8 Jahren
fast durchweg die Trach. inf. gemacht, das D6c. wurde erst circa am 8. Tage
zum ersten Male versucht. Die gefensterte Sprechcanüie scheint auch ab und
zu in Anwendung gekommen zu sein.
Settegast 1. c. giebt über Bethanien an: Was die Entfernung derCanüle
betrifft, so liegen mir zwar keine Notizen über den einzelnen Fall vor, aber
im Allgemeinen wurde dieselbe nie vor dem 3. Tage fortgenommen, während
der 5. Tag der gewöhnliche war. Gewöhnlich wird, wenn am 4. — 6. Tage
bei zugehaltenem Ostium der Canüle die Kinder ein Licht ausblasen können,
wenn also der Exspirationsstrom eine ziemliche Stärke erreicht hat, versucht,
die Canüle fortzulassen, und zwar geschieht dies des Morgens, damit eine
möglicherweise wieder nöthig werdende Einlegung weniger Schwierigkeiten
macht. Wenn an demselben Abend die Respiration nicht völlig frei und ruhig
ist, so wird die Canüle wieder bis zum nächsten Morgen eingelegt und dann
von Neuem entfernt. Im Allgemeinen also wird die Canüle so früh als irgend
möglich herausgenommen, weil wir vielfach die Erfahrung gemacht haben,
dass, je länger sie liegt, und nachdem der erste Zeitpunkt verpasst ist. die
spätere Entfernung noch viel mehr Schwierigkeiten verursacht.
Sann^ versucht die Entfernung derCanüle schon vom I.Tage an, indem
er die Canüle jeden Tag herausnimmt, die Wunde inspicirt und durch Zu-
T. Lang«nbeek, Arehir f. Chirurgie. XXXV. 1. (>
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82 Dr. Emil Kohl.
halten der Halsflstel die Darohgängigkeit des Larynx prdft: A chaqae panse-
ment Tötat da larynx sera exploy6 avec soin, et pea k pea oa arrivera k faire
rester Tenfant sans canale, d'abord qaelques minutes, pais plusieurs henres,
piiis toute ia journöe, et enfin d'une mani^re definitive.
Hueter sagt (1. c. p. 67): Vor dem 4. Tag darf die Ganüle aach bei
günstigstem Verlaufe der Diphtherie nicht entfernt werden, fast stets ist es
nöthig sie mindestens bis zum Schlüsse der ersten Woche nach der Operation
liegen zu lassen. Bei Wunddiphtherie indessen habe ich zuweilen schon am
4. Tage die Ganüle ganz fortgelassen, weil die Luft auch ohne dieselbe ge-
nügend Eingang in die Trachea fand.
Trendelenburg (1. c. p. 270) glaubt, es habe keinen Zweck die Ga-
nüle zu entfernen ehe die Resp. vollständig frei geworden ist; er entfernt die
Ganüle erst, wenn das Kind mit zugekorkter Sprechcanüle eine Nacht lang
ruhig geschlafen hat.
Sc hüller (1. c.) giebt an, es dürfe vor dem 4. Tage auch beim günstig-
stem Verlaufe der Diphtherie nicht an die Entfernung der Ganüle gedacht
werden, im Uebrigen ist er aber auch ein eifriger Befürworter der möglichst
schnellen Entfernung derselben.
Wie die Zahlen anders ausfallen , je nachdem man auf ein frühzeitiges
Decanulement Werth setzt oder nicht, ist leicht aus der Tabelle ersichtlich,
man vergleiche nur Krön lein -Berlin und Max Müller-Göln.
Halten wir als Maximum der Zeit, durch welche hindarch von
der Tracheotomio an gerechnet — der Larynx bei schwerer Diph-
therie unwegsam bleibt, einen Zeitraum von 14 Tagen fest und
räumen wir noch 8 weitere Tage für Döcanulemeutversuche ein, so
gelangen wir zu einem äussersten Termine von 3 Wochen. Zieht
sich das Decanulement noch weiter in die Länge, so kann nun-
mehr mit voller Berechtigung von einer Erschwerung desselben
gesprochen werden.
Indem ich mir späterhin erlaube, bei Gelegenheit der Granu-
lationsstenose, nochmals die Frage der besten Methode des D6ca-
nulement zu besprechen, gehe ich jetzt gleich zur Erörterung der
Schwierigkeiten über, welche sich dem D6canuleraent, ich darf wohl
sagen nicht so selten als man gemeiniglich annimmt, entgegen
stellen. Diese Schwierigkeiten sind sehr verschiedener Natur, oft
combiniren sich mehrere Ursachen zu einem einheitlichen, manch-
mal schwer zu analysirenden, oft auch gar nicht verständlichen
Krankheitsbilde, hat doch z. B. Gentit in seiner These in dieser
Beziehung eine eigene Gruppe gebildet, der als Merkmal zukommt,
dass der Grund der Behinderung des D6canulement nicht sicher
eruirt werden konnte. Immerhin bin ich überzeugt, dass mit Hülfe
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Ursachen der Erschwerung des D^canulement nach Tracheotomie. 83
des Kehlkopfspiegels und bei Eenntniss gewisser, theilweise un-
scheinbarer Untersuchungsmethoden in fast allen Fällen die Ur-
sache eruirt und dann auch beseitigt werden kann.
Um die Erörterung unseres Themas zu vereinfachen, werde
ich zuerst die Ursachen, die das D6canulement erschweren, einzeln
durchgehen, einzelne bezägliche Krankengeschichten raittheilen und
erst am Schlüsse der complicirteren Fälle Erwähnung thun.
Ich muss folgende Ursachen als das D6canulement
erschwerend oder verhindernd bezeichnen:
I. Diphtherie ä forme prolongöe.
II. Reoidivirende Diphtherie.
ni. Ohorditis inferior.
IV. Granalombildang.
V. Verbiegungen der Trachea; Formveränderang der Trachea und des
Larynx, bedingt durch operatives Verfahren und Ganüle.
VI. Erschlaffung der vorderen Trachealwand.
VII. Compressionsstenose von aussen.
VIII. Karbenstenose.
IX. Primäre und secundäre diphtherische Lähmung des Kehlkopfes.^)
X. Qewohnheitsparese.
XI. Furcht vor dem Döcannlement.
XII. Spasmus glottidis.
L Diphtherie k forme prolong^e.
Unter diesem Titel sind von Cadet de Cassicourt fünf
Beobachtungen veröfifentlicht worden, bei denen in Folge von lange
andauernder Neubildung von Pseudomembranen (analog der viel
häufigeren chronischen Nasendiphtherie) die Entfernung der Canüle
für längere Zeit unmöglich war. C. citirt 5 Fälle, in welchen die
Membranbildung bis zum 41. — 65.-78.-82. und 151. Tage nach
der Tracheotomie andauerte. Findet die Regeneration der Mem-
branen im Kehlkopfe statt oder sind die expectorirten Membranen
von bedeutender Grosse, so wird die Canüle nicht entbehrt werden
können, während dagegen kleinere Membranfetzen bei wieder durch-
gängigem Kehlkopf natürlich ebenso gut per os als durch die
Canüle ausgehustet werden können.
*) Wenn ich im Folgenden durchweg den Ausdruck „primäre diph-
therische Lähmung*' benutzen werde, so geschiebt dies nur der Kürze
halber; ich möchte aber darunter keine nervöse, sondern nur eine durch die
Infiltration bedingte musculäre Fonctionsuntücbtigkeit (Krön lein, Lissard)
Terstanden wissen.
6»
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84 Dr. Emil KdhU
Es scheint dies ein sehr seltener Grand der Behinderung im
D6canalement zu sein, wenigstens fand ich keine weiteren bezüg-
lichen Notizen in der Literatur, ausgenommen eine kleine Notiz
bei Henoch, Charit6-Annalen 1884, p. 517:
„Ebenso kann durch stete Neubildung von Membranen nach der
Tracheotomie die Heilung wochenlang verzögert und die Heraus-
nahme der Canüle verhindert werden; ich selbst beobachtete einen
Fall dieser Art, in welchem noch in der 5. Woche nach der Ope-
ration Membranfetzen aus der Canüle ausgeworfen wurden.^
Da ich über keine eigene einschlägige Beobachtung verfuge,
so führe ich als Beispiel eine Krankengeschichte von Cadet de
Cassicourt an:
«Group a forme prolongöe. Observ. IV. — Le petit Robbe, &g6 de
2 ans y,, entre dans mon service le 15 avril 1876; la dipbtherie avait di-
butö le 10. par une angine avec croup. D^ son arrivöe dans les salles, le cas
est juge assez grave pour nöoessiter ane Operation immödiate. La nuit qai
suit la tracheotomie est calme, et le lendemain Tenfant parait etre dans de
bonnes conditions ; on oonstate pourtant Texistence d'ane ivhs notable qoantit^
d'albamine. J'ajoute , pour n'y plas revenir, que cette albaminorie persiste
jusqa^an 24 avril, et qu'elle disparait a oette date d'une mani^re definitive.
Je la note d'une mani^re expresse. Les joars qui saivent ne sont marques
par aucun incident; la seale surprise que noas puissions ^proaver, est de voir
l'enfant dans d'aussi bonnes conditions; son tr^s jeane &ge nous avait inspir^
des craintes, que la nature de la dipbtherie ne jastifiait pas. Le petit malade
rendait, il est vrai, chaque jour des pseudo-membranes par la canale, mais on
ne pouvait s'en ^tonner encore. Pourtant, le P' mai, qainze jours apr^s
Top^ration, vingt jours apr^s le d^but de la maladie. la persistanoe de oette
prodaction pseodo-membraneuse commence a me surprendre, surtoat lorsque
je coQstate que Tötat gän^ral est excellent. Je me trouvais en pr^sence d^on
enfant dont Tapp^tit ^tait regulier, le sommeil calme, les forces satisfaisantes,
la gaieie compl^te; je ne devais donc avoir qa* une pens^e: le d^barrasser le
plas tot possible de sa canüle. Mais la r^production incessante des fausses
membranes m'empichait constamment de mettre ma pens^e en ex^cution, par-
ceque, k cbaque tentative d'ablation, les fausses membranes se reproduisaieot
en quelques heures, et obligeaient a räintroduire l'instrament. D'autre part,
le rötröcissement et la cicatrisation de la plaie sont d'autant plus rapides,
comme on sait, que la santä g^närale est meilleure, et le danger de la röpro-
duction des fausses membranes . en Tabsence de canüle , ötait d'autant plus
grand, que la plaie se refermait plus vite; il y avait en mSme temps obstacle
au rejet des fausses membranes, et ä la röintroduction de la canüle. Je me
trouvais donc en face d^un fait paradoxal : le danger ^tait en raison directe de
la bonne sant^ du sujet, et mes craintes ötaient d^autant plus ^veillöes que
Tenfant paraissait plus präs de guörir. On devine les nombreuses tentatives,
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Ursachen der Erschwerung des Döcanulement nach Tracheotomie. 85
qae j'ai faites pour me mettre ä Tabri da pöril, oombien de fois j'ai oherohö
a remplacer la canale ordinaire par la canale parlante. J'avais m^me inyent^
nne cannle particuliöre , oaverte sar sa con?ezit^ , qae j'avais cme fort ing6-
niease, ei dont les effets ont ^t^ d^plorables; j'en passe la description. Piasiears
fois, oroyant la soarce des faosses membranes tarie, noas avons laiss^ l'enfant
Sans oanule pendant doaze et qainze heares, et chaqae fois il a fallo glisser h
grand'peine la canale deBourdillat entre les levres de la plaie, aa moment
oa Tenfani öiait menac^ d'asphyxie. Une fois m^me noas l'ayons cru perda:
c'^tait le 18 juillet, plas de trois mois apr^ la tracheotomie. Robbe n*ayait
pas rendae de faasses membranes depais oinq joars; noas noas d^cidons a le
laisser sans canale; sa journöe se passe bien, et noas pensions d^jä avoir partie
gagn^e, qaand toat h coup, k sept heures da soir, le petit malade est pris d'an
accis de saffocation effrayant, il se cyanose, il est prös de succomber. —
Cependant, on oherche a glisser dans la plaie presque fermöe la canale de
Boardillat; plos le p^ril devient imminent, plus Top^rateur perd de calme.
Enfin, la canule k pön^tr^, et ä peine est -eile introdaite qa' ane faasse
membrane de 1 centimMre de longueur est ezpulsöe. L'enfant ^tait saav^. Mais
les diffioolt^s de la sitaation ^taient toiyoars les m^mes ; les fausses membranes
continnaieDt k se reprodaire incessamment et ä 6tre sans cesse expals^es. —
Ge fot sealement le 7 septembre, cent cinquante et an joars apr^s le döbut
de la maladie, qae la derni^re faasse membrane fut rendae par la canule.
La diphtb^rie ^tait termin^e; eile s'ötait prolongöe pendant trois mois. Tout
nMtait pas dit, n^anmoins. Durant plus d'une annöe, il a faliu latter contre
ane sörie de complications (bourgeons charnus, spasme etc.) sar lesquelles
je ne veoz pas insister, pour ne pas compliqaer la qaestion d'öi^ments ötrangers.
Cest aa commencement d'octobre 1877 sealement que la canule a pu ^tre
d^finitivement enlev^e, 18 mois apr^s l'opöration**.
Dass es sich in diesem Falle wirklich am Diphtherie handelte,
geht wohl mit Sicherheit daraus hervor, dass der Knabe längere
Zeit hindarch Eiweiss im Urine hatte.
Ebenso war bei einem andern Knaben, der 82 Tage lang
Pseadomembranen auswarf^ die Diagnose auf Diphtherie (im Gegen-
satze zu chronischem Bronchialcroup) dadurch gesichert, dass ein
2jähriger Bruder des Pat 8 Tage vorher an Diphtherie gestorben
war, eine Schwester des Pat. am gleichen, und ein weiterer Bruder
am zweitfolgenden Tage ebenfalls wegen Diphtherie in das Spital
aufgenommen wurden. ')
Anmerkang bei der Correctur. Seither hatte ich Gelegenheit,
2 Falle von prolongirter Diphtherie selbst zu beobachten, von denen zumal
der letztere deshalb sehr viel Interesse bietet, weil die fast fieberlos verlaufende
Diphtherie nicht nur nach, sondern auch vor der Operation einen ganz chro-
nischen Verlauf hatte. [Die Fälle selbst folgen am Ende dieses Artikels.]
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86 Dr. Emil Kohl,
n. BecldlTirende Diphtherie.
Anstatt gleichmässig proloiigirt zu verlaufen, kann die Diph-
therie auch einen schubweisen Verlauf nehmen. Bei einem tracheo-
tomirten Kinde kann der Krankheitsprocess scheinbar erloschen
sein, die Caniile ist bereits entfernt worden oder es wurden doch
schon verschiedene D6canulements versuche gemacht, die auf einen
günstigen Ausgang schliessen liessen und erst neuerdings tritt
plötzlich wieder ein neuer Pieberstoss auf, neue Pseudomembranen
werden gebildet, der schon vollkommen oder doch schon beinahe
wieder vollkommen durchgängige Kehlkopf wird auPs Neue wieder
unpassirbar und der Arzt sieht sich genöthigt, die Canüle wieder
einzulegen. Man ist dadurch gezwungen, die Canüle über die Norm
hinaus in der Trachea liegen zu lassen und während manchmal
nach Ablauf dieses acuten Nachschubes das D6canulement ganz
glatt abläuft, kann in andern Fällen doch durch den überlangen
Aufenthalt der Canüle in der Trachea der Grund zu ernsteren
Hindernissen gelegt worden sein. Da diese Complication des Inter-
essanten und des Schwerverständlichen nur wenig bietet, so füge
ich gleich zwei einschlägige Krankengeschichten bei, um mich dann
r.ofort einem interessanteren Abschnitte zuwenden zu können.
Landwehr, Emma. 3 J. 2 M. Eiotritt ins Kinderspital 5. 5. 1877. —
6. 5. Tracheot. sup. Bei der Operation wird nur eine kleine Membran ex-
peoiorirt. Bedeckung der Wunde mit einem Zinksalbenlappcben. — 7. 5.
Mehrere dicke flottirende Membranen werden aus der Trachea expectorirt. —
8. 5. Röthang und Schwellung der Wandränder bis zum Sternum herab. Ex-
pectoration foetide. — 11. 5. Blutiges Sputum. Pat. erhält eine andere
Canüle. — 12. 5. Eiterung aus dem rechten Ohr. — 13. 5. Die Ausdehnung
der Wunde hat zugenommen, unterhalb der Canüle ein grosser sinuöser Defeot,
der noch diphtherisch infiltrirt ist. Primäre diphtherische Kehl köpf parese. —
17. 5. Die Wunde hat sich vollkommen gereinigt. — 2L 5. Heute wird noch
eine kleine Membran expectorirt. — 24. 5. Der Kork (in der Sprechcanüle)
wird schon ordentlich ertragen, bis Abends 6 Uhr, Temperatur massig ele?irt.
— 25. 5. Der Kork wird wieder schlechter ertragen, die Temperatur steigt.
— 27. 5. Die Temperatur bleibt elevirt. es werden wieder Membranen ex-
pectorirt, die Wunde ist aufs Neue diphtherisch belegt und infiltrirt. der La-
rynx ist wieder absolut undarchgängig für die Luft. — 30. 5. Starker übel-
riechender Ausfluss aus dem rechten Ohr, äusserer Qehörgang diphtherisch
belegt. Heute früh wurde eine grosse Pseudomembran expectorirt. Sehr starke
Albuminurie. — 6. 6. Larynx etwas durchgängiger. — 19. 6. Seit 6. 6.
wurde der Kork im Anfang stundenweise, später auf die Dauer wieder ertra-
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Ursachen der Erschwerung des Döcannlement nach Tracheotomie. 87
gen, seit 15. 6. liegt der Kork permanent. Heate fr$h wird deshalb die Ca-
nüle entfernt, 2 Stunden später ist die Trachealfistel verklebt. (Die Canöle
lag 54 Tage.) — 26. 6. Hat heute zum ersten Male Stimme. Secundäre
Abducens- und Velumparalyse. — 8. 7. Wird vollkommen geheilt entlassen.
Ehrhard, Lina. 4 J. Tracbeotomirt am 15. Nov. 1884 im Kantons-
spitale Zürich. Am 20. Nov. konnte die Canüle entfernt werden. In der Nacht
vom 1 . Dez., als die Kleine längst wieder afebril gewesen und normal geath-
met hatte, fing sie wieder an zu husten, heiser zu werden und einzuziehen,
die Larjmgostenose steigerte sich so, dass am 2. Dez. die Retraoheotomie vor-
genommen werden musste, wobei auch wirklich wieder Membranen ausgeworfen
wurden. Am 6. Dezember konnte die Canüle wieder entfernt werden und zwei
Wochen darauf wurde Pat. vollkommen geheilt aus dem Spitale entlassen.
nL Chorditis inferior.
Bekanntlich bleibt öfters nach acuten Infectionskrankheiten»
zumal auch nach Diphtherie eine längere Zeit andauernde Heiser-
keit znräcky die durch den die Grundkrankheit überdauernden
Katarrh des Larynx bewirkt wird. Der Hauptsitz dieser Schleim-
haatentzändang findet sich da, wo die Schleimhaut am lockersten
an ihre Unterlage angeheftet ist, in dem Räume, der nach oben
durch die wahren Stimmbänder, nach unten durch den untern
Rand der Ringknorpelplatte begrenzt ist. Es handelt sich zumal
um die seitlichen Partien, während vorne und hinten die Mucosa
der Unterlage schon wieder bedeutend fester anhaftet Ist die
Schleimhautschwellung nur gering, so werden die dadurch be-
wirkten Störungen ebenfalls nur gering und laryngoskopisch kaum
wahrnehmbar sein, ist sie dagegen stärker, so sind die Störungen
schon bedeutenderer Natur und können, wenn acut auftretend, so
hochgradig werden, dass dadurch ganz das Bild einer acuten Glottis-
stenose entsteht (Pseudocroup.) (Dehio, Rauchfuss, Burow
jun., Gerhardt, Störk.)
In diesem günstigeren Falle ist die Tracheotomie wohl stets
zu umgehen, während in anderen Fällen, wenn die gleiche Schwel-
lung Folge einer chronischen Infiltration ist (Chorditis inferior
hypertrophica), die permanente und progrediente Dyspnoe die
Tracheotomie erheischt, insofern dem Pat. nicht durch eine Bougie-
kur vom Larynx aus die nöthige Erleichterung verschafft werden
kann. Während die acute Schwellung der subchordalen Schleim-
baut sicherlich auch vorkommt (Sann 6 z. ß. erwähnt pag. 154
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88 Dr. Emil Kohl,
solche recidivirende Fälle) und in sp&tern Zeiten nach dem D6ca-
nalement noch Dyspnoean fälle bewirken kann, so erreicht sie doch
kaum je eine solche Höhe, dass sie die Retracheotomie indidrte.
— Immerhin muss ich hier eine Krankengeschichte einschalten,
welche zeigt, dass sogar Exitus letalis die Folge davon sein kann,
ich entnehme dieselbe der Arbeit von Fleiner 1. c.
Köhler. Martin. ^^/^ J. Cricotracheotomie durch Prof. Czerny. Am
12. März Entfernung der Canüle. nachdem dieselbe vom 7. März an verstopft
worden war. Die Respir. war frei, die Stimme klar, klangvoll. — In der
Nacht vom 12. auf den 13. hatte das Kind gut geschlafen, am Vormittag
des 13. vergnügt gespielt — plötzlich springt es Mittags gegen 4 Uhr im
Bette auf, athmet schwer, wird asphyctisch und stirbt. Section: Schleim-
haut des Rachens, des Kehlkopfes, der Luftröhre geröthet und geschwellt.
Diejenige der aryepiglottischen Bänder und der falschen Stimmbänder zeigt
Reste eir.er serösen Durch tränkung, sie sitzt sehr locker auf ihrer Unterlage
auf. Besonders aber fällt auf, dass die Schleimhautbekleidung des Kehlkopfes,
von den wahren Stimmbändern an abwärts so schlaff aufliegt, dass sie mit
Leichtigkeit in beträchtlichem Maasse mit der Pincette abgehoben werden
kann. Es zeigt sich von innen, dass die Wunde durch den Ringknorpel in
die obersten Tracheairinge geht und dass die oberste Spitze der Wunde auch
in den unteren Rand jener gelockerten Schleimhautpartie hineinreicht.
Die chronische Schwellung, die nach abgelaufener Diphtherie
zurückbleibt, bietet mehr Interesse für uns als die acute, indem
sie öfters der (gewiss oft übersehene) Grund davon ist, dass die
Kanüle lange Zeit nicht entfernt werden kann. — Laryngoskopisch
ist in diesen Fällen beiderseits unterhalb der wahren Stimmbänder
eine wulstige Schwellung der Mucosa zu constatiren. (Gerhardt,
•Rauchfuss.) Die Wulste machen die Bewegungen der Stimm-
bänder mit, behindern dieselben aber bedeutend, so dass die
Stimmbänder sich weder vollkommen öfifnen, noch auch ganz
schliessen können; in hochgradigen Fällen bleiben die Stimmbänder
fast bewegungslos liegen, indem sie sich nicht einmal bis zur
Cadaverstellung erweitern, und bei tiefer Inspiration sich sogar
einander nähern. (Dies Letztere findet indess auch statt bei Gewohn-
heitsparese, bei Recurrenslähmung, sowie auch bei Narbencontractur
zwischen den Giessbeckenknorpeln an der hintern Trachealwand.)
Ausser den 2 obengenannten subchordalen Wülsten findet sich
meist noch ein dritter, median gelegener, von der hintern Larynx-
wand ausgehender Wulst, der aber die Bewegungen der Stimm-
bänder nicht mitmacht. — Die Diagnose auf Chorditis inf. hyp
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Ursachen der Ersohwernng des D^cannlement nach Traoheotomie. 89
ist mit Sicherheit nur durch das Laryngoskop zu stellen, ohne
dasselbe kann sie nur vermuthet werden, wenn das Kind mit zu-
gepfropfter Sprechcanüle nicht frei athmet, die Localinspection der
Trachea keine Granulationen erkennen lässt, Nachgiebigkeit der
vordem obern Trachealwand ausgeschlossen ist und durch die be-
legte Stimme constatirt ist, dass bei den Stimmbändern noch
Schwellungszustände fortbestehen. Als Beispiel lasse ich zuerst
einen von Michael (1. c.) beschriebenen Fall folgen, um dann
später einen eigenen anzureihen:
Sophie V., 5 Jahr alt (citirt bei Michael, p. 628) wurde im Februar
1877 wegen Croup cricotracheotomirt; erster D^canulement?ersucb am 8. Tage,
da dieser und die folgenden misslangen. so wurde Dr. Michael zugezogen,
und dieser constatirte Ende Mai : Sprache normal laut und leicht heiser. Bei
der Phonation erscheint der Larynx bis auf eine massige Röthang der Schleim-
haut normal. Beim Versuche der Inspiration entfernen sich die Stimmbänder
nicht ganz bis zur Cadaverstellung , bei tiefer Inspiration nähern sie sich. —
Den Raum zwischen den halb geöffneten Stimmbändern sieht man von 3 rothen
Wülsten erfällt, die augenscheinlich eine Schleimhautscbwellung darstellen.
Cioer derselben, von der vordem Larynxwand ausgehend, ist unbeweglich,
zwei andere, je unter einem Stimmbande hervortretend, nehmen an den Be-
wegungen derselben Theil. Die instituirten Pinselungen von Arg. nitr. 1:10
besserten den Znstand insofern, als die Canüle jetzt laryngoskopisch wahr-
genommen werden kann. Die Professoren von Ziemssen und Oertel be-
stätigten die Diagnose auf Chord. infer. hyper. und schlugen eine Bougiekur
vor, Dr. Schmid in Reichenhall, wohin das Kind gebracht worden war, führte
dieselbe auch aus, bis im October das Kind wieder nach Hamburg zurück-
kehrte. Michael konnte keine grossen laryngoskopischen Unterschiede con-
statiren. Ab und zu Exacerbationen des Processes, die durch Pinselungen
mit Höllensteinlösung coupirt wurden. Am 15. Januar zeigte das laryngo-
skopische Bild plötzlich eine Veränderung, nachdem seit einigen Tagen ziem-
lich hochgradige Heiserkeit eingetreten war. Zwischen den halb geöffneten
Stimmbändern ist ein Tumor von Kirschkerngrösse sichtbar. Derselbe ragt
nur zum Theil zwischen den Stimmbändern vor, doch ist seine Kugelgestalt
deutlich erkennbar. Er hat eine glatte, glänzende Oberfläche und eine gelb-
liche Farbe. Seine Insertion scheint unterhalb des linken Stimmbandes zu
sein. Wo dieser Tumor sich bisher aufgehalten hat, ist nicht ganz sicher zu
sagen. Ich vermuthe , dass er durch die Canüle gegen die hintere Wand ge-
drangt war. Von den reihen Wülsten war jetzt natürlich nichts zu sehen,
aber in den nächsten Tagen , in denen der Tumor wieder herabgeti eten war,
zeigten sich dieselben wieder unverändert und Hess es sieb constatiren, dass
sie mit dem Tumor, von dem nur ein kleines Bruchstück unter dem linken
Stimmbande in der Tiefe sichtbar war. in keinem Zusammenhang standen.
In den nächsten Monaten trat dann keine weitere Veränderung ein, der Tumor
war bald zwischen den Stimmbändern sichtbar, bald verschwand er zum
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90 Dr. EmilKöhK
grossen Theil. Seine Bewegungen gingen am eine Axe, die dem Verlauf des
linken Stimmbandes entsprach, aber wohl 1 Gtm. tiefer lag. Durch Husten-
stösse konnte er in die Höbe geschleudert werden, bei jeder tiefen Inspiration
und bei jeder Berührung mit der Sonde, welche häufig vorgenommen wurde,
um seine Beweglichkeit zu vergrössem und zur Vorübung für operative Ein-
griffe, ging er wieder hinunter. Dieser neu erschienene Tumor war offenbar
ein gestieltes Granulom, das aber mit der Chorditis in keinem Conneze stand.
Ende April ging die kleine Patientin nach Reichenhall, woselbst am 18. Mars
1879 die Canüle definitiv von Dr. Schmid entfernt wurde.
Griesel, Anna, 3 J. 11 Mon. Eintritt in's Züricher Kinderspital 13. 4.
1874. — 17. 4. Tracheot. sup. Bei der Operation werden Membranen aus-
gehustet, die Respiration wird frei. — 24. 4. Temp. seit dem 19. nicht mehr
bedeutend elevirt, Respiration ruhig, Wunde schön granulirend. — 25. 4.
Heute, am 8. Tage nach der Operation, versucht man zum ersten Male die
Canüle fortzulassen, die Trachealwunde klappt aber sogleich zusammen, es
entsteht starke Dyspnoe und Cyanose und die Canüle muss sofort wieder ein-
geführt werden. — 27. 4. Primäre Kehlkopfparese. — 29. 4. Starker
werdende Drfisenschwellung am Halse. — 30. 4. Sprechcanüle. Bei Gebrauch
der Sprechöffnung hustet Pat. klanglos und rauh. Drüsensohwellung am Halse
geringer. — 1.5. Der Kork wird ziemlich gut ertragen. Pat. spricht mit
lauter Stimme. — 2. 5. D^canulement nur bis Mittags möglich. — 4. 5. Der
Kork wird schlechter ertragen . Pat. soll mit Alaun inhaliren. — 6. 5. Die
laryngoskopische Untersuchung des Kehlkopfes ergiebt noch beträchtliche
Röthung und Schwellung der Stimmbänder und Aryknorpelgegend. Bei der
Respiration durch den Kehlkopf zeigen sich die Stimmbänder fast unbeweg-
lich parallel neben einander liegend. Die Alaunin balationen werden fort-
gesetzt. — 8. 5. Pat. erträgt jetzt den Kork besser. — 17. 5. Constanter
Strom. — 19. 5. Die laryngoskopische Untersuchung ergiebt etwas bessere
Erweiterungsfähigkeit der Stimmbänder, dagegen zeigen sich seitlich
unterhalb derselben zwei rothe Wülste, welche einander gegen-
überliegen und bei der Inspiration sich nähern. — Die Inspiration
ist immer sehr geräuschvoll, zumal Nachts oft sehr mühsam, obgleich Pat.
den Kork den ganzen Tag erträgt. — 22. 5. Als Ursache mehrfach auf-
getretener kleiner Blutungea ergeben sich granulöse Wucherungen, die durch
das Fenster der Sprechcanüle in diese hineinragen. Tannininhalationen.
— 24. 4. Pat. verschluckt sich immer noch leicht. Die Inspection der Trachea
von der Wunde aus ergiebt ein derbes Granulom am oberen Trachealwund-
winkel. — Mehrmals Lapis. — 2. 6. Secundäre Abducens- und Velumparese.
— 6. 6. D^cannlement (50 Tage nach der Operation). — 8. 6. Traoheal-
fistel geschlossen, die Nacht war besser, als die vorhergehende. Sprache noch
näselnd. — 9. 6. Verschluckt sich selten, Abducensparese noch total. —
18. 6. Entlassung. — 19. 6. Letzte Nacht bekam Pat. zu Hause in Folge
einer starken psychischen Aufregung wieder Erstickungsanfälle, die aber bald
wieder verschwanden. — 24. 6. Weder Husten noch Dyspnoe. — 2. 2.
Abducenslähmung nur noch spurweise nachweisbar. — Bei psychischer Auf-
regung hat Pat. ab und zu noch leichte Dyspnoe.
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Ursachen der Brsohwerung des Döcanalement Dach Tracheotomie. 91
Beide Fälle sind, wie wir sehen, durch Granulonabildung com-r
plicirt, da eben bei längerem Liegenbleiben der Ganüle ganz regel-
mässig Granulationswucherungen aufzutreten pflegen.
Ich möchte hier noch einen weiteren Fall erwähnen, der wohl
auch hieher gehört, bei dem aber die laryngoskopische Unter-
suchung nicht vorgenommen werden konnte, wenigstens nicht mit
befriedigendem Erfolge. Die Wirksamkeit der angewandten The-
rapie spricht jedenfalls sehr dafür, dass es sich um eine subacute
oder chron.-catarrhalische Schwellung der Larynxmucosa handelte.
Bei Granulationsstenose sind Alauninhalationen total unwirk-
sam und wie sie bei Gewohnheitsparese oder wahrer diphtherischer
Parese hätten wirksam sein können, ist mir ebenfalls unklar.
Es handelte sich in unserem Falle um einen Knaben von ^^/^ Jahren,
Müller, Otto, der am 29. 12. 84 im Kantonsspitale Zürich durch den Abthei-
longsarzt Herrn Dr. Wies mann wegen Croup tracheotomirt worden war; so-
wohl hei der Oper., als nach derselben wurden Membranen expectorirt. Am
30. 12. kleine Nachblutung, die durch Compression gleich gestillt werden
konnte. Am 6. Tage nach der Operation wurde die Canüle entfernt. — Der
kleine Fat. konnte aber nicht entlassen werden, weil die Respiration nicht
ganz frei wurde, die Stimme war nie ganz klar, der Glottisschluss kostete dem
Knaben Mühe, alle Worte wurden mit einer hauchenden Exspiration begonnen;
die Inspiration beim Sprechen nur leicht ziehend; — Fat. yerschluckte sich
nie. Tags durch machte sich die Dyspnoe nur in geringem Grade geltend,
Nachts dagegen schnarchte der Knabe ganz schrecklich, indem die Inspiration
durch saccadirte inspiratorische Fhonation weit hin vernehmbar war, genau
wie bei Gewohnheitsparese, indess war ja der Knabe am 6. Tage schon de-
cannlisirt worden. Ab und zu, auch Tags über, Brstickungsanfälle. Als ich
den Knaben vom 25. 4. an 2 stündlich mit einer 2proc. Alaunlösung inhaliren
liess, trat schon nach wenigen Tagen Besserung ein. so dass sogar Nachts
die Respiration vollkommen lautlos wurde. Mitte Mai konnte Fat. ge-
heilt entlassen werden.
Michael (1. c.) reiht ferner den von Blanchez (1. c.) be-
schriebenen Fall hier ein; derselbe gehört auch meiner Ansicht
nach gewiss hieher, indess habe ich es vorgezogen, denselben den
Fällen von Narbenstenose zuzuweisen und zwar aus folgendem
Grunde: Wenn dieChorditis inferior sehr ausgeprägt ist, so findet im
Verlaufe der Zeit eine vollkommene Umwandlung in Narbenmasse
statt, so dass man es dann praktisch wirklich mit Narbenstenose
zu thun und darnach auch die Therapie einzurichten hat, der Ein-
fachheit wegen aber werde ich die Therapie der narbigen Ver-
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92 Dr. Emil Kohl,
engerungen nar bei den Narbenstenosen besprechen. Diejenige der
leichteren Formen, bei denen eine mechanische Einwirkung nicht
nöthig ist, ist sehr einfach and besteht in Inhalationen mit Ad-
stringentien, oder in direct anter Leitung des Kehlkopfspiegels aus-
geführten Pinselangen and Aetzungen mit Höllenstein.
Trousseau (siehe Brief an Sendler) soheiDt in mehreren Fällen, in
welchen die Ganüle einige Zeit hinduroh (42 Tage« 53 Tage, 3 Monate and
7 Monate) nioht entfernt werden konnte, ebenfalls Ghorditis infer. als Ursache
anzanehmen, sonst finde ich nur noch bei Sannö 1. c. p. 150 eine diesbe-
zügliche Mittheilung.
Sannö ciiirt, indem er von der Gewohnheitsparese spricht, einen Fall,
in welchem bis zum 30. Tage Pseudomembranen expectorirt wurden and in
welchem die Ganüle wegen Erstickungsanföllen erst 3 Monate später entfernt
werden konnte. Er fügt dann bei: «Ne serait-il pas plus simple d^invoquer
pour ce malade, au lieu du d^faut de Synergie des muscles respirateurs la
persistance de la tumöfaction de la muqueuse qui aurait obstru^ la glotte?
Je rapporterai plus loin des cas, oü Tautopsie rendit Evident oe modo patho-
genique"*, und er fügt p. 153 bei: „Ghez deuz enfants qui suocomb^rent tous
deux ä une broncho-pneumonie , la muqueuse trach^ale ötait rouge, hyper-
trophiee et formait, an niveau des cordes vocales inferieures, des bourrelets
saillanls qui obturaient la glotte. Ges malades avaient rendu des fausses mem-
branes, aucun aocident laryngö n'avait ^i6 constat^ avant IMnvasiou du croup,
on n'avait donc pas affaire ä une aitöration ancienne, mais bien ä une l^sion
röcente, resie de Ja phlogose qui avait donne lieu ä Texsudation. G'est cette
tumöfaction qui peut, entre des poussöes successives de diphthörie sur le la-
rynx, laisser celui-ci impermeable ä l'air, comme si les fausses membranes
etaient restlos en permanence ** .
IT. OranulatioiiBSteiiose.
Weitaus in der Mehrzahl der Fälle, in denen die Ganüle
längere Zeit nicht entfernt werden kann, sind Granulations-
wucherungen in der Trachea die Ursache der Respirations-
behinderung und werden wir dieser Ursache deswegen auch ganz
besondere Aufmerksamkeit schenken müssen.
Unter Granulationsstenose der Trachea versteht man eine in's
Lumen der Trachea hineinwuchernde frische bindegewebige Neu-
bildung, die in ihrem histologischen Wesen vollkommen den Gra-
nulationszapfen entspricht, welche, um das bekannteste Beispiel
heranzuziehen, in die Drainlöcher hinein wuchern, sobald ein Drain
einige Tage un verrückt in einem Wundcanale liegt. — Wie diese
letzteren das Drain schliesslich vollkommen zu verlegen im Stande
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Ursachen der Brschwerang des DeoaDulement nach Tracheotomie. 93
sind, so bilden auch die Granulationen in der Trachea ein Hinder-
niss für den die Trachea passirenden Luftstrom, so dass die Folge
der Entfernung der Canüle sofortiger Exitus durch Erstickung sein
kann. Ohne mich auf die Geschichte der Granulationsstenose ein-
zulassen, gehe ich sofort zur Beantwortung der Frage über, wie
und wann wir in einem gegebenen speciellen Falle zuerst auf vor-
handene Granulationen aufmerksam werden und welche Symptome
denselben zukommen.
Setzen wir den Fall, das D6canulement sei zur richtigen Zeit
ohne Schwierigkeiten erfolgt und es hätten sich in den ersten
Tagen, ja vielleicht selbst in den ersten Wochen nach demselben
keinerlei irgend verdächtige Erscheinungen eingestellt, so können
trotz Alledem Granulationen vorhanden sein, nur sind sie in diesem
Falle so unschuldiger Natur, dass sie eben unbemerkt bleiben,
wenn nicht die laryngoskopische Untersuchung oder ein Zufall uns
dieselben vor Augen führt. Als Beispiel sei eines Falles von
Bouchut (I. c. p. 275) Erwähnung gethan:
Es bandelte sich um ein kleines Mädchen, das 6 Wochen vorher tracbeo-
tomirt worden war. Pat. trat wegen Masern aufs Neue in das Spital ein und
erlag dieser Krankheit. Bouchut fand: „Dans 1» trachöe, non rötröcie, au
niveau de Tincision, a la partie införieure de la cicatrice, une ?^götation con-
jonctive, flottante, pödiculee, rose, mollasse, du volume d^un grain de chene-
vis environ. Le larynx.^tail sain". Während des zweiten Aufenthaltes im
Spital liess nichts die bestehende Granulation ahnen.
Solcher Fälle giebt es gewiss viele, sie werden aber in der
Regel unbeachtet bleiben. Haben dagegen die Granulationen ein
grösseres Volumen, und wachsen dieselben, so werden sich auch
allmälig Symptome einstellen, die den Verdacht auf Granulom-
bildung hinlenken müssen und meist wird es dann auch gelingen^
die Granulationen direct durch den Kehlkopfspiegel nachzuweisen.
Sollte die laryngoskopische Untersuchung unmöglich sein, so ist der
ganze Symptomencomplex doch so prägnant, dass auch ohne die-
selbe die Diagnose mit Sicherheit gestellt werden kann. Es ent-
wickelt sich unter diesen Verhältnissen bald früher, bald später
nach dem D6canulement eine leichte Behinderung der Respiration,
dieselbe erfolgt Tags durch noch ganz leicht, im Schlafe, zumal
bei Rückenlage ist sie dagegen erschwert, stridorös, ab und zu
erwacht das Kind mit Dyspnoe, die sich beim Aufsitzen indess
wieder verliert. Nach und nach wird die Respiration auch Tags
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94 Dr. Emil Kohl.
über, zuerst nur bei Aufregung und daherigera vermehrtem Athem-
bedürfniss, dann aber permanent, erschwert. Die In- und Exspi-
rationen sind gleichroässig beeinträchtigt oder die Inspiration meist
etwas stärker als die Exspiration, jedenfalls aber ist die Exspi-
ration nicht frei, wie bei Recurrens- oder Posticuslähmung. —
Immer öfter stellen sich dann dyspnoetische Anfälle ein, welche
an Dauer und Heftigkeit zunehmen und wenn keine entsprechende
Therapie eingeleitet wird, einmal im Anfalle zum Tode fuhren.
Dies ist das in änsserster Kürze nur skizzirte Bild des Suffocations-
todes an Granulationsstenose; als Beispiel folgt eine Kranken-
geschichte von Calvet (I. c. p. 389):
8 jähriges Mädchen, das am 27. Febr. 69 tracheotomirt worden war.
Das D^can. konnte am 8. Tage yorgenommen werden. — „Un mois environ
apr^s la guörison compl^te, la petile fiUe fut prise pendant son sommeil d'un
soaflement qui fit des progr^s quotidiens. Peu ä peu la respira-
tion, qui ötait rest^e libre dans ie jour, devieot difficile, puis,
une nuit, vers deux heures da matin, sans qae rien püt faire prö?oir ce qui
allait survenir, Tenfant s'^veilla en sarsaut, appela son pere en se levant
sur son lit comme tr^s-effrayöe; eile retomba morte sar sa coucbe*. Die Auto-
psie wurde leider nicht gestattet.
Michael (1. c. p. 634) sieht diesen Fall als nicht hieher-
gehörig an, indem er annimmt, dass das Mädchen an Vaguspara-
lyse gestorben sei. Er betont, dass die Dyspnoe plötzlich, einen
Monat nach der Heilung, eingetreten und das Kind schon in der
darauffolgenden Nacht gestorben sei. Wie aus dem Originale er-
sichtlich (ich citirte dasselbe deshalb wörtlich), ist dies aber nicht
der Fall; zudem hatte das Kind gute Stimme, was ebenfalls gegen
doppelseitige Recurrensparalyse spricht. Ich sehe den Fall als mit
Sicherheit hiehergehörend an.
Nicht immer indess verhält es sich, wie oben geschildert, oft
treten die Erstickungsanfälle schon frühzeitig als Hauptsymptom
hervor und sie können plötzlichen Exitus bewirken, ehe die Respi-
ration sich im gewöhnlichen Zustande des Kindes Tags aber als be-
hindert markirt; folgende Krankengeschichte mag als Beleg daf&r
dienen.
Weber, Emil. 4 J. 5 M. Eintritt ins Kinderspital Zäriob 30. 7. 82.
— Bald nach dem Eintritte muss im 3. Stadium die Tracheotomie (sup.) ge-
macht werden. 12 Seiden ligaturen sind erforderlich. Die Wunde wird mit
liq. ferri betupft. Grösse und Art der Trachealincision ist nicht notirt. So-
fort Expectoration einer Croupmembran. Respiration nach der Oper. frei.
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Ursachen der Erschwerung des D^canulement nach Tracheotomie. «95
LSilbK 1*). Zinkläppchen anf die Wände. 3. 1. Wegen blatig tingirtem
Auswurf BWGK, bald darauf eine UHQK. — 5. 8. Etwas Albuminurie. —
11. 8. Nachdem Pat. den Kork längere Zeit ertragen hat, wird heute die Ca-
nüle herausgenommen. — 12. 8. Wunde geschlossen, stark granulirend. Pat.
athmet gut. — 28. 8. Pat. wird iieute entlassen. Betreffs e?entuell yorhan-
dener diphtherischer Parese (Verschlucken, Näseln elc.) fehlt jede Notiz in der
Krankengeschichte, auch bezüglich einer Behinderung der Respiration ist nichts
notirt. Nachträglich ist der Krankengeschichte beigefügt, dass Pat. einige
Tage nach der Entlassung plötzlich in einem Erstickungsanfalle gestorben sei.
— Am 8. 9. 85 suchte ich den Vater des Kindes in Russikon auf und sagt
derselbe folgendes aus: Schon am Mittwoch, als der Knabe abgeholt wurde,
fiel es den Eltern auf, dass der Knabe, indem er ihnen bis zum Portale der
Anstalt entgegensprang, ziemlich schwer athmete, indess gaben sie nicht
weiter Acht darauf. Die ersten Tage ging es zu Hause ordentlich, immerhin
keuchte der Knabe bei der Respiration etwas. Plötzlich Samstag, Nachts neun
Uhr, erwacht der Knabe mit heftiger Athemnoth aus dem Schlafe, er wird
blau im Gesichte, zieht ein, genau wie vor der Operation, der Kranke muss
herumgetragen werden. Ob bei Beendigung des Anfalls Sciileim ausgehuslet
wurde, weiss der Vater nicht mehr anzugeben. Sonntags kein Anfall, aber
stärker behinderte Respiration als die letzten Tage. Montag früh 1 1 Uhr fährt
Pat. wieder mit Erstickungsnoth aus dem Schlafe auf. Der Anfall prolongirt
sich und um ^f^ Uhr stirbt der Knabe im Anfalle.
Pat. verschluckte sich zu Hause nie, die Stinome war voll-
kommen klar; durch die Nase entleerte sich nie genossene Flüssig-
keit, kurz e& waren absolut keine Symptome von diphtherischer
Lähmung vorhanden; gegen Spasmus glottidis spricht die lange
Dauer des Erstickungsanfalles und die Erschwerung der Respiration
auch in der Zwischenzeit; es bliebe als Möglichkeit nur noch
Relaxation der vordem Trachealwand oder Chord. infer. übrig,
beide aber machen sich, wenn vorhanden, schon bei dem D6ca-
nulement geltend. Soweit ich den Fall beurtheilen kann, scheint
mir Alles für Tod durch Granulationsstenose zu sprechen. Die
Section unterblieb leider. Wäre das Kind noch im Spitale ge-
wesen, so hätte man natürlich schon beim ersten Erstickungsanfalle
die Retracheotomie vorgenommen, um dann nach genauer Local-
inspection eine rationelle Therapie einzuleiten.
In vielen Fällen ist auch wirklich die Retracheotomie gemacht
und damit das Kind dem ziemlich sichern Tode entrissen worden;
ziemlich sicher sage ich, denn es sind doch auch schon Fälle von
*) LSK. (Lüer*scheSilbercanüle). — BWGK. (Baker'scho Weichgummi-
canüle. — LtHGK. (Leiter'sche Hartgummicanüle).
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96« Dr. Emil Kohl,
Spontanheilung beobachtet worden, wobei durch Aushasten von
Granulationsknöpfen das Hindemiss gehoben und yoUkommene
Heilung erreicht wurde. Freilich sind diese Fälle sehr selten und
es wäre unverantwortlich vom Arzte, wenn er in Berücksichtigung
dieser Naturheilung in einem dringenden Falle mit der Retracheo-
tomie oder der intralaryngealen Behandlung des Pat zögerte.
M. Miliard et M. Hemey (1. c. p. 561) erzählen folgen-
den Fall:
Richard, Henri. 14 V^ Mouate alt, Tracheotomie am 15. Dez. 73. Am
20. wird die Canüle für eine halbe Stande, am 21. zweimal während des
Tages, am 22. 3 Slunden naoh einander, und am 23. wird sie definitiv ent-
fernt, die Wunde wird durch eine Cravatte geschlossen, die Respiration ist
gut und genügend, etwas laute Inspiration. Am 24. dringt keine Luft mehr
durch die Wunde. Am 8. Jan. ist die Heilung complet, die Wunde ist ganz
vernarbt. 16. Jan.: „II tousse un peu et sa voix est enrou^e. Les jours sui-
vants les bruits du larynx et de la trachee deviennent de plus en plus nom-
breux et sonores. II existe une certaine difficult6 de la respiration (l'inspira-
tion assez faoile et Texpiration tr^s-p6nible et tr^s-bruyante.) Le matin il
fut pris d^un accös de toux et rendit un petit corps, de forme arrondie, de
consistance assez dure, et dont on voyait tr^s bien le pedicule; le volume ^tait
celui d'un petit pois, et la couleur d^un rouge foncö: o^^tait an petit caillot
adh^rent a la paroi tracbeale et formant polype. D^s le rejet de ce corps, la
respiration cessa d*6tre bruyante et la guerison definitive ne s'est pas d^-
mentie jusqu'ä ce jour". — Ob dieser Körper wirklich, wie Miliard und
Hemey meinen, ein Blutcoagulum war ist doch sehr zweifelhaft und ich gebe
Petel (1. c. p. 15) ganz Recht, wenn er dies bezweifelt und den Körper als
Granulationspolypen bezeichnet, der durch einen Btuterguss im Oentrum etwas
modificirt war. Es ist wirklich nicht leicht erklärlich , wie ein Blutcoagulum
Tage lang als gestielter Polyp trotz heftiger Hustenanfalle der Tracheai-
schleimhaut fest aufsitzen kann.
Viel häufiger als erst einige Zeit nach dem Döcanulement
machen sich die Granulationen schon während der Entfernungs-
versuche der Canüle bemerklich, oder doch wenigstens gleich mit
dem zunehmenden Schlüsse der Halswunde. Entweder ist eben die
Entfernung der Canüle gar nicht möglich» ohne dass Dyspnoe auf>
tritt, die gleich wieder zur Einführung der Canüle nöthigt, oder die
Dyspnoe setzt ganz allmälig ein und nimmt proportional dem
Schlüsse der Halsfistel zu, so dass schliesslich die Fistel dilatirt
und die Canüle ebenfalls wieder eingelegt werden muss. Letzteres
zumal ist die allergewöhnlichste Art, in welcher sich die Granur
lationsstenose bemerklich macht. Ehe ich indessen in der Be-
sprechung derselben weitergehe, will ich noch die einschlägige
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Ursachen der ErschwernDg des D^canalement nach Traoheotomie. 97
Gasaistik hier einschalten, um mit Berücksichtigung derselben dann
den Sitz der Granulationen, ihre Entstehungsursachen, ihre Wirkungs-
weise und endlich ihre Therapie erörtern zu können. Die Casuistik
ist, wie wir gleich sehen werden, ziemlich reichhaltig und mag
Viele überraschen, die noch an die Seltenheit, der Granulations-
stenose glauben; übrigens enthält dieselbe fast nur die in der fran-
zösischen und deutschen Literatur veröffentlichten Fälle.
a. Das D6canulement hat zur rechten Zeit und ohne Schwierig-
keiten stattgefunden. Es haben sich Granulationen entwickelt, die aber
keine Symptome machen und nur zufällig zur Beobachtung kommen.
Hieher gehört der oben erwähnte Fall von Calvet.
ß. Das D6canulement hat zur rechten Zeit und ohne Schwierig-
keiten stattgefunden. Es stellt sich einige Zeit hernach aber
Dyspnoe ein, welche durch spontanes Aushusten von einem Granu-
lationspolypen von selbst wieder verschwindet.
Hieher gehört der oben erwähnte Fall von Miliard und Hemey.
y. Es sind Granulationen in der Trachea constatirt, dieselben
heilen aber spontan durch Schrumpfung:
Dr. S. Hejerson (1. c. p. 862). Der 4jährige Knabe C. B. kam am
15. Sept. 1883 in Behandlung von Dr. Meyerson. Tracheotomie wegen
Croup vor einem Jahre. Cricotracheotomie. Wundrose. — Am 10. Tag erster
D^caDulementversucb; dasselbe war und blieb unmöglich. — Meyerson
constatirte laryngoskopisch Granulationen im obero vordem Wandwinkel.
„Ich fand die Stimmbänder von normaler Farbe und Beweglichkeit; bei
ruhigem Athmen, resp. offener Glottis, bemerkte ich unterhalb der Stimm-
bänder, an der vordem Wand, eine Geschwulst von unebener Oberfläche und
dreieckiger Gestalt, von grauröthlicher Farbe, welche ^3 der Glottis ausfüllte,
mit freier, nach hinten gerichteter Spitze und breiter Basis an der vordem
Wand aufsitzend. Die Geschwulst bewegte sich mit ihrer Spitze beim Athmen
und füllte den grösseren Theil des Canales aas.^ — Am 10. October. Dila-
tation des Tracheotomiecanales mittelst des galvanokaustischen Messers. Ent-
fernung der beobachteten Granulation sowie noch einer erst jetzt am untern
Wundwinkel zum Vorschein kommenden zweiten. — Am 21. October Ent-
fernung der Ganüle, nachdem noch zuvor ein Schwamm mehrmals durch den
Larjnz gezogen worden. (Voltolini'sche Methode bei Polypen.) Nach
4 Tagen war die Wunde geschlossen. — Am 23. October wird laryngoskopisch
au der vordem Wand unterhalb der Stimmbandercommissur ein hervorragen-
der Wulst constatirt. der der nach innen umgestülpte Rand der Wunde zu
sein schien. Stimme klangvoll; Respiration frei. — Am 30. October wieder-
iKtlte ich die laryngoskopiscbe Untersuchung und fand ich die Stimmbänder
normal, unterhalb derselben an der vordem Wand ein wenig Granulationen.
Die 3 Wochen später, am 21. November, vorgenommene Untersuchung ergab
f. L»Bg*iib«ek, AreblT f. CUrurff«. IX2LV. i. 7
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98 Dr. Emil Kohl,
an derselben Stelle eine Hervorragung an der Schlei mhaat, welche im Darch-
messer 3 Mm. hatte. Dieselbe war von grauröthlicher Farbe , uneben , doch
bewirkte dieselbe keine stenotischen Erscheinungen, so dass das Athmen Toll-
kommen frei war. — Ein Recidiv der Granulationen in früherer Grösse be-
fürchtend, unterzog ich den Knaben regelmässigen Untersuchungen in je 2 bis
3 Wochen und überzeugte mich, dass die Geschwulst sich im December lang-
sam vergrösserte, so dass sie fast die Hälfte der Glottis einnahm, ohne jedoch
irgend welche Respirationsbeeinlrächtigung hervorzurufen. Vom Januar 1884
ab fing dieselbe an. sich zu verkleinem, ohne dass irgend welche locale
Therapie angewandt worden wäre. Im Februar fand ich schon nur einen
kleinen Saum an der frühern Stelle der Geschwulst und am 3. März war auch
dieser vollständig verschwunden, so dass Larynz und Trachea sich vollkommen
normal vorstellten. Den Knaben fand ich nun viel besser körperlich ent-
wickelt, gut genährt und wohl aussehend.^
S. Spontanheilung einer durch einen Granulationspolypen be-
dingten Granulationsstenose durch Einkeilung des gestielten Polypen
in die Wundfistel.
Rouzier-Joly (1. c. p. 297). Josef R. . 3 Jahre alt. Tracheotomie
13. 1. 1864. Das Döcanulement ist behindert durch eine Granulation, die
vom vordem obern Trachealwundwinkel ihren Ausgangspunkt nimmt. Die
Granulation wird öfters mit dem Stifte touchirt, indess regenerirt sie sich
immer wieder. Fat. trug im März 1865 immer noch eine Ganüle und zwar
die Labord'sche kurze Ganüle, die nur bis zur Tracheal wunde führte. Bei
der Entfernung der Ganüle, die fast ganz aus der Halsweichtheilwunde heraus-
gedrängt war, schien eines Tages die gestielte klappenförmige Granulation
in denWundoanal geschleudert und daselbst festgehalten (eingeklemmt) worden
zu sein. Das Kind athmete in diesem Momente frei durch den Kehlkopf und
indem die Ganüle nicht wieder eingeführt wurde, blieb die Granulation in der
Trachealfistel eingeklemmt, es trat so spontan vollkommene Heilung ein. —
Rouzier-Joly schreibt die Heilung der Laborde'schen Ganüle zu, Michael
(1. c. p. 632) scheint ihm beizustimmen, ich meinerseits hege die Meinung,
dass der glückliche Zufall, der den Polypen in den Fistelcanal schleuderte und
dort festhielt, die Ursache ist. Die gleiche Ansicht hegen Gentit und Boekel.
€. Mehr oder weniger zufällige Heilung einer Granulationsstenose,
indem durch die Einführung oder durch das Herausnehmen der
Canüle Granulationspfiröpfe abgequetscht werden.
Cadet de Cassicourt (Traitö p. 228). Ein Knabe von 4 Jahren wurde
am 23. Jan. wegen Group operirt. Die Ganüle konnte schon 3 — 4 Stunden
täglich entfernt werden, als am 2. Febr. bei ihrer Herausnahme plötzlich
Dyspnoe auftrat. Am andern Tage warf das Kind einen Granulationspfropf
aus. Täglich wird die Ganüle zu entfernen gesucht, muss aber meist sofort
wieder eingelegt werden. Sehr oft trat sofort darauf ein Grstickungsanfall
auf, der mit der Expectoration eines Granulationspfropfes endete. Dieses, der
Wiedereinführung folgende Auswerfen von Granulationsknöpfen dauerte bis
zum 18. Febr. an; hierauf Decanulement und Heilung.
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Ursachen der Erschwerung des D^canulement nach Tracheotomie. 99
Carri^ (J. c. p. 47). Ein Kind von 6 Jahren, L^on Chapuis, wnrde
am 21. Sept. 1877 anf der Abtheilang von Dr. Bergeron wegen Croup
tracheotomirt. Anfangs war der Verlauf sehr günstig, aber die Versuche, die
Canale zu entfernen, blieben ohne Erfolg, sobald die Canäle entfernt wurde,
traten Erstickungsanfälle ein. Eines Tags war die Wiedereinführung der
Canäle sehr schwer, aber der Erfolg war, dass 2 polypöse Granulationen aus-
gehustet wurden, den zweitfolgenden Tag wiederholte sich dies; 3 Tage nach-
her, 9. October, konnte die Canüle entfernt werden, die Respiration war und
blieb ganz frei. — „C'^taient donc bien ces trois bourgeons charnus qui, par
leur pr^sence davis la trachte, 6taient le point de d^part des accidents asphy-
xiques chaque fois qu'il y avait tentative d'ablation de la cannle."
f. Das D6canulemeat gelang entweder ohne die geringsten
Schwierigkeiten oder es war durch Granalombildungen erschwert.
Einige Zeit nach demselben tritt Dyspnoe auf und in einem der
ab und zu auftretenden Erstickungsanfällen stirbt das Kind.
Krishaber 1. c. p. 317 und 667. — Dieser Fall findet sieb sehr oft
citirt, bald als wahre Granulationsstenose, bald als Beispiel von prae exi stiren-
dem Polypen. — Er fällt wohl auch mit dem von St. Germain I. c. p. 160
citirten Falle zusammen. — Charles D. 32 Monate alt. Tracheotomie nach
der Methode von St. Germain von ihm selbst ausgeführt. — Das D^c. wollte
nicht gelingen, bis zum 20. Tage blieb die Canüle liegen. — Nach dem D6c.
war die Resp. nie ganz frei, oft, zumal Nachts, starke Einziehungen, übrigens
in wechselnder Stärke. Die Stimme war dabei ganz klar. Vom 56. bis
88. Tage nach der Operation trat bedeutende Besserung ein , Fat. hatte fast
gar keine Beschwerden: „Les troubles cessent brusquement. ** Am 88. Tage
beginnen- die Beschwerden aufs Nene sehr heftig, 3 Tage darauf plötzlicher
Exitus unter den Augen von Dr. Krishaber und Peter, welche das Kind
untersuchen wollten. — Dr. Krishaber constatirt bei der Section „au point,
oa la section avait port^ une v^g6tation polypiforme de la grosseur d^un pois,
pourvue d'un p^dicule tr^s-court et pr6sentant Taspect d'un polype papillaire
müriforme. Le larynx 6tait absolument indemne de l^sion. — D'apr^s M.
Ran vi er. on peut admettre. que cette production n'est autre chose qu'un
amas de gros bourgeons charnus semblables k ceux qui se d^veloppent autour
des s^tons, des tubes ä drainage; mais l'examen histologique ne se refuse-pas
non plus, d'apr^ M. Ran vi er, a Thypoth^se d'un polype papillaire revötu
d'^pithölium qui sous Tinfluence de la laryngite traumatique aurait pris les
caract^es de bourgeons charnus".
Pauli, 1. c. S^/^i'i^ng&r Knibe. Die Canüle blieb unentbehrlich. In
der 6. Woche entfernt eines Sonntags früh der Vater die Canüle definitiv.
Das Kind läuft herum, wird Abends hingelegt und schläft ein, es erwacht in
der Nacht plötzlich und stirbt. Das bei der Section gewonnene Präparat des
Larynx wurde Virchow zur Begutachtung übersandt. „Es findet sich im Um-
fang der Canülenöffnung eine so starke Schwellung der Schleimhaut und eine
fast lappenartige VergrÖsserung derselben, dass man sich wohl vorstellen kann,
7*
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100 Dr. Emil Kohl,
es sei dadaroh in der Rückenlage, wo die Schwere diese Lappen naoh innen
treten lasst, eine sehr bedeutende Verengerong der Trachea bewirkt worden."
Passavant, i. c. p. 266, Tabelle, citirt ein Kind aus der Praxis von
Dr. Seh m id. Döc. am 14. Tage, das Kind starb 4 Wochen darauf zu Hause
an Qranulationsstenose.
Dr. S. Meyerson, 1. c. p. 891. Der 4 Va jährige Knabe G. aus Nowy-
dwor in Polen daselbst wurde wegen Croup Ende 83 operirt Da die Entfernung
der Canüle den Aerzten daselbst nicht gelang, brachten die Eltern das Kind
hierher. Man fand bei dem Knaben Granulationen in der Trachea und nach
Ausräumung derselben wurde die Catiüle im Anfange des Monats April 1884
definitiv entfernt. Der Knabe befand sich anfangs wohl, doch nach einer
Woche fing das Athmen an, etwas behindert zu werden. Bei der laryngosko-
pischen Untersuchung fand ich normale und sich normal bewegende Stimm-
bänder, sonst keinerlei Veränderungen, einen Blick in die Trachea zu werfen,
gelang mir nicht. Der Knabe hatte starke Dyspnoe und beim Athmen hörte
man ein deutliches Stenosengeräusch am Halse. Da sich im Larynx nichts
Pathologisches fand, so war mit aller Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass
ein Recidiv von Trachealgranulationen stattgefunden. In eine erneute Opera-
tion wollten die Eltern nicht einwilligen, kurze Zeit darauf trat durch Erstickung
Exitus ein.
Piechter-Jung citirt bei Petel p. 51. — Knabe von 3 Jahren. —
Tracheotomie 18. Mai 77 unter medianer Spaltung des Schilddrüsenisthmus.
Vom 5. Tag an ist Pat. fieberfrei und wirft auch keine Membranen mehr aus.
— Die Canüle kann am 10. Tage für einige Zeit entfernt werden, am
20. Tage definitives D6c., aber es persistirt während der Inspiration ein zie-
hendes Geräusch. Im August machte das Kind einen Landaufenthalt und beim
Herumspringen wurde das Stenosengeräusch so stark, dass die Eltern ein
Crouprecidiv befürchteten. 10. Sept. Abends im Bette bewarfen sich Kind
und Vater zu ihrem Gaudium mit dem Kopfkissen, als das Kind plötzlich er-
stickt.
Section (Professor Roth): Die ganze Laryngotrachealschleimhaat ist
sehr stark gerötbet und mit reichlichem Schleim bedeckt. Innen befindet sich
eine Narbe von 17 Mm. Länge, 10 Mm. unterhalb der Stimmbänder beginnend,
rings herum ist die Mucosa gefassreich und verdickt. Unmittelbar links von
der Narbe, Mitte deren Höhe befindet sich ein Polyp kurz gestielt 8, 5 und
3 Mm. im Diameter, der Polyp besteht aus zartem Bindegewebe, ist sehr ge-
fassreich, einzelne Rundzellen dazwischen eingestreut; er ist von Flimmer-
epithel bedeckt.
Der Fall von Calvet (8 jähriges Mädchen, Dec. am 8. Tage. Suffoca-
tionstod einen Monat nach dem Döcanulement) ist weiter oben schon citirt.
Wanscher. 1. c. p. 206. 1) S., Johanna, 6 Mon. Eintritt 3. 10.
1870. 5. 10. Tracheotomie wegen Croup. — 8. 10. Döc- Versuch heute
versucht aber misslungen. — 11. 10. Erneuter D4c.- Versuch; indess kann
Pat. nur eine Stunde ohne Canüle bleiben. Sprechcanüle. — 15. 10. Der
Kork wird längere Zeit ertragen. — 18. 10. D6c. für einige Stunden mög-
ich. — 23. 10. Ddc. — 27. 10. Respir. Nachts etwas geräuschvoll, aber
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Ursachen der Erschwerung des D^cannlement nach Tracheotomie. 101
liemlich frei. Gegen Morgen plötzlich Exitus onter Oonvnlsionen. Section
28. 10.: DieTracheotomiewunde ist median, geht durch das Lig. cricothy-
reoidenm nnd den Ringknorpel. Innere Wandseite mit einer starken laxoriren-
den Granulation bedeckt, die das Tracheallumeo fast verschliesst.
2) p 21 3. Olaf T. 3 Jahr. J)6c. am 1 7. Tage, weitere 1 7 Tage nach-
her Entlassung des Pat., der anscheinend vollkommen geheilt war. Circa
14 Tage nach dem Austritt starke Dyspnoeanfälle, mit freien Zwischenräumen.
In einem Anfalle plötzlich Suffocation. — Die Sect. ergab ein erbsengrosses
Granulom, das von den obersten Tracheairingen ausging.
PI ein er (l. c. p. 782). Grün, Heinrich, 2% Jahre alt. Tracheot.
sup. am 27. 4. 1880 wegen Diphtherie. Wunderysipelas. Am 7. Mai wird
die Canöle gewechselt, und eine Sprechcanöle eingelegt, deren Verstopfen gut
ertragen wird. Das Kind athmet durch dieselbe und spricht mit klarer Stimme.
Am 17. Mai (20 Tage nach der Operation) D^canulement und am 20. Mai
Entlassung des Kindes. — ^ Am 8. Juni stirbt das Kind zu Hause ganz plötz-
lich. Die Ursache ist ein Granulom in der Trachea auf der Tracheotomienarbe
in der Höbe des Ringknorpels. Das Granulom ist 9 Mm. lang, 4 breit.
3V2 ^ick, Basis etwas verschmälert. Der Kehlkopf zeigt keinerlei Verände-
rungen.
Neu komm citirt in seiner Arbeit einen Fall aus dem Züricher Kantons-
spitale. Die Section wurde nicht vorgenommen, immerbin handelte es sich
unzweifelhaft um Suffocation durch Granulationsstenose, wie dies Neukomm
ausfuhrlich klarlegt. Ich stimme mit seinen Deductionen vollkommen überein
und verweise diesbezüglich auf das Original. — Bregg, Frieda, 4 Jahr.
Tracheotomia sup. im Züricher Kantonsspitale durch den Abtheilungsarzt
Dr. Alb recht. Die Oanüle wurde schon früh zeitweise entfernt, definitiv
konnte sie am 11. Tage nach der Operation entfernt werden. — Das Kind
sthmete, laut Angabe der Eltern, schon am 1. Tage nach der Entlassung im
Schlafe mit scharrendem, hörbarem Geräusch, hätte nach und nach sehr eng
bekommen und sei mitten in der Nacht an einem Erstickungsanfall aufgewacht,
der aber rasch vorüberging. Am darauf folgenden Tage sei scheinbar Alles
in Ordnung gewesen. Die 2. Nacht verlief unruhig, wie die erste. Tags
darauf sei die Athmung wieder ruhig gewesen, mit ganz seltenen Ausnahmen
habe man kein Geräusch vernommen. Bei dem Abendessen sei die Kleine mit
ihren Geschwistern in Streit gerathen und habe angefangen zu weinen; in-
mitten der Aufregung habe die Athmung eingehalten, das Kind sei blau ge-
worden und in weniger als 2 Minuten erstickt.
Der im Kinderspitale Zürich beobachtete Todesfall an Granula-
tionsstenose ist bereits S. 95 erwähnt.
Socin (1. c). Bei einem wegen Croup tracheotomirten Kinde konnte
die Canüle am 16. Tage entfernt werden, am 17. Tage plötzlicher Tod durch
Suffocation, indem ein Granulationspfropf den Respirationsweg bei einem
Hastenanfalle verlegt.
17. üngeheilt gebliebene Fälle, die zur Zeit der betreffenden
Publicationen wenigstens die Canüle noch tragen.
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102 Dr. Emil KöhK
San 06 (Trait4 de la d. p. 611). Rene B., S Jabre alt, wnrde wegen
Croup tiaoheotomirt. Incision wahrscheinlich in grosser Ausdehnung. Am
Ende des ersten Monates konnte die Ganüle noch immer nicht entfernt werden.
Granulationen sind die Ursache davon. Der genauere Sitz der Granulationen
ist nicht notirt. Die Granulationen worden entfernt mit Silbernitrat und mit
Chromsäure geätzt, alles ohne Erfolg, sie reoidiviren immer wieder. — Nach
7 Monaten wird der Pat. entlassen . tritt nach 3 weiteren Monaten zur Ent-
fernung der Canüle wieder in das Spital ein. die Behandlung wird in gleicher
Weise, wie das erste Mal, wieder instituirt, bleibt aber wieder erfolglos; der
Knabe mnss schliesslich ungeheilt mit Canüle entlassen werden.
Küster (1. c.) Scharlock, Conrad. Yj Jahr alt. Cricotracheotomie 3. 3.
1875. Granulationsstenose. — Küster erweiterte die Wunde mit dem
Galvanocauter , riss einen in der Wunde sich präsentirenden langgestielten
Polypen mit der Pincette ab und cauterisirte die ganze innere Umgebung der
Wunde mit dem glühenden Drahte. — Vergebens. — Anfang 1877 trägt Pat
die Canüle noch, ist aber im Stande, mii verschlossener Canüle zu athmen und
laut und klangvoll zu sprechen. Nach Entfernung der Canüle treten regel-
mässig V2 stunde später Erstickungsanfalle ein.
Meyerson(l.c. p. 890). 1) 4 jähriger Knabe S. Anfangs 1883Tracheo-
tomie wegen Croup. Die kurz darauf vorgenommenen Versuche, die Canüle
zu entfernen, führten zu keinem Resultate. Am 12. Nov. wurde der Knabe
Dr. Meyerson vorgeführt, die genaue laryngoskopische Untersuchung konnte
der Unruhe des Knaben wegen nicht ausgeführt werden. Als Ursache der
Stenose giebt Meyerson Granulationen und eine Hervorwölbung der hintern
Trachealwand an. — Ausräumung der Granulationen führte nicht zum Ziele,
ebenso blieb die Einlegung der Dupuis'schen Canüle ohne Erfolg.
2) 3jähriges Mädchen J. — Tracheotomie im November 1883. Ent-
fernung der Canüle unmöglich , obgleich das Kind mit zugepfropfter Sprech-
canüle ordentlich athmete. Am 9. März 1884 sah Meyerson das Kind zum
ersten Male. — Laryngoskopische Untersuchung unmöglich. Starke Granula-
tionen am obern Wundwinkel, welche sogar bei starker Exspiration aus der
Wunde hervortreten. — Da aber durch die gefensterte Canüle das Athmen
ganz frei ist. so muss angenommen werden, dass in der Tiefe der Trachea
noch ein Hinderniss bestehe, das durch die Einlegung der Röhre beseitigt
wird. Am 11. März Evidement der Granulationen. — 3 Tage nach dem
D^canulement Masern, starke Schwellung und Katarrh der Luftwege forderten
Wiedereinführung der Canüle. Da das Kind sehr heruntergekommen, so wurde
dasselbe mit Canüle entlassen; erschien aber später nicht wieder.
Demme (1. c. p. 90). Bei 3 Kindern gelang es trotz der consequente-
sten Versuche, trotz wiederholter Auslöffelung der Granulationen nicht die
Canüle zu entfernen, und mussten die betreffenden Patienten deshalb mit der
Canüle entlassen werden (auf 30 geheilte Fälle). Der Grund der Unmöglich-
keit des D^canulement ist nicht specieller angegeben.
Wanscher(l. c. p. 213). Fanny K., 1 y, Jahr. Eintritt 2. 12. 1868.
Vom 10. Tage an mehrmalige Versuche, die Canüle zu entfernen. 7, 10. 1869
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Ursachen der Erschwerung des D^cannlement nach Tracbeotomie. 103
Laryngotrachealcanüle. 22.10.1870. Laryngofissur, die alte Tracheotomie-
wände liegt sehr hoch, narbige Verengerung oben an der Traoheotomiewande.
Einlegang einer gekreuzten Canüle. Keine Granulationen. — Das Kind war
9. 4. 1872 noch ungeheilt.
Boegehold (1. c). djähriges Kind. 21. 3. 1879. Tracheotomia
infer. Entfernung der Canüle wegen eines Qranulationspfropfes am obern
Rand der Trachealwunde unmöglich. Als zur operativen Entfernung ge-
schritten werden soll, wird das Kind mit der Canüle Ton den Angehörigen
aus der Anstalt abgeholt. — Weiteres Schicksal unbekannt.
Hueter (1. c. p. 72). 3 V2J&hriger Knabe, bei dem 8 Wochen nach der
Operation (Cricotracheotomie) ein Granulom von 6 Mm. Durchmesser am
untern Rande der Trachealwunde constatirt wurde. — Vor vollkommener
Heilung trat der Knabe wieder aus der Behandlung aus. Weiteres Schicksal
unbekannt.
^. Dorch therapeutische Maassnahmen geheilte Fälle von Gra-
nulationsstenose, sowie seiche Fälle, bei denen intercarrent der Tod
eintrat, ohne dass derselbe mit der Stenose als solcher im Zu-
sammenhange stand.
Bergeron (Union m^dicale 1868 p. 624) citirt bei Carriö p. 21:
^Un jeune enfant atteint de croup avait ^t^ trach^otomisö dans son Service;
ies ph^nomenes d'asphyzie disparurent anssitdt, T^tat g^nöral s'am^liora ra-
pidement, mais il y eut impossibilit6 d'enlever la canule; ä chaque tentative,
Penfant ötait pris immödiatement de touz et de suffocation. II mourut d'une
Pneumonie, trois semaines apr^s l'operation. A Tautopsie, on constata une
production polypiforme, mais qui siögeait k un centim^tre au-dessus
de l'angle supörieur de Tincision trach^ale, ä la partie införieure
du larynx. En fais&nt une enquSte rötrospective sur Ies ant^cödents de Ten-
fant, on apprit qu'il avait 6i6 trait6 deuz fois dans le courant de Pannöe
pour des accidents de fauz croup, qui vraisemblablement etaient dus a la prö-
sence de ce polype ; la production v^götante ötait bien antärieure ä la trach^o-
tomie**.
W. Koch 1. c. Grohmann, Georg, 3V2 Jahre alt. Tracheotomie sup.
au 5. Nov. 187Ö. Starke Wunddiphtherie. Am 9. Tage D^canulement.
31 Tage nach dem D6c. (14. Dezember), nachdem die Wunde bereits lange
verheilt war, Retracheotomie wegen recidivirenden Erstickungsanfallen. 4 bis
5 erbsengrosse kurz gestielte, blasse, schlottrige Granulationen, in toto eine
Himbeere von mittlerer Grösse darstellend, bilden das Hinderniss für die Re-
spiration. — Bvidement. — Da das Tracheallumen frei war und der Knabe
bei zugehaltener Fistel ruhig athmete , wurde keine Canule eingelegt. Das
Befinden war anfangs gut, später trat wiederum Dyspnoe auf, so dass am
10. Februar die zweite Retracheotomie gemachl werden musste. Tags darauf
wurde die Trachea genau untersucht und es zeigte sich eine kirschgrosse,
dunkelrothe, semmgefüllte Blase, ein Granulom. — Evidement dieser Granu-
lation , die von links hinten oben an der Schleimhaut des Ringknorpels ent-
sprang, späterhin Aetzungen mit Chromsäure. Vollkommene Heilung.
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104 Dr. Emil Köhl,
Körte 1. c. Schnlz, Hedwig, ly, Jahr. 4. 1. 78 Traoh. infer. Am
oberen Rande der Trachealfistel stark gewacherte Granulationen. BTldemeiit,
Aetzangen mit Arg. nitr. 12. 8. — 67 Tage post oper. — definitives D6ca-
nulement.
Klage, Gaste?, 3Va Jahr. 22. 7. 77. Trach. infer. Das Hiodemiss
im Döcanolement befindet sich am unteren Ganülenende. Es wird ein Gummi-
schlauch über das Ganülenende hinübergezogen und die Ganüle so eingelegt.
Daneben Aetzungen. Nach 4 Wochen D^c. definitiv. Ob es sich sicher um ein
Granulom handelte, ist ungewiss.
Richard Ohling, 4 Jahre. 1. 6. 78 Tracheotomie. Am oberen Wand-
rande befinden sich Granulationen von Erbsengrösse. Evidement derselben,
Lapisapplication, 2 mal Dupuis'sche T-Ganüle für einige Tage. — 5. 7.
(am 35. Tage) bleibendes D6c.
Scholz, Frieda, 37^ Jahr. 3. 12, 77 Trach. infer. — Am 11. Tage
dypnoische Anfälle des decanülisirten Kindes. Schlottrige weiche Granula-
tionen am oberen Wundwinkel sind die Ursache, r— Evidement, lapis. Schwel-
lung der Mucosa in den oberen Partien der Trachea und des Larynz hinderten
dann noch die Entfernung der Ganüle. Dupuis'sche T-G. Ic der 7. Woche
definitives D6c.
Send 1er. Prager Vierteljahrsschrift 1859, 4, p. 78. — Schwarzkopf,
Gurt, l'/i Jahre. Tracheotomirt am 5. Nov. 58. Am 5. Tage war der Kehl-
kopf noch undurchgängig, am 12. Tage wurde die Sprechcanüle eingelegt
und Hebungen bei eingelegtem Korke gemacht, am 19. Tage dann D6c., ob-
gleich insbesondere bei Aufregung die Respiration nicht ganz frei und zumal
die Inspiration erschwert war. Abends musste die Ganüle wieder eingeführt wer-
den. Sen dler erklärte sich die Dyspnoe aus einer doppelseitigen Posticusparese
und wandte den faradischen Strom an. wurde aber in der Diagnose wieder an-
sicher, als kurze Zeit darauf bei Gelegenheit eines Ganülenwechsels die innere
Ganüle bei der Einführung auf ein Hindemiss stiess and dieses überwindend
ein Stück einer Granulation abquetschte, die in das Fenster der Ganüle hin-
eingeragt haben muss. Bei Herausnahme der Sprechcanüle und Einlegang
einer gewöhnlichen wäre Pat. beinahe erstickt.
Dies veranlasste Sendler, Trousseaa um Rath anzugehen und da die
5 Tage darauf erfolgende Antwort noch jetzt in allen ihren Punkten als voll-
kommen richtig angesehen werden kann, so füge ich sie, wie sie Sendler
selbst citirt, im Wortlaute bei. „J'ai eu deux enfants, qui Tont gardöe (la
canule) Tun 3 mois, Tautre 8 mois; dans les deux cas j'ai cru ä l'existence
d^une inflammation chronique du larynx ayant suocöd^ au Croup et deux fois
aussi, comme l'a indiquö M. Passavant, je n'ai pu enlever la canule que
le 42* et le 53* jour de la maladie, qui semblait toe rest^e a un ^tat subaiga
pendant le long laps de temps. — A T^poque oü j'observais ces faits, mon at-
tention n'avait point encore 6\.6 fixöe sur les paralysies partielles ou gön^ralesi
qui succ^dent a la diphth^rie et aujonrd'hui je suis tent6 d'attribuer comme
Vous la g^ne extreme de Tinspiration a la paralysie des muscles aryth^noidiens
postörieurs. Toutefois, lorsque cette paralysie existe, eile am^ne une diffi-
Gulte de la d^glutition, dont vous ne parlez pas, cette difficult^ fait, qae les
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Ursaoben der Brachwening des D^cannlement nach Tracheotomie. 105
enfants laissent passer les liqoides dans le larynx, c'est lä an des plns
redontables aocidents, qai sai?ent la tracböotomie , or si Votre enfant avale
bien les liquides, il faat croire k l'existence d'une inflammation chronique des
ligaments arytböno-epiglottiqaes. — Qaoiqu^il en soit, j'ai la persuasion que
Votre enfaot guörira et je voos engagerais ä laisser, quand Vous le poavez,
ane oanale completement ferm^e dans la trach6e-art§re, et ä ne Tenlever qae
lorsqoe pendant 10 joors fenfant aura respir^ d'une mani^re normale. La
oanale a ouvertare dorsale est an instrument inutile et souvent
dangereuz, les tissus fönt bernie dans Toaverture dorsale de
la oanale et par \k rinflammation est entretenue". Sendler be-
folgt« den Ratb, versnobte ab und zo das Döc, und konnte dasselbe dann
aucb am 11. 3. definitiv vornehmen.
Smith Thomas — Medioo-Chirarg. Transaotions — citirt in Gurlt's
Jahresberiobt p. 561. Langenbeck's Archiv Band 8. Tracheotomild bei
einem 4jährigen M&dohen. Unmögliohkeit des Döc. noch nach 14 Monaten
wegen recidivirender Qranulationen. Nachdem Smith die BeobachtuDg von
Sendler kennen gelernt hatte, beschloss er nach dessen Vorgang zu handeln
and erzielte so das definitive D^c.
Beoker erwähnt 1. p. 37 einen Fall aus der Privatpraxis von Herrn
Dr. V. Mural t. Arnold B., IV4 Jahre, wurde August 80 auswärts von Dr.
Kalt tracheotomirt. Granulationsstenose erschwerte die Entfernung der Oa-
nale. Am 14. Sept. machte M uralt das ißvidement mit dem scharfen Löffel
bei hängendem Kopfe. Am 19., 21., 22. und 23. Sept. Pinselang mit
Arg. nitr. Lösung. Am 28. Sept. Versuch die Canüle zu entfernen, derselbe
misslingt aber. Vom 29. ab 3 Tage nach einander Touohirung mit Lapis
and am 3. Oktober definitive Entfernung der Canüle. — Bleibend geheilt.
Boecker- Berlin hat mehrfach solche Granulationsgesohwölste nach
Tracheotomie unter Leitung des Kehlkopfspiegels oder auch, wenn nötbig» nur
des Fingers per laryngem mit radikalem Erfolge operirt, durch ein besonders
dazu construirtes catheterformiges Instrument. (1. c.)
Monti hat 3 Fälle von Granulationsstenose gesehen, es folgt indess
keine nähere Notiz über dieselben. (1. c. p. 332)
Krönlein. Agnes|Tschanke, 1 Jahr 11 Mon. Tabelle No. 262. Ope-
rateur Dr. Böse. In diesem Falle, in dem die Canüle ^2 Jahr liegen blieb,
bestand das Hinderniss, welches die Canüle so lange unentbehrlich machte,
in Granulationswucherungen, die vom obern Wundwinkel in das Tracheal-
lamen hineinragten und erst allmälig durch Touohiren mit Höllenstein und
eine Bougicknr beseitigt werden konnten. (1. c. pag. 301.)
Settegast (l. c.) notirt unter 161 Heilungen 4 Fälle, bei denen das
D^canulement erschwert war, der eine davon fällt mit einem später zu er-
wähnenden Fall von Körte und Krön lein zusammen, in den andern 3
Fällen waren Granulationen ^die Ursache, deren Zerstörung das Uebel be-
seitigte.
Socin (1. c.) notirt 3 Fälle. 1. Döcanulement erst in der^fünften Woche
mdgüeh, weitere Notiz fehlt. 2. D^canalement erst am 47. Tage, nachdem
ein^klappenartig in die Trachealwunde hereinragender Zipfel mittelst Thermo-
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106 Dr. Emil Kohl.
caater zerstört worden. 3 . D^canalement am 55. Tage, nachdem za wieder-
holten Malen nach blutiger Dilatation der Halswande die üppige Granu-
laiionsbildong der Fistel sowie ein frei in das Tracheallamen hineinragender
Granulationspfropf mit dem Thermocauter zerstört worden.
Hagenbach (1. c.) Unter 69 Fällen, bei denen fast durchweg die
Cricolracheotomie gemacht wurde, finde ich 8 Fälle notirt, bei denen theils
ein Evidement von Granulationen, theils Versengung derselben mittelst des
Thermooauters vorgenommen wurde.
Voigt (l. c. p. 147.) 3 Pat. befanden sich (von 10 geheilten) lange
Zeit im Spiiale, da wegen Granulationspolypen, die vom obern Trachealwund-
winkel ausgingen, die Ganüle nicht entfernt werden konnte. Die Granula-
tionen konnten erst nach und nach durch Touchiren mit Höllenstein beseitigt
werden, eines der Kinder, 1 y^ Jahre alt, musste zum 2. Male, der Granula-
tionsstenose wegen, tracheotomirt werden. Immer Cricotracheotomie.
Krabbe 1 (1. c.) Ein Kind musste die Ganule noch Monate lang nach
der Operation tragen, als Ursache wurde Granulationsstenose gefunden and
nach gründlichem Evidement konnte das Kind bald geheilt entlassen
werden.
Till mann s erwähnt in einem Referat. Gentralblatt für Ohir. 1874.
p. 504 einen eigenen Fall von Granulationsstenose. Weitere Notiz fehlt
darüber.
Pauli (1. c.) erwähnt zweier Fälle, eines 15 Monate alten Kindes ond
eines 4jährigen Knaben, die beide an Granulationsstenose litten, bei beiden
hatten die Granulationen am innern obern Wundrande ihren Sitz. Heilang
nach 1 resp. nach 2 Jahren.
Plenio (1. c.) Granulationsstenose bei einem Kinde; dasselbe konnte
nicht 5 Minuten ohne Ganüle athmen, wahrscheinlich hatte sich eine Granu-
lationsgeschwulst gebildet, die wohl später narbig zusammenschrumpfte,
denn nachdem eine Zeit lang die Ganüle dauernd getragen worden, wurde bei
einem Versuche, dieselbe fortzulassen, der Kehlkopf frei und wegsam ge-
funden, es bildete sich kein Recidiv aus.
Basler (1. c.) 3jähriges Kind. Tracb. sup. 11. 2. 83. — Grann-
lationsstenose. Anfangs wurde 2 Mal der Galvanocauter, später, Ende März,
30 proc. Cbromsäure zur Zerstörung der Granulationen benutzt, diese letzteren
sassen am obern sowohl als am untern Rande der Trachealöffnung. Am 2 1 .
April bleibendes Decanulement. — Im November noch kein Recidiv.
Pinner (1. c.) Auf 33 Heilungen sind folgende Fälle notirt: 1. Külker,
Marie. 4 Jahre. Trach. inf. 14. Juli. Am 25. Juli erster Versuch, die Ganüle
zu entfernen, derselbe misslingt. Am 9. August Spaltung der Wunde nach
oben und Entfernung aller stark vorspringender Granulationen. 13. Sept.
definitives D6canuiement. 2. Isele Josef, 5 J. Am 10. August Traob.
infer. Am 19. August erster Decan u lernen tversuch ; derselbe misslingt. Bein
zweiten D6canulementversuche am 12. September fällt ein kleiner Grana-
lationspfropf vor, der abgequetscht wird. Decanulement gelingt definitiv. 3.
Hecht, Garl, 5 J. Trach. inf. am 27. Nov. Am 10. Tag erster D^canule-
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Ursaoben der Erschwerung des D^canulement nach Traoheotomie. 107
menisTersacb ; derselbe misslingt. Am 30. Tag zweiter D^canulementsversuch
nach Entfemcing eines Granuiationspfropfes. >- Keine vollkommene Besserung.
Am 7. Januar 1880 beiderseits Exstirpation der Tonsillen. Am 21. Jan. de-
finJÜTe Entfernung der Canüle.
Dr. Walzberg und Dr. Riedel (i. c. p. 103.) Ein 87« Jahre altes
Kind, das wegen Croup operirt worden, genas glücklich. 4 Wochen nach
der Operation traten wieder inspiratorisohe Suffocationserscheinungen auf,
durch Granulationen in der Trachea bedingt. Heilung durch Insufflationen
von Alumen dep. Das gleiche Leiden führte auch einen 7jährigen Knaben in
die Klinik, der vor 3 Monaten wegen Group und 6 Wochen später wegen
Granulationen retracheotomirt worden war. — Die Granulationen sassen ober-
halb der Trachealwunde und wurden nach und nach durch Aetzungen mit
Arg. nur. zerstört.
Dolore (1. c.) Cobet, Gl. 2\^J. Trach. H.August. Am 17., 20.
und 22. vergebliche Versuche die Canüle zu entfernen. Am 10. Sept.
Sprechcanule. Ein grosser Granulationspolyp des obern Wundwinkels erscheint
am 11. Sept. im Canulenfenster und wird zum Theil durch die Canüle guillo-
tonirt. Nachdem im November 3 Wochen lang alle 2 Tage der Stift applicirt
worden, gelang am 27. Nov. das definitive D^canulement.
Fourni6 (1. c. p. 396) hat ein Mal einen Schleimpolyp in der Nähe
der Narbe^ bei einem Kinde gefunden. Derselbe wurde mit dem Stiele ent-
fernt, der Grund mit Silbernitrat geätzt. Heilung.
Rogivue et de la Harpe (1. c. p. 610). E. E., Knabe von 6 Jahren.
Derselbe wurde am 11. Aug. 1881 durch Dr. de la Harpe in Lausanne
tracheotomirt. Wegen secundärer Hämorrhagie wird eine B.-W. G.-C. einge-
legt, Ende September (also viel zu spät) erster Decan. -Versuch. Da derselbe
nicht gelang, so wurde er nicht wiederholt und die Canüle blieb bis März 82
liegen. Am 13. März kommt der Knabe in Behandlung von Dr. Rogivue.
Dieser entfernt die BWGC. und legt eine LtHGSprC. ein. Am 20. März
wird beim Canülenwechsel ein Theil eines Granuloms des oberen Wundwinkels
abgeschnitten. Am 25. ebenso mit nachfolgender Aetzung. Den April hindurch
wiederholte Cauterisirungen , nichtsdestoweniger ist am 25. April notirt: le
granolöme a bien grossi, il est mobile et p6dicul^. Am 3. Mai gründliches
Evidement in Narkose unter Erweiterung der Wunde mit dem Messer. Aetzung.
Am 16« Mai definitives Döcanulement.
Kocher (Kaufmann, 1. c. p. 238) demonstrirte an der schweize-
rischen Naturforscher -Versammlung in Bern 1878 einen 4 jähr. Knaben, der
ein Jahr lang die Canüle getragen hatte und deren Entfernung erst gelang,
nachdem eine kleine Granulationswucherung am oberen Wundwinkel galvano-
liaiistisoh zerstört worden war.
Arohambault (L 0- Q^ret. Eugene, 57, Jahre. 27. März 78 Crico-
^acheotomie nach St. Germain durch den Arzt vom Tag^ M. Du bar. —
1. April definitives Decanulement. 13. April Austritt. — Erst 5 Wochen
kemacb (7 Wochen nach dem Döoanulement) traten die ersten Symptome von
Stenose auf, zuerst wurde Nachts die Respiration genirt und laut, dann
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108 Dr Emil Kohl,
stellten sieb, immer Nachts, leichtere Erstidrongsanfalle ein. Darauf auch
am Tage Anfälle, darch Zornaasbrüche herrorgemfen. Ausser den Anfallen
Tags über nnr leichte Erschwerong der Inspiration. Das Kind giebt an, es
fühle ein Ding, dass sich im Halse auf- und abwärts bewege. — Am 6. Jnli
Wiedereintritt in das Spital. Am 27. Juli (4 Monate nach der ersten Tracheo-
tomie) heftiger, langsam progredirender Ersticknngsanfall. Retracheotomie
durch Dr. Petel nach praeparatorischer Methode. Ohne dass eine genauere
Untersuchung vorgenommen wurde, wird die Canüle wieder eingelegt. Gra-
nulationspolypen wurden keine gesehen. Der Kork wird nicht ertragen^
Summe ohne Timbre. — Am 24. August ist ein Hinderniss bei Einfuhrung
der Canüle notirt (Luer No. 3). Das Kind hustet dabei ein Stückchen einer
Granulation aus. — Am folgenden Tage wird eine grosse flotirende, membra-
nöse Granulation, die Velumartig am oberen Wandwinkel aufsitzt, gefunden.
Auf Touchirung vermittelst Aetzmittelträgers etwas Besserung, doch unbedeu-
tend. — 24. März : Die Membran am oberen Wundwinkel ist nicht mehr zu
sehen. Nach wiederholtem Suchen nach der Ursache der Stenose wird endlich
heute der Grund aufgefunden. Während dem heftigen Schreien bei der Unter-
suchung sieht Arcbambault einen rothen Körper von der Grösse einer
kleinen Erbse, gestielt, der Respiration folgend, in der Trachea auf- und ab-
steigen; der Stiel ist dem oberen Wundrande implantirt. Arcbambault
ergreift den Polypen mit einer Pincette, reisst ihn ab und touchirt den Grund
mit Lapis. — Bereits am folgenden Tage brillanter Erfolg, das Kind kann
vollkommen frei ohne Canüle athmen. — 8 Tage nach der Entfernung des
Granulationspolypen wird die Canüle dann definitiv entfernt. Die Wunde
schloss sich sehr rasch, die Respiration blieb seither vollkommen frei.
Boegehold (l. c). 1' ^jähr. Kind, 12. 3. 79 eingetreten. Die Tra-
cheotomia inferior muss bald darauf ausgeführt werden. — Die Canüle konnte
nicht entfernt werden, der Grund davon war, wie dies die Section lehrte,
ein grosser Granulationspfropf am oberen Rande derTrachealwunde. Das Kleine
war nämlich 1. 4. an Bronchitis und Entkräftung gestorben, ohne dass es
vorher gelungen wäre, die Canüle zu entfernen.
Reiffer (1. c. p. 182.). Kind von einem Jahre. Tracheotomie wegen
Croup am 14. April 1859. Durch den Mund eingebrachte Milch fliesst vier
Tage lang zur Canüle heraus, es wird deshalb ein dicker Katheter als Schlund-
sonde gebraucht. Granulationswucherungen in der Wunde. Erstickungs-
anfall nach Herausnahme der Canüle noch am 33. Tage. Säuberung des
Kehlkopfes vermittelst eines an einem Faden durchgezogenen Charpiebäusoh-
chens mit frappantem Erfolg. D^canulement am 35. Tage nach der Operation.
Störk (1. c. p. 544) citirt einen Fall mit mächtigen Granulationen
unterhalb der Stimmbänder. Es betraf dies einen 4*72 jährigen Knaben, der
seit ^/^ Jahren die Canüle trug. Durch eine Hartkautschukröhrenbougiekur
und durch Vorbinden eines blossen Canülenscbildes , um dem Kinde den
Glauben zu belassen, es trage die Canüle noch, wurde Heilung erzielt.
Küster (1. c). 1) Die Canüle der Martha Zucker, 4 J. alt, 29. 9. 75
cricotracheotomirt, konnte, ohne dass Erstickungsanfälle auftraten, nicht weg-
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Ursachen der firschwerang des Deoannlement nach Tracheotomie. 109
gelassen werden. Als am 28. 1. 76 die Laryngofissur gemacht werden sollte,
starb das Kind an Gbloroformsynkope. Das Kind war schon Tage lang vorher,
trotz der Canüle, cyanotisch. — üeber die Section ist nichts berichtet. —
(Es hat sich wohl um eine Qranalations- oder Narbenstenose am unleren Canülen-
ende gehandelt, wie in einem später zu erwähnenden Falle von Zimmer lin.)
2) Carl Busse, 2 J. 2. 12. 75 Cricotracheetomie. Der Knabe wurde
6. 2. 76 wegen Qranulationsstenose entlassen, die Canüle konnte erst mehrere
Monate nach der Operation definitiv entfernt werden.
Passavant (1. c. p. 507). 6jähr. Knabe, der in der Pfalz 27. Sept.
1863 laryngotomirt wurde (im Ligam. conoideum). Die Qranulationsstenose
wurde von Passavant durch Bzcision der Granulation mit dem Messer ge-
beilt. Febr. 64 konnte Pat. geheilt entlassen werden. [Ich notire den Fall
hier bloss, weil Passavant desselben in seiner Arbeit Erwähnung thut, er
gehört aber nicht hierher, da der Knabe wegen einer Bohne in der Trachea
operirt worden. Die Vorgeschichte des Falles findet sich bei Boeckel
(1. c. p. 43).]
Claud. Qigon (1. c. No. 55.). Knabe Vignou^ 3^2 Jahre alt. Tra-
cheotomie 30. 6. 60 durch Dr. Bisette. 4 Tracheairinge werden durch-
schnitten. Erstes D^canulement Mitte Juli, am 14. Tage; die äussere Wunde
grannlirt äppig, muss öfters touchirt werden. Ende Juli Dyspnoe bei psy-
chischer Aufregung, Nachts ist die Respiration behindert und schnarchend.
Am 12. Aug. durch psychische Einwirkung (der Bruder des Pat. stösst den
Kleinen, so dass er zu Boden fällt — Zornausbruch) suffocatoriscber Anfall,
aus welchem Patient nicht mehr herauskömmt. Ketracheotomie. Dabei
zeigen sich 3 Qranulationspolypen am oberen Rande der alten Trachealinci-
sionsnarbe von der Grösse kleiner Erbsen, gestielt. Exstirpation und Lapis-
application. 3 Tage darauf D^canulement und definitive Heilung.
Revilliod (de Genöve) (1. c). 1) Kind von 3 Jahren, tracheotomirt
18. 11. 74. — Granulationen am oberen Wundwinkel. Durch Entfernung
derselben und Aetzen mit Silbernitrat Heilung. D^canulement am 4 1 . Tage.
2) Kind von 19 Monaten, tracheotomirt 8. 7. 74. Granulationsstenose.
Genauer ist der Sitz der Granulationswucherungen nicht angegeben. — Hei-
lung wie oben. D^can dement am 83. Tage.
3) Kind von 26 Monaten, tracheotomirt 8. 7. 74. — Kranz von Gra-
nulationen an der Trachealincision. Heilung wie oben erzielt. — D^ canüle-
ment am 113. Tage.
Cadet de Cassicourt (1. c.) erwähnt p. 229 zweier Fälle, in denen
das D^canulement wegen Granulationswucherungen erst am 35. Tage statt
haben konnte, daneben spricht er noch von einem Fall, in welchem aus dem
gleichen Grunde die Canüle 3 Monate lang nicht entfernt werden konnte.
Hagonnai (1. c). No. 71 der Tabelle. Paulina Mai, 6 Jahr, Eintritt
11. 12. 74. Pat. wurde 3 Monate vor dem Eintritt draussen wegen Croup
operirt. Verlauf gut, doch kann die Canüle nicht entfernt werden. Nach
mehrmaligem Wechsel von verschieden dicken Sprechcanülen , die Granula-
tionen 2 Mal geätzt, wird die Canüle am 34. Tage des Spitalaufenthaltes ent-
fernt. Die Canüle lag im Ganzen 126 Tage.
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110 Dr. Emil Kohl.
Billroth 0- c- P* ^01.)* Unter 12 Tracheotomieeo in Zdrioh hatte
Billroth 1 Heilung (B. machte die Tracheotomie immer im Lig. conoideam).
^Der glücklich verlaufende Fall betraf einen Knaben von 4 Jahren. Die
Ganale konnte erst am 20. Tage entfernt werden, weil sich fraher immer
üppige Granulationen der Haiawunde in die Trachea hineinzogen. Erst nach
wiederholten Abtragungen und Aetzungen konnte ich die Canüle dauernd
entfernen."
Fleiner (1. c. p. 751.). Heinrich Fasig, 3 J. alt. Tracheotomie aus-
wärts am 14. 8. 83. Die Canüle konnte nicht entfernt werden wegen Gra-
nulationen, die nach Fleiner durch eine schlechte Canüle bedingt waren und
wohl, wenn ich die Krankengeschichte recht verstanden habe, am unteren
Canüleuende an der Rückwand der Trachea sassen; die Canüle hatte am un-
teren Ende nach hinten einen scharf rand igen Defect. Heilung durch Tragen
der R 05 er 'sehen Nachbehandlungscanüle. Die dem D6oanulement folgende
^ inspiratorische Dyspnoe mit eigenthümlichem, dem Cheyne-Stokes'sohen
ähnlichen Rhythmus "^ ist wohl als Gewohnheitsparese anzusehen, wenigstens
findet sie sich bei Gewohnheitsparese constant in der beschriebenen Weise vor.
Fleiner (1. c. p. 830.) Carl ürban Vogt, 3 J. alt. 1. 1. 80 Traoh.
sup. Sehr hoch liegende Schilddrüse. Nach der Operation wird sofort eine
Sprechcanüle benutzt. Am 9. 1. wird zum ersten Male der Kork eingelegt,
doch wurde er nicht ertragen. Die Unmöglichkeit die Canüle zu entfernen
beruhte auf Granulationswucherungen , welche durch das Fenster der Canüle
in deren Lumen hineinragten Lapisapplication führt nicht zum Ziele. Am
7. 5. versengte Prof. Czerny die Granulation gründlich mit dem Thermo-
kauter. Am 15. 5. konnte darauf die Canüle definitiv entfernt werden. Sie
hatte 1 35 Tage gelegen.
Störk (Klinik p. 544). Ein 472 jähriger l^^^^* ^^^ auswärts tracheoto-
mirt worden war. kam V4 Jahre nach der Operation im Jahre 1877 zu Störk,
weil die Canüle immer noch nicht entfernt werden konnte. Pharynzgebilde
normal, Epiglottis unverändert, introitas ad laryngem verengert, man sah blos
eine ganz kleine dünne, lancettförmige Oeffnung. Auf Pinselungen mit Arg.
nitr. solut. nahm die Schwellung etwas ab. Nachdem eine genauere Unter-
suchung von oben als auch von unten von der Trachealfistel aus ermöglicht
war, stellte es sich heraus, dass sich unterhalb der Stimmbänder mächtige
Granulationen gebildet hatten. Das täglich zweimal vorgenommene Einführen
von Hartkautschukröhren bewirkte allmälig eine Schrumpfung dieser Massen.
Nachdem diese Therapie einige Wochen hindurch fortgesetzt und der Canal
zusehends weiter wurde, versuchte ich die Canüle zu verstopfen. Nach einer
halben Stunde trat aber, während der Knabe herumsprang, grösseres Athem-
bedürfniss ein, der Knabe bekam Angst und versuchte die Canüle aus dem
Larynx herauszureissen. Ich versuchte nun in der Nacht, im Schlafe die Ca-
nüle zu verstopfen und siehe da, er ertrug das Athmen durch die natürlichen
Luftwege ganz gut. Ich entiiess das Kind also gebessert und als es nach
Monaten wiederkam, entschloss ich mich, auf die Erweiterung der Glottis rech-
nend, statt einer Canüle einen zapfenförmigen Pfropf in die Traohealwunde
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Ursachen der Erschwerang des D^canalement nach Tracheotomie. 111
zu stecken. Ich verkleinerte den Zapfen immer mehr bis ich ihn eines Tages
ganz entfernen konnte. Vollständige Heilung.
Wanscher 1. c. p.211. l)CarlG. 3J. Eintritt 5. 6. 75. Ende April
Tracheotomie wegen Croup auf der med. Abtheilung des Spitaies. 5 Wochen
später kömmt Fat. auf die I. (chirurg.) Abtheiiung, die Canüle war entfernt seit
längerer Zeil, Wunde noch nicht ganz vernarbt. Den ersten Monat bemerkte
man nicht viel Abnormes, dann aber trat Nachts Behinderung der Respiration
ein and am 16. 7. trat bei psychischer Aufregung ein Erstickungsanfaii auf;
gemischte Dyspnoe. Retracheotomie. Bei der Operation heftige Blutung,
indem das Granulom mit durchschnitten wird. 29. 7. Döc. definitiv.
2) Elisabeth S.. 3 Jahre all. Eintritt 14. 9. 67. Sofort Tracheo-
tomie wegen Croup. 24. 9. I. D^c- Versuch, derselbe misslirgt aber. 30. 9.
Mehrere Versuche die Canüle zu entfernen misslingen. Einlegung einer La-
ryngealcanüle . nachdem eine bedeutende Granulationsmasse durchschnitten
worden war. 24. 1. 68. Nachdem Fat. einige Zeit lang eine Sprecbcanüle
getragen, kann heute die Canüle entfernt werden. 5. 2. Wunde fast ge-
schlossen. — 7. 2. Austritt.
3) Kind F. 5 Jahre alt. Eintritt 22. 4. 73. 22. 4 Tracheotomie im
3. Stadium. Die Trachealincision wurde zuerst zu hoch und seitlich gemacht
(links in der cartil. thyr.). Zweite Incision tiefer und median. — 6. 5.
Dec- Versuch, derselbe misslingt aber, wahrscheinlich aus Angst des Kindes.
5. 6. Später war es nicht möglich die Canüle zu entfernen. Laryngoscopisch
ist nichts nachweisbar. Stimmbänder weiss und beweglich. — Scarlatina.
15. 7. D6c. noch nicht möglich. 26. 11. kann die Canüle höchstens eine
Viertelstande entbehren, tritt heute aus. — 5. 5. 75. Trägt die Canüle immer
noch. Erträgt den Kork in der Sprechcanöle gut, Stimme laut. Die Canüle
wird entfernt, die Wunde mit Heftpflaster geschlossen. Januar 76 eine Lufi-
fistel ist zurückgeblieben. Januar 77. Die Luftfistel schloss sich auf eine ein-
zige Cauterisation sehr rasch, Fat. ist vollkommen geheilt.
Wanscher, 0., 1. c. p. 186: Inger, H.. 3^/^ Jahre. Tracheot. sup.
26. 7. 75. 2. 8. wurde, ohne Erfolg, der erste Versuch gemacht, die Ca-
nüle zu entfernen, ebenso 6. 8. — 19. 8. Finselungen mit Höllensteinlösung.
Stimme klar. 25. 8. Alle 2 Tage Finselungen mit Silbernitrat. 30. 8. Tags
durch erträgt Fat. den Kork gut, Nachts dagegen nicht. — 3. 9. Eine hahnen-
kannDförmige Granulation die in der Tiefe der Wunde, am obern Wundwinkel,
aber ausserhalb der Trachea sitzt und durch die Inspiration in dieselbe hin-
eingezogen wird, wird mit einer Fincette abgekniffen and mit Lapis touchirt.
5. 9. FolypÖses Granulom innerhalb der Trachea am rechten oberen Wund-
rande, dasselbe wird mit der Fincette abgekniffen, Lapis. — 8. 9. Mehrmals
Lapis. — Es macht sich indess bald ein zwar fieberloser, aber sehr beunruhi-
higender Schwäch ezustand bei dem Kinde geltend. — 9. 9. Austritt mit Ca-
nüle, am 29. 9. trat zu Hause Excitus an Anorexie ein, trotzdem es versucht
wurde durch die Schlundsonde dem Kinde Nahrung zuzuführen; ebenso blieben
ernährende Klystiere ohne Erfolg. — Keine Section.
Ich fuge nun eine Reihe eigener Fälle bei, die bisher nicht
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112 Dr. Emil Kohl,
veröffentlicht worden sind; sie stammen, mit Ausnahme des voran-
gestellten Falles, aus dem Einderspitale Zürich.
VoUenweider, Bertha, 2 J., von Wiedikoo. Gintritt 25. 2. 79 in das
Kantonspilal Zürich (Prof. Rose). — 26. 2. Tracheot. infer. — Keine Mem-
branen. 4. 3. Kein Eiweiss im Urine. Die Canüle ist sehr oft durch eingetrock-
netes zähes Secret verstopft. — 6. 3. Döc.-Versaoh. Nach 20 Minuten indess
muss die Canüle wieder eingelegt werden. — 7.3. Urin ohne Eiweiss. Wunde
weissgrau belegt, Rander geröthet. 14. 3. Die Trachealwnnde wird mit Lapis
touchirt, dieCanüle hernach gleich wieder eingeführt. — 19. 3. D^c.-Versuch.
Nach 10 Minuten muss die Canüle wieder eingeführt werden. Lapis. — 21. 3.
Döc, nur 1 Stunde lang möglich. 27. 3. Erträgt den Kork in der Sprech -
canüle 6 Stunden lang. 28. 3. Decanulement. — 30. 3. Die Canüle
konnte bleibend entfernt werden. Fat. bekommt zuweilen starke Einziehungen
des Thorax, besonders wenn sie aufgeregt ist. Sie respirirt noch zum gross-
ten Theil durch die Trachealfistel. 31.3. Halsfistel geschlossen. — Immer
etwas Dyspnoe. 3. 4. Gestern Nacht starke Dyspnoe, Stimme laut und klar.
— 5. 4. In Anbetracht der stetig progredirenden Dyspnoe, des lauten und
Constanten Stenosengeräusches Retracheotomie. Resp. hernach ganz gut.
29. 4. Erträgt den Kork täglich 3 Stunden. Application des Stiftes. — 5. 5.
Erträgt den Kork jetzt immer den ganzen Tag. Stimme klar und laut. 10. 5.
Evidement einiger Granulationen (ob aus dem Fistelkanal, ob aus der Trachea
ist leider nicht notirt). — Döc. unmöglich. — 17. 5. Erneuter D6c.-Ver8uch.
10.8. Ab und zu werden bei der Herausnahme der Canüle behufs Reinigung
derselben Granulationsmassen ausgehustet, welche durch dieCanüle losgerissen
wurden. — Im Verlaufe des Herbstes macht Pat. mehrmals fieberhafte Bron-
chitiden durch. — 14. 2. Pat. hat sich ordentlich erholt; sie wird heute in
den Operationssaal gebracht und die Canüle entfernt. Energische Application
des Stiftes. — 30. 7. Heute endlich gelingt das D6g. — 28. 9. Entlassung
der Patientin; in der letzten Zeit hatte sie nie mehr Dyspnoe. —
Rösum^: Die Canüle lag 1 Jahr 5 Monate. 2 Monate nach dem defini-
tiven D6c. konnte Pat. ohne irgend wie bedeutendere Respirationsbeschwerden
entlassen werden. Das Dec. wurde am 8. Tage zum erstenraale versucht,
missiang aber. Ebenso misslaugen alle späteren Versuche« — Diphtherische
Lähmung war keine vorhanden, warum die Entfernung der Canüle nicht ge-
lingen wollte, geht aus der Krankengeschichte nicht mit Sicherheit hervor,
immerhin scheinen stets recivirende Granulationen mitbetheiligt gewesen zu
sein ; der genauere Sitz derselben ist indess nicht notirt. Der damals die Pat.
behandelnde Arzt Herr Dr. Lüning dahier glaubt auch Einziehungen der
Tracheal Wandungen (bei dem äusserst rachitischen Kinde) als Ursache der
Erschwerung des Däc. beschuldigen zu müssen.
Rosa Bosshard, 2 Jahr 2 Monate. Eintritt in's Kinderspital 12. 1. 82,
Journ.-No. 1467. — 12. 1. Tracheot. sup. Die stark vorspringende Struma
ist leicht nach unten dislocirbar. Einige Ligaturen sind uöthig. Touohirung
der Wunde mit Liq. Ferri. darauf Incision der Trachea; die Grösse der Inci-
sion ist nicht notirt. Reichliche Membranen. — 16. 1. Der Aetzschorf be-
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Ursachen der Ersohwernng des D^oanulemeDt nach Tracheotomie. 113
ginnt sich za lösen. Urin ohne Eiweiss. — 18. 1. Leicht blatig tingirtes
Spotom (Canülendecubitus). — 19. 1. Erträgt den Kork in der Sprechcanüle
nicht. — 21.1. Die Wunde sieht schön aus, üppige Granulationen. Pinse-
lung mit 2proc. Arg. nitr. Ertrug gestern und heute den Kork ordentlich. —
23. 1. Der Kork muss Abends immer entfernt werden. — 1.2. Unter mehr-
maligem Touchiren verändert sich der Zustand nur wenig, der Kork wird
bald besser, bald schlechter ertragen. — 4. 2. Decanuiement immer noch
nicht möglich. Bei Entfernung der Ganüle klappt die Wunde gleich zusammen
und Pat. geräth in die grösste Athemnoth. — 8. 2. In den letzten Tagen
immer hohes Fieber. Heute Exitus unter den Erscheinungen von Lungen-
gangrän, 27 Tage post oper. — 8. 2. Section: Die Tracheotomiewunde
sieht gut ans, keine Gangrän an derselben. Larynx normal, blass, aber nicht
geschwollen, sehr anämisch. Tracheotomiewunde in Heilung begriffen, da-
gegen sind an den oberen Wundrändern starke Granulationswucherungen vor-
banden, die nach innen und hinten sehen. Oeffnung in der Trachea gross,
1.7 Gtm. lang, Ränder glatt, etwas ausgebuchtet; die vordere Trachealwand
dem oberen Wundrande entsprechend nach innen and oben umgeschlagen,
stark gewulstet, in Granulationsgewebe umgewandelt. An der Druckstelle
des Ganülenendes ein Ulcus mit Blosslegung der Knorpel.
Carl Juchler, Pfarrerssohn von Lenzburg. 4 Jahre 1 Monat. Journ.-No.
2030. Eintritt in das Kinderspital 23. 5. 84. (Eigene Beobachtung.) —
Anamnese: Pat. erkrankte 2 Tage vor Weihnachten 1883 an Diphtherie.
Am 6. 1. 84 musste der Knabe wegen zunehmender Dyspnoe tracheotomirt
werden. Trucheotomie durch DDr. A. und B. in Lenzburg. Die Operation
gelang ganz gut und wurden Fingernagelgrosse Membranfetzen sofort expec-
torirt. Nie Oedeme, keine Wundcomplicationen. Die gleich eingelegte
Sprechcanüle blieb die ersten 8 Tage liegen, ohne dass Versuche gemacht
wurden, sie zu entfernen, obwohl Pat. schon am 5. Tage bei zugehaltener
Sprechöffnung sprechen konnte. Am 8. Tage erhält Pat. eine kleinere Hart-
gummicanüle ohne Sprechöffnung, doch scheint sie zu klein gewesen zu sein,
denn sie muss noch gleichen Tags wogen Dyspnoe wieder entfernt werden.
Erhält die alte silberne Sprechcanüle. Die Ganüle wurde seither nicht zu
entfernen versucht, indem sich Granulationen in die Sprechöffnung hinein-
drängten. Dieselben wurden mit Jodoform von dem Ganülenfeaster aus be-
bandelt — allerdings erfolglos. — 24. 5. Beim Eintritt nahm ich folgenden
Status auf: Kräftiger Knabe, der die Silbercanule No. 00 trägt. Foetor ex ore.
Die Herausnahme der inneren Ganüle ergiebt bei zugehaltener äusseren Sprech-
öffoung, dass Pat. durch den Kehlkopf, wenn auch durchaus ungenügend,
respiriren kann, Pat. hat auch Stimme. Durch das Ganülenfenster ragt eine
dicke, derbe Granulation in die Ganüle hinein. Die herausgenommene äussere
Canüle zeigt dicke, schwärzliche Inorustationen der innerhalb desWundcanales
und der Trachea steckenden Ganülentheile. Aussen auf der Haut liegt unter
dem Canülenschilde eine flache, discusförmige Granulation. — Die durch
Herrn Dr. von Muralt wieder eingeführte und schnell mit Druck nach oben
herausgezogene Ganüle schneidet mittelst ihres Fensters eine fast Bohnen-
«. Lftngvnbeek, Arehiv f. Ühirorgie. XXXV. 1. g
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114 Dr. Bmil Kohl,
grosse, derbe Granulation ab. Der Rest der Oranolation, deren Sitz der
obere Tracheali ncisionswinkel ist. wird mit dem scharfen Löffel (bei hängen-
dem Kopfe) entfernt. Pinseiang mit 3procent. Silbemitrallösung. Frische
Ln er 'sehe Siibercanüie. — 27. 5. Revision des looalen Befundes and nach-
irägiiche Entfernung von einzelneu Granulationsresten. Pinselung. — 29. 5.
Pinselung. — 31. 5. Döcanulement. Abends hat sich die Fistel bereits ge-
schlossen. — 9. 6. Wird geheilt entlassen. Respiration vollkommen frei. —
23. 6. Der Vater bringt den Knaben wieder in^s Spital und meldet, dass in
den ersten 8 Tagen Alles sehr gut gegangen sei, hernach entwickelte sich
etwas Dyspnoe, die zwei letzten Nächte athmete Pat. recht schwer. Hat seit
8 Tagen Angina, aber laut ärztlicher Mittheilung nicht diphtherischer Natur.
— Wirklich ist eine stärkere Angina vorhanden. Inhalationen mit Alaun dep.
1 pCt. alle 2 Stunden 10 Minuten lang. Hydropathische Cravatte. — 27. 6.
Angina geheilt. Respiration absolut frei, Stimme klar, kräftig. Wird heute
entlassen; soll bei recidivirender Angina wieder inhaliren. — 10. 12. 85.
Laut Nachrichten des Vaters geht es dem Kleinen sehr gnt, nie mehr Athem-
beschwerden, Respiration frei, Stimme klar.
Einfache Fälle von Granulationsstenose, beobachtet bei im
Spitale selbst operirten Kindern:
1) Anna Hiestaud, 5 Jahre 10 Monate, Journ.-No. 2158, Eintritt in
das Kinderspital ^1. 12. 84. -— 22. 12. Tracheot. super, im 3. Stadium,
nachdem vorher der Katheterismus des Larynx mehrmals, indess nur mit
momentanem Erfolg ausgeführt worden war. Blutung massig. 10 Ligaturen.
Respiration nach der Operation frei, es werden Membranen expectorirt. Die
Wunde wird mit Jodoform ansgepudert. — 24. 12. Kein Eiweiss im Urin.
— 26. 12. Scarlatina. — 28. 12. Leichte Wunddiphtherie. — 29. 12.
Die Canüle wird heute entfernt, muss aber wegen einer am 30. 12. auftre-
tenden Nachblutung aus der Wunde wieder eingeführt werden. Nach Com-
pression während 10 Minuten steht dieselbe. — 31. 1.85. De'canulement. Die
Wunde wird mit Borsalbe verbunden. Cravatte. — 4. 1. Albuminurie. — 10. 1 .
Leichte Dyspnoe. Die laryngoskopische Untersuchung ergiebt an der vorderen
Trachealwand, unterhalb der Stimmbänder, weissliche Massen, die in das
Lumen der Trachea hineinragen, Granulationen. — 11.1. Dyspooö steigend.
Die Canüle muss heule wieder eingelegt werden; die Granulationen werden
entfernt. — 13. 1. und 15. 1. Dyspnoeanfölle durch Blutcoagula. BWGC.
— 19. 1. Döcannlement (28 Tage nach der Operation). — 1.2. Geheilt
entlassen.
2) Emilie Fenner, 4 Jahre 8 Monate. Journ.-No. 1196. Eintritt in das
Kinderspital 6. 12. 80. — 7. 12. Tracheot. super., Ende des 2. Stadiums.
Grösse der Schilddrüse nicht notirt. Blutung gering, Respiration nach der
Operation frei. Die Wunde wird mit lOproc. Salicylspiritus ausgewaschen.
Keine Membranen während der Operation. LtHGC. — 8. 12. Heute werden
mehrere Pseudomembranen expectorirt. Rechts vorne unten pneumonische In-
filtration der Lunge. — 10. 12. Bei den Versuchen, die äussere Oeffnung
der Sprechcanüle zuzuhalten, tritt bald starke Cyanose auf. — 12. 12. Wund-
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Ursachen der Erschwerung des D6canuIemeot nach Tracheotomie. 115
diphlherie. Expectorirt noch Membranen. — 13. 12. Pinselang mit Silber-
nitrailösang — 15. 12. Hat von früh bis Abends mit dem Korke gut ge-
athmet. — 16. 12. Erhält heute Tags durch wieder den Kork. Die laryngo-
skopische Untersuchung ergiebt noch starke Laryngitis. — 18. 12. Starke
Albuminurie. — 20. 12. DTC.^), dieselbe kann bis 21. 12. früh liegen
bleiben. LlHGC. — 29. 12. Erträgt den Kork ordentlich. Pneumonie rechts
hinten unten. — 1.1.81. Noch starke Albuminurie. — 4. 1. Kein Albumen
mehr im Harn. — 6. 1. Die Canüle wird entfernt (30 Tage nach der Ope-
ration). Respiration unbehindert. — 15. 1. Wunde noch nicht ganz ge-
schlossen. Secundäre Velumparese. — 26. 1. Die Fistel ist heute früh voll-
kommen geschlossen. — 6. 2. Pat. wird geheilt entlassen. Respiration frei.
Velumparese fast ganz verschwunden.
3) Seline Gnehm, 7 Jahre 7 Monate. Journ.-No. 875. Eintritt in das
Kinderspital 26. 2. 79. — 26. 2. Abends Tracheot. super. Struma gross,
ziemlich starke Blutung, mehrere Ligaturen erforderlich. Respiration nach
der Operation frei, Membranen werden keine expectorirt. — 1.3. Blutig
tingirtes Sputum. Wunddiphtherie. Die LrSilbC No. 1 wird entfernt und
durch eine BWGC ersetzt. — 5. 3. Es wird der Versuch gemacht, die
Sprechcanüle einzulegen, resp. zu benutzen, der Kork wird aber nicht er-
tragen. — 8. 3. Der Kork wird immer noch nicht ertragen. — 10. 3. Pin-
selung mit 3proc. Arg. nitr. - Lösung. — 12. 3. Pinselung. Der Kork wird
nicht ertragen. — 14. 3. Es sind immer noch Granulationen im oberen Wund-
winkel vorhanden. Pinselung. — 16. 3. Pinselung. — 21. 3. Während bis
heute die BWGC eingelegt war, contrahirt sich die Wunde jetzt so rasch und
schnell nach Herausnahme der Canüle. dass die WGC nicht mehr eingeführt
werden kann. Grosse Ventilcanüle. — 24. 3. Eine Granulation am oberen
Wundwinkel wird mit dem Stifte touchirt. — 26. 3. Lapis. — 27. 3. Pin-
selung. — 28. 3. Pat. athmet seit 24 Stunden durch den Larynx, der Kork
konnte ununterbrochen in der äusseren Oeffnung der Canüle liegen bleiben.
Keine Granulationen mehr sichtbar. D^canulement (30 Tage nach der Ope-
ration). Die Wunde wird durch ein Salbenläppchen und eine Cravatte ge-
schlossen. — 4. 4. Wunde geschlossen. — 8. 4. Entlassung. — 15. 6.
Leichte Angina, keine Respirationsbeschwerden.
4) Pauline Beyer, 3 Jahre 5 Monate. Journ.-No. 1634. Eintritt in das
Kinderspital 7. 10. 82. — 7. 10. Tracheot. super, im 3. Stadium. Baum-
nussgrosser Miltellappen der Schilddrüse. Die Blutung ist massig, indess
müssen 12 Ligaturen angelegt worden. Keine Membranen während der Ope-
ration. Lr Silbercanüle. Auf die Wunde wird ein Zinksalbenläppchen gelegt.
Pneumonie hinten unten beiderseits. — 9. 10. LtHGC Keine Albuminurie.
Wunddiphtherie. — 15. 10. Der Kork wird noch nicht ertragen. — 17. 10.
Blutiges Sputum. BWGC. — 19. 10. Die Canüle kann noch nicht zugekorkt
werden. — 20. 10. Athmung, Temperatur und subjectives Befinden des
Kindes lassen nichts zu wünschen übrig. Bei momentanem Verschluss der
') DTC. (Dupuis*sche T-Canüle).
8*
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116 Dr. Emil Kohl,
Canüle spricht Pat. mit laater, aber heiserer Stimme, bei längerem Yerschlusat
aber entsteht bald starke Dyspnoe. — 23. 10. Der Kork wird heute 5 Stan-
den lang ertragen. Urin ohne Eiweiss. — 24. 10. Pinselang mit öprocent.
Silbernitratlösung. Der Kork wird 3 Stunden lang ertragen, wobei die Respi-
ration indess sehr mühsam ist. — 25. 10. Pinselung. — 28. 10. Im anterea
Wund Winkel eine grosse flottirende Granulation. Evidement mit dem scharfen
Löffel, Pinselung. LlHGSprC. — 1. 11. Der Kork wurde daraufhin besser
ertragen. Lapis. — 4. 11. Heute wird ein Granulationspolyp am oberen
Wundwinkei mit der Pincette zerdrückt und abgerissen. Pinselung. —
7. 1 1. Nochmals Evidement der ganzen Wandperipherie mittelst des scharfen
Löffels. Pinselung. — 8. 11. Heute Morgen wird wieder ein Granulations-
polyp am oberen Trachealwundwinkel wahrgenommen and zerstöre. Pinselang.
— 10. 11. Die Canüle wird heute entfernt, nachdem die Fistel nochmals
aasgekratzt worden. (Die Canüle lag 34 Tage.) — 23. 11. Die Anfangs,
zumal im Schlafe, stridoröse Athmung besserte sich von Tag za Tag, so dass
Pal. heute geheilt entlassen werden kann. Respiration gut.
5) Elise Auer, 2 Jahre 9 Monate. Journ.-No. 1013. Eintritt in das
Kinderspital 10. 1. 80. — 10. 1. Tracbeot. sup. im 3. Stadium. Isthmas
der Schilddrüse bis zum Lig. coooid. gehend. Blutung gering. Bei Eröffnung
der Trachea wird eine derbe, grosse Membran expectorirt. Respiration nach
der Operation frei. — 16. 1. Es werden öfters kleinere Membranfetzen ex-
pectorirt. I)as Sputum war gestern schon leicht blutig tingirt. Pat. erhält
deshalb eine BWGC. — 23. 1. Wunde noch diphtherisch belegt. Pinse-
lung mit Silbernitratlösung. BWGC. — 24. 1. Das Befioden hat sich im
Allgemeinen bedeutend gebessert. Ein Versach, die Canüle zu verstopfen,
musste nach etwa 20 Minuten als erfolglos aufgegeben werden. — 27. 1,
Die Sprechcanüle wird nur kurze Zeit ertragen. Die Inspection der Trachea
ist wegen der üppigen Granulationen nicht möglich. — 28. 1. Die Wunde
und die Trachealränder werden mit Lapis geätzt. — 29. 1. Darauf hin wird
der Kork heute bedeutend besser ertragen. — 3. 2. Pat. spricht ganz gut
und laut. Es wird heute versucht, die Canüle wegzulassen, Pat. bekömmt
aber starke Dyspnoe. Lapis. — 7. 2. BWGC mit Sprechöffnung. — 15. 2.
Die Granulationen, die den Einblick in die Trachea verhindern und sich ventil-
artig auf und ab bewegen, werden geätzt. — 17. 2. Canüle entfernt (38Tage
nach der Tracheotomie). — 27. 2. Keine Dyspnoeanfalle mehr, Schlaf and
Appetit gut. — 1.3. Respiration vollkommen normal Wird geheilt entlassen.
6) Bachmann, Gustav, 2 J. 7 M. J.-Nr. 1 624. Eintritt in das Kinder-
spital. 28. 9. 82. 28. 9. Tracheot. sup. — mehrere Ligataren and ziem-
lich starke Blutung, wallnussgrosser Mittellappen, nach der Eröffnung der
Trachea werden einige kleine Membranen expectorirt. LrSK. Zinksalben-
läppchen. — 29. 9. Täglich Wechsel des Zinkläppchens. Reichlich weiss-
schaumige Expectoration. Kein Eiweiss im Urin. 1.10. Einige kleine Mem-
branfetzchen werden expectorirt. 3. 10. Leicht blutiges Sputum (Canülen-
decubitus). Erhält eine L HG K. Wunde diphtherisch belegt. Kein Albumin.
5. 10. Immer noch blutiges Sputum, erhält BWGK. Ueppige Granulation
der Wände. — Pinselang mit Silbernitratlösang. 7. 10. Die Granulationen
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Ursachen der Erschwerung des D^oannlement nach Traoheotomie. 117
am Wuodrande der Trachea sind ganz bedeutend. Lapis. — LSSprK. 8.
10. Lapi3. Kehlkopf noch nicht frei. 9., 10.. 11. Lapis. 12. 10. Der Kork
wird nur mit starker Dyspnoe ertragen. — 15. 10. Im oberen Wundwinkei
finden sich immer noch Granulationen. Lapis. 16. — 18. dito. 20. 10. Da
trotzdem bei Verschluss der Ganüle die Dyspnoe eher grösser ist als früher, so
wird das Kind in den Operationssaal gebracht und genau untersucht. Die
Fistel erweist sich als noch erfüllt von einer Masse von Granulationen. Schar-
fer Löffel. — 30. 10. Lapis. 1.11. dito. — 4. 11. Immer noch, oder viel-
mehr neue Granulationen am obem Winkel der Trachealincision. — Evidement.
Pinselung. 7. 11. wird es wiederholt. — 8. 11. Beim Herausnehmen der
Ganüle wird durch das Fenster ein erbsgrosser Granulationspfropf abgeschnit-
ten. Pinselung. — 10. 11. Nochmalige gründliche Auskratzung der Fistel.
12. 11. D^canulement (45 Tage nach der Operation). 13. 11. Fistel ge-
schlossen. Resp. ordentlich. — 16. 11. Resp. frei geblieben. — Stimme
klar. — 30. 11. Entlassung.
7) Keller. Bertha, 5 J. 10 M. J.-No. 1450. Eintritt in das Kinderspital
7. 12. 81. 7. 12. Tracheot. sup. bei der Aufnahme im 3. Stadium. Struma
nicht bedeutend. Blutung gering. Resp. nach der Operation frei. Keine
Membranen. Hohes Fieber. — 10. 12. Wunde belegt, Pat. hat heute eine
grosse Membran ezpectorirt. — 11. 12. Abends 5 Uhr. Blutung aus einem
Ganülendeoubitus, indess steht sie bald. Erhält eine andere Ganüle. Eiweiss
im Urin. 12. 12. Hat etwas Dyspnoe. Die Aspiration fördert noch Goagula
und reichlich Schleim zu Tage. Keine Membranen mehr. 13. 12. Immer noch
hohes Fieber. Die Belege im Pharynx sind noch nicht vollkommen verschwun-
den. Albuminurie etwas geringer; — lobuläre Pneumonie LH. Mitte. 16.
12. Wunde rein. 18. 12. Kehlkopf noch nicht frei. 21. 12. Allgemeinbe-
befinden jetzt sehr gut. Respiration noch beschleunigt. Expectoration reich-
lich, da das Sputum wieder etwas blutig tingirt ist BWGK. Erträgt den
Kork nicht. 22. 12. Genaue Localuntersuchung. Trachea schön roth , frei
Ton Belag. Die Tracheotomiewunde mit tippigen Granulationen erfüllt.
Lapis. — 7. 1. Trotzdem alle 2 Tage der Stift applicirt wurde, gelingt das
Dec. noch nicht. Die Inspection ergiebt heute immer noch 3 Granulations-
wülste, die sich in die Trachea hineindrängen und dadurch das Athmen ohne
Ganüle nicht zulassen. — 11. 1. In der Mitte des oberen Winkels der Tra-
chealincision findet sich immer noch ein Granulationsknopf. — 16. 1. Die
Granulationen werden vom Stifte nnr wenig beeinflusst und bilden sich sehr
rasch wieder. 21. 1. Schlief mit zugepfropfter Sprechcanüle ganz ruhig.
24. 1. Das D6c. gelingt heute endlich. Die Halsfistel wird mit einer Kravatte
zugebunden (D^o. 48 Tage nach der Operation). 31.1. Geheilt entlassen,
Respiration vollkommen frei.
8) Trueb, Emil, 1 J. 8 M. J.-No. 1897. Eintritt in das Kinderspital
25. 11. 83 (eigene Beobachtung). 25. 11. Tracheot. sup. im 3. Stadium (durch
H. Prof. Wyss), Keine Blutung, keine Ligaturen. Expectoration von einer
kleinen Pseudomembran. LtHGK. — Behandlung der Wunde durch Auflegen
eines täglich 1 — 2 mal gewechselten Borsalbenläppohens. 27. 11. Keine
Albuminurie, keine Wunddiphtherie, Auswurf leicht blutig tingirt, ohne Mera-
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118 Dr. Emil Kohl,
branfetzen. Primäre Kehlkopfparese. 30. 11. Erster Dec- Versuch, indess
verengt sich der Wundcanal sehr rasch und tritt Dyspnoe ein. 2. 1 2. Allge-
meinbefinden sehr gut. D^c. gelingt noch nicht. 4. 12. DTK, es sind keine
Granulationen zu sehen. Die TK muss indess wegen Dyspnoe 5. 12. wieder
entfernt werden. 6. 12. und folgende Tage Pinselung mit Silbern itratlösang
wegen üppiger Granulationen. 14. 12. Bei der Pinselung wird durch einen
kräftigen Hustenstoss eine circa 2 Mm. dicke und '/j Ctm. -stück grosse Granu-
lation ausgehustet. 1.1. Die noch mehrmals eingelegte DTK muss je Abends
wieder wegen progredienter Dyspnoe entfernt werden. 15. 1. Auf wiederholte
Pinselungen der Trachea mit Höllensteinlösung kann die Sprechcanüle mit dem
Kork auch Nachts verschlossen werden. Heute D^o. (51 Tage nach der
Oper). 21.1. Fistel geschlossen. Resp. frei. 22. — 26. 1. Croupöse Pneu-
monie des ganzen rechten Oberlappens. — 2. 2. Pat. wird entlassen, Respiration
vollkommen frei.
9) Gruber, Carl, 5 J. 3 M. J.-No. 1315. Eintritt in das Kinderspital
12.5.81. 12. 5. Tracheot. sup. im 3. Stadium. 2 Ligaturen, Blutung gering,
dicke Membran aus der Trachea nach Eröffnung derselben. Respiration nach
der Oper. frei. Ceratläppchen auf die Wunde. 13. 5. Starke Wunddiphtb.
Fieber nicht sehr intensiv. Expectoration reichlich. 16. 5. Die Canüle wird
heute zum ersten Male herausgenommen. 18. 5. Sputum blutig tingirt. Er-
hält eine andere Canüle. 21. 5. Bald nach der heute früh vorgenommenen
Entfernung der Canüle tritt ein Dyspnoeanfall durch einen zähen Schleim-
pfropf ein. Erhält die Canüle wieder, erträgt den Kork in der Sprechcanüle
ganz gut. Abends DTK. 24. 5. Mittags steigende Dyspnoe. Herausnahme
der DTK. LtHGSprK wie früher, dieselbe kann aber nicht zugekorkt wer-
den, so dass also die unmittelbare Wirkung der DTK ungünstig war. — 26.
5. Erträgt den Kork wieder besser. 1. 6. Auslöffelung einiger Granulationen
am obern Wundwinkel. 25. 6. Nachdem mehrmals mittelst 3proc. Arg. nitr.
solut. gepinselt worden und die Granulationen am oberen Wundwinkel mit
dem Siifte leicht touchirt wurden, athmet Pat. trotzdem eher schlechter. Es
wird desshalb nochmals genau nachgesehen und ein Granulom am unteren
Wundwinkel gefunden. Dasselbe wird mit dem scharfen Löffel entfernt. 27.
6., 30. 6., 2. 7. Pinselung. 4. 7. D6o. definitiv. (53 Tage post operat.).
6. 7. Schlief die ganze Nacht ohne Canüle ruhig. — 12. 8. Pat. athmet
Nachts etwas schwer; ebenso, wenn er schnell gelaufen ist. Die Tage vom
27. 11. — 4. 12. bringt Pat. wieder im Spitale zu, weil er* Stenosenersohei-
nungen zu Hause gehabt haben soll ; indess sind im Spitale (bei Alauninha-
lationen) keine irgend wie stärkeren Respirationsbeschwerden wahrnehmbar.
— Wird wieder entlassen.
10) Conrad, Babette, 7 J. 7 M. J.-No. 2020. Eintritt in das Kinder-
spital 6. 5. 84 (eigene Beobachtung). 6. 5. Tracheot. sup. im 3. Stadium.
Strumagrösse nicht notirt, reichliche Unterbindungen sind wegen des grossen
Venenplexus nöthig. Bei der Eröffnung der Trachea wird eine Membran ent-
fernt. LHGK. Respiration frei, aber die Pat. erholt sich erst im Verlauf
von einigen Stunden. 7. 5. Nacht ordentlich. Temp. 39,9. Auswarf schön,
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Ursachen der Erschwerung des D^canulement nach Traoheotomie. 119
schaumig, weiss. Resp. frei. 8. 5. Starke Wunddiphtherie, ausgedehntes
Oedem am Halse. Pseudoerysipel. 9. 5. Die Canüle wird der starken Schwel-
lung wegen zu kurz. Lange 6WGK. 11.5. Expectoration kleiner Membran-
fetzen. Reichlich Biweiss. — D^o. noch nicht möglich. 12. 5. Sehr viel
Giwoiss. Döc. nicht möglich. 13. 5. Die Wunde reinigt sich, ist 4 Ctm. lang
und ebenso breit, trichterförmig in die Tiefe gehend. — J6. 5. Tägliche
Versuche die Gannle fortzulassen, bleiben ohne Erfolg. Heute früh wurde nach
Zerquetschung und Aetzung einer Granulation am obem Wundwinkel die
DTK eingelegt, doch wurden auch mit dieser die Respiration nicht ganz
frei. Die DTK muss Abends wieder entfernt werden. — Erhält LtHGK. —
17. ö. Hustet noch kleine Membranen aus. — 20. 5. Mit dem scharfen Löffel
werden die Granulationen am obern Wundwinkel entfernt. 21. 5. DTK, die-
selbe muss Abends 9 Uhr indess wieder entfernt werden. 23. 5. Die DTK
wird bis Mittags 2 Uhr ertragen. Das Hinderniss muss offenbar weiter oben
im Kehlkopfe stecken, denn die Trachealfistel klafft nach oben ganz frei.
Wird dieTK stark nach oben gehoben, so athmet Pat. frei, überlässt man die
Gandle sich selbst, so sinkt sie herab und Pat. hat wieder Dyspnoe. Offenbar
handelte es sich um Schwellung der subglottalen Mucosa am oberen Ende der
TK, durch diese selbst bewirkt, resp. verstärkt. — 24. 5. DTK. mit hohlem
Stiel. — Muss Nachmittags schon entfernt und gereinigt werden. Gewöhn-
liche Canüle. 31. 5. D^c. 9. 6. Anfangs ging alles ganz gut. Heute ist
das Befinden weniger zufriedenstellend, schon die letzten Tage machte sich
«twas gemischte Dyspnoe geltend and hörte man bei der Exspir. sowohl als
bei der Insp. ein klappendes Venlilgeräuscb. — Die laryngoskopische Unter-
suchung ergiebt weites Klaffen der Stimmbänder, beide stehen und be-
wegen sich identisch. — Unterhalb der Stimmbänder aber sieht man in einiger
Tiefe, in das Lumen der Trachea vorspringend, eine kreisförmige bis längs-
ovale, rothe Schleimhautfalte, die Oeffnung ist etwa bleistiftdick, die Ränder
der Falte schwingen bei der Inspir* und Exspir. ab- und aufwärts und dadurch
scheint die Oeffnung wie eine Pupille zu unduliren. — 10. 6. Dyspnoe stei-
gend. Die Oeffnung verengert sich, misst circa 3 Mm. Durchmesser. — Abends
9 Uhr wird die Canüle wieder eingelegt. 12. 7. Laryngoskopischer Befund,
jetzt bei eingelegter Canüle gleichwie sub 9. 6. und 10. 6. — 14. 6. Evidement
der Granulationen am oberen Tracheallumen. 15. 6. Velumparese und
rtchtsseitige Faoialisparese (trat erst heute Nacht auf). — 30. 6. Nach
mehrmaligen Pinselungen mit Arg.-nitr.- Lösung heute Döc. definitiv (55 Tage
post oper.). — 1.7. Wunde geschlossen, bei forcirter Resp. ist das klappende
Geräusch schon wieder hörbar, Alauninhalationen. — 4. 7. Velumparese ab-
gelaufen. Faoialisparese fortbestehend. — 10.7. Laryngoscop. Untersuchung:
Die Stimmbänder erweitern sich ad max. , stehen und bewegen sich symme-
trisch. Die in den letzten Tagen sich wieder einstellende Dyspnoe findet ihren
Grund in einer Stenose in ziemlicher Tiefe unterhalb der Stimmbänder. Die
Stenose sitzt an der gleichen Stelle wie sub 9. 6. in der Gegend des oberen
Wundwinkels, ist längsoval, von den beiden Seiten, mehr von vorne her, ragen
weissliohe halbkugelige, bei der Respir. sich auf und ab bewegende Knöpfe
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120 Dr. Emil Kohl,
in die Trachea hiDein. Die hintere Trachealwand ist frei. 11.7. Steigende
Dyspnoe, einmal ein leichter Erstickungsanfall. 12. 7. Unter Leitung des
Kehlkopfspiegels wird ein auf einer Kehlkopfsonde festgewickelter und mit
2proc. Arg.-nitr.-Lösung getränkter Wattewickel durch dieGlottis in und durch
die stenosirte Stelle geschoben, um so mechanisch und chemisch auf die ste-
nosirte Stelle zu wirken. Wird täglich wiederholt. 27. 7. Respiration be-
deutend freier, aber die Granulationen noch nicht ganz verschwunden, an der
vordem Trachealwand noch eine V2 linsengrosse Granulation, die 2 mehr
seitlichen sind bedeutend geschrumpft. — Diphtherische Parese vollkommen
abgelaufen. — 12. 8. Tritt heute aus. Atbmet ganz ordentlich, wenn auch
nicht absolut frei, — Mitte Oktober: Fat. wird poliklinisch wieder untersucht.
Die Respir. ist fast ganz frei, nur nachdem Fat. einige Zeit im Zimmer herum-
gesprangen ist, ist etwas Stridor bemerklich. Stimme klar. Die laryngoskopisohe
Untersuchung lässt erkennen, dass keine Granulationen mehr vorhanden sind.
11) Schmieg, Fritz, 4 J. 4 M. J.-Nr. 1648. Eintritt in das Kinder-
spital 27. 10. 82. — 27. 10. Tracheot. sup. im 3. Stadium. Struma
massig, 6 Ligaturen, Blutung gering. Eine kleine Membran wird sofort ex-
pectorirt. Der Trachealschnitt umfasst den 1., 2. und zum Theil den 3. Tra-
chealring. LrSilbK. Zinksalbenläppchen. — Respir. nach der Oper, frei, —
29. 10. Unter Entfernung der Canüle werden 3 grosse (2 — 4 Gtm. lange)
Membranen expectorirt. Leichte Albuminurie. 30. 10. Wunddiphtherie. As-
piration von Membranen. — 31. 10. Wieder mehrmals Aspiration nöthig. —
1. 11. Abends 7 Uhr geringe Nachblutung aus der Wunde. 4. 11. Ziemlich
starke Blutung aus der Trachea (Canälendecubitus) B WGK. — 6. 11. LHGK,
dieselbe muss aber wegen blutig tingirtem Sputum bald wieder entfernt wer-
den. 10. 11. LtHGSprK. Der Kork wird wieder nicht ertragen. — 12. 11.
Von der obern Wand der Trachealfistel ragt ein Granulationspfropf in die
Trachea hinein. Lapis. 13. 11. Lapis. 15. 11. Da die eingeführte Ganule
den necroiischen obern Rand (?) der Trachealwand nach innen schlägt, wird
eine DTK eingelegt. Abends BWGK. 16. 11. Tags über wieder TK., wird
aber wieder nur bis Abends ertragen (ohne dass ihr Lumen verstopft war.)
2. 12. Die letzten Tage findet sich immer notirt, die vordere obere Tracheal-
wand sei gegen die Trachea eingedrückt und und es seien keine Granulationen
vorhanden, indess scheint dies Täuschung gewesen zu sein, hervorgerufen
durch einen flachen Granulationspolyp am obern Wund winkel, denn heute findet
sich die Notiz: Untersuchung im Operationssaal, die Granulationen, die sich
vorfanden, werden gründlich beseitigt, besonders oberhalb der Canüle. Fatient
konnte nachher viel leichter athmen. 4. 12. Erträgt jetzt auch die zugepfropfte
Sprechcannle gut. 15. 12. Ein an der hintern Trachealwand sitzender, bei
der Inspiration nach unten flottirender Granulationspfropf wird mit Lapis tou-
chirt. 16. 12. Ertrug Nachts den Kork gut. 20. 12. BWGK. 23. 12. D6c.
definitiv (57 Tage nach der Oper.). 25. 12. Fat. bekommt von Zeit zu Zeit
recht eng, indess bessert sich die Respir. nach Expectoration von reichlichem
Schleim. 27. 12. Fistel fast geschlossen. Respir. Nachts noch erschwert. —
30. 12. Fistel geschlossen. 12. Zieht Nachts oft so stark ein, dass er darüber
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Ursachen der Erschwerang des D6cann1ement nach Traoheotomie. 121
aufwacht; da die ausserordentlich starke Tonsillarhypertrophie auch einen
Theil der Schuld tragen mag, so werden die Tonsillen beiderseits exstirpirt.
21. 1. Zustand besser, aber noch nicht gut. 25. 1. Die laryngoskopische
Untersuchung ergiebl Einziehung der vorderen Trachealwand. Stimmbänder
normal. — 3. 2. Respiratinn besser. 6. 2. Entlassung.
12) Ernst Stäubli. 3 Jahre 2 Monate. Joum.No. 333. Eintritt in das
Kinderspital 14. 3. 76. — 15. 3. Tracheot. sup. bei beträchtlicher Struma.
Keine Membranen bei der Operation. Respiration nach derselben frei. Zink-
salben läppohen. LtHGC. — 17. 3. Wunddiphtherie. Secretion gering. —
18. 3. Noch starke Tonsillarbelege. Erythem am Körper. — 19. 3. Expeo-
toration dicker weisser Pseudomembranen. Kein Albumin im Urin. — 20. 3.
Die Wunde hat sich fast vollkommen gereinigt, zeigt jedoch noch nicht die
frische normale Röthe. Pat. wirft mehrere feste Membranen aus. Auswurf
öfters leicht blutig tingirt. Primäre Kehlkopfparese. — 21. 3. Bei ver-
schlossener Oanöle noch ziemlich starke Dyspnoe. Auch heute werden mehrere
Pseudomembranen expectorirt. Kein Eiweiss im Urin. — 22. 3. Wunde und
Trachea ganz rein. — 24. 3. Der Kork wird noch nicht ertragen. — 27. 3.
LSilbSprC No. 1. — 2. 4. Seit gestern ist die Canule zugekorkt, Pat. athmet
ordentlich. — 4. 4. D^canulement noch unmöglich, mitzunehmendem Schluss
der Halsfistel tritt auch Athemnoth ein. — 9. 4. Von links oben her reicht
ein Granulation s?entil in die Trachea hinein. Lapis. — 16. 4. Tägliche
Aetzung mit Silbernitratlösung. Die Granulationen fast ganz verschwunden.
Pat. verschluckt sich nicht mehr. — 26. 4. Entlassung nach Hause mit der
Canule; dieselbe wird 3 Wochen später durch Herrn Prof. Rose nach mehr-
maliger Touohirung mit dem Stifte ohne weitere Schwierigkeiten definitiv
entfernt.
13) Wilhelm Wasmen, 6 Jahre 4 Monate. Joum.-No. 1473. Eintritt in
das. Kinderspital 29. 1. 82. — 29. 1. Tracheot. sup. im 3. Stadium sofort
bei der Aufnahme. Struma gering, mehrere Ligaturen; die Wunde wird mit
Liq. Ferri betupft und dann die Trachea incidirt. Expectoration mehrerer bis
5 Ctm. langer Membranen. — 30. 1. Hustet wieder mehrere Membranen aus.
Kein Albumin, Temperatur massig. Allgemeinbefinden gut. — 1.2. Leichte
Nachblaiang, die sofort gestillt werden kann. Wunde nicht diphtherisch. —
2. 2. BWGC. — 4. 2. Wunde vollkommen rein, granulirend. — 6. 2. Hat
beute den ganzen Tag mit verschlossener Canule geathmet, freilich geht reich-
lich Luft neben der Canule heraus. — 11.2. Canule entfernt, sie muss Nachts
11 Uhr wieder eingelegt werden. — 12. 2. DTC. — 13. 2. Wegen starker
Granulationsbildung wird der Stift in Anwendung gebracht. LtHGC. —
14. 2. DTC. — 15. 2. Lapis. LtHGC. — 2. 3. Die Wunde zeigt sUrke
lappenförmige Granulationen an der Trachealinoision. — 13. 3. Mehrmals
wurde der Stift in Anwendung gezogen, heute werden die Granulationen aus-
gelöffelt, worauf Pat. ganz frei respirirt. — 18. 3. Athmet seither mit ver-
stopfter äusserer Sprechöffnung. — 23.3. Die neu entstehenden Granulationen
werden mit Lapis touchirt. — 24. 3. Nochmals werden die Trachea! ränd er
mittelst des scharfen Löffels von den wuchernden Granulationen befreit, ebenso
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122 Dr. Emil Kohl.
27. 3. — 31. 3. D6canulement definitiv (61 Tage post oper.). — 4. 4.
Die Fistel ist vollkommen geschlossen. — 6. 4. Respiration vollkommen nn-
behindert. Entlassung.
15) Emil Wettstein. 3 Jahre 8 Monate. Joarn.-No. 1169. Eintritt in
das Kinderspital 3. 10. 80. — 3. 10. Tracheot. super, im 3. Stadium.
Mehrere Ligaturen sind nothwendig. Der mittlere Lappep der Thyreoidea
reicht ziemlich weit nach oben. Nach der Incision werden nur schleimige
gelbe Massen expectorirt, die Respiration wird vollkommen frei. LSilbC.
Pneumonie rechts hinten unten. Temperatur 40*. Puls 128. Resp. 28. —
4. 10. Wunde diphtherisch belegt, Wundränder stark geschwollen. — 7. 10.
Heute früh erster Ganülen Wechsel. Pinselung der Wunde mit Arg. nitr.-Lösung,
einige Tropfen werden dabei auch in die Trachea gebracht. — 9. 10. B WOG.
mit Sprechöffnung. — 10. 10. Hat gestern den ganzen Tag durch frei durch
den Kehlkopf geathmet. Abends etwas DyspnoS. Nach Entfernung des Korkes
athmet Pat. wieder vollkommen frei. — 16. 10. Gestern und heute ist nach
Entfernung der Gannle versucht worden, die Wunde durch ein Geratlappchen
zu schliessen, man musste indess bald wegen Dyspnoe das Läppchen ent-
fernen und die Ganüle wieder einlegen. Mehrmals Pinselung der Wunde mit
Höllensteinlösung. — 21. 10. LSilbSprG. Erträgt den Kork ordentlich, D^-
canulement aber nicht möglich. — 24. 10. Angina catarrhalis mit hoher
Temperatur. — 26. 10. Angina abgelaufen. D6canulement unmöglich. —
29. 10. Döcanulement. — 30. 10. Pat. hat auch in der Nacht ohne Ganüle
ganz ruhig geathmet. — 31. 10. Heute Nacht dagegen hat Pat. fast gar
nicht geschlafen, da er sofort Dyspnoe bekommt, wenn er sich hinlegt. Die
Respiration wird ziemlich frei, wenn durch 2 Häkchen die Trachealränder
seitlich abgezogen werden, noch freier aber wird sie, wenn die vordere Tra-
chealwand etwas nach vorne gezogen wird, so dass also eine Depression der
vorderen Trachealwand vorzuliegen scheint: Relaxation der vorderen Tracheal-
wand (oder klappen form ige Granulation am unteren Wundwiokel!). — 5. 11.
Gestern und heute wurde wieder der Stift applicirt. Heute wird ein neuer
Versuch gemacht, die Ganüle wegzulassen; die Wunde wird durch Heftpflaster-
streifen verschlossen. Abends Erstickungsanfall, der künstliche Respiration
durch den eingeführten Katheter nöthig macht. — 13. 11. Exstirpation der
linken Tonsille. — 20. 11. Pat. wird heute im Operationssaale eingehend
untersucht; es finden sich wieder flottirende Granulationen am oberen Wand-
winkel, dieselben werden mit dem scharfen Löffel entfernt. Pinselung mit
Silbemitratlösung. Die Respiration war nach dieser Manipulation noch nicht
frei, sie wurde es erst, als mit dem stumpfen Schielhaken die vordere Tracheal-
wand nach vorne gezogen wurde, dadurch wurde die frühere Beobachtung
bestätigt, dass die Stenose nach Entfernung der Ganüle hauptsächlich durch
das Nachhintensinken der unmiitelbar unter der Trachealfistel befindlichen
Partieen der vorderen Trachealwand bedingt ist. (Ich bemerke noch einmal,
dass es sich eben so gut um eine Granulation am unteren Wundwinkel hätte
handeln können. Wird diese durch die Ganüle oder durch das stumpfe Häk-
chen ap die vordere Trachealwand gepresst, so wird die sonst beengte Respi-
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Ursachen der Erschwerung des D^cannlement nach Tracheotomie. 123
ration ebenfalls frei. Das Fehlen einer solchen Granukition ist nicht ans-
drficklich notirt and kann die Existenz einer solchen ganz gut angenommen
werden, indem die Granulationen am unteren Wundwinkel schwer zu finden
sind.) — 25. 11. Bvidement einiger Granulationen. — 27. 11. D^canule-
ment unmöglich. — 1. 12. Erneuerte Auslöffelung der Granulationen am
oberen Wundwinkel. — 5. 12. Immer noch erhebliche Behinderung des Ath-
mens, sobald die Canüle fortgelassen wird. Auch wenn die vordere Tracheal-
wand nach vorne gezogen wird, wird die Respiration nicht mehr frei. (Dies
letztere möchte ich als Beweis meiner Annahme von Granulationswucherungen
am unteren Wundwinkel verwerthen. Bei Relaxation der vorderen Tracbeal-
wand wäre der Zustand der gleiche geblieben, durch das Wachsthum der
Granulationen indess musste sich, wie hier, der Zustand verschlimmem.) —
9. 12. Da mehrere Versuche, die DTC. einzuführen, misslingen, so erhält
Pat. wieder die LSilbC. — 15. 12. Das D^canulement gelingt heute ohne
Weiteres sofort, in den letzten Tagen wurde mit dem Kinde gar nichts vorge-
nommen. (D6canulement 72 Tage nach der Tracheotomie.) — (Dass das
D^anulement heute ganz gut von Stallen ging, erkläre ich mir dadurch, dass
bei den einige Tage vorher versuchten, aber missglückten Einlegungsversuchen
der DTC. die das D^cannlement verhindernden Granulationen abgequetscht
wurden. Die Relaxation der vorderen Trachealwand wäre gewiss nicht so
plötzlich verschwunden.) — 31. 12. Pat. wird geheilt entlassen. Respi-
ration frei.
Einen ganz analogen Fall erzählt auch Körte: Bei einem 4 jährigen
Knaben wurde wegen Diphtherie die Tracheot. infer. von Herrn Dr. Hahn
gemacht. Bei der Herausnahme der Canüle behufs Inspection der Trachea,
6 Wochen nach* der Operation . zeigten sich sehr reichliche Granulationen,
die durch die Einführung der DTC, die sehr mühsam war, zum
grössten Theil zerquetscht und losgerissen wurden. Nachdem
die Canüle nach Vj Stunde wieder entfernt worden war, zeigte sich die
Respiration freier nnd blieb auch ohne Canüle frei.
16) Hammel Anna, 2 J. 2 M. J.-No. 1671. Eintritt in das Kinder-
spital 1. 1 2. 82. — 1 . 12. Tracheot. sup. im 3. Stadium. Struma massig.
Blutung gering, 4 Ligaturen nöthig. Es werden die 3 ersten Tracheairinge
and zum Theil der Ringknorpel durchschnitten. Keine Pseudomembranen.
LtHGSprK. — 3. 12. Massig Eiweiss im Harn. Respir. frei. Keine Mem-
branen in dem reichlichen, schaumigen, weissen Auswurfe. — 8. 12. Erster
Versuch die äussere Sprecböffnung mit dem Korke zu verschliessen. Patient
aihroet sofort den ganzen Tag recht gut durch den Larynx. — 9. 12. D6c.-
Versocb. — Tracbeallumen gut erhalten, im Wnndtrichter ein Granulations-
xapfen, der gegen die Trachea vorspringt. Diese ist übrigens schlauchartig
weit und da Patientin staiken Hustenreiz hat, so kommt es vor, dass bei der
Inspiration die Trachealränder eingezogen werden und auf diese Weise das
Lumen der Trachea verlegt wird. Die Canüle wird wieder eingeführt. —
12. 12. Das Döc. gelingt auch heute nicht, desgleichen nicht am 16. und
20. — 25. 12. Aetzung der Granulationen in der Tracbealfistel. Der Kork
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124 Dr. Emil Kohl,
wird kaum noch ewige Stundeo ertragen. — 26. 1. Trotz fortdanernder
Aetzungen zeigt die Trachealfistel immer nooh Granniationen, die sich bei der
Inspiration klappenförmig voriegeD und so die Respiration hemmen. — 30. 1 .
DTK. Athmet gut damit, indess muss sie bald wieder entfernt werden.
LtHGK. — 3. 2. DTK bis Abends. — 5. 2. und 7. 2. Auslöffelung des
Granulationskranzes an der Trachealfistel. BWGK. — 10. 2. Am oberen
Wundwinkel sitzt immer noch eine grössere klappenförmige Granulation, die
die Exspiration behindert. Entfernung derselben. — 27. 2. Unter ferneren
Tonchirungen mit dem Stifte sieht man heute an dem nach unten sowohl als
nach oben schön klaffenden Tracheallumen keine Granulationen mehr. De-
canulement (88 Tage nach der Traobeotomie). — 11. 3. Die Anfangs
noch erschwerte Respir. ist Tags durch frei, Nachts noch starke Dyspnoe. —
15. 3. Die Respiration wird zusehends besser. — 22. 3. Pat. wird geheilt
entlassen.
14) Bauer. Gottfned, 7 J. 10 M. J.-No. 286. Eintritt in das Kinder-
spital 14. 11. 75. — 14. 11. Tracheot. sup. im 3. Stadium. Nussgrosser
Isthmus der Glandul. thyreoidea. Blutung massig, Resp. nach der Oper. frei.
Reichlicher Schleim und Membranen werden expectorirt. — 15. 11. Hustet
wieder Membranen aus. — Aqua calcis. — 16. 11. Expectoration grösserer
Membranen. Wunddiphtherie. — 18. 11. Keine Pseudomembranen mehr. —
21. 11. Leicht blutiges Sputum, die Wunde reinigt sich. — 22. 11. Athmet
heute 1 Stunde lang mit verkorkter Canüle. — 25. 11. Der Kork wurde die
ganze Nacht ertragen. Wunde rein. Die Canäle wird entfernt und eine Kra-
vatte umgebunden, zuerst athmet Pat. recht mühsam, indem bei jeder Inspira-
tion das untere Sternalende stark eingezogen wird , doch besteht keine Cya-
nose. Bald tritt ein Hustenanfall auf., das Kind wird cyanotisch, die Kravatte
muss entfernt und eine Canüle eingelegt werden. — 30. 11. Die äussere Oeff-
nung der LtHGSprK ist jetzt Tag und Nacht verkorkt, doch athmet Patient
mühsam. — 4. 12. Redet mit klarer, heller Stimme. Das D^c. wird heute
wiederum versucht; die Wunde wird mit einer Kravatte zugebunden. — Natr.
bic. -Inhalationen um den zähen Schleim zu lösen, der ohne Zweifel die mehr-
fachen dyspnoischen Anfälle bei entfernter Kanüle bedingt (?). 3 Stunden
darauf tritt indess wieder ein Erstickungsanfall auf, der zur Wiedereinführung
der Kanüle zwingt. Die laryngoskopische Untersuchung gelingt der grossen
Unruhe des Pat. wegen nicht. — 6. 12. Der Kork wurde gestern gar nicht
ertragen. — 12. 12. Gestern war die äussere Sprechöffnung den ganzen Tag
und einen Theil der Nacht hindurch zugekorkt, die geringste Aufregung indess
bedingt starke Dyspnoe . so dass der Kork wieder zeitweise entfernt werden
muss. — 24. 1 2. Der Kork wird nun gar nicht mehr ertragen. — 28. 12.
Entfernung der LtüGK und Einlegung einer LSilbSprK No. I. Bei der Ent-
fernung der Canüle zeigt sich im obern Wundwinkel der Trachealincision ein
Granulationsventil, das bei jeder In- und Exspiration hinein und herausge-
drängt wird. Beim Einführen der Canüle wird die Granulation, wie es scheint,
guiliotinirt, denn unter einem heftigen Hustenanfall wird ein Granulations-
propf zur Canüle herausgeschleudert. — 30. 1 2. Erfolg eclatant, indem Pat
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Ursachen der Erschwernng des D^anulement nach Traoheotomie. 125
seither auch Nachts den Kork ordentlich erträgt. — 19. 1. Das daraufhin
mehrmals versuohste D^c. gelang nicht, indem sich, zumal Nachts, immer Dys-
pnoe einstellte. Beim Canuienwechsel sieht man. wie sich hei jeder In- and
Exspiration am oberen Wandwinkel wieder eine klappen förmige Granulation
prasentirt. — 20. 1., 24. 1., 26. 1. Lapis. — 7. 2. Bei der heutigen Unter-
sachnng zeigt sich, dass die linke Hälfte der Granulationspolypen am oberen
Wandwinkel verschwunden ist, dagegen ist die rechte noch vorhanden, des-
gleichen ein kleiner Polyp an dem untern Wundwinkel. Täglich Aetzung. —
19. 2. Die Wandränder der Trachealincision erscheinen jetzt ganz rein. D^c.
(97 Tage post operat.) — 25. 2. Entlassung. — 31. 3. Pat. wird polikli-
nisch untersucht. Weiche, glatte, bewegliche Narbe, keine Stenose irgend
welcher Art.
17) Pfaffbauser, Alfred, 1 J. 7 Mon. J.-No. 1290. Eintritt in das
Kinderspital 31.3. 80. — 3. 4. Tracheot. sup., Blutung gering, nur wenige
Ligaturen beim Hautschnitt, über die Grösse der Schiidgrösse findet sich keine
Notiz. Incision der 4 obersten Tracheairinge. LSilbK; die Wunde wird mit
liq.-ferri- Watte betupft und mit feuchter Salicyiwatte bedeckt. Trachea be-
legt. Respiration nach der Oper. frei. — 5. 4. Respir. frei, starke Schwel-
lung der Snbmaxillardrnsen, ödematöse Schwellung der seitlichen Halspartien,
Epidermis in der Wundgegend blasig abgehoben. Wunddiphtherie. — 9. 5.
Fieber nur noch gering. Respiration ruhig, geringer Scbleimauswurf. Wände
rein, klafft. LtHGSprK, da Pat. den Kork erträgt, so wird gleich das Döc.
versucht. — 10. 4. Heute Mittag muss die Canüle wieder eingelegt werden.
— 13. 4. Da Pat. den Kork ganz gut erträgt, wird heute wieder die Entfer-
nung der Canüle versucht. Pat bekommt jedoch sofort, nachdem man die
Kravatte umgelegt hat, Dyspnoe, die Canüle wird deshalb wieder eingelegt.
— 14. 4. Pat. erträgt den Kork weniger gut. — 27. 5. Trotz wiederholter
Pinselungen mit Silbernitratlösung (2 — 5proc.) erträgt Pat. den Kork eher
schlechter, es werden deshalb heute die Granulationen am obern Wundwinkei
ausgelöffelt. — 29. 4. erträgt in Folge davon den Kork wieder besser. —
4. 5. Nochmals Evidement einer Granulation. — 12. 5. D^c. gelingt noch
nicht. — 24. 5. Heute wird eina zapfenförmige Granulation an der hinteren
Trachealwand notirt. Lapis. — 11. 7. Mit Unterbrechung geht es so fort,
ohne dass mit den Aetzungen ein reeller Erfolg erzielt werden kann. — Heute
wird mittelst des Polypenschnurers ein 2 Mm. dicker 4 Mm. langer Polyp
entfernt, worauf nach mehrmaligen Pinselungen 18. 7. das definitive D6-
canulement vorgenommen werden kann. (Die Canüle lag 106 Tage). —
24. 7. Anfangs waren noch nicht unerhebliche Respirationsbeschwerden vor-
handen, die sich zumal des Nachts geltend machten (Gewohn hei tsparese).
Heate Entlassung des Pat. bei ganz freier Respir. — 21. 8. Pat. wird poli-
klinisch untersucht: Respirirt ohne jede Anstrengung.
18) Isler, Emil, 1 J. 8 M. J.-No. 376. Eintritt in das Kinderspital
27. 5. 76. — 27. 5. Tracheot. infer. im 3. Stadium, nur eine Ligatur nöihig.
Die Grösse der Struma ist nicht notirt. Keine Membranen bei der Oper. Die
Athemfrequenz von 40 per Minute nimmt nach der Oper, nicht ah; nur acutes
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126 Dr. Bmil Kohl,
Emphysem, dagegen keine Pneumonie nachweisbar. — 29. 5. Wunde überall
graaweiss trocken belegt. — B. 6. Die Wunde bat sich bis auf einzelne kleine
Stellen gereinigt. — Auswurf dünn, eitrig, fötide. Der Kork wird noch nicht
ertragen. 8. 6. Wunde rein. Der Kork wird höchstens 2 Minuten lang er-
tragen. — 13. 6. Der Fat. erhält eine andere silberne Sprechcanüle. Die
Wunde wird täglich mit 5proc. Silbernitratlösung bepinselt (ob Granulationen
vorhanden sind, ist leider nicht notirt). — 28. 6. Der Kork bewirkt immer
noch heftige Dyspnoe. — 1.7. Bei der Einführung der innern Ganüle macht
sich ein Widerstand geltend , der in der Höhe der Sprechöffnung dem Weiter-
dringen der innern Ganüle ein Ziel setzt, bei Beleuchtung mittelst eines Re-
flectors sieht man eine gut erbsengrosse Granulaiionsmasse durch die Sprech-
öffnung in die Ganüle hinein ragen. Der Granula Li onspfropf wird mit Lapis
betupft. Etwa eine Stunde darauf bekommt Fat. Dyspnoe, so dass man die
Ganüle entfernen muss. dabei wird die durch das Fenster in die Ganüle hin-
einragende Granulationsmasse guillotinirt. Das Granulom besteht aus festem
Gewebe, ist von der Grösse einer Bohne; als hierauf die Ganüle wieder ein-
geführt wird athmet Fat. ganz unbehindert. — Es ragen immer noch Granu-
lationen durch die Sprechöffuung in die Ganüle hinein, dieselben werden mit
der Fincette abgequetscht. Lapis. — 11. 7. Bei der Entfernung der Ganüle
schneidet das Ganülenfenster wieder ein Stück einer Granulation ab. — 10.
1 1 . Ohne dass ein ernsterer Versuch gemacht wurde, die Granulationen gründ-
lich zu beseitigen, begnügte man sich bisher mit Finselungen mit Silbemitrat
5 Frocent. Heute bleibt die Ganüle zugepfropft bis Abends 9 Uhr. — 26. 1 1.
Der Kork liegt ununterbrochen seit 2 Tagen. — 8. 12. Der Knabe wird auf
Verlangen der Eltern nach Hause entlassen und tritt 15. 12. in das Kanton-
spital ein: Am 11. Tage nach dem Eintritt wird die Ganüle entfernt, die
Wunde wird tüchtig ausgeätzt. Anfangs starke Einziehungen, die am 6. Tage
nach dem D^canulement verschwinden. — Erst am 36. Tage nach der Auf-
nahme hat Fat. gar keine laryngo-stenotisohen Erscheinungen mehr — Die
Ganüle lag 221 Tagen (Hugonnai 1. c).
19) Ruegg. Anna. 3 J. 11 M. J.-No. 1185. Eintritt in das KinderspiUl
17. 11. 81. — 17. 11. Tracheot. sup im 3. Stadium, mehrere Ligaturen sind
erforderlich. Membranen bei der Operation vorhanden. — 21. 11. Keine
grösseren Membranen im Auswurf. — 22. 11. Die Wunde sieht gut aus, keine
Wunddiphtherie. Finselung mit Arg. nitr. 5 pGt. BWGSprK. Fat. vermag
bei verstopfter Sprechöffnung bereits durch den Kehlkopf zu athmen, immer-
hin ist noch etwas Stenose vorhanden. — 25. 11. Finselung der Wunde.
Temperatur normal. — 27. 11. Der rechte Rand der Trachealwunde ist etwas
nach innen gebogen, Fat. erhält eine HGSprK, sie erträgt den Kork schon
mehrere Standen. — 28. 11. Däc- Versuch. Nach 10 Minuten tritt indess
schon heftige Dyspnoe auf und erheischt die Wiedereinführung der Ganüle. —
9. 12. Die in den darauffolgenden Tagen vorgenommenen Dec- Versuche
schlagen ebenfalls fehl, heute soll die DTK eingeführt werden. Ohne Dila-
tation des Wundcanales gelingt dies indess nicht. — 10. 12. DTK. Athmet
durchaus frei mit derselben. — 14. 12. Nach Entfernung der DTK ging das
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Ursachen der Erschwerung des Döcannlement nach Tracheotomie. 127
D^. ebenfalls nicht, ebenso wenig fruchtet es, der Fat. einen blossen Canalen-
schild vorzubinden. — 27. 12. Seit 21. 12. erträgt Fat. den Kork fast per-
manent, dessen ungeachtet misslingt jeder Däc- Versuch. — 31. 12. Ener-
gische Auslöffelung der Fistel. — 3. 1. desgl., wobei reichliche Granulatio-
nen heraus befordert werden (deren Sitz indess leider nicht notirt ist). — 9. 1.
Inspection der Trachea bei reflectirtem Sonnenlichte. Man bemerkt ganz deut-
lich an der hintern Trachealwand eine kugelig vorgewölbte Granulation, die
sich besonders nach unten hin scharf abgrenzt und unten von einem sichel-
förmigen flachen Geschwür begrenzt wird, das dem untern Rande der Sprech-
öffnung der Canüle entspricht. Finselung; Canüle ohne Fenster. — 16. 1.
Nachdem die Trachea alle 2 Tage mit schwacher Silbernitratlösung ausgepin-
selt worden, wird heute das Döc. wieder versucht, die Canüle kann indess
nur bis 18. 1. früh entfernt bleiben. — 19. 1. Bei einer heute früh im Opera-
tionssaale vorgenommenen Untersuchung finden sich viele Granulationen am
obern Trachealwundwinkel. Wenn man mit dem stumpfen Schielhaken die
vordere untere Trachealwand bei zugehaltener Fistel nach vorne zieht, so ent-
steht doch Dyspnoe, das Hinderniss sitzt also am obern Wundwinkel. Evi-
dement der Granulationen. — 22. 1. Der Kork wird jetzt ordentlich ertragen.
— 25. 1. Unter dem heutigen Datum ist notirt: Vor einigen Tagen hat man
deutlich gesehen, dass der linke Rand der Trachealwunde nach innen ein-
geschlagen ist und dass die durchschnittenen Enden von 2 Knorpelringen in
das Tracheallumen hineinragen. — 29. 1. Entfernung von 2 Granulations-
knöpfen am obern Wundwinkel, worauf Fat. Nachts den Kork wieder gut er-
tragt. — 5. 2. Das Tracheallumen bildet nach oben zu nur einen schmalen,
durch Granulationen gebildeten Spalt. Lapis. — 5. 3. Trotzdem alle 3 bis
4 Tage cauterisirt wurde, ist kein Erfolg erzielt worden. Heute wird die
Fistel in Narcose mittelst des Messers gespalten, es zeigt sich, dass die durch-
schnittenen Enden des Ringknorpei md das linke Ende des I. Tracheairinges
in das Lumen der Trachea vorragen. — Die vorstehenden Fartien werden mit
dem Messer entfernt. — Alle 3 — 4 Tage Finselung. — 23. ö. Am unteren
Trachealfistelrand sitzt eine grosse klappen förmige Granulation, dieselbe wird
entfernt. April. Ab und zu werden, immer erfolglos, Versuche gemacht
die Canüle zu entfernen, Vorbinden eines Canülenschildes hilft nichts. Es
bilden sich immer wieder neue Granulationen. Am 31. 5. tritt Fat. mit
HGSprK aus dem Spitale aus, weil ihr Allgemeinbefinden im Laufe der Zeit
stark gelitten hat. — 21. 7. Wiedereintritt der Fat. Die voluminösen Gra-
nulationen am obern sowohl als am unteren Wundwinkel werden exstirpirt und
späterhin wird alle 2 Tage der Stift auf diese Stellen applicirt. — 30. 7. De-
finitives Däcanulement, indem das Tracheallumen nach oben und nach unten
schön klafft (245 Tage nach der Oper.). — 31. 7. Fat. athmete die ganze
Nacht ohne eine Spur von Dyspnoe. — 3. 8. Respiration frei, auch Nachts
keine Stenosenerscheinungen. Fistel fast geschlossen. — 21. 8. Respiration
vollkommen frei geblieben.
Dass die Bildung von Granulationswacherungen mit der vor-
ausgegangenen Tracheotomie zusammenhängt, braucht wohl nicht
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128 Dr. fimil Kohl,
extra hervorgehoben za werden ^ wohl aber möchte ich besonders
betonen, dass Granulationswucherungen, die das D6canulement ver-
hindern, nar mit der Tracheotomie, nicht aber mit der Diphtherie
als solcher zusammenhängen. In der gesammten Literatur konnte
ich keinen Fall finden , in welchem Granulationspolypen an Orten
Sassen, die nicht mit der Ganüle in Gontact waren. Als Standort
der Granulationen findet man einzig notirt den oberen und den
unteren Winkel der Trachealincision, sowie eventuell den ganzen
Umfang der Trachealwunde, ferner die vordere oder hintere Tracheal-
wand an derjenigen Stelle, an welcher das untere Canülenende dio
Trachealwand berührt und endlich die hintere Trachealwand da,
wo die Convexität der Ganüle derselben anliegt. In einem einzigen
Falle fand sich ein Polyp erheblich oberhalb des obern Wund-
winkels der Trachea an der vordem ^Wand derselben sitzend und
ein üinderniss für das D6canulement bildend. Es ist dies der Fall
von Bergeron, aber es ist hier sehr wahrscheinlich, dass es sich
nicht um einen Granulationspolypen handelte, sondern um einen
vor der Tracheotomie schon bestehenden gewöhnlichen Schleimhaut-
polypen, welcher aber durch die complicirende Diphtherie an Vo-
lumen zugenommen und so das D6canulement verhindert hatte.
Die Anamnese ergab auch, dass das Kind vorher schon 2 Mal
wegen Pseudocroupanfällen in Behandlung gestanden hatte. Diese
letztern könnten zwar allerdings, wie Petel bemerkt, ebenso gut
durch Spasmus glottidis, als durch einen Polypen bedingt gewesen
sein, doch kann die Annahme eines primär vorhandenen Polypen
nicht unbedingf bestritten werden. Krishaber glaubte Anfangs,
dass es sich in seinem Falle ebenfalls um einen primären Polypen
gehandelt haben möchte und stützte seine Ansicht dadurch, dass
bei der Operation des Kindes keine Membranen ausgehustet wurden
(Rachenbelege waren indess vorhanden), dass sich das Kind fast
sofort nach der Operation wieder in einem beinahe normalen Zu-
stande befand, dass das Kind endlich vor der Operation schon ab
und zu an trockenem, kurzem, saccadirtem Husten gelitten habe.
Der Polyp sass am untern Trachealwundwinkel und wurde durch
die Ganüle gegen die vordere Trachealwand gepresst und dadurch
unschädlich gemacht. Gerade der Sitz des Polypen aber bewog
späterhin Krishaber von seiner früheren Ansicht abzugehen und
den Polypen mit der Tracheotomie in Zusammenhang zu bringen,
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Ursachen der Erschwerung des D^oanalement nach Tracheotomie. 129
denn unter den 59 Beobachtungen (Petel p. 20) von Polypen-
bildangen der grösseren Luftwege im Eindesalter, die 1874 bekannt
waren, war auch nicht eine, wo der oder die Polypen, unter
Freibleiben des Larynx, ihren Sitz ausschliesslich in der Trachea
hatten. — Im Falle von Bergeron dagegen, wo der Polyp im
Larynx sass, können wir ganz gut das primäre Vorhandensein des-
selben annehmen.
Ich will diejenigen Stellen, an denen sich Granulationspolypen
entwickeln können, der Kürze halber als differente Stellen be-
zeichnen, im Gegensatze zu den sich in dieser Beziehung indifferent
verhaltenden übrigen Partien der Larynx- und Tracheaischleimhaut.
Wie sofort ersichtlich, haben die differenten Stellen alle Das ge-
meinsam, dass sie im Bereiche der Trachealcanüle liegen, dass sie
an solchen Orten entstehen, an denen eine Läsion der Schleimhaut
durch die Canüle unterhalten oder bewirkt wird. An den indiffe-
renten Stellen könnte ein Granulom nur auf dem Boden eines
durch den diphtherischen Process hervorgerufenen Geschwüres ent-
stehen, ob aber tiefer gehende Geschwüre an den indifferenten
Stellen vorkommen, ist doch noch sehr die Frage. Gewiss kommen
an die Tracheotomiewunde sich anschliessende, diphtherisch-ge-
schwürige Substanzverluste der vordem Trachealwand vor, doch
enden eben fast alle diese zu Gangrän führenden Fälle mit dem
Tode.
Laryngoskopisch konnte ich bei geheilten, tracheotomirten
Kindern an den obern Kehlkopfpartien nie narbige Verdickun-
gen als Reste von früheren Geschwüren und Granulombildungen
sehen und auch in der Literatur finde ich solche Fälle nicht er-
wähnt Die Narbenstenosen in der Trachea aber haben, wie wir
später sehen werden, ihren Sitz ebenfalls immer an einer diffe-
renten Stelle. Ich hege deshalb die Ansicht, dass durch den
diphtherischen Process allein, wenigstens in den mit Genesung
endigenden Fällen, an den indifferenten Stellen keine andern als
ganz oberflächliche Substanzverlaste gesetzt werden, welche ohne
Granulombildung und ohne Narbe heilen. Dem entsprechend wurden
Stricturen oder Granulome oberhalb der Stimmbänder oder
unterhalb des unteren Ganülenendes nach Tracheotomie wegen
Diphtherie nie beobachtet.
Der seltenste Sitz der Granulome ist die hintere und die vor-
T. L»ag«nbeek, Aieh. f. Chirorgi«. XXXV. 1. U
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130 Dr. Emil Köhl,
dere Trachealwand, an der Stelle, wo das untere Gannlenende der
Trachealwand anliegt; es sind dies die 2 bekannten Decubitas-
stellen durch das Caniilenende, wobei die Prädilectionsstelle,
wenigstens bei den gewöhnlichen Lüer'schen oder Leiter'schen
Canülen, die vordere Wand ist. So ausserordentlich häufig auch
ein solcher Trachealdecubitus vorkommt (es tritt fast stets am 4.
bis 5. Tage nach der Operation leicht blutig tingirter Auswurf als
Zeichen der Läsion der Schleimhaut auf)» so selten sind immerhin
Granulombildungen an dieser Stelle ; eher noch kommt es zu einer
Narbenstenose daselbst, (vergl. Fall Zimmerlin bei den Narben-
stenosen) indem durch die Vernarbung des Geschwürs die Schleim-
haut der andern Seite herbeigezogen wird und dadurch eine sichel
formig in's Tracheallumen vorspringende Falte bildet. Durch die
Bewegungen des Canülenendes wird der Decubitus erzeugt, wahr-
scheinlich aber werden durch das gleiche mechanische Moment die
eventuell entstehenden Granulome schon in ihren Anfangen wieder
zerstört. Zudem hat die Trachealm ucosa, im Gegensatz zu der La-
rynxmucosa, keine starke Neigung zu Neubildungen.
Ebenfalls noch selten haben die Granulationen an der hintern
Trachealwand ihren Sitz, da, wo die conveze Biegung der Canüle
der hintern Trachealwand anliegt, respective gerade oberhalb dieser
Stelle. Die Ursache davon liegt wohl ausnahm3los darin,
dass eine Sprechcanüle angewandt wurde. Durch das un-
tere Ende der Sprechöfifnung wird oft bei der so leicht verwund-
baren, diphtherisch infiltrirten Mucosa ein Decubitus hervorgerufen,
von welchem aus dann das Granulom seinen Ursprung nimmt. Man
sieht oft deutlich unterhalb des Granuloms ein sichelförmiges Ge-
schwür, das dem Canülenfenster genau entspricht. — Begünstigt
wird die Granulombildung an dieser Stelle durch die Hervorwöl-
bung der hintern Trachealwandschleimhaut, oberhalb der Convexi-
tät der Canüle. Die Mucosa stülpt sich dann etwas in die Sprech-
öffnung der Canüle hinein und wird jedesmal bei der Wiederein-
führung der innem Canüle gestreift, oder selbst geklemmt und
gequetscht.
üebrigens darf ein an der hintern Trachealwand sitzendes
Granulom nicht mit einer Vorwölbung der Mucosa daselbst ver-
wechselt werden. Beide finden sich der Trachealincision genau
gegenüber an der hintern Trachealwand, beider Färbung ist gleich
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Ursachen der Erschwerang des Döcanalement nach Tracheotomie. 131
und eine Unterscheidung nur bei genauem Zusehen möglich. Die
hemiose Einstülpung der hintern Trachealwand in das Tracheal-
lamen kann übrigens bedeutendere Dimensionen annehmen , das
D6c. verhindern (Rupprecht) und selbst den Exitus lethalis durch
Saffocation herbeifuhren (Carri6). Da die Therapie dieser beiden
Complicationen sehr verschieden ist, und ein Auskratzen und Aetzen
der nur vorgestülpten hintern Trachealwand sehr schlimme Folgen
nach sich ziehen könnte, so schien es mir wichtig, speciell auf die
leichte Möglichkeit einer Verwechslung der beiden Affectionen hin-
zuweisen.
Der häufigste Sitz der Granulationen ist die Trachealincision.
Dies ist sehr leichtverständlich; denn es handelt sich hier ja um
eine schon durch die Operation geschaffene, tief gehende Tracheal-
wunde, welche zudem in directem Connexe mit der stets üppig
granulirenden Weichtheilwunde steht und eigentlich mit dieser nur ein
Ganzes bildet. Als Sitz der Wucherungen ist entweder der ganze
Umfang der Trachealincision oder nur der untere oder obere Winkel
der Wunde notirt. Meist sitzen die Granulome mit breiter Basis auf,
zumal wenn das D^canulement noch nicht vorgenommen werden
konnte; hat dasselbe indess schon vor langer Zeit stattgefunden, so
nehmen sie im Verlaufe der Zeit mehr Polypenform an, ihre Basis
wird schmaler, so dass schliesslich ein mehr oder weniger lang ge-
stielter pendelnder Polyp entsteht, der sogar, im günstigsten Falle,
durch spontane Abroissung von seiner Basis zur Expectoration ge-
langen kann.
Die nächste Frage, die wir uns nun zur Beantwortung vorzu-
legen haben, ist die, durch welche Momente die Entstehung von
Granulationen am Wundrande begünstigt wird. Es ist dies mit die
wichtigste Frage; denn wenn es uns gelingt diese Momente bei der
Operation und während der Nachbehandlung fern zu halten, so
haben wir dadurch einen grossen therapeutischen Erfolg erzielt und
uns selbst viel Mühe und viel Verdruss erspart. — Die verschie-
densten Ansichten sind hierüber schon geäussert worden.
In den frühesten Zeiten schon, (d. h. seit den Vierziger Jahren)
beschuldigte man den langen Aufenthalt der Canüle in der
Trachea als Hauptursache der Granulombildung; in neuester Zeit
dagegen kommt man mehr und mehr von dieser Ansicht zurück,
indem eine Anzahl von Fällen citirt werden kann^ in welchen, trotz
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132 Dr. Emil Köbl,
langem Liegen der Canüle, keine Granulationswucherungen auftraten,
und andererseits wieder viele Fälle beschrieben worden sind, in
welchen, trotz nur kurzem Aufenthalt der Canüle in der Trachea,
doch Granulationen entstanden, welche das D6c. erschwerten.
Koch sieht es als fraglich an, ob das lange Liegen der Canüle
als Ursache angesehen werden darf, Körte glaubt zwar diese Ur-
sache als erwiesen betrachten zu dürfen, sucht aber für seine eigenen
Fälle, bei welchen allen das D6c. schon frühzeitig versucht wurde,
nach anderen Ursachen. Die im Kinderspitale Zürich beobachteten
Fälle von Granulom bildung sprechen auch nicht besonders für die-
ses Moment, indem das D6c. gleichfalls schon frühzeitig versucht
wurde. So gewiss das lange Verbleiben der Canüle in der Trachea
in anderen Hinsichten viele Schattenseiten darbietet (Verbiegungen
der Trachea, Trachealdecubitus mit Granulom- und Stenosenbildung
an der Stelle des untern Canülenendes, Spornbildung, Gewohnheits-
parese etc.), so gewiss glaube ich auch, dass die Ansicht die rich-
tige ist, welche dahin geht, dass das längere Liegen der Canüle
an und für sich nur von geringem Einfluss auf das Entstehen
von Granulomen an der Stelle der Trachealincision ist.
Viele Autoren (unter andern Küster, Pauly, Trendelen-
burg, Birnbaum, Wanscher, Trousseau) beschuldigen die
Crico- und die Laryngotomie (im Lig. conoideum) als Haupt-
ursache der Granulationsbildung und ganz gewiss ist dieser Vor-
wurf, der den hohen Operationsmethoden gemacht wird, nicht un-
begründet. — Die Lichtweite des Laryngo- Tracheairohres nimmt
bei den Kindern von der Trachea aus gegen die Stimmbänder hin
derart ab, dass am untern Rande des Ringknorpels die Trachea
ihre grössten Durchmesser zeigt. Während sich nun der sagittale
Durchmesser so ziemlich gleich bleibt , verkleinert sich der fron-
tale nach oben hin sehr rasch, um bei Glottisschluss an der Glottis
selbst gleich Null zu sein (vergleiche die Tafeln von Weinberg
1. c). Zudem haftet die Mucosa ihrer Unterlage viel lockerer an
und es tritt dadurch auch leichter eine, durch den Canülenreiz
bedingte, stärkere Schwellung derselben auf, wodurch die hier schon
von Natur aus verengte Stelle noch mehr stenosirt wird. Kommt
nun noch ein, wenn auch kleiner Granulationspolyp am obern
Wundwinkel hinzu, so ist die Passage sehr rasch so total verlegt,
dass an ein D6canulement nicht mehr gedacht werden kann. Immer-
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Ursachen der Erschwerung des D^cannlement nach Tracheotomie. 133
bin ist durch das Gesagte noch nicht erklärt, warum die hohen
Operationsmethoden besonders zur Granulombildung neigen, ausser
etwa durch die allerdings begründete Annahme, dass die Larynx-
mucosa auch sonst zu productiver Thätigkeit viel mehr neigt,
als die Trachealmucosa (Sitz der genuinen Polypen!). — Warum
die Cricotracheotomie meiner Ansicht nach als ungünstigere Opera-
tionsmethode anzusehen ist, werde ich weiter unten noch genauer
erörtern; dass die meisten Autoren gegen sie eingenommen sind,
glaube ich durch wenige Citate beweisen zu können.
Trendelenburg sagt (1. c. p. 283): Femer kommen Granulationen
wohl um so leichter za Stande, je näher die Ganüle den Stimmbändern liegt;
Hueter spricht sich ganz ähnlich aus; Birnhaam sagt (1. c. p. 340): Wir
haben in der Nachbehandlung den Eindruck gewonnen, dass gerade bei den
Patienten, hei denen die Cricotomie gemacht worden war, die spätere Heraus-
nahme resp. Entfernung der Ganüle sehr erschwert war; Wanscher em-
pfiehlt die inferior als bestes Prophylacticam gegen Qranulationsstenose ;
Trousseau drückt sich (p. 418), indem er von der Cricotomie spricht, fol-
gendermassen aus: „En agissant ainsi, on p^n^tre n^cessairement dans le
larynx lui-mSme et si, comme il arrive assez souvent, la canule demeure plu-
sieors semaines dans la plaie, il se prodnit ane n^crose partielle du cartilage
cricoide et m6me du cartilage thyroide. ce qui peut devenir la soarce des
accidents ult^rienrs les plus grayes, outre quMl peat en rösulter une altöration
irr^mödiable de la voix**.
Völker stellte eine eigene Theorie für die Entstehungsweise der Gra-
nulationen auf, indem er sagt, es existire, hei dem Gebrauch unserer gewöhn-
lichen Sprechcanüle , am oberen Trachealwundwinkel ein druckfreier Punkt,
und gerade durch den Mangel an Druck komme die Granulationswucherung
daselbst zu Stande. Gewiss fasst dieser Erklärungsversuch viel Wahres in sich,
doch wieso entstehen denn die Granulationen am unteren Wund winkel, woselbst
doch durch die Ganüle ein ziemlich starker positiver Druck ausgeübt wird?
Voigt (1. c. p. 130) beschuldigt die Sprechcanüle und sagt: Nach
unseren Erfahrungen rühren die Granulationen hauptsächlich von der Be-
nutzung der gefensterten Ganüle her. Nur wo wir Canülen mit zu hoch ge-
legenem Fenster anwandten, haben wir Granulationen beobachtet. — Ebenso
verdammen auch Trendelenburg, Little und Wanscher die Sprech-
canüle. Dass Trousseau sie als ein schädliches Instrument betrachtet,
wissen wir schon ans seinem Briefe an Sendler, die meisten neueren Autoren
theilen seine Ansicht.
Passarant endlich deutet darauf hin, dass ein zu grosser Tracheal-
schnitt schädlich wirken könne, aber einzig bei Garriö finde ich p. 28 eine,
wie mir scheint, zutreffende Notiz über diesen Punkt, den ich meinerseits als
eine Hauptnrsache der Granulationsbildung ansehe. Es hat mich sehr gefreut,
in der trefflichen Arbeit von Carriä meine Ansicht schon ausgesprochen zu
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134 Dr. Emil Kohl,
finden, nnd ich reprodncire hier den betreffenden Abschnitt wörtlich als Stutze
für meine Anschanangen, die ich gleich hernach naher auseinandersetzen will:
,iMais s'il est tris-difficile d'expliqoer poorquoi ces bourgeons charnas se dere-
loppent plntöt dans an cas que dans an aatre, il nous semble plas facile de
savoir poarqaoi, qaand ils existent, ils semblent avoir an si^ge de pr^dilection«
les angles snp^riear et inf^riear de la plaie des tögaments oa de la trachte,
car c*est toigoars en ces points qae lear si^ge a 6i6 signal^, seit que leur Heu
d'implantation ait pu ^tre constat6 pendant la vie, seit que leur ezistenoe ait
6i6 relevöe seulement k Tautopsie. La plaie, faite dans les töguments du cou
et sur la paroi antärieure de la trachte, nöcessaire pour permettre Tintroduction
de la canule, d'abord rectiligne verticalement, prend la forme d'un losange
allongö; une fois l'instrument en place. Deuz des anglos tr^s-ämouss^ de
cette plaie reposent directement sur la canule et se moulent sur eile; les deuz
angles supörieur et inf^rieur sont plus ou moins 61oign6s de la convezit^ et
de la concavit^ de la canule, selon que la plaie est plus ou moins grande,
laissant entre euz et les parois du tube un espace triangulaire. Le lendemain
ou le surlendemain de Top^ration, si la plaie räpond bien au diam^tre de la
canule, on est en pr^sence d'une plaie t^gumentaire compl^tement circulaire,
d'un trou complötement rond. Si, au contraire, la plaie a 6i6 faite trop grande
il persiste toujours au-dessus et au-dessous de la canule deuz points de la
plaie, qui ne reposent pas directement sur l'instrument, et c*est en ce point oü,
par d^faut de compression, vont prendre naissance des bourgeons charnus.
Ceuz de Tangle införieur ne pourront devenir aussi gros que ceuz de l'angle
sup^rieur, Tespace leur manquant pour se d^velopper, a moins qu'ils ne con-
tinuent a vög^ter, une fois la canule enle?6e; mais en haut, oü ils ne sont pas
refoul^s par les parois de la canule, ils peuvent librement augmenter de vo-
lume et p6n6trer dans la trachte au-dessus de la paroi sup^rieure de la ca-
nule, et c'est lä, en effet. que les plus volumineuz ont 6i6 rencontres. La
compression de la canule est si Evidente pour empScher le d^?eloppement de
ces bourgeons que, si Ton vient k faire usage d'une canule perforöe sur la
oonyezit^, ils pön^treront en augmentant rapidement de volume par l'ouver-
ture sup^rieure, s'y engageront comme une cheville, diminueront le calibre de
rinstrument oü leur pr^ence se röv^lera par de la gSne respiratoire. *
Stricte Beweise dafür, dass ein grosser Trachealschnitt die
Granulom bildang begünstigt, bin ich nicht im Stande zu liefeiHi
denn Messungen aber die Grösse der Trachealincision warden weder
hier, noch anderwärts vorgenommen, indess hatte ich immer das
Gefühl, dass gerade diejenigen Tracheotomieen späterhin Schwierig-
keiten im D^canulement darboten, bei denen die Trachealincision
in grosser Ausdehnung gemacht wurde. — Ist die Incision gross,
so wird die Canule nicht den ganzen Raum beanspruchen, es
bilden sich sowohl am oberen als am unteren Wundwinkel kleine
unbenutzt bleibende „todte* Dreiecke. Liegen die Trachealränder,
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Ursachen der Ersohwerang des D^oanalement nach Tracheotomie. 135
wie dies bei kleiner IncisioD der Fall ist, der Ganüle überall fest
an, so können sich nirgends bypertrophirende Granulationen bilden,
sind aber oben erwähnte todte (klaffende) Dreiecke vorhanden, so
werden sich dieselben natürlich, wie überall anderswo, per secun-
dam intentionem, d. h. eben durch Granulation, zu schliessen suchen.
Es entwickeln sich hier also Granulationen, die, so lange die Ca-
näle liegt, allerdings keine Symptome machen. Wird dagegen die
Ganüle entfernt, so schliesst sich die Wunde, die beiden Tracheal-
ränder nähern sich einander und die in den Winkeln eventuell
vorhandenen Granulationen werden dadurch verdrängt und in das
'Irachealluroen hineingepresst. Diese Anfangs noch ganz unbedeu-
tenden Wucherungen bilden dann den Ausgangspunkt für die
späterhin entstehenden, grösseren Polypen. — Solche Granulations-
anfänge brauchen sich natürlich nicht an beiden Trachealwund-
winkeln zu entwickein. Ob sie am oberen oder am unteren Wund-
Winkel entstehen, hängt mehr oder weniger von Zufälligkeiten ab,
von der Grösse des Schilddrüsenisthmus, von der Kürze des Halses
u. s. w.; so kann z. B. eine voluminöse Struma bei der Tracheot.
snp. die Ganüle so nach oben drängen, dass sie den oberen todten
Winkel ausfüllt, um dafür den unteren desto grösser werden zu
lassen; bei kurzem Halse dagegen wird (und dies trifft in der
Hehrzahl der Fälle zu) die Ganüle durch das Doppelkinn des
Kindes und zumal durch die Schluckbewegungen kräftig nach unten
gedrängt, wodurch ein dem eben besprochenen entgegengesetzter
Effect erzielt wird. Den hohen Operationsmethoden hängt dieser
Kachtheil natürlich ganz besonders an, und die Gricotomie speciell
neigt desshalb noch ganz insbesondere zu Granulationswucherungen,
weil der Ringknorpel der nach oben oder unten drängenden Ganüle
nicht vollkommen ausweicht, sondern durch seine ziemlich bedeutende
Elasticität dieselbe entweder nach oben oder unten drangt, ohne
sich indess ganz zu schliessen, wodurch sehr leicht ziemlich grosse
todte Winkel Entstehung finden. Es ist klar, dass eine grosse
Trachealincision ebensowohl bei der superior als bei der inferior
gemacht werden kann; wenn nun aber bei der inferior die Granu-
lationsstenose weniger häufig ist, so erklärt sich dies zum Theil
aus dem bereits über die Gricotomie Gesagten, zum Theil da-
durch, dass die Trachealmucosa weniger Neigung zu Schwellungs-
nnd Wucberungszuständen hat, als die Larynxmucosa, und endlich
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136 Dr. Emil Eöhl,
dadurch, dass in den höheren, engeren Partieen des Laryngo-
Trachealraumes schon ein kleineres Hinderniss genügt, um den
Weg unpassirbar zu machen, als in den tiefer gelegenen, weiteren
Partieen.
Noch ein weiterer Umstand aber ist für die Entwickelung
der Granulationsstenose von der allergrössten Wichtigkeit: die Art
und Weise, wie das D6canulement vorgenommen wird. Wird
schon frühzeitig, d. h. vom 4. — 5. Tage an, die Sprech-
canüle in Anwendung gebracht, so wird dadurch, wenn,
wie fast stets, das Fenster nicht absolut genau dem
oberen Tracheallumen entspricht, der obere todte Win-
kel der Trachealincision ungemein vergrössert; wo An-
fangs kein solcher vorhanden war, wird einer künstlich
geschaffen; es befindet sich meist die jetzt zu granu-
liren beginnende Weichtheilwunde zum Theil im Bereiche
dieses leeren Raumes, und es wäre wirklich wunderbar,
wenn sich ein Granulationspolyp hier nicht entwickeln
würde. Wird vom 4. Tage an die Sprechcanüle in Gebrauch ge-
zogen, bis der Larynx wieder ganz frei ist, so hat ein Granulations-
polyp unterdessen reichlich Zeit zu seiner Entwickelung gefunden,
und trotzdem dass das D6canulement also sehr frühe versucht
wurde, wird dasselbe dennoch nicht gelingen. Wer die mitgetheilten
Krankengeschichten des Züricher Kinderspitales aufmerksam durch-
liest, wird finden, dass dieselben durchaus geeignet sind, meine
Ansicht zu unterstützen. Ich stehe nicht an, den zu langen
Trachealschnitt und insbesondere den Gebrauch der
Sprechcanüle als die Haupt- und fast einzigen Ursachen
der Granulationsbildung zu bezeichnen. Die Sprech-
canüle zumal ist ganz gewiss, wie dies schon Trousseau
sagte, ein nicht nur unnützes, sondern geradezu gefahr-
liches Instrument und man könnte sie fuglich ganz gut aus
dem Instrumentarium entfernen , wenn sie nicht, wie wir dies
später sehen werden, in einem ganz bestimmten Falle, nämlich
bei Gewohnheitsparese, ganz gute Dienste leisten würde.
Ist die Trachealincision in gar zu grosser Ausdehnung ge-
macht worden, so werden die Trachealränder der Canüle nirgends
fester anliegen und der Erfolg wird ein ganzer Kranz von Granu-
lationen an der Peripherie der Incision sein.
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Ursachen der Brsobwening des D^Dulement nach Tracbeotomie. 137
Dass Wanddiphtherie keine neimenswerthe Bolle bei der Ent-
stehung von Granulationswucherangen spielt, ersehe ich aas den
Tabellen, die ich mir über alle geheilten Tracheotomieen aus dem
Kinderspitale angefertigt habe; dem entsprechend weisen auch von
den 19 Fallen, die in der Casaistik der Granulationsstenosen er-
wähnt sind, nur wenige irgend stärkere Wnnddiphtherie auf.
Im Eantonsspitale, woselbst so ziemlich das gleiche klinische
Material wie im Kinderspitale zar Beobachtung kommt, ist die
Wnnddiphtherie darchaus nicht seltener, als in letzterem Spitale
und doch gehören Grannlationsstenosen hier zu den Seltenheiten.
Man kann sogar noch weiter gehen and geradezu behaupten, dass
die Wanddiphtherie das D^canulement erleichtert: durch die Bigiditat
desWundcanales, welche durch die Infiltration derWundr&nder bedingt
ist, wird oft eine schon sehr frühzeitige Entfernung der Canüle
otnöglicht, die Wundrander legen sich nicht aneinander, sondern
bilden einen starren Canal und ermöglichen dadurch ein aus-
giebiges Einströmen von Luft in das Trachealrohr, während die
Stenose in der Gegend der Glottis zum Theil. noch fortdauert.
Wir haben uns nun noch die Frage zu beantworten, wie die
Granulationen die Dyspnoe bewirken können und warum sie das
D^canulement behindern. Dass eine voluminöse Granulation, welche
die Trachea beinahe ausfüllt, die Bespiration beeinträchtigt, ist
selbstverständlich, aber es giebt auch kleinere, zumal gestielte po-
lypöse Granulationen, die Tages über, wenn das Kind wach ist,
die Bespiration kaum erschweren, Nachts dagegen, im Schlafe,
den stärksten Stridor hervorrufen, der sich sogar zu plötzlichen
Erstickungsanfallen steigern kann. Unterliegt ein Kind einmal
einem solchen Anfalle, so ist man bei der Section über die Klein-
heit des Polypen erstaunt und fragt sich, ob denn derselbe wirk-
lich die einzige Todesursache geweseo sei. Es darf eben nicht
vergessen werden, dass intra vitam der Polyp doch voluminöser,
durch die inspiratorische Luftverdunnung blutreicher und ödema-
töser als nach dem Tode ist (Koch). Sann 6 sieht zwar Spas-
mus glottidis als den einzigen triftigen Grund der Suffocations-
anfiUle an und negirt die Möglichkeit der Turgescenz der Polypen,
doch beweist der von Koch citirte Fall, in welchem sich eine
flerumerfullte, kirschgrosse Blase vorfand, dass Schwellungszustände
der Granulationen ganz sicher vorkommen. Ebenso können durch
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138 Dr. Emil Eöhl,
die inspiratorische LnftverdunnuDg kleine Hämorrhagieen im Po-
lypen erzeugt werden, die natürlich zu seiner Vergrösserung auch
beitragen. Ein Fall der Art ist der von Miliard und Hemey
citirte, in welchem sich fibrinöse Auflagerungen auf der Oberfläche
und eine Hämorrhagie im Gentrum des Polypen vorfand; einen
gleichen bespricht auch Petel (1. c. p. 15).
Dass andererseits ein Spasmus glottidis plötzlich den Tod
herbeiführen kann, wenn der gestielte Polyp durch einen Husten-
stoss gegen oder zumal in die Glottis geschleudert wird, will ich
allerdings durchaus nicht etwa in Abrede stellen, viele, zumal
französische Autoren, behaupten dies. Dass Sann^ den Spasmus
glottidis als Hauptursache der Suffocationsanfälle ansieht, ist schon
erwähnt, ähnlich spricht sich übrigens auch Küster (S. 102) aus:
^Ich kann mich des Gedankens nicht entschlagen, dass die Crico-
tracheotomie besonders bedenklich ist, weil ein gestielter Granu-
lationspolyp massigen Dmfanges in den tieferen Abschnitten der
Trachea wenig ausmachen und nach Entfernung der Canüle bald
schrumpfen wird, während er in der Nähe der Glottis, sobald er
durch den Exspirationsstrom in letztere geschleudert wird, mecha-
nisch und reflectorisch sofortige Erstickungserscheinungen hervor-
rufen muss**.
Als weiteren Erklärungsversuch der plötzlich, zumal Nachts,
auftretenden Erstickungsanfalle muss ich die Ansammlung von
Schleim hinter der stenosirten Stelle erwähnen (Niemeyer). Es
ist klar, dass im Schlafe der Schleim Gelegenheit hat, sich in
grösseren Mengen anzuhäufen, und wirklich sieht man öfters einen
im Schlafe plötzlich auftretenden Erstickungsanfall nach der Ex-
pectoration einer grösseren Schleimmasse wieder verschwinden.
Femer disponirt die Bückenlage an und für sich schon dazu
(Graves), indem der Polyp, der Schwere folgend, mehr direct in
die Trachea hineinhängt und indem die Trachea durch die meist
stattfindende Rückbeugung des Kopfes verlängert und etwas abge-
plattet wird; es wird dadurch dem Polypen eher ermöglicht, die
hintere Trachealwand, die ja allein empfindlich ist, zu reizen.
Guersant zieht noch ein psychisches Moment herbei,
indem er meint, die Anfälle würden durch die Angst des Kindes
verlängert und verstärkt. Für diese Ansicht spricht namentlich
der Umstand, dass durch Ghloroformnarcose der Anfall oft be-
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Ursachen der Ersohwerang des Döcanulement nach Traoheotomie. 139
deatend abgeschwächt werden kann. — Dass die Dyspnoe, die bei
ruhigem Verhalten des Kindes tiicht sehr hochgradig ist, durch das
unruhige Herumwalzen im Bette, durch das Schreien und den da-
durch bedingten grösseren Luftbedarf sehr erheblich gesteigert wird,
ist leicht einzusehen, gesellt sich, durch die dadurch hervorgerufene
sticke inspiratorische Luftverdännung, noch eine Turgescenz des
Polypen vielleicht mit Blutextravasation hinzu, so kann die Stenose
so zunehmen, dass ohne chirurgische Hälfe der Erstickungstod die
nothwendige Folge ist. Der Anfall kann dabei 1—2 Stunden lang
dauern, bis er zum Tode führt, vergleiche z. B. die Krankenge-
schichte des Kindes Weber S. 95.
Was die Diagnose der Granulationspolypen betriflEt, so er-
giebt sie sich zum Theil schon aus dem bereits Gesagten. — Bei
geschlossener und vernarbter Halsfistel ist das Laryngo-
skop das beste Hülfsmittel. Kommt man damit nicht zum Ziele,
oder glaubt man damit nicht zum Ziele zu kommen, so kann die
Diagnose allerdings nicht mit absoluter Sicherheit gestellt werden.
— Allmalig, zuerst Nachts auftretende, erschwerte Respiration, die
späterhin auch Tages über behindert erscheint und öfters durch
Dyspnoeanfölle unterbrochen wird, spricht für Granulationsstenose.
Ab und zu hört man bei forcirter, ja selbst bei ruhiger Respiration
ein klappendes Geräusch (wie sich dasselbe mehrfach in unseren
Krankengeschichten erwähnt findet). Dasselbe wird durch die re-
spiratorischen Bewegungen des Polypen bedingt. Der Sitz dieses
Geräusches kann unter Umständen auscultatorisch ziemlich genau
bestimmt werden (P6rier). (Dieses klappende Geräusch darf nicht
mit dem durch einen mobilen Fremdkörper erzeugten , übrigens
diesem ganz identischen Geräusch verwechselt werden. Auch wenn
die Anamnese durchaus negativ ist, so hat man an diese Möglichkeit
XU denken.) Die Dyspnoe ist meist gemischt, indess ist in dem
einen Falle mehr die Inspiration, im andern mehr die Exspiration
behindert; dies hängt vom Standorte des Polypen ab; wenn der
Granolationspolyp z. B., me dies meistens der Fall ist, wie ein
Klappenventil vom obem Wundwinkel her schräg nach unten und
hinten sieht (entsprechend seiner früheren Lage auf der Dorsal-
wölbung der Ganüle), so ist es hauptsächlich die Exspiration,
welche behindert ist Jedenfalls aber ist die zweite Respirations-
zeit nicht frei, z. B. nur die Inspiration erschwert, die Exspiration
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140 Dr. Emil Kohl,
dagegen gar nicht behindert, wie dies bei Stimmbandlähmnng der
Fall ist. Verschlucken findet nicht statt, ausser bei hochgradigster
Dyspnoe. Bei Relaxationen der vordem Trachealwand wäre die
Exspiration frei, bei Verbiegongsstenose sind beide Respirations-
zeiten ganz gleichmässig an der Dyspnoe betheiligt und die Stenose
nimmt allmälig, Anfangs wenigstens ohne intercurrente Dyspnoe-
anfalle, zu; Glottisspasmen setzen nur kurz dauernde Erstickungs-
anfälle und können dadurch ausgeschlossen werden, dass in den
freien Zeiträumen, auch bei forcirter Respiration, kein Stenosenge-
räusch gehört wird. Einzig Chorditis inferior kann zur Verwechs-
lung Anlass geben und hier kann eben nur das Laryngoskop
entscheiden, falls nicht inspiratorische Phonation vorhanden ist.
Dieselbe lässt sich bei einiger üebung leicht von dem gewöhn-
lichen Stenosengeräusche (comage) unterscheiden, sie spricht gegen
Granulationsstenose und für Chorditis infer. (oder G^wohnheits-
parese !)
Konnte die Ganüle noch nicht entfernt werden, so
ist die Diagnose natürlich viel leichter, indem bei genauer Local-
inspection der Trachea, unter künstlicher Beleuchtung und unter
Auseinanderdrängung der Weichtheilwundlefzen durch Dilatator oder
Wundhaken, die Granulationen dem Auge direct zugänglich gemacht
werden können. Sieht man die Granulationen nicht schon direct,
so untersucht man den obern und den untern Wundwinkel mit
einem Schielhäkchen. Die Granulation der hintern Trachealwand
liegt, wenn eine solche überhaupt vorhanden ist, der Trachealinci-
sion direct gegenüber. Einzig die Granulationen am untern Ganu-
lenende sind nicht direct sichtbar und müssen mit Hülfe eines
Trachealcatheters aufgesucht werden; übrigens machen sich diese
Granulationen meist dadurch bemerklich, dass die Respiration be-
reits bei noch liegender Canüle behindert ist, obwohl kein Granu-
lationspfiropf durch das Ganülenfenster in die Canüle hineinragt
und deren Lumen etwa verengt.
In veralteten Fällen, wenn mehrfache Tracheotomien und
Heilversuche schon vorausgegangen sind, wenn der Polyp durch
partielle Verheilung der Trachealincision nicht mehr genau am
Fistelrande sitzt, ist es zweckmässig, die Trachea von der Wunde
ans mittelst kleiner Kehlkopfspiegel zu inspiciren. Hier leistet
auch die Sondenuntersuchung (Dupuis'sche Sonden) gute Dienste,
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Ursachen der Erschwerang des D^canulement nach Tracheotomie. 141
manchmal kann man sich auch durch einen vom Munde aus ein-
geführten Catheter einen Polypen des obern Wundwinkels in die
Trachealwunde herabdrängen. Oft muss man in solchen veralteten
Fallen die Wunde blutig dilatiren, um zu einem sichern Resultate
zu kommen. Dabei thut man gut, bei noch liegender Oanüle, ge-
radezu eine neue Tracheotomie zu machen, derart, dass die Trachea
unterhalb der Ganüle nackt zu Tage liegt. Jetzt erst nimmt man
die Canüle heraus und trennt nun blutlos die noch vorhandene
schmale Brücke. Eine Blutung, die bei directer Dilatation der
Fistel mit dem Messer sogar tödtlich enden kann (Billroth), wird
dadurch sicher vermieden (Krönlein.) Dieser, zu diagnostischen
Zwecken unternommenen blutigen Dilatation der Fistel lässt man
dann natärlich gleich die zweckentsprechende Therapie folgen.
So einfach nun diese letztere in manchen Fällen ist, so mäh-
sam und schwierig kann sie sich wieder in andern, zumal ver-
alteten Fällen gestalten, in denen sich der Granulationsstenose noch
andere Momente zugesellen, die das D6canulement zu erschweren
im Stande sind. Da ich die mechanisch-orthopädische Behandlung
erst bei den Narbenstenosen besprechen will, so werde ich jetzt
einzig die Therapie der einfachen Fälle besprechen. Dürfen wir,
wie unsTrousseau dies anräth, einfach zuwarten und hoffen, dass
die Granulation auf dem Wege der Schrumpfung verschwinden
wird? Gewiss giebt es Fälle, die auf diese Weise zur Heilung ge-
langen, Meyerson verfolgte in einem Falle den Schrumpfungspro-
cess laryngoskopisch, bis die Anfangs ziemlich voluminöse Granu-
lation vollständig verschwunden war. Aber dieser Ausgang ist
selten und wir haben sicher ebenso wenig das Recht, uns hierauf
zu stützen, als wir die spontane Expectoration der Granulationen ab-
warten dürfen. Eher noch könnte man, den von Rouzier-Joly
beobachteten Fall von Naturheilung nachahmend, den Granulations-
polypen an einen Faden anzuschlingen und in die Fistel einzuklemmen
versuchen. Vielleicht wäre dadurch einem ßecidive ein sichererer
Riegel gestossen, als durch die gewöhnlichen Behandlungsarten.
Diese letzteren bestehen in Aetzungen mit Höllensteinlösungen
(fast die meisten Autoren), mit Ghromsäure (Sann6), mit Lapis
in Substanz, mit Ferrum sulfuricum (Sann 6), mit Liquor ferri
(Smith, mit einem Todesfalle), Zerstörungen der Granulationen
mit dem Thermo- oder Galvanocauter (Hagen bach, Ozerny),
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U2 Dr. Bmil Köhl,
in Zerquetschung derselben mittelst Pincetten, in dem Evidement
mittelst des scharfen Löffels (Koch), in der Abschnurung durch
den PolypenschnQrer Wilde's, eventuell der galvanocaustischen
Schlinge (Pauli). — In den meisten der nach den zuletzt no-
tirten Methoden behandelten Fällen kam nach der Entfernung des
Polypen noch der Stift zur Verwendung. Leider gewährt keine
Methode Garantie gegen ein Recidiv, es ist desshalb sehr zu
empfehlen auch nach der Zerstörung der Granulationen nicht so-
fort das D6canulement zu machen, sondern noch einige Tage ohne
weitere therapeutische Massnahmen zu warten, einzig, um sich zu
vergewissem, ob ein Recidiv auftritt oder nicht. Auf einen Punkt
möchte ich noch ganz besonders aufmerksam machen. Wird gleich
nach Entfernung und Aetzung der Granulation die Sprechcanüle
angewandt, so werden sich die nun im Beizzustande befindlichen
Granulationsreste, anstatt durch Druck vollends zum Schwund ge-
bracht zu werden, sehr rasch wieder vergrössem und in das Ca-
nülenfenster hineinwuchern, genau wie dies in den ersten Tagen
nach der Operation auch geschieht, eine Sprechcanüle darf
deshalb apch jetzt nicht zur Verwendung kommen,
man lege vielmehr eine die Trachealincision genau ausfüllende ge-
wöhnliche Ganüle ein. Auch der Dupuis 'sehen T-Canüle möchte
ich nicht das Wort reden; dieselbe muss zu oft gewechselt werden
und ist zu schwer einzuführen. Fast regelmässig bildet sich, we-
nigstens bei der Tracheotomia superior nach 10 — 12 Stunden eine
Schleimhautschwellung am obern Ganülenende, eine Chorditis inferior
acuta aus, welche die Entfernung der T-Ganüle und die Einlegung
einer gewöhnlichen erheischt; durch das häufige Ganülen wechseln
werden aber alle Theile lädirt und gequetscht und dadurch wird
nur ein neuer Reiz zur Granulationsbildung gesetzt. — Will man
nach der Zerstörung einer Granulation im obern Wundwinkel
durchaus eine Laryngo-Trachealcanüle einlegen, so möchte sich eine
der Schornsteincanülen noch am besten dazu eignen; ich glaube
indess kaum, dass dies in einfachen Fällen nöthig sein wird. Man
lässt dann die Schomsteincaniile 4 — 5 Tage unverrückt liegen,
vertauscht sie hernach mit einer gewöhnlichen Ganüle, um dann
diese letztere 1—2 Tage darauf ganz zu entfernen. Die Granu-
lationen der hintern Trachealwand entfernt man wie diejenigen der
Trachealincisionsstelle. Zur eventuellen Compression wäre die
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Ursachen der Erscbwernng des D^canulemeDt nach Tracheotomie. 1 43
T-Ganäle das beste lostrument. — Die dem antem Canfilenende
entsprechenden Granulationen werden am besten zuerst mit einem
Catheter oder Schwamm (Voltolini) zerdruckt und dann durch eine
längere Canüle einige Tage comprimirt. Es ist dabei zweckmässig,
einen kleinen Gummischlauch (Drainstück) über das unteren Ca-
nulenende zu stülpen. Eine rein mechanische Behandlung erfordern
die mit secundärer Narbenbildung complicirten Granulationsstenosen,
dieselbe findet indess ihre Besprechung bei der Therapie der Nar-
benstenosen.
Dass Grannlationsstenosen auch vom Hunde aus erfolgreich
behandelt werden könen, haben wir bereits aus den mitgetheilten
Krankengeschichten kennen gelernt. Durch einen Larynxcatheter
können die Granulationen abgequetscht und durch mit Lapis ar-
mirte Sonden kann ihre Implantatiousstelle geätzt werden. Immer-
hin eignen sich nur wenige Fälle für diese Behandlungsweise, meist
wird jeder Versuch an der Unruhe und Angst der Kinder scheitern.
Die beste Therapie ist gewiss die prophylactische,
und am noch einmal kurz zu resumireh, erlaube ich mir folgende
die Operation und die Nachbehandlung betreffende Vorschläge zu
machen.
1) Die Tracheotomie soll eine reine superior sein, so dass die
Canüle oben direct an den intacten Ringknorpel sich anlehnt;
eventuell (bei hochliegendem voluminösen Isthmus der Schilddrüse)
ist die inferior der Cricotracheotomie vorzuziehen.
2) Die Trachealincision soll gerade so gross sein, dass die
dem Alter des Kindes entsprechende Canüle eben gut durchschlüpft .
Es ist dabei darauf zu achten, dass die Trachealränder nicht durch
die Canüle nach innen umgestülpt werden.
3) Vor dem dritten Tage das D^canulement zu versuchen, hat
keinen Zweck, es ist im Gegentheil zweckmässig die Canüle bis
dahin nnyerrückt liegen zu lassen.
4) Vom 3,-4. Tage an soll das D6canulement täglich
versucht werden in der Art, dass die Canüle immer länger ent-
fernt bleibt, zuerst für einige Viertelstunden, dann für einige Stun-
den, dann den ganzen Tag hindurch und schliesslich definitiv.
5) Bei der Wiedereinführung der Canüle ist darauf zu achten,
dass die Trachealränder nicht nach innen umgestülpt werden, sollte
die Einführung nicht ganz leicht sein, so benutze man eine Send-
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144 Dr. Emil Röhl,
1er 'sehe Gondactorcanüle oder den Troasseaa'schen Dilatator,
oder man lasse sich die beiden Trachealränder durch Häkchen
auseinander ziehen.
6) Die Wunde soll beim D6canulement nicht verbunden wer-
den, sondern im Gegen theil offen bleiben, man bedeckt sie am
besten mit einem feuchten Gazeläppchen, damit der Schleim we-
niger zur Krustenbildung neigt.
7) Eine Sprechcanüle darf nicht zur Verwendung
kommen.
8) Zeigen sich dessenungeachtet Granulationen an den Ran-
dern der Trachealincision, so ätze man sie tüchtig mit dem
Stifte, neutralisire mit Kochsalz und lege wieder eine gewöhnliche
Canüle ein. Dieselbe soll 2 — 3 Tage ruhig liegen bleiben; eine
Sprechcanüle darf auch jetzt nicht zur Verwendung ge-
langen. Ist nach 3 Tagen ein Recidiv zu constatiren, so appli-
cire man den Stift nochmals, ist keines vorhanden, so kann in
frischen Fällen das D6canulement wie früher wieder versucht wer-
den (und meist wird dasselbe gleich gelingen).
9) In veralteten Fällen thut man gut, nach Entfernung der Gra-
nulationspolypen noch 8 — 10 Tage zu warten, ehe man die Oanäle
zu entfernen sucht, um so mehr Garantie gegen ein Recidiv zu
haben.
Viele französische Autoren (Bergeron, Miliard, Petel)
rathen an, in allen Fällen den ganzen Umfang der Trachealincision
kräftig mit dem Stifte zu bestreichen, ehe das D6canulement statt-
hat. Der Vorschlag ist gewiss ganz rationell, indess halte ich dies
systematische Vorgehen fiir überflüssig, falls man eben die Tra-
chealränder vor dem D6canulement noch genau inspicirt hat.
Die nachstehenden Fälle beziehen sich auf die Anmerkung
auf S. 85.
Hämig, Amalia, 1 V2 Jahre von Uster. Eintritt in das Kantonsspital
13. 3. 1886. (Eigene Beobachtung.) — Wegen hochgradiger Dyspnoe wird
von H. Dr. Brunn er gleich bei der Aufnahme die Tracbeot. sup. aasgeführt.
Ueber die Operation ist nichts besonderes zu berichten. Membranen werden
keine ezpectorirt. Respiration frei. Keine Rachenbelege. Temperatur bis
39,0. Respiration 48 — 50. — In den ersten Tagen nach der Operation
werden öfters kleinere Membranen ezpectorirt, so wird am 17. 3. (am
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Ursachen der Erschwerang des Döcanulement nach Tracheotomie. 145
4. Tage nach der Operation) hei Gelegenheit derCanülenreinigang eine grössere
Membran ausgehustet. — Nur Spuren von Ei weiss im Urin. Stets bis 38,7
Fieber, gegen welches Antipyrinsuppositorien und kalte Wickel in Anwendung
gebracht werden. Das Fieber hält bis gegen den 23. 3. an. Am 27., 28.
und 29. wieder Temperaturerhöhung bis 39,0. — Hierauf ist die Pat. wieder
fieberfrei bis zum 6. 4.; am 7. erreicht die Temperatur 40, ist dagegen am
8. 4. wieder normal, an welchem Tage Pat. wieder eine 2 Ctm. lange Mem-
bran aushustet, am 12. 4. wird, bei normalerTemperatur, wieder eine IYj^^ii)'
lange und V4 ^tm. breite, ziemlich derbe Membran expectorirt, dabei zeigt
sich Wunddiphtherie in massiger Ausdehnung. — Von jetzt an ziemlich
fieberfreier Verlauf, nur am 17. und 19. 4. kleine Temperatursteigerung auf
38.5. Die vielfach unternommenen Versuche, die Canüle zu entfernen, waren
stets erfolglos geblieben, offenbar weil der Kehlkopf immer noch durch diph-
therische Membranen verlegt war. An den Trachealrändern waren in den
ersten Wochen keine Granulationen vorhanden. Nachdem seit dem 13. 4.
keine Membranen mehr ausgehustet worden, wird am 16. 4. die Canüle wieder
entfernt, wobei an den Trachealwund rändern kleinere Granulationen con-
statirt werden. Entfernung derselben mit dem scharfen Löffel und Application
des Stiftes. Am 18. und 19. wird die Canüle zeitweise, am 20. 4. (38 Tage
nach der Operation) definitiv entfernt. Die Wunde schliesst sich sehr rasch,
die Respiration bleibt aber auch für die Zukunft nun vollkommen frei. Am
6. 5. Masern, weshalb Pat. auf die medicinische Klinik verlegt wird, aus der
sie dann späterhin, nach Ablauf derselben, mit vollkommen freier Respiration
nach Hause entlassen werden kann.
Hintermann, Gottlieb, 2V3 Jahre, von Gattikon. Eintritt in das Kantons-
spitalZürich 18. 5. 1886. (Eigene Beobachtung.) — Pat. hatte vor 3 Wochen
Masern und soll seit dieser Zeit immer eine belegte Stimme gehabt haben.
Seit 3 Tagen hat Pat. Dyspnoe, welche sich von Stunde zu Stunde gesteigert
hat und bei der Aufnahme des Pat., wenn auch nicht sehr hochgradig, so
doch recht bedeuiend ist. Massige Cyanose. Stimme fast Null. Crouphusten.
Temperatur 36.4. Puls 128. Respiration 28. Rachen und Nase ohne diph-
therische Auflagerungen. Kein Eiweiss im Urin. Therapie*. Alauninhalationen,
Eiscompressen auf den Hals. Am 20. 5. lässt sich etwas Besserung con-
statiren, Dyspnoe aber immer noch vorhanden. Hydropathische Wickel am
ganzen Rumpfe behufs tüchtig;er Diaphorese. Temperatur zwischen 36,4 und
37,5 schwankend. Respiration 24 — 28. In den nächsten Tagen werden die
Eiscompressen durch hydropathische Halswickel und die Alaunlösung durch
Aq. calcis ersetzt. Nur ganz allmälig bessert sich die Respiration, die-
selbe wird bis zum 6. 6. fast vollkommen frei und Pat. wird, obwohl er aller-
dings noch heiser ist, nach Hause entlassen. Schon am 11. 6. tritt Pat.
wieder ein und zwar diesmal mit hochgradiger Dyspnoe. Die Respiration
hatte sich während des Aufenthaltes zu Hause progredient wieder verschlechtert.
Nirgends Beläge. Temperatur 37,4. Puls 120. Gleiche Therapie wie
früher (Eiscravatte , Alauninhalationen). Da die Dyspnoe nicht nachlässt,
musste ich Nachmittags 5 Uhr dieTracheotomiasup. ausführen. Bohnen-
▼. Lang^nbeek, ArehW f. Chirurg!*. IXXV. 1. 10
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146 Dr. Emil Kohl, Ursachen der Erschwerang des D^canulement.
grosses, aberrirendes StromaläppcheD median auf dem Ringknorpel. Zwischen
diesem Läppchen and dem Islhmus wird die Tracheolomie ausgeführt, die-
selbe bietet weiter kein besonderes Interesse dar. Reine Trach. sop., l'ren-
nung der 3 obersten Tracheairinge. — Eine dünne Membran wird mit der
Pincette aus der Trachea entfernt. — Expectoration reichlichen Schleimes.
Keine Blutung, keine Ligaturen nöthig. Respiration nach der Operation voll-
kommen frei. — Im weiteren Verlaufe höchste Temperatur 38,2 (immer
Rectumtemperaturen 3 stündlich gemessen). — 12. 6. Respiration frei, kein
Ei weiss. — 15. 6. Erster Versuch, die Canüle zu entfernen, indessen tritt
bald mit Schluss der Weichiheilwunde Dyspnoe auf. Wiedereinlegung der
Canüle. Kein Eiweiss. Temperatur Abends 38,2. — 18. 6. Zweiter Deca-
nulementversuch. Derselbe misslingt aber auch heute, ebenso ein dritter am
20. — 23. 6. bis 27. 6. acute, genuine, croupöse Pneumonie des linken
Oberlappens, mit Temperaturen von 39,5. — Am 27. 6. früh wieder fieber-
frei. Die Canüle kann immer noch nicht entfernt werden. — Am 30. 6. und
2. 7. wird der obere Wundwinkel, obwohl keine Granulationen sicht-
bar sind, mit dem Stifte touchirt, um bei der Verzögerung im D^canulement
der Granulationswucherung zuvorzukommen. — Trotzdem, dass das Lumen
der Trachea sowohl nach oben, als auch nach unten schön klafft, kann die
Canüle doch noch nicht entfernt werden. — Am 4. 7. endlich (28 Tage nach
der Operation) gelingt es, die Canüle dauernd zu beseitigen and am 7. 7.
schliesslich wird die Respiration wieder ganz frei.
(Fortsetzung folgt.)
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VI.
lieber Schiefstand der Nasenscheidewand.
Von
Ang. tichans.
(Hierzu Tafel IL)
unbedeutende Verbiegungen der Nasenscheidewand und gering-
fügige Abweichungen derselben von der normalen Stellung und
Form kommen sehr häufig vor und man kann wohl behaupten,
dass nur ein geringer Procentsatz der Menschen sich eines voll-
kommen symmetrischen und normal geformten Septums rühmen
kann. Stellt man an die Nasenscheidewand die Anforderung, dass
die drei Theile derselben, nämlich das Septum osseum, das Septum
cartilagineum und das Septum membranaceum in einer senkrechten,
mit der Sagittalebene genau zusammenfallenden, die Nasenhöhle
in zwei symmetrische Hälften theilenden Ebene liegen, und unter-
sucht man eine Reihe von Menschen auf das Verhalten ihres Sep-
tums, so findet man, dass mehr oder weniger ausgesprochene
Asymmetrie die Regel, vollständige Symmetrie die Ausnahme bildet.
In den von einigen Autoren zusammengestellten Statistiken
findet dies vollkommene Bestätigung. So fand Theile^) unter
117 Individuen nur 29 mit symmetrischer Nasenscheidewand, wäh-
rend sämmtliche üebrige Abweichungen aufwiesen. ZuckerkandP)
fand unter 370 Nasen 123 mit symmetrischer Scheidewand, die
übrigen mehr oder weniger asymmetrisch. Mackenzie fand in
einer an mehreren Tausend Schädeln angestellten Untersuchung
ungefähr 79 pCt. asymmetrische Septa.
^) Zeitschrift für rationelle Medicin. Neue Folge. Bd. VII. Heidelberg
und Leipzig 1855.
*) Normale und pathologische Anatomie der Nasenhöhle und ihrer pneu-
matischen Anhänge. Wien 1882.
10*
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148 Aug. Scbaus,
So lange nun die Abweichungen in massigen Grenzen bleiben,
sind sie praktisch von gar keiner Bedeutung, da sie functionelle
Störungen nicht hervorrufen, üeber die Frage, ob solche gerin-
geren Abweichungen von der sagittalen Ebene häufiger nach rechts
oder links stattfinden, sind die Forscher verschiedener Ansicht.
Fränkel und Zuckerkandl fanden, dass die Abweichung nach
rechts überwog, Jurasz bezweifelt Dieses. Nach den Unter-
suchungen in der Bonner Klinik liegt die Convexität der Biegung,
wenigstens in den hochgradigen Fällen, viel häufiger nach rechts,
als nach links, worauf wir später noch zurückkommen.
Gegenstand dieser Arbeit sollen nur solche Fälle bilden, in
welchen die Verbiegung des Septum so hochgradig ist, dass func-
tionelle Störungen eintreten, derentwillen therapeutische Eingriflfe
erforderlich sind. Sämratliche von mir beobachteten Fälle waren
im Laufe der beiden letzten Semester (Sommer 1885, Winter 1885/86)
in der chirurgischen Klinik oder im St. Johannis-Hospital in Bonn
in Behandlung. Ich habe auf Rath und unter Anleitung des Herrn
Prof. Trend elen bürg die einzelnen Fälle einer genauen Unter-
suchung unterzogen und die gemachten Beobachtungen an der
Schädelsammlung des hiesigen anatomischen Institutes, welche Herr
Prof. von La Valette mir zur Verfügung zu stellen die Güte
hatte, näher controlirt. Es sind nur solche Fälle berücksichtigt,
in denen die Verbiegung des Septum spontan entstanden war
und gröbere traumatische Ursachen ziemlich sicher auszuschli essen
waren. Unsere Untersuchungen haben nun im Wesentlichen Fol-
gendes ergeben:
Was zunächst das äussere klinische Bild betrifft, so ist das-
selbe in fast allen Fällen ein gleiches. In den meisten Fällen
von hochgradigem Schiefstand der Nasenscheidewand zeigt die
äussere Nase ebenfalls Abweichungen von der normalen Form,
und zwar ist die Nase entweder in toto nach rechts oder links
verbogen, oder dieselbe weist eine skoliotische Form auf, welch'
Letzteres das häufigere ist. Ein engerer Zusammenhang aber zwi-
schen der Verbiegung der äusseren Nase und der des Septums
Hess sich keineswegs immer constatiren ; die beiden können augen-
scheinlich unabhängig von einander bestehen. Zuweilen, wenn auch
selten, kommt es sogar vor, dass die äussere Nase vollkommen
gerade gebaut ist und doch hochgradiger Schiefstand der Scheide-
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Ueber Schiefstand der Nasenscheidewand. 149
wand besteht, wie Dies an einem hiesigen Studenten der Medicin
beobachtet werden konnte. Ausserdem fällt noch bei der äusseren
Betrachtang auf, dass die Nasen meist lang und schmal sind.
Bei Betrachtung und Untersuchung der Nasenhöhle selbst er-
blickt man in dem Nasengange, nach welchem das Septum hin
convex verbogen ist — dies war in den hier beobachteten Fällen
fast stets der rechte Nasengang, nur bei 3 Fällen lag die Con-
yexitat in dem linken Nasengange — das halbkugelig prominirende
oder auch zuweilen winkelig abgeknickte Septum, meist den ganzen
Nasengang versperrend. Durch die gespannte Schleimhaut schim-
mert der Knorpel weisslich durch. Das Bild hat, namentlich
wenn die Schleimhaut entzündlich geröthet ist, grosse Aehnlich-
keit mit Neubildungen am Septum, und es ist Dies wohl häufig
die Veranlassung zu falschen Diagnosen gewesen. In dem anderen
Nasengange erblickt man neben oder etwas oberhalb des häutigen
Septum die untere Kante des knorpeligen Theiles kammartig vor-
springen. Oberhalb dieser Kante lässt sich schon durch das Auge,
aber noch deutlicher durch das Einlegen der Kuppe des kleinen
Fingers, eine der Convexität der anderen Seite entsprechende Aus-
höhlang nachweisen.
In 2 Fällen fand sich auch die schon von Anderen beobach-
tete S-förmige Verkrümmung vor, welche darin besteht, dass neben
der grossen Ausbiegung im vorderen unteren Theile weiter oben
und hinten, an der Grenze des knorpeligen und knöchernen Sep-
tums oder im knöchernen Septum selbst eine zweite Krümmung,
nach der anderen Seite hin, Statt hat, so dass auch der andere
Nasen gang stenosirt wird.
Das häutige Septum betheiligt sich fast gar nicht an der
Verkrümmung und steht meist median; nur wenn die untere
Kante des knorpeligen Septum ganz neben demselben liegt, ist es
etwas zur Seite geschoben.
Bei Patienten mit sehr hochgradigem Schiefstand des Septum
haben die Gesichtszüge leicht einen etwas stupiden Ausdruck.
Derselbe wird dadurch hervorgerufen, dass die Patienten bei mehr
oder weniger vollkommenem Verschluss der Nasengänge gezwungen
sind, durch den Mund zu athmen und diesen dabei offen halten,
ähnlich wie Patienten mit Nasenpolypen und adenoiden Wuche-
rungen.
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150 Aug. Scbaas,
In einzelnen Fällen konamt, wie Dies schon von Petersen*)
und Hartraann^) beobachtet worden ist, Septumschiefstand mit
Polypen und adenoiden Wucherungen zusammen vor. Meist, wenn
auch nicht ausschliesslich, ist dann der verengte Nasengang der
Sitz der Polypen. Der erhöhte Reizzustand, in dem sich die
Schleimhaut im Bereich und hinter der Stenose leicht befindet,
scheint zu Hypertrophie und Polypenbildung zu prädisponiren.
Häufig klagen die Patienten auch, dass sie von ständigem
Nasenkatarrh geplagt sind, und dass die katarrhalische Schwellung
sich zeitweise zur vollständigen Verstopfung beider Nasengänge
steigert. Von etwas intelligenteren Patienten, welche genauer auf
sich Acht geben, kann man erfahren, dass die Steigerung der
Beschwerden von dem Witterungswechsel abhängig ist, indem sich
bei nebligem, feuchtem Wetter die Beschwerden mehren, während
dieselben bei hellem, trockenem Wetter nachlassen. Bekanntlich
sind solche Schwankungen auf hygroskopische Vorgänge an der
Schleimhaut zurückzuführen. Wahrscheinlich spielen dabei auch
nervöse Einflüsse mit, welche reflectorisch auf die Corpora caver-
nosa Eohlrauschii einwirken.
Weit schlimmer aber sind die Folgezustände, wenn sich die
durch den verbogenen Knorpel am Abfluss gehinderten Secrete
zersetzen. Es kann dann, wie wir Dies hier an einigen Fällen be-
obachten konnten, Ozaena mit allen ihren Folgen eintreten.
Doch abgesehen von diesen localen Erkrankungen, zu welchen
sich, wenn auch sehr selten, Abnahme oder auch völliges Schwin-
den des Geruchssinns hinzugesellen kann, wie wir Dies in einem
Falle beobachten konnten, treten auch noch sonstige Folgezustände
bei hochgradigem Septumschiefstand auf.
Durch die Behinderung der nasalen Respiration sind die
Kranken genothigt, durch den Mund zu athmen, was namentlich
Nachts sehr störend wirkt. Der Schlaf wird unruhig, die Patien-
ten erwachen häufig und sind genothigt, die durch das Aus- und
Einstreichen der Luft ausgetrocknete Mundhöhle mit Wasser zu
befeuchten. Auch wird der Schlaf häufig durch Alpdrücken ge-
stört. In zwei unserer Fälle bestanden asthmathische Beschwerden
*) Berliner klin. Woohensohr. 1883. No. 22.
') Deutsche med. Wochenschr. No. 51.
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üeber Schiefstand der Nasensoheidewand. 151
und es liegt sehr nahe, dieselben mit den bekannten Beobachtangen
Ton Voltolini und Hack in eine Reihe zu stellen.
Dass bei hochgradigem Schiefstand der Scheidewand, nament-
lich bei Stenose beider Nasengänge die Sprache undeutlich und
näselnd wird, braucht nicht besonders erwähnt zu werden. —
Bei genauer Untersuchung der einzelnen Fälle wurde Professor
Trendelen bürg auf einige besonders in theoretischer Beziehung
recht interessante anatomische Eigenthümlichkeiten am 6e-
sichtsskelet bei Schiefstand des Septum aufmerksam, welche
im Folgenden etwas eingehender besprochen werden sollen.')
Abweichend von den Beobachtungen ZuckerkandTs fanden
wir, dass die Weite beider Choanen bei den Patienten mit Schief-
stand der Nasenscheidewand ungefähr in der Hälfte der Fälle eine
verschiedene war.
Zucker kan dl hat in keinem einzigen Falle eine Differenz in
der Weite der Choanen gefunden und daraufhin die Behauptung
aofjgestellt, das hintere Vomerende sei stets median eingestellt.
Einen von Gruber erwähnten Fall von deutlicher Differenz der
Choanenweite fuhrt er als einziges Beispiel dieser Art an, welches
bisher bekannt sei. Nach der Ansicht Trendelenburg 's gehört
auch dieser Schädel höchst wahrscheinlich einem Individuum an,
welches zu Lebzeiten ein stark verbogenes knorpeliges Septum
hatte.
Bei unseren Patienten war die Differenz in der Weite der
Choanen allerdings meist eine geringe; auch bei hochgradiger Ver-
biegung des knorpeligen Septums war die dem verengerten Nasen-
gange entsprechende Choane gewöhnlich nur um wenige Millimeter
schmaler als die andere; in einzelnen Fällen war die Differenz be-
deutender und bei einer jungen Dame mit schiefem Septum war
die eine Choane so stark verengt, dass sie für einen ganz dünnen
Catheter kaum passirbar war. In einem weiteren Falle endlich
fand sich eine vollständige Verwachsung der einen Choane, so dass
eine künstliche Perforation mit ^em Troicart erforderlich wurde.
Da aber das Septum bei diesem Falle verhältuissmässig wenig ver-
bogen wvr, so bleibt es fraglich, ob der Fall in unsere Kategorie
vergl. Trendelen barg, Yerletzangen und cbirarg. Krankheiten des
Gesichts. Deutsohe Chirargie. Bd. 33. S. 154 ff. (im Druck erschieuen
Otten 1886).
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152 Aug. Sohaas,
gehört, oder ob er nicht den Fällen von angeborenem Verschluss
der einen Ghoane, wie sie von Gössel in und Zaufal beobachtet
worden sind, anzureihen ist.
Die Verschiedenheit der Weite der Choanen lässt sich am
Einfachsten darch Palpation bestimmen, indem man — eventuell
in der Narcose — mit dem Zeigefinger hinter dem Velum in die
Höhe geht und beide Choanen abtastet. In den Fällen, in welchen
sich eine Differenz vorfand, entsprach die engere Choane derjenigen
Seite, nach welcher die Convexität des Septum cartilagineum hin-
gerichtet war.
Als ich nun das Verhalten der Choanenöffnung an den Schä-
deln der hiesigen anatomischen Sammlung untersuchte, fand ich an
keinem einzigen Schädel der ganzen Sammlung eine deutliche
Differenz in der Weite der Choanen. Ganz geringe Asymmetrieen
fanden sich allerdings ziemlich häufig, doch diese konnten im Ver-
hältniss zu den an den Patienten beobachteten keineswegs in Be-
tracht kommen. Diese Thatsache sowie die obige Behauptung
Zuckerkandl's, dass die Choanen stets gleich weit seien,
lassen sich nur dadurch erklären, dass die klinischen Beobachtungen
mit denen am macerirten Schädel sich nicht decken. Der Grund
hierfür wird wohl darin zu suchen sein, dass hochgradiger Schief-
stand dos Septum, wenn er auch verhältnissmässig häufig zur kli-
nischen Beobachtung kommt, im Allgemeinen keine so häufige
Anomalie ist, dass unter 350 Schädeln einer Sammlung nun unbe-
dingt ein oder mehrere Exemplare desselben vorhanden sein müssten.
An dieser Stelle verdient eine Abnormität am Vomer erwähnt
zu werden, welche zu Verwechselung mit dem Schiefstand des
Septum Veranlassung geben kann. Dieselbe ist schon von T heile,
Henle u. A. am Erschöpfendsten von Zuckerkandl beschrieben
worden.
„Es geht sehr häufig unter rechtem Winkel vom knöchernen
Septum ein mit breiter Basis aufsitzender, oft die ganze Länge der
knöchernen Nase einnehmender, gegen das freie Ende hin sich ver-
jüngender, kantig auslaufender keil- oder hakenförmiger Fortsatz
ab, der in eine der Nasenhöhlen protuberirt und sowohl durch die
Rhinoscopia anterior, wie auch die Pharyngo-Rhinoscopia sichtbar
ist. In der bei Weitem grösseren Anzahl von Fällen ist dabei die
Nasenscheidewand verbogen, an der Gegenseite des Fortsatzes
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Ueber Sohiefstand der Nasensobeidewand. 153
concav. G. A. Haas, J. Henle, Köhler, C. Michel und Theile
haben den Fortsatz erwähnt und von von Langenbeck wurde er
als Exostose der Nasenscheidewand angeführt. Dieser Fortsatz
hält sich nicht an eine bestimmte Localität der Nasenscheidewand;
er ruht einmal im vorderen, ein andermal im hinteren Bezirk des
Septums, in einem Falle gegenüber der unteren in eioem anderen
vis-ä-vis der mittleren Nasenmuschel und zuweilen giebt es ihrer
zwei, einen auf der rechten Seite der Nasenscheidewand und einen
in die linke Nasenhöhle vorspringenden. Ihre Grösse variirt
zwischen 4 — 12 Mm.; sie reichen zuweilen leisten- oder wulstartig
bis an die Spina nasalis anterior und oft genug treten solche Fort-
sätze mit den Gebilden der äusseren Nasenwand in Berührung und
versperren streckenweise die Nasenhöhle. Der Fortsatz entwickelt
sich aus den knorpeligen Residuen der knöchernen Nasenscheidewand
und aus dieser selbst. Gar nicht selten ist dieser Knorpel so ver-
dickt, dass das Septum einen cartilaginösen Höcker trägt. Diesen
umwachsen als Deckknochen Knochenlamellen der Scheidewand, die
an der Spitze sich aneinander schliessen oder getrennt bleiben und
in letzterem Falle erscheint bei Ablösung der Schleimhaut der
zwischen den Knochenlamellen eingeschaltete Knorpelrest. Oft ver-
knöchert auch dieser; jetzt besteht der Fortsatz aus drei deutlich
von einander geschiedenen Knochenstücken, oder die drei Antheile
sind miteinander verschmolzen, und man hat es bloss mit einem
soliden Fortsatz zu thun.**
Am Lebenden kam mir diese Crista lateralis vomeris wie
Theile diese Knochenleiste nennt, oder die Exostose der Nasen-
scheidewand, unter welchem Namen von Langenbeck^) (nach
Zuckerkandl) diesen Fortsatz anführt, fast gar nicht zu Gesicht.
Allein giebt diese Exostose wohl selten Veranlassung zu functio-
nellen Störungen, in Verbindung mit Septumschiefstand kann sie
die Beschwerden etwas erhöhen. Die Untersuchung des Vomer
am Lebenden ist bei hochgradiger Verengerung des betreffenden
Nasenganges sehr erschwert, und so kann die Crista lateralis am
Lebenden der Beobachtung leicht entgehen.
Dagegen fiel mir die ausserordentliche Häufigkeit dieser Crista
lateralis vomeris auf, als ich die Schädelsammlung daraufhin unter-
HaDdbucb der Anatomie. GQttingen 1842.
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154 Aug. Sohans,
suchte. Geringe Andeutungen derselben kann man fast an jedem
Schädel beobachten. Ausgesprochene Crista lateralis vomeris fand
ich unter 100 Schädeln 48 mal vorhanden. Theile fand dieselbe
unter 532 Exemplaren 280 mal; bei 5 Schädeln beobachtete
Theile einen doppelseitigen Kamm, welchen ich nur einmal deut-
lich vorhanden und einmal angedeutet vorfand. Zuckerkandl
fand die Exostose der Nasenscheidewand unter 307 Schädeln
107 mal, dabei einen Fall mit doppelseitigem Kamm. Diese Zah-
len sprechen deutlich für das sehr häufige Vorkommen der Grista.
In einzelnen der von mir untersuchten Schädel bestaud die
Crista aus 2 Leisten, welche durch eine Furche getrennt waren.
Diese Furche war, wie dies Zuckerkandl zutreffend erklärt (s. o.),
bei Lebzeiten des betreffenden Individuums von dem Knorpel aus-
gefüllt gewesen, welcher an dem Schädel natürlich durch die Ma-
ceration zu Grunde gegangen war.
Dass diese Crista auch sehr beträchtliche Dimensionen an-
nehmen kann, zeigt ein Schädel der Sammlung, bei welchem eine
knöcherne Verwachsung zwischen der Exostose und der mittleren
Muschel vorhanden ist.
Dies sind in Kurzem die Veränderungen an der Nase und
ihrer Scheidewand selbst. Nun aber ist die Asymmetrie nicht nur
auf die Nasenscheidewand beschränkt, sondern bei näherer Beob-
achtung findet man, dass der Schiefstand des Septum narium und
die kurz erwähnte, meist denselben begleitende Verbiegung der
äusseren Nase nur als Theilerscheinung eines asymmetrischen Auf-
baues des ganzen Gesichtsskelets aufzufassen ist, bei welchem
allerdings bei der Prominenz der Nase und der relativen Leichtig-
keit, mit welcher man Stellungsveränderungen an und in derselben
erkennen kann, die letzteren als hauptsächlichste imponiren. Welcker
hat zuerst und bis jetzt allein auf Veränderungen am Gesichtsskelet
bei Schiefstand der Nase aufmerksam gemacht. Die Ergebnisse
seiner Untersuchungen finden sich in seiner Arbeit «Die Asym-
metrie der Nase und des Nasenskelets." Stuttgart 1882. Welcker
ging in seinen Untersuchungen folgen dermassen zu Werke: Er
nahm aus seiner reichhaltigen Schädelsammlung zu Halle diejenigen
Exemplare heraus, welche eine ausgeprägte Abweichung der Nasen-
beine nach der einen oder anderen Seite aufwiesen, und unterzog den
Skeletaufbau des Gesichtes derselben einer näheren Untersuchung.
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Ueber Schiefstand der Nasenscheidewand. 155
„Bei allen (diesen) Schädeln, schreibt Welcker, welche
schief gestellte Nasenbeine besitzen (mit ganz verschwindenden,
nicht in Betracht komraenden Ausnahmen) fand ich zugleich den
unteren Theil der Nasenöffnung asymmetrisch. Der jederseits
bogenförmig zum Nasenstachel hinziehende seitliche und untere
Rand der Nasenöffnung zieht auf der einen Seite in mehr ge-
strecktem Verlauf und in weit nach abwärts greifendem Bogen zum
Nasenstachel, sodass der Nasengang dieser Seite tiefer ausgeschnit-
ten ist, während die entsprechende Linie der anderen Seite einen
mehr gerundeten und nicht so weit nach unten greifenden Bogen
beschreibt, der betreffende Nasengang mithin weniger tief ausge-
schnitten ist. Die birnförmige Apertur zeigt an diesen Schädeln
(bei mannichfachem Wechsel der Form im Einzelnen) die Gestalt
des ülmenblattes, dessen eine Spreiten half te herzförmig, die andere
eiförmig an den Blattstiel ansetzt, und ich nenne die mit solcher
Nasenöffnung behafteten Schädel „pteleorrhin" (ttwA^«, die Ulme
qk). Ein mir sehr interessanter Fund war nun, dass bei dieser
ülmenblattform der Nasenöffnung das Vorderende des Vomer und
der mit ihm eng verbundenen Crista nasalis des Oberkiefers stets
eine seitliche Abweichung zeigt, derart, dass dieser den senkrechten
Nasenknorpel tragende Knochenkamm von der Seite des tiefer aus-
geschnittenen Nasenganges zu dem weniger tief ausgeschnittenen
abweicht. Der weniger tiefe Ausschnitt der pteleorrhinen Nase
und die Abweichung des Vorderendes der Crista nasalis liegen
mithin stets auf einer und derselben Seite. Eine zweite sehr be-
merkenswerthe Thatsache ist, dass der weniger tief ausgeschnittene
Boden der pteleorrhinen Nase bald auf derselben Seite sich findet,
nach welcher die Nasenbeine abweichen, bald auf der entgegenge-
setzten Seite.«
Neben diesen Abweichungen fand Welcker noch, dass häufig
sich mit dem Schiefstand der Nasenbeine Asymmetrie in der Anlage
der Orbitae verband, und dass das Gaumengewölbe in einer Anzahl
von Fällen asymmetrischen Bau zeigte, indem der dem tiefer aus-
geschnittenen Nasengang entsprechende Theil des Gaumengewölbes
ebenfalls tiefer lag als der andere.
Als wir nun diese Beobachtungen Welcker's an der hiesigen
Schädelsammlang controlirten, fanden wir dieselben allerdings viel-
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156 Ang. Schaus,
fach bestätigt, jedoch ergaben sich auch einige DiflFerenzen zwischen
unseren und Welcker's Beobachtungen.
Was zunächst die Gestaltung der Apertura pyriformis betrifift,
so bietet sich, wenn man eine ganze Sammlung auf dieselbe unter-
sucht, ein ausserordentlich mannichfaches Bild dar. Fast jeder
Schädel zeigt in der Anlage und Gestaltung der Apertura pyri-
formis irgend welche Asymmetrie. Bei dem einen sind die beiden
unteren Ausschnitte nicht gleich hoch oder nicht gleich breit, an
anderen sind die beiden Seitenlinien verschieden lang oder ver-
schieden geschweift, kurz ganz vollkommene Symmetrie wird man
wohl nicht leicht entdecken können. Ebenso zeigen die Nasenbeine
fast stets eine mehr oder weniger ausgesprochene Abweichung nach
der einen oder andern Seite. Indem ich nun die Schädel, welche
eine ausgesprochene pteleorrhine Form der Apertur zeigten und die-
jenigen, deren Nasenbeine deutlich seitliche Abweichungen aufwiesen,
näher betrachtete, fand ich, dass wohl in einer Anzahl von Fällen
diese beiden Formverändorungen zusammen vorhanden waren, dass
dagegen auch in einer Reihe von Fällen die Pteleorrhinie nicht von
einer deutlich ausgesprochenen Abweichung der Nasenbeine begleitet
war und umgekehrt, dass mehrmals deutliche Abweichung der
Nasenbeine ohne Pteleorrhinie vorhanden war. Die Beobachtungen
Welcker's in Bezug auf das Verhalten der Orbitae und des Gau-
mengewölbes, welche er selbst nicht als constante Begleiter der
Pteleorrhinie gefunden hatte, fanden sich mehr oder weniger deut-
lich bestätigt.
In Bezug auf das Verhalten des Septum osseum, an welchem
Welcker ganz typische Veränderungen beobachtet hat, möchte
ich bei dem so mannichfach wechselnden Bilde, welches sich bei
genauerer Betrachtung darbietet, glauben, dass die Maceration,
welcher die Schädel vor ihrem Einreihen in die Sammlung aus-
gesetzt sind, auf die Configuration des Septum osseum einigen
Einfluss ausübt. Nur der hinterste Abschnitt des Vomer ist
diesem Einfluss nicht unterworfen, der vordere Abschnitt des
knöchernen Septum je nach der grösseren oder geringeren Dicke
des Knochens in höherem oder geringerem Grade. Am vorderen
Rande des knöchernen Septum führt die Maceration gelegentlich
zu einer förmlichen Umkrämpelung, wie sie während des Lebens
unmöglich bestanden haben kann. Ein Rückschluss von der Form
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üeber Schiefstand der Nasenscheidewand. 157
des knöchernen Septuno am macerirten Schädel aut die Fornti des
Septara während des Lebens darf daher nur mit grosser Vorsicht
gezogen werden.
Die Bedeutung der Welcker'schen Arbeit tritt fiir unsere
Zwecke überhaupt etwas zurück; die Grundlage, von der Welcker
ausgeht, ist die Form Veränderung der äusseren Nase, während
unser Zweck ist, die Veränderung des Gesichtsskelets bei hoch-
gradigem Schiefstand der Scheidewand der Nase aufzusuchen, deren
wichtigster Theil in Bezug auf die Verbiegung, das knorpelige
Septum, am Todtenschädel überhaupt fehlt. Nur durch Beobach-
tungen an Lebenden lässt sich ein sicheres Bild von dem Zusam-
menhang der Veränderungen am Gesichtsskelet aus der Verbie-
gung der Nasenscheidewand gewinnen.
Bei unseren Patienten mit Septumschiefstand Hess sich nun
Folgendes constatiren:
Was die Pteleorrhinie angeht, so konnten wir in sämmt-
lichen Fällen, soweit Dies durch die äussere Betastung möglich
war, einen tieferen Ausschnitt der Apertura pyriformis auf der
Seite des verengten Nasenganges constatiren. Die Orbitae zeigten
gewöhnlich eine mehr oder weniger ausgesprochene Asymmetrie,
zu welcher sich noch meist eine Veränderung in der Lage hinzu-
gesellte, indem die eine höher lag als die andere, so dass das
ganze Gesicht als skoliotisch bezeichnet werden konnte.
Die wichtigsten Formveränderungen aber, auf welche bis jetzt
noch nichf aufmerksam gemacht worden ist, weisen das Gaumen-
gewölbe und der Alveolarfortsatz des Oberkiefers auf.
Dm diese von Professor Trendelenburg zuerst beobachteten,
ganz characteristischen Veränderungen genauer studiren zu können,
habe ich auf Veranlassung desselben und unter gütiger Hülfe des
Herrn Privatdocenten Dr. Witzel die Oberkiefer der Patienten in
Gyps abgegossen, wobei ich Anfangs zu den Abdrücken Wachs be-
nutzte, später aber mich der in der Zahntechnik beliebten Stents-
masse bediente.
An diesen Abgüssen, von welchen auf Taf. IL einige abgebildet
sind, zeigte sich nun Folgendes.
Zunächst zeigte das Gaumengewölbe in allen Fällen eine ganz
abnorme Höhe.
Um nun eruiren zu können, ob es sich hierbei um eine Er-
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158
Aug. Sohaus,
scheinung handele, welche für den Schiefstand der Nasenscheide-
wand allein eigenthünalich sei, oder ob abnorme Höhe des Gaumen-
gewölbes auch ohne Verbindung mit hochgradigem Septumschief-
stand häufiger auftrete, musste ich eine ganze Reihe von soweit
normalen Gaumengewölben zum Vergleiche heranziehen und auf
die Höhe untersuchen. Zu diesem Zwecke nun mass ich, soweit
dies möglich war, die Schädel der Sammlung auf die Höhe des
Gaumengewölbes durch. Diese Messung macht nicht den Anspruch
auf vollkommene Exactheit, denn eine ganz genaue Messung
des Gaumengewölbes ist nicht möglich, da man kein Punctum
fixum hat, von welchem aus man bei der Messung ausgehen
könnte. Ich stellte die Messungen so an, dass ich über die
beiden mittleren Molarzähne, in welcher Gegend das Gaumenge-
wölbe gewöhnlich seine grösste Höhe erreicht, einen Querstab legte
und von demselben aus mittelst eines senkrechten Stabes die
Höhe abmass. Vollkommen genaue Resultate kann diese Art
Messung, wie schon gesagt, nicht geben, auf 1 — 2 Mm. kann es
dabei nicht ankommen. In einzelnen Fällen waren überdies die
Zähne locker oder fehlten ganz, in welchem Falle dann andere
zur Messung herangezogen wurden. Ferner kommt auch noch die
fehlende Schleimhaut in Betracht, obgleich dieser Unterschied wohl
kaum Berücksichtigung verdient.
Das Resultat dieser Messungen ergab nun bei den Schädeln
der Sammlung wie dies nachfolgende Tabelle zeigt, eine mittlere
Höhe von 1,8 Ctm. Doch erreicht eine ganze Anzahl von Exem-
plaren die Höhe von 2,2 — 2,4 Ctm., einige sogar von 2,5 Ctm.
Die mittlere Höhe an unseren Abgüssen war aber
2,2 Ctm
Resultate der Messungen an 100 Schädeln der anato-
mischen Sammlung in Bonn.
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21
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NaseneiDgang,
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gerichtet nach
1.
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3
4.
3.2
3,8
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3,7
3,8
4,2
4.0
s^ä
rechts tiefer.
rechts,
rechts,
rechts.
links,
rechts.
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Ueber Schiefstand der Nasenscheidewand.
159
3;6
4,0
—
3,2
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—
3,0
3,9
2.1
3,3
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—
3,0
3,8
—
3,3
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—
3.9
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—
2.8
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8.1
4,0
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3.8
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2,7
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2
2,8
—
—
3,1
4.0
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2.8
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1,7
8,5
4,0
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3,5
4.2
3,7
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3.6
3.0
4.2
2
3.5
4,0
—
8,1
4,0
1,2
3.2
3.9
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8,5
4,5
—
1 2,9
8,8
—
links schmaler als
rechts.
links tiefer.
rechts tiefer.
beiderseits,
links.
skoliotisch abge-
knickt,
links,
links.
rechts tiefer.
rechts.
—
rechts tiefer.
rechts.
—
links tiefer
—
links.
—
rechts,
rechts.
rechts.
knöcherne Ver-
wachsung d. Grist.
vom. r. mit der
mittlerenMuschel
links schmaler,
rechts tiefer.
rechts tiefer.
beiderseits gering,
rechts.
rechts.
rechts,
rechts.
rechts tiefer.
links tiefer,
links schmaler.
rechts,
rechts,
links,
rechts.
rechts,
links.
rechts tiefer.
rechts tiefer,
links tiefer.
rechts,
rechts,
links.
rechts,
rechts.
links.
links tiefer.
rechts.
rechts.
rechts tiefer.
rechts.
rechts.
• —
rechts.
—
rechts.
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160 Aug. Sühaus,
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lieber Scbiefstand der Kasenscbeidewand. 161
Da diese mittlere Höhe, wie sich aus obiger Tabelle ergiebt,
öfters erreicht wird, ohne dass an den betreffenden Schädeln An-
deutungen vorhanden sind, welche auf Septumschiefstand hindeuten,
so ergiebt sich die Schlussfolgerung: Bei Septumschiefstand findet
sich stets ein sehr hohes Gaumengewölbe, während umgekehrt
hoher Gaumen nicht unbedingt mit Septumschiefstand verbun-
den ist.
Die zweite auffallende Erscheinung an den Abgüssen ist die,
dass die meisten Oberkiefer, trotz der grösseren Höhe, besonders
im vorderen Theil ausserordentlich schmal sind. Ausserdem
zeigt sich bei der Mehrzahl die Abnormität, dass die Alveolarfort-
sätze nach vorn spitz zulaufen. Der den Schneidezähnen ent-
sprechende Theil des Alveolarbogens bildet nicht einen Kreisbogen
sondern einen Spitzbogen, indem sich die Alveolarfortsätze beider
Kiefer in der Mitte in zwei sich winkelig schneidenden Bogen-
linien treffen.
Die Stellung der Zähne zu einander ist oft unregelmässig, die
Schneidezähne schieben sich dachziegelförmig übereinander, einzelne
Zähne sind ganz aus der Reihe gedrängt wie in Fig. 7. Um con-
statiren zu können, ob diese Schmalheit und die spitz zulaufende
Form des Kiefers auch unter andern Umständen als gerade bei
Septumschiefstand sich vorfindet, zog ich wiederum die Sammlung zum
Vergleiche heran. Auch hier fragte es sich wieder, an welcher
Stelle man die Messungen der .Breite des Kiefers anstellen sollte,
um ein genaues Resultat zu erhalten. Um ganz sicher zu gehen,
maass ich die Breite des Oberkiefers an 2 Stellen und zwar zu-
nächst die Entfernung der Alveolen der Dentes buccales I und
ferner die Distanz der Alveolen der Dentes molares II.
Bei der Messung der Distanz der vorderen Backenzähne fand
ich nun, dass die schmälsten Oberkiefer der Sammlung immerhin
2,7 Ctm. breit waren, und dass nur wenige Exemplare eine so ge-
ringe Weite aufwiesen. Das Mittel war 3,2 Ctm., während von
den Abgüssen nur bei zweien die Weite von 3 Ctm. über-
schritten wurde, die übrigen alle nur zwischen 2 und
3 Ctm. breit waren. Der Durchschnitt war 2,6 Ctm.
Bei 2 war die Distanz nur 2 Ctm. (vergl. Fig. I). Das Resultat
der Messung der Distanz der mittleren Molarzähne ergab für die
▼. Langanboek, Archiv t. Cbirurgi«. XXXV I. ] \
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162 Aag. Sohaas,
Schädel der Sammlung eine mittlere Weite von 3,9 Gtm., für die
der Abgüsse von 3,5 Ctm.
Diese Messungen sprechen entschieden dafür, dass die hoch-
gradige Schmalheit des Gaumengewölbes bei Septumschiefstand als
eine besondere Eigenthämlichkeit in der Anlage des Gesichtsskelets
aufzufassen ist
Ebenso muss auch die Spitzbogenform des Alveolarbogens als
eine besondere Eigenthämlichkeit bei Septumschiefstand aufgefasst
werden, da ich dieselbe bei den Schädeln der Sammlung nur ein
einziges Mal deutlich ausgesprochen vorfand.
Als dritte Abweichung von der Norm, welche sämmtliche
Abgüsse zeigten, ist eine mehr oder weniger starke Asymmetrie in
der Anlage der Alveolarfortsatze und des Gaumengewölbes zu ver-
zeichnen (vergl. besonders Figur 5, 6 und 7.); und zwar besteht
die Asymmetrie des Gaumens darin, dass die beiden Hälften
desselben verschieden breit sind. Legt man von der Stelle, an
welcher sich die beiden vorderen Schneidezähne berühren, eine Ge-
rade längs der Sutura palatina, so theilt diese Gerade das Gau-
mengewölbe nicht wie bei dem normalen Gaumen in 2 symmetrische
Hälften, sondern die Hälften sind asymmetrisch und zwar in der
Art, dass dem verengten Nasengange der schmalere Theil ent-
spricht, in Folge dessen steigt das Gauniengewölbe auf der schma-
leren Seite auch etwas steiler an, als auf der anderen (vergl.
Fig. 1 und 3.)
Der Alveolarfortsatz der der Convexität des Septums ent-
sprechenden Seite ist gewöhnlich etwas länger als der andere. Die
Asymmetrie in der Länge und Breite der beiden Hälften des Gau-
mens und des Alveolarbogens lässt sich auch an der Stellung der
correspondirenden Zähne beider Seiten gegeneinander nachweisen.
Verbindet man nämlich zwei entsprechende Zähne durch eine Ge-
rade, so findet man, dass diese Gerade nicht senkrecht auf der
Medianlinie steht, sondern dieselbe unter einem stumpfen und einem
spitzen Winkel schneidet, und zwar liegt der stumpfe Winkel nicht
stets auf der Seite des längeren Alveolarfortsatzes, wie Dies eigent-
lich zu erwarten wäre, sondern zuweilen, wenn auch seltener auf
der Seite des kürzeren Alveolarfortsatzes.
Bei Durchsicht der Schädelsammlung fand sich nun, dass so
hochgradig ausgesprochene Asymmetrie nur sehr selten, und zwar
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Ueber Schiefstand der Nasenscheidewand. 168
nnr an sonst total scoliotischen Schädeln vorkommt, während die
übrigen Schädel allerdings häufig geringe Unregelmässigkeiten in der
Anlage des Gaumengewölbes, aber niemals so hochgradige Asymmetrie
desselben aufzuweisen haben, wie die so eben beschriebene.
Fig. 9 zeigt den harten Gaumen eines 17jährigen Mannes
mit totaler Schädelscoliose in Folge von angeborenem unoperirt
gebliebenen Caput obstipum. Das Nasenseptum war nicht wesent-
lich verbogen. Die Asymmetrie des Gaumens ist auch hier deut-
lich zu erkennen, aber es fehlen die anderen für den Septumschief-
stand characteristischen Symptome, die abnorme Höhe, die
abnorme Verschmälerung des Gaumens, und die Spitzbogenform
des Alveolarbogens.
Fassen wir noch einmal kurz die characteristischen Veränderungen
am Gesichtsskelet zusammen, welche bei hochgradigem Septum-
schiefstand vorhanden zu sein pflegen, so sind dies mit kleinen
Differenzen im Einzelnen: Ungleiche Weite der Choanen, abnorme
Höhe des Gaumens, abnorme Schmalheit des Gaumens, spitzwinke-
liges Zulaufen der Alveolarfortsätze und Asymmetrie des Gaumen-
gewölbes.
Betrachtet man nun alle diese Veränderungen des Gesichts-
skelets im Zusammenhange, so muss man von vornherein von dem
Gedanken zuräckkommen, dass mechanische Einwirkungen den
Septumschiefstand hervorzurufen im Stande wären. Keine einzige
der mechanischen Theorien, welche man zur Erklärung des Schief-
standes der Nase und ihrer Scheidewand aufgestellt hat, reicht
zur Erklärung der weithin erkennbaren Formveränderungen am Ge-
sichtsskelet aus. Auch die in letzter Zeit von Welcker aufge-
stellte Behauptung, dass der stete Eissendruck beim Schlafen auf
einer Seite einseitige oder gar scoliotische Abweichungen der Nase
hervorzubringen im Stande wäre, ist schon für geringe Abweichun-
gen der äusseren Nase zum mindesten sehr zweifelhaft, für hoch-
gradige Verkrümmung des Septum aber vollständig von der Hand
zu weisen. Die einzig mögliche Erklärung für den hochgradigen
Schiefstand der Nasenscheidewand ist die, dass man die Form-
veränderungen zurückfährt auf abnorme Wachsthumsvorgänge bei
dem Aufbau des Gesichtsskelets, wobei sich dann freilich die
weitere Frage aufwirft, wodurch diese Abweichungen von dem nor-
malen Wachstbnmsvorgängen bedingt sind.
11*
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164 Aog. Sohaos,
Auf Abnormit&ten in den Wachsthumsvorgängen weist schon
der Unnstand hin, dass in frühester Jugend der Septumschiefstand
so gut wie gar nicht vorkommt. Die ersten Anfänge der Vec-
krümmung des Septums beobachtete Welcker im 5. Lebensjahre
Zuckerkandl im 7. Jahre.
Auch Professor Trendelenburg hatte früher einige Fälle
von Septumschiefstand bei Kindern von 6—9 Jahren zu behandeln.
Gewöhnlich wird die Difformität erst später bemerklich, oder wird
wenigstens erst später so bedeutend, dass ärztlicher Rath gesucht
wird. Der jüngste von unseren Patienten an hiesiger Klinik war
13 Jahre alt, die übrigen hatten alle das 15. Lebensjahr erreicht
oder überschritten. Diese Periode, in welcher der Septumschiefstand
am häufigsten zur klinischen Geltung kommt, fällt nun zugleich
in die Jahre, in welchen das Gaumengewölbe, das bekanntlich in
frühester Jugend mehr flach ist und erst zur Zeit der 2. Dentition
sein Höhen wachsth um beginnt, seine höchste Höhe erreicht, und
es ist sehr wahrscheinlich, dass zwischen diesen beiden Factoren,
dem Höhenwachsthum des Gaumens und dem Schiefstand des Sep-
tum ein inniger Zusammenhang besteht.
Die Wirkung, welche bei einigen Thieren Nasenscheidewand
und Oberkiefer im Wachsthum gegenseitig auf einander ausüben,
beweisen einige sehr interressante Versuche von Fick (üeber die
Entwicklung des Schädelgrundes), welcher an Thieren einen Theil
der Nasenscheidewand resecirte und beobachtete, dass in Folge
davon der Oberkiefer abnorm in die Höhe wuchs und sich umbog.
Aehnliche Wechselwirkungen bestehen gewiss auch beim
Menschen.
Schon Welcker schliesst die Möglichkeit nicht aus, dass der
wachsende Vomer, sobald sein Längenwachsthum aus Gründen,
denen man nicht beikommen kann, für die Grösse der Gaumenplatte
zu gross ist, sich wie ein elastischer Stab umbiegt und nun auf den
mit ihm verwachsenen Knorpel einen Druck ausäbt. Zur Erklärung
dieser Vorgänge führt er die Schädel mit einseitiger Gaumenspalte
an, bei welchen der Vomer sich nach der Seite, von welcher ihm
kein Widerstand geboten wird, umbiegt; und dies ist vollkommen
richtig. Nur möchte ich nach den Beobachtungen an unseren Pa-
tienten die Ursache für die Umbiegung der Nasenscheidewand nicht
in einem abnormen Längenwachsthum der Scheidewand selbst
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Ueber Sohiefstand der Nasensoheidewand. 165
suchen, welcher Vorgang aber hiermit keineswegs vollkommen aus-
geschlossen sein soll, sondern in einem abnormen Höhenwachsthum
des Gaumengewölbes, welches von unten auf die Scheidewand einen
Druck ausübt, so dass sie sich seitlich umbiegt.
Es bliebe noch übrig zu erklären, auf welche Weise diese ab-
norm hohe und wie schon oben erwähnt, so häufig mit der Höhe
rerbundene, schmale Gestaltung des Gaumengewölbes zu Stande
kommt; doch in Bezug auf diesen Punkt können wir nur die
Thatsachen constatiren, ohne wirklich stichhaltige Gründe für die-
selben angeben zu können.
Die Schmalheit und die Höhe des Gaumengewölbes Hesse sich
nach Ansicht von Trendelenburg durch eine Synostose der
Gaumennaht erklären, ähnlich wie beim Verknöchern der Sagittal-
naht des Schädels der sogenannte Scaphocephalus entsteht, eine
Vermuthung, welche noch der Bestätigung bedarf. Bei der Section
von Individuen mit hochgradiger Verbiegung der Nasenscheide-
wand und hohem und schmalem Kiefer wird auf diesen Punkt
zu achten sein.
Auch Rachitis wird unter Umständen am Gesichtsskelet Ver-
änderungen wie die beschriebenen hervorrufen können. In den
meisten Fällen von Septuraschiefstand fehlen aber sonstige Spuren
von Rachitis.
Auf jeden Fall scheint mir nach den gefundenen Thatsachen
Das festzustehen, dass der Septumschiefstand nicht auf zufallige
mechanische Ursachen, sondern auf Störungen in den Wachsthums-
vorgäogen zurückzuführen ist, und dass diese Störungen nicht nur
den Vomer und das Septum, sondern das ganze Gesichtsskelet be-
treffen.
Nachschrift zur Zeit des Druckes.
Ein Aufsatz von Loewy über denselben Gegenstand (Berliner
klin. Wochenschr. 1886 No. 47) hat in der Arbeit keine Berück-
sichtigung finden können, da dieselbe schon Ostern 1886 vollständig
abgeschlossen war.
Auffallender Weise hat Loewy von dem betreffenden Capitel
ifl Trendelen burg's Krankheiten des Gesichts (Deutsche Chir-
urgie. Lief. 32) keine Kenntniss genommen (im Druck erschienen
Ostern 1886).
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166 Aag. Schaus, Ueber Scbiefstand der Nasensoheidewand.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. II.
Fig. 1. Oberkiefer einer 24jährigen Dame. Septom nariam nach rechts
convex.
Fig. 2. 21 jähriges Mädchen. Septam rechts convex.
Fig. 3. ITjähriges Mädchen. Septam rechts convex.
24jähriger Mann. Hasenscharte links. Septam nach links convex.
2 4 jähriger Mann. Septam nach rechts convex.
BOjähriger Mann. Septom nach rechts oonvex.
1 3 jähriger Jange. Septam nach rechts convex.
1 8 jähriger janger Mann. Septam nach rechts convex.
17 jähriger junger Mann. Capat obstipam mascolare (rechts).
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VII.
Beiträge zur Statistik der chirurgischen
Tuberculose.
(Aus der chirurg. Klinik des Prof. Dr. Maas in Würzburg.)
Von
Dr« Constantiii Hchmalfiiss«
Schon lange vor dem Epocheraachendem Auffinden des Tuber-
kelbacillus durch Koch war eine Analogie zwischen bestimmten
Erkrankungen der Knochengelenke und allen jenen Erscheinungen,
welche unter dem Namen der „Scrophulose** zusammengefasst waren,
mit gewissen Erkrankungen innerer Organe, der Lungentuberculose
und der Amyloidentartung der ünterleibsorgane von den meisten
Chirurgen angenommen worden.
So hatten bereits Menzel^) und Perco sich der mühevollen
Arbeit unterzogen, die Wiener Sectionsprotocolle eines halben Jahr-
hunderts (1817 — 1867), nicht weniger als 52256 Protocolle, dar-
auf hin durchzusehen und fanden in ihnen 2106 Fälle chronischer
Knocheneiterungen und zwar 110 Fälle von Necrose und 1996 Fälle
von Caries der Knochen und zogen hieraus ihre Schlussfolgerungen,
auf die wir später noch zurückkommen.
Nachdem wir aber durch die Entdeckung des Tuberkelbacillus
in den Stand gesetzt waren, in jedem einzelnen Falle den Nach-
weis zu liefern, ob wir es mit einer wirklichen Tuberculose z. ß.
des Gelenks zu thun hätten, erkannten wir, welch' ungeheures dem
Chirurgen zugängliches Gebiet es sei, auf dem die Tuberculose ihre
Verheerungen anrichtet. Wir erkannten, dass alle jene Affectionon,
welche von den alten Chirurgen als Tumor albus, als Spina ven-
*) Billroth-Menzei, Ueber die Häufigkeit der Caries in den verschie-
denen Knochen etc. Archiv für klin. Chirurgie. Bd. XII.
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168 Dr. CoDstantin Schmalfass,
tosa, als faogöse Entzündung, als Scrophulose u. dgl. beschrieben
waren, nichts Anderes sei als echte Tuberculose.
Wenn nun auch über die Natur der Erkrankung selbst ein
Zweifel nicht mehr bestehen kann, so ist doch auf dem Gebiete
der Erkrankung noch Viel zu klären, viele Fragen harren noch
einer endgiltigen Beantwortung. Ist doch auch seit der Entdeckung
des Tuberkelbacillus erst eine verhältnissmässig kurze Zeit ver-
strichen und ist doch anderseits die Zahl der tuberculösen Erkran-
kungen, die dem Chirurgen zufallen, eine solch' ungeheuer grosse,
dass bis zur endgiltigen Lösung der Detailfragen wohl noch Jahre
vergehen müssen.
Bei dieser eminenten Bedeutung der Tuberculose far den Chi-
rurgen ist auch wohl nichts natürlicher, als dass sich die Ver-
öffentlichungen über die chirurgische Tuberculose, ihre Localisation
und ihre Behandlung stetig mehren.
Es war gewiss eine dankenswerthe Aufgabe, der sich
von Volkmann*) unterzog, als er beim Chirurgen-Congress von
1885 die Gelegenheit ergriff, die chirurgischen Erfahrungen über
die Tuberculose in kurzen Zügen darzustellen und eine I)iscussion
über die einzelnen Fragen anzuregen.
In den am Schluss folgenden allgemeinen Betrachtungen sagt
von Volkmann: «Die Tuberculose zeigt bei Kindern und Er-
wachsenen hinsichtlich der Localisation der Herde in den ver-
schiedenen Organen, Körperregionen und Geweben die grössten
Verschiedenheiten, ebenso in Betreff der Heilbarkeit und Lebens-
gefahr. Genauere Ermittelungen über diese Punkte sind wünschens-
werth**.
Da mir nun durch die Güte des Herrn Professor Dr. Maass,
dem ich auch an dieser Stelle hierfür meinen innigsten Dank aus-
spreche, die Journale der chirurgischen Abtheilung des Kgl. Julius-
spitals in Würzburg zur Aufstellung einer Statistik der chirurgi-
schen Tuberculose in Unterfranken zur Verfügung gestellt wurden,
so habe ich es unternommen, im Folgenden einen Beitrag zur Sta-
tistik der chirurgischen Tuberculose, ihrer Localisation, der Ver-
theiluug auf das Alter und nach den therapeutischen Erfolgen zu
liefern.
*) von Volkmann, Chirurgische Erfahrungen über die Tuberculose.
Centralblatt für Chirurgie. 1885. No. 24.
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Beiträge zar Statistik der chirurgischen Tabercalose. 169
Gerade die Umgegend Wfirzburgs liefert ein solch' reichliches
Material von an Taberculose Leidenden auf die chirurgische Klinik,
dass wir, was doch bei Aufstellung von Statistiken, aus denen
Schlüsse gezogen werden sollen, wohl mit das Nothwendigste ist,
über eine sehr grosse Anzahl berichten können. Da es ausserdem
wohl unbedingt nöthig ist, einen Ueberblick über eine Reihe von
Jahren zu geben, so beschloss ich die Fälle von 10 Jahren hierzu
zu benutzen. Gern hätte ich, um auch ein etwaiges jährliches pro-
centmässiges Steigen der Tuberculose nachzuweisen, und weil es
auch wohl das Naturlichste gewesen wäre, zehn auf einander fol-
gende Jahre genommen. Hieran wurde ich aber durch äussere
Grunde verhindert, da leider die Journale der Jahre 1879 und 1880
der männlichen Abtheilung und die Journale der Jahre 1878, 1879
und 1880 der weiblichen Abtheilung verloren gegangen sind. Ich
habe deshalb für die männliche Abtheilung die Jahrgänge 1873
bis 1878 inclusive und 1881 bis 15. Juni 1885 inclusive und für
die weibliche Abtheilung die Jahrgänge 1873—1877 inclusive und
1881 bis 15. Juni 1885 inclusive und die erst in diesem Jahr ge-
trennt geführte Kinderabtheilung benutzt.
Von den beiden mir bis jetzt bekannten grösseren Statistiken
über chirururgische Tuberculose von Billroth-Menzel *) und
Jaffö*) unterscheidet sich meine Arbeit in Folgendem:
Erstens haben die beiden genannten Autoren nur die Enochen-
erkrankungen zum Gegenstande der Arbeit genommen, während ich
die Tuberculose aller Körpertheile, die dem Chirurgen zu behandeln
obliegen, in den Rahmen meiner Arbeit gezogen habe.
Dann ist die Billroth-Menzel'sche Statistik lediglich den
SectionsprotocoUen entnommen, wir erhalten deshalb aus ihr nur
von den Gestorbenen, nicht aber von denen Nachricht — und das
gerade will doch der Chirurg wissen — welche geheilt sind. Der
Zweck jener Arbeit war ja auch weniger der, die Häufigkeit der
Caries in den verschiedenen Knochen und Gelenken zu bestimmen,
sondern sie wollte den damals noch nicht zur Gewissheit geworde-
nen Zusammenhang der Knochencaries und Necrose mit der Tu-
berculose und Amyloidentartung nachweisen. Diese Aufgabe ist
') 1. c.
*) Jaffe, Ueber* Knochdntuberculose. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie.
Bd. xvm.
Digitized by VjOOQ IC
170 Dr. Constantin Sobmalfuss,
für uns gelöst. Im Gegensatz zu Jenen and anch zu Ja ff 6 habe
ich die SectionsprotocoUe nicht za Hälfe genommen; es würde
mich das zu weit geführt haben.
Ferner befinde ich mich Jaff6 gegenüber in einem grossen,
nicht zu leagnenden Nachtheil. Dieser hat nur Fälle bearbeitet,
welche er selbst als Assistent bis zum Austritt aus dem Spital hat
beobachten können, resp. deren Operation oder Section er beigewohnt
hat. Ich habe nur über fremdes Material verfugen können, und
da ist es vor Allem, wenn, was leider nicht so sehr selten vor-
kommt, die Diagnose nicht prompt ausgedrückt ist, für den Bear-
beiter oft nicht ganz leicht, das Richtige zu finden und er ist bei
zweifelhaften Fällen oft in Versuchung Das, was er gerade sucht,
hinein zu legen.
Ich habe mich bemüht, mit grösster Gewissenhaftigkeit die
Fälle auszusuchen und habe ich bei zweifelhaften Fällen dieselben
lieber nicht mitangeführt. Dadurch ist vielleicht in den ersten
Jahren der Procentsatz ein etwas zu geringer, vor Allem der der
Lymphdrüsentuberculose, da gerade bei Erkrankungen der Lymph-
drüsen sich öfter sehr ungenaue Diagnosen fanden. Im Allge-
meinen glaube ich aber nicht, dass der Ausfall in Folge der an-
gegebenen Gründe ein solcher ist, dass er im Stande wäre, auch
nur das wirkliche Bild eines Jahres wesentlich zu verändern, ge-
schweige denn das Gesammtresultat.
Bei der Eintheilung der Fälle habe ich mich jener angeschlossen,
welche von von Volkmann*) auf dem Chirurgen -Congress von
1885 in seinem Vortrage »Chirurgische Erfahrungen über die Tuber-
culose*, aufgestellt wurde, und zwar werde ich zunächst die Tuber-
culose der Gelenke und Knochen und anhangsweise der Sehnen-
scheiden, sodann die der Lymphdrüsen, drittens der äusseren Haut
und des Zellgewebes, viertens der dem Chirurgen zugänglichen
Schleimhäute und endlich des (Jro-Genitalapparates betrachten.
Es sind im Ganzen in Behandlung wegen Tuberculose in jenen
Jahren gewesen
12S7,
von ihnen sind 748 = 58pCt. männlichen
and .... 539 = 42 « weiblichen
Geschlechts: es entspricht dies dem Verhältniss 8 : 2,2, ein Be-
V 1. 0.
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Beiträge zur Statistik der chirurgischen Toberculose. 171
soltat, welches jenem von Jaff6*) gefundenen fast gleichkommt;
Jener fand
56,5 pCt. männlichen
und 43,5 ,, weiblichen
Geschlechts, oder ein Verhältniss von 3 : 2,3. — Hingegen fand
sich bei Billroth -Menzel ein Verhältniss von 3 : 1,8. Die
Gründe dieses abweichenden Resultates sind von Jaff6^) bereits
erörtert worden.
Nun hat allerdings J äff 6 sowohl, als Billroth-Menzel nur
die Enochenerkrankungen in Rechnung gezogen, während sich unter
den von mir in Anrechnung gebrachten Patienten, auch diejenigen
beGnden, welche an Tubercolose der Haut, der Lymphdrüsen u. s. w.
gelitten haben. Bringen wir die Zahl der letzteren in Abrechnung,
so bleiben978 Fälle von Enochentuberculose übrig, von diesen sind
663 = 57,6 pCt. männlichen
und 415 = 42,4 , weiblichen
Geschlechts, welches wiederum einem Verhältniss von 3 : 2,2 gleich-
kommt.
Es waren in jenen Jahren auf der chirurgischen Klinik über-
haupt in Behandlung
8873 Patienten,
von ihnen waren taberculos 1287 = 14,5 pCt ^
Unter jenen 8873 Patienten waren
6125 männlichen and
2748 weiblichen Geschlechts.
Es waren tnbercalos 748 = 12pGt. männlichen
und 539 = 19 „ weiblichen
Geschlechts, welches einem Verhältniss von 3 : 4,75 entspricht,
ein wesentlich anderes Verhältniss, als jenes, welches wir vorher
fanden, welches aber der Erfahrung, dass Weiber mit leichteren
tuberculösen Affectionen eher das Spital aufsuchen als Männer,
vollkommen entspricht.
Wie sich die Tuberculose auf das Alter vertheilt, werden wir
bei Besprechung der einzelnen Eörpertheile berücksichtigen und
zum Schluss noch zusammenfassend überblicken.
Während Jaff6 die Fälle multipler tuberculöser Erkrankung
nur einmal angeführt hat und zwar, wie er sagt, bei demjenigen
Knochen, welcher der primär erkrankte war, habe ich die Fälle
bei allen erkrankten Eörpertheilen angeführt, erstens weil es mir
») 1. c p. 443.
•) 1. c
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172 Dr. Gonstantin Sohinalfuss,
gar nicht möglich war, aus den Journalen zu erfahren, welches
der primäre Herd gewesen sei und dann, weil wohl nur in einer
geringen Anzahl von Fällen eine solche sichere Bestimmung über-
haupt möglich ist, und glaube ich, dass durch die Aufiuhrung der
an multipler Tuberculose Leidenden an den verschiedenen Stellen
das Gesammtbild nur gewinnen kann.
Es sind verzeichnet von multipler Tuberculose: 56 Fälle =
4 pCt.
L Tnbereulose der Knoehen und Gelenke.
1. Kopf mi StaüM.
a) Schädel und Gesicht.
Es fanden sich 40 Fälle = 3pCt der Gesammttuberculose und zwar
18 Falle = 2pCt. mannlichen
und 22 « = 4 « weiblichen Geschlechts,
oder im Ganzen = 4 pCt. der Knochen tuberculose und zwar
3 n männlichen und
5 „ weiblichen Geschlechts,
ein Resultat, welches mit dem von Jaff6 für das männliche Ge-
schlecht gefundenen übereinstimmt, doch von dem für das weib-
liche wesentlich abweicht. Jaff6 hat hier nur 2 pCt., wird also
von unserem um mehr als das Doppelte übertroffen. Von dem
Billroth-Menzel'schen Resultat weicht unseres selbstverständlich
ganz bedeutend ab. Jene fanden bei 10 pCt. von Caries überhaupt
Caries der Schädel und Gesichtsknochen. Dieses zunächst auf-
fallende Resultat, welches jene Knochen schon an die dritte Stelle
der Häufigkeitsscala setzt — bei Jaff6 nehmen sie die achte ein
— ist aber wohl zu erklären nicht allein aus dem umstände, den
Jaff6^) angiebt, dass nämlich in Billroth's Statistik die Kinder
und Heilungen fehlten, sondern aus dem viel näher liegenden, von
Billroth selbst hervorgehobenen, dass ein grosser Theil jener Ca-
ries auf Syphilis beruhe; er selbst giebt an, dass 105 von den an-
geführten Fällen höchst wahrscheinlich auf jener Basis beruhten.
Schon nach Abzug dieser Fälle stellt sich das Resultat so, dass
nur 5 pCt. — falls wir alle übrig bleibenden Fälle der Tubercu-
lose zuschreiben wollten, was sicherlich auch noch immer falsch
wäre — übrigbleiben und die Schädel- und Gesichtsknochen die
') 1. c p. 441.
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Beiträge zur Statistik der chirurgischen Tuberculose. 173
sechste Stelle in der Häufigkeitsscala einnehmen. Musste aucli ich
doch gerade bei der Auswahl der Tuberculose dieser Knochen be-
sonders vorsichtig sein; es sind die angeführten 40 Fälle nur ein
Bruchtheil der Fälle von Caries und Necrose der Kopfknochen
überhaupt, doch wurden in sehr vielen Fällen die Patienten rait
Erfolg einer antisyphilitischen Kur unterworfen.
Von jenen 40 Patienten waren unter 16 Jahren*)
15 = 37,6 pCt., und zwar
4 = 22 « Knaben and
11 = 50 „ Madchen.
Ehe wir jetzt das therapeutische Resultat betrachten, muss ich
folgendes auf die Eintheilung Bezugliche vorausschicken: Ich habe
die Patienten, der hier üblichen Eintheilung nach, eingetheilt in
solche, die als geheilt, in solche, die als gebessert und in solche,
die als ungeheilt entlassen sind. Ferner bilden eine besondere Ru-
brik diejenigen, bei denen das Resultat unbekannt ist und dieje-
nigen, welche auf die interne Klinik, gewöhnlich wegen Phthisis
pulmonum transferirt sind. Endlich folgen die Gestorbeneu.
Als ,,Gebessert' sind diejenigen angeführt, welche nicht bis
zur vollständigen Heilung in der Klinik verblieben, sondern zur
Weiterbehandlung dem häuslichen Arzt resp. der Poliklinik über-
geben wurden. Dass sich unter dieser Rubrik eine verhältnissmässig
hohe Ziffer findet, hat wohl mit in den beschränkten Räumlich-
keiter der hiesigen Klinik ihren Grund.
Unter „Resultat unbekannt"* sind diejenigen Patienten ange-
führt, die theils freiwillig, theils aus anderen Gründen zu früh
austraten, theils solche, welche wiederbestellt waren, aber nicht
zurückkehrten.
Bei der procentmässigen Berechnung habe ich die Geheilten
und Gebesserten zusammengefasst, ebenso in den meisten Fällen die
Ungeheilten und diejenigen, bei denen das Resultat nicht be-
kannt ist.
Im Ganzen sind entlassen
« ungeheilt 3 = 7,5 »
Resultat unbekannt 3 = 7,5 , l
Gestorben sind 2=5 „
') Die Eintheilung der Patienten in solche anter 16 Jahren und in solche,
die älter sind, habe ich deshalb gewählt, weil diese Eintheilung die der hie-
sigen chirurgischen Klinik ist, in welcher auf die Kinderabtheilung die Patienten
bis zum 15. Lebensjahre incluslTe gelegt werden.
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174 Dr. Constaniin Schmalfass,
Von jenen anter 16 Jahren sind entlassen
„ ungeheilt 2 = 13 ^
Resultat unbekannt 1 = 7 „ •
Gestorben ist 1 = 7 «
Auf die einzelnen Schädel- und Gesichtsknochen vertheilen
sich die Erkrankungen folgendermassen:
Auf das Os frontis kamen 6 Fälle,
„ , parietale „ 1 „
n n m temporum „ 19 n
1/ „ die Maxilla superior „ 7 ,
„ inferior „ 7 „
b) Wirbelsäule.
Bei Zusammenstellung der Fälle von tuberculöser Erkrankung
der Wirbelsäule erhielten wir ein ganz unerwartetes Resultat. Wäh-
rend nach den Statistiken von Billroth-Menzel und Jaff6 die
Erkrankung der Wirbel die erste Stelle einnimmt, und während
man wohl in fast allen chirurgischen Lehrbüchern findet, dass die
Spondylitis eine hervorragende Stellung in der Zahl der Knochen-
erkrankungen, vor Allem in denen des Kindesalters, einnimmt, fan-
den wir hier eine auffallend geringe Anzahl, welche den Wirbel-
erkrankungen, wie wir weiter unten noch genauer sehen werden,
nicht einmal einen der ersten, geschweige denn den ersten Platz
in der Häufigkeitsscala zuweist.
Wir fanden im Ganzen nur
74 Fälle = 5,7 pCt. der Gesammttaberculose, und zwar
46 M = 6 « männlichen
und 28 n =5 n weiblichen Geschlechts,
oder im Ganzen = 7,5 pCt. der Knochentnberculose, und zwar
= 8 M männlichen,
= 6,7 „ weiblichen Geschlechts.
Dem gegenüber steht Jaff6 mit im Ganzen 26 pGt.
Dass das hier gefundene Resultat ein absolut falsches Bild
von der Häufigkeit der Erkrankung giebt, ist zweifellos. Die Ur-
sache hierfür ist darin zu finden, dass die Patienten des hiesigen
Juliusspitals sich zum grossen Theil aus der Landbevölkerung re-
crutiren und ist es wohl hauptsächlich der Indolenz derselben zuzu-
schreiben, wenn sie ihre Kinder — denn es handelt sich hier ja vor-
zugsweise um eine Erkrankung der Kinder — nicht auf längere S^eit
dem Spital übergeben wollen. Findet sich doch im Journal der Poli-
klinik eine viel grössere Anzahl, doch zogen die Eltern vor, wenn
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Beiträge zur Statistik der chirargischen Tabercalose. 175
ihnen nicht gleich eine »heilkräftige" Salbe mitgegeben werden
konnte, sondern ein längerer Aufenthalt im Spital verlangt wurde,
lieber ihre Kinder zu Grunde gehen zu lassen. Ein anderer Theil
wird auch, da ein operativer Eingriff in einer grossen Anzahl, ja
vielleicht in der Mehrzahl der Fälle nicht nothwendig ist — nach
Jaff6 heilten von 82 Fällen 44 ohne operativen Eingriff — auch
im Hause von den betreffenden Aerzten behandelt, und endlich
kommt auch ein Theil ohne jede Behandlung zur spontanen Aus-
heilung.
Anders steht die Sache in grossen Städten, wie Wien und
Hamburg, denen die schon öfter angezogenen Statistiken entnom-
men sind. Hier wird schon durch die segensreiche Einrichtung
der Armenärzte — ein Vortheil, den die ärmere Landbevölkerung
nicht in der Weise geniesst — dafür gesorgt, dass an Spondylitis
leidende Kinder rechtzeitig dem Krankenhause zugeführt werden.
Von jenen 74 Patienten waren anter 16 Jahren:
32 = 43 pCt.
und zwar Knaben
22
= 48
n
und Mädchen
10
= 36
n
Ganzen sind entlassen
als geheilt . .
, gebessert .
161
27/
=
58 pCt.
n nngeboilt .
.
7
:=
9 .
Resultat anbekannt .
9
=
12 „
Transferirt . .
, ,
2
=
3 .
Gestorben sind
. .
13
=
17,6 „
Von jenen anter 16 Jahren sind entlassen
als geheilt . . . 101 __ «^ ?, „et
n gebessert. . . io/-^^'^P^*-
« angeheilt . . 4 = 12,5 «
Resultat anbekannt 6 = 19 ^
Gestorben sind . . 2 = 6
c) Sternum, Olavicula, Rippen.
Im Ganzen 35 Falle = 2,7 pCt der Gesammttaberculose,
and zwar 23 „ = 3 « männlichen
and 12 „ =2 « weiblichen Geschlechts,
oder im Ganzen = 3,5 pCt. der Knochentabercalose,
and zwar = 4 ,, männlichen
and = 2 ^ weiblichen Geschlechts,
ein Resultat, welches mit dem von Jaff6 gefundenen gut über-
einstimmt.
Es waren erkrankt 12 Mal = 34 pCt das Sternum und
23 Mal = 66 pCt. die Rippen. Tuberculöse Caries der Clavicula
ist nicht vorgekommen. Ob Jaff6 Fälle davon hat, ist aus seiner
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V
176 Dr. Constantin Schmalfuss,
Statistik nicht deutlich zu erkennen. Billroth -Menzel haben
1 1 Fälle, die aber nach ihrer Angabe *) wahrscheinlich auf Syphilis
beruhen.
Unter 16 Jahren waren nur
4 Knaben = 12,5 pCt, welche an Rippenoaries litten, von ihnen vrarden
entlassen als geheilt . . . 2 "1 __ «j- q^
n gebessert . . 1 / ^ '
Resultat unbekannt 1 = 25 n
Im Ganzen wurden entlassen
? läfert- : : xl) = «3pCt.
n angeheilt . . 1 i= 3 „
Resultat unbekannt 5 = 14 «
Transferirt ... 3 = 9 „
Gestorben sind • . 4 = 11 _
8. Küocbeii und Gelenke der oberen Extremitäten.
a) Scapula.
Kein^) Fall von Tuberculose der Scapula ist aufgenommen.
Selten ist die Erkrankung sicherlich. Bei Jaff6 finden wir
2 Fälle = 0,6 pCt. und bei Billroth 4 Fälle = 0,2 pCt.
b) Schultergelenk.
Im Ganzen 15 Fälle = 1 pCt. der Gesammttabercalose,
and zwar 8 , = 1 „ männlichen
und 7 ^ = 1 „ weiblichen Geschlechts,
oder im Ganzen = 1,5 pCt. der Knochentuberculose,
und zwar =1,4 « männlichen
und = 1,7 n weiblichen Geschlechts.
Dieses Resultat entspricht den Erwartungen; Jaff6 fand
2 pCt. und Billroth 1,4 pCt. Nach König') „ist die Thatsache
allgemein anerkannt, dass das Schultergelenk im Vergleich zu allen
übrigen Extremitätengelenken sehr selten von Tuberculose befallen
wird." Nach Volkmann*) soll die Tuberculose des Schultergelenks
fast nur bei Erwachsenen vorkommen. Diese Ansicht wird aber weder
durch die Statistik von Jaffe noch durch die Erfahrung hier im
1. c. p. 358.
') Nachträglich erfahre ich, dass zur Zeit 2 Frauen, die wegen anderer
Affectionen Aufnahme in der Klinik fanden, auch an einer tuberculösen Garies
der Scapula leiden.
*) König, Die Tuberculose der Knochen und Gelenke. S. 161.
*) 1. c. p. 23.
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Beiträge zur Statistik der chiruigischen Tuberculose. 177
Spital bestätigt. Bei Jaff6 fiadeu wir unter 7 Schultergeleuks-
tuberculosen 3 bei Kindern unter 10 Jahren, dies sind 43 pCt.
Hier fanden wir allerdings unter den 8 Fällen der männlichen
Abtheilung keinen bei einena Kinde, aber unter den 7 Patienten
der weiblichen Abtheilung waren 3 unter 16 Jahren, also von
ihnen 43 pCt. oder 22 pCt. aller Schultergelenkstuberculosen. Das
hier gefundene Resultat, würde der Ansicht von König^) viel-
mehr entsprechen, nach welcher die eine Form der Schultergelenks-
tuberculose, »die Caries sicca vorzugsweise bei jungen in der Ent-
wicklung begriffenen Individuen und ganz besonders bei jungen
Mädchen auftritt.** Und in der That war in 2 von jenen 3 Fällen
eine Caries sicca zu constatiren.
Im Allgemeinen stellt König der Caries sicca keine günstige
Prognose, da dieselbe gewöhnlich nur eine Theilerscheinung, eine
Metastasis tuberculosa sei; viele sonst blähend aussehende, sah er
rasch an einer acuten Tuberculose zu Grunde gehen. In unseren
Fällen ist nichts von einer Tuberculose innerer Organe bemerkt.
Der Erfolg der Behandlung war ebenso, wie im Hamburger Kran-
kenhause, wo 100 pCt. als geheilt entlassen wurden, ein recht
günstiger. Von den 15 Patienten wurden
13 = 87pCt. als geheilt,
2 = 13 n auf Verlangen ungeheilt entlassen.
Die betreffenden Mädchen unter 16 Jahren wurden alle 3 als
geheilt entlassen, bei zweien von ihnen war eine Resection des
Schultergelenks gemacht.
c) Humerus.
Tuberculose Heerde im Humerus ohne nachweisbare Betheili-
gong des Gelenkes fanden sich
12 = 1 pCt. der Gesammttuberculose,
und zwar 8 = 1 « männlichen
und 4 = 0,7 n weiblichen Geschlechts,
oder im Ganzen = 1 pCt« der Knoohentabercalose,
und zwar = 1 „ männlichen
und = 1 „ weiblichen Geschlechts.
Ein gleiches Resultat ergab sich im Hamburger Krankenhause.
Die käsigen Sequester wurden entfernt, mit dem scharfen
Löffel der Herd ausgekratzt und dann alle Patienten als geheilt
*) L 0- p. 162.
T.LmDg«iib«ek,iLreUTf. ChlroTgl«. XXXV. 1. 12
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178 Dr. Constantin Sohmalfass,
entlassen. In einem Falle fand sich beiderseits im Humerus ein
isolirter tuberculöser Heerd.
Unter 16 Jahren waren 2 Patienten = 17 pCt. und zwar ein
Knabe und ein Mädchen.
d) Ellenbogengelenk.
Im Ganzen 86 Fälle = 7 pCt. der Gesammttuberculose,
und zwar 40 „ = 5 „ männlioben
und 46 „ = 9 „ weiblichen Geschlechts,
oder im Ganzen = 9 pCt. der Knochentabercalose,
und zwar = 7 „ männlichen
und =11 „ weiblichen Geschlechts.
Unter 16 Jahren waren:
31 -= 36 pCt. und zwar
Knaben 15 == 38 „ und
Mädchen 16 = 35 „
Im Ganzen sind entlassen
als geheilt . . . 30 \ _ «„ p.
, gebessert . . 23/ - ^^P^*'
„ ungeheilt . . 6 \ _ 07
Resultat unbekannt 17/ "
Gestorben sind . . 10 = 1 1 „
Von jenen unter 16 Jahren sind entlassen
?ffit : : !?} = ««pc»-
„ ungeheilt . . 2\ _ ,«
Resultat unbekannt 4/ "
Gestorben sind . . 4 = 13 «
In 8 Fällen musste, da der Herd sich zu weit in den Hu-
merus erstreckte, zur Amputatio humeri geschritten werden. Vun
ihnen wurden 4 als geheilt^ 1 als gebessert entlassen, während bei
einem das Resultat noch unbekannt ist; 2 starben.
Von 28 Resecirten starben 3, während 19 als geheilt resp.
gebessert und 1 als ungeheilt entlassen wurde. Von 5 ist das
Resultat noch nicht bekannt.
Von jenen unter 16 Jahren wurden 9 resecirt, von ihnen
wurden 6 als geheilt lesp. gebessert entlassen, einer trat auf Ver-
langen noch ungeheilt aus; 2 starben. Amputirt wurde 1 Patient,
derselbe starb.
Auffallend war das sehr häufige Auftreten von beiderseitiger
Tuberculosis cubiti.
e) Radius und Ulna.
Der Radius scheint sicherlich vor Tuberculose sehr geschützt
zu sein; haben doch Billroth-Menzel unter ihren 2106 Fällen
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Beiträge zur Statistik der obirurgisclien Tubercalose. 179
Ton Knochencaries und Nekrose nur 2 Fälle von Caries des Ra-
dius gefunden und Jene nahmen doch ohne Auswahl alle Fälle von
Caries und Nekrose, gleichviel auf welcher Basis sie entstanden
waren; und Jaff6 fand im Hamburger Erankenhause unter seinen
317 Fällen nicht einen einzigen Fall von Tuberculose des Radius.
König ^) fand unter 42 Präparaten von EUenbogengelenkon,
welche die Charactere ostaler Tuberculose zeigten, nur eine in das
Gelenk perforirende Erkrankung des Radius; und unter 22 Local-
operationen operirte er 11 Mal an der Ulna, 10 Mal am Humerus
und nur einmal am Radius.
Im Vergleich mit diesen Resultaten haben wir hier den Radius
ziemlich häufig erkrankt gefunden, wenn die Häufigkeit auch noch
nicht 1 pCt. beträgt;
im Ganzen nämlich 7 mal = 0,5 pCt. der Gesammttaberoalose;
5 n = 0,7 „ männlioben
und 2 „ = 0,4 „ weiblichen Geschlechts,
oder im Ganzen =^ 0,7 pCt der Knochentuberculose,
und zwar = 0,9 « männlichen
und = 0,5 r, weiblichen Geschlechts.
unter 16 Jahren war ein Mädchen = 1 pCt.; bei diesem wurde
wegen gleichzeitiger Tuberculose der Mittelhandknochen die Re-
sectio mauus gemacht. Im Radius fand sich ein isolirter Herd.
Therapie: £videment. Das Mädchen wurde als geheilt entlassen.
In einem zweiten Falle war der isolirte Herd im Radius mit Ca-
ries der Wirbelsäule complicirt; der Fall endigte letal.
Im Ganzen war das Resultat folgendes:
p'^'"^ H = 86pGt.
Gebessert 1/ ^
Gestorben 1 = 14 „
Die ülna war 14 Mal tuberculös erkrankt = 1 pCt. der Ge-
sammttuberculose
und zwar 12 mal = 2 pGt. männlichen
und 2 ^ = 0,4 „ weiblichen Geschlechts,
oder im Ganzen = 1,4 pCt. der Knochen tuberculose,
und zwar = 2 „ männlichen
and = 0,5 ., weiblichen Geschlechts.
Unter 16 Jahren waren 4 = 29pCt* Von ihnen wurden entlassen
? Stillt ?h »00 PCt.
Im Ganzen wurden entlassen
als geheilt 8\ iaa^p^
, gebessert 6/==^^^^^
«) 1. c. p. 167, 168, 169.
L^
12»
Digitized by VjOOQ IC
180 Dr. CoDstantin Sohmalfass,
Jaff6 hat unter seinen Fällen nur 2 Erkrankungen der Ulna
= 0,6 pCt., doch stimmt obiges Resultat mit jenem von König
wohl überein. Sämratliche Herde sassen im Olecranon.
f) Handknochen und Handgelenke.
Im Ganzen 76 Fälle = 6pCt. der Gesammttuberculose,
und zwar 49 „ = 7 , männlichen
und 27 ,, = 5 ^ weiblichen Geschlechts,
oder im Ganzen = 8 pCt. der Knochentuberculose,
und zwar = 9 „ männlioheo
und = 7 „ weiblichen Geschlechts.
Unter 16 Jahren waren 20 = 26 pCt , und zwar
Knaben 11 = 22 „ und
Mädchen 9 == 33 „
Auch dieses Resultat kommt dem Jaffe'schen sehr nahe;
jener verzeichnet 9 pCt. Bei ihm ist der Procentsatz der Kinder
jedoch grösser. In Wirklichkeit ist er entschieden aber noch viel
höher. Ich möchte auch speciell bei dieser Rubrik kein sehr grosses
Gewicht auf die Richtigkeit der Statistik von Krankenhäusern legen,
und zwar zum Theil aus einem der Gründe, welchen ich schon bei
der Caries der Wirbelsäule anführte, nämlich dass auch hier ein
bedeutend höherer Procentsatz Derjenigen, die sonst das Material
für die Kliniken liefern, zu Hause behandelt wird und meine ich
hier speciell wegen der Spina ventosa. Die Spina ventosa ist ja
verhältnissmässig so häufig, dass schon ihretwegen der Procentsatz
der Kinder in dieser Rubrik ein bedeutend höherer sein müsste.
Hierzu kommt ferner, dass von Denjenigen, welche wirklich das
Spital aufsuchen, nur wenige in die Klinik aufgenommen werden;
die meisten verbleiben in der poliklinischen Behandlung.
Ist doch gerade hier auch eine rein conservative Behandlung
in sehr vielen Fällen von gutem Erfolg, v. Volk mann*) bemerkt
hierzu: „die Affection kommt nur bei Kindern in den ersten Liebens-
jahren zur Entwicklung und heilt trotz ihrer Multiplicität oft ohne
Aufbruch, Eiterung und Sequesterbildung so aus, dass gar keine
Störungen in der Form oder im Wachsthum der betreffenden
Knochen zurückbleiben.**
Dass auch in der Statistik des Hamburger Krankenhauses jene
leichteren Fälle gänzlich fehlen, sehen wir schon daraus, dass
») 1. 0. p. 14.
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Beiträge zur Statistik der chirurgischen Taborcalose. 181
unter den angeführten 30 Patienten keiner ohne operativen Ein-
griff entlassen wurde.
Hier wurden 11 resecirt und 10 amputirt. Während unter
den Resecirten sich kein Todesfall fand, starben von den Ampu-
tirten 3.
Es wurden im Ganzen entlassen
als geheilt . • • 30\ __ ß« r.rf
. gebessert . . 22/ "" ^^P^*'
, UDgeheilt . . 6\ __ -j.
Resultat unbekannt 8/ "~ ^^ "
Transferirt ... 2 = 3,
Gestorben sind . . 8 = 11 „
Von jenen unter 16 Jahren sind entlassen
als geheilt . . . 8\ __ e^^p.
„ gebessert . . 2/ - ^^^^
„ ungeheilt . . 2\ _ «^
ResulUt unbekannt 5/ "" ^^ "
Transferirt ...1 = 5«
Gestorben. ... 2 = 10 „
In zwei Fällen war die Amputatio huraeri wegen gleichzeitiger
EUenbogengelenkstuberculose gemacht.
3. KnocbMi und Gelenke der unteren Extremitäten.
a) Beckenknochen inclusive Os sacrum.
Im Ganzen 35 Fälle = 2,7 pCt. der Gesammttuberculose,
und zwar 15 „ = 2 „ männlichen
und 20 ^ = 4 „ weiblichen Geschlechts,
oder im Ganzen = 3,6 pCt. der Knochentuberculose,
und zwar sss 2,7 ^ männlichen
und = 4,8 „ weiblichen Geschlechts,
unter 16 Jahren waren 4=11 pCt., und zwar
Knaben 3 = 20 „
Mädchen 1=5«
Auch hier haben wir wieder ein Resultat, welches mit dem
des Hamburger Krankenhauses -— dort waren 3 pCt. Beckencaries
— fast genau übereinstimmt; nur weichen die therapeutischen Er-
folge bei dieser Erkrankung ganz ungeheuer von einander ab. Nach
den Erfahrungen der hiesigen Klinik hat die Beckencaries bei Wei-
tem die sohlechteste Prognose. Während das Maximum der Todes-
falle bei allen anderen Knochentuberculosen nur = 20 pOt. ist,
stellt sich der Procentsatz bei der Beckencaries auf 46,7 pCt.;
und während andererseits das Minimum der Heilungen bei den
anderen Knochentuberculosen = 58 pCt. ist, haben wir hier nur
23 pCt. Heilungen incl. der Gebesserten, vollständige Heilung aber
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182 Dr. Constantin Schmalfuss,
nur bei 11 pGt. Dem gegenüber steht das Jaff6'sche Resultat
mit 10 pCt. Sterbefallen und 70 pCt. Heilungen.
Wie lässt sich das hiesige, so überaus ungünstige Resultat
erklären?
Einestheils ist sicherlich die Diagnose in sehr vielen Fällen
bei Weitem nicht so früh und so sicher zu stellen, als bei den
Tuberculosen der anderen Knochen; und die Localisation des tuber-
culösen Herdes genau zu bestimmen, ist zweifellos oft sehr schwer,
oft ganz unmöglich. Ferner bieten die Beckenknochen kein so gün-
stiges Feld zu eingreifender operativer Thätigkeit, wie die anderen
Knochen, und endlich ist es auch viel schwerer die Patienten von
der Nothwendigkeit und dem günstigen Erfolg eingreifender Ope-
rationen am Becken zu überzeugen, als an anderen Knochen.
Mussten doch auch hier von den 35 Patienten 10 = 29 pCt. auf
ihr Verlangen ungeheilt entlassen werden.
In Kurzem stellt sich das Resultat also folgendcrmaassen :
Es sind geheilt . . 4\ __ «« ^p*
gebessert. . 4/ - ^^ P^^*
uDgeheilt
transferirt
Gestorben sind
Von jenen unter 16 Jahren sind entlassen
als geheilt 1 = 25pCt
, ungeheilt 2 = 50 „
gestorben ist 1 = 25 „
Das Os sacrum war zweimal erkrankt.
b) Hüftgelenk.
Im Ganzen 160 Fälle = 12pCt. der Gesammttuberculose,
und zwar 99 „ = 13 „ männlichen
und 61 « = 12 , weiblichen Geschlechts,
oder im Ganzen = 16 pCt. der Knochentabercalose,
und zwar =17,5 n männlichen
und = 14,5 „ weiblichen Geschlechts.
Unter 16 Jahren waren 109 = 68 pCt., und zwar
Knaben 59 = 60 „ und
Mädchen 60 = 82 „
Im Ganzen fanden wir einen etwas höheren Procentsatz der
Hüftgelenkstubercalose als Jaff6, immerhin ist der Unterschied
aber nicht bedeutend.
Gross ist die Anzahl der Erkrankten unter 16 Jahren; doch
nach allen bis jetzt gemachten Erfahrungen entspricht dies Ergeb-
niss vollauf der Wirklichkeit. Der Hüftgelenkstuberculose ist vor
10 =^29
1=3,
16 =46,7,
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Beiträge zur Statistik der ohirargiscben Taberculose. 183
Allem das Eindesalter ausgesetzt; wir finden von allen Enochen-
und Gelenkstuberculosen hier den grössten Procentsatz für dasselbe.
Auch Jaff6^) ist zu gleichem Resultat gekommen; wenn er auch
bei Besprechung des Alters die Spondylitis als mit 62 pCt. in der
ersten Lebensdekade figurirend besonders hervorhebt und die Coxitis
dort gar nicht erwähnt, so liefert doch auch bei ihm die erste
Lebensdekade procentmässig die meisten Coxitiden, nämlich 63 pCt.
Wenn wir bedenken, dass ich bis zum 15. Jahre inclusive rechne,
so erscheint das Resultat von 68 pCt. wohl jenem gleich.
Es wurden im Ganzen entlassen
als geheilt . . . 53\ __ «^^p.
„ gebessert . . 43/ ^ ^^ P^*'
. angeheilt . . 14\ __ oa«
Resultat unbekannt 19/""'^"'''" / y
Gestorben sind. . 31 = 19,4 „ [y^
Von jenen unter 16 Jahren wurden entlassen
als geheilt . . . 351 __ .q p..
„ gebessert . . 29/ " ^^ 1^^^'
„ ungeheilt . . 11\ _ oo
Resultat unbekannt 13/ ""^ "
Gestorben sind . . 21 =19 „
Von diesen Kindern wurden 24 resecirt und bei einem die
Exarticulatio coxae gemacht = 23 pCt. Von den Resecirten wurden
13 als geheilt entlassen, drei traten vor völliger Heilung aus und
8 sind gestorben. Der Knabe, bei welchem die Exarticulatio ge-
macht war, wurde ebenfalls geheilt.
Im Ganzen würden gewiss bessere Resultate erzielt sein, wenn
die Patienten resp. die oft sehr unklugen Eltern derselben ihre
Zustimmung zur Resection immer geben wollten. Gerade mit der
hiesigen niederen Bevölkerung ist in dieser Beziehung ein schweres
Kämpfen. Haben doch unter den 160 Hüftgelenkstuberculösen
nicht weniger als 33, unter diesen 24 Kinder, ohne Heilung ent-
lassen werden müssen, weil sie es theils verlangten und theils das
Wiederkommen vergassen.
c) Femur.
Im Ganzen 19 Fälle = 1,6 pGt. der Gesammttubercalose,
und zwar 10 , = 1 „ männlichen
und 9 „ = 2 „ weiblichen Geschlechts,
oder im Ganzen = 1,9 pCt. der Knochen tuberculosen,
und zwar = 1,7 „ männlichen
und = 2 „ weiblichen Geschlechts.
*) 1. 0. p. 443.
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184 Dr. Constantin Schmalfuss,
Unter 16 Jahren waren 7 = 37pCt., und ewar
4 = 40 , Knaben
und 3 = 33 „ Mädchen.
Es sind im Ganzen entlassen
als geheilt . . . 10\ _ „^ ^p.
„ gebessert . . 4/ = ^* P^**
, angeheilt . . 2\ _ „.
Resultat unbekannt 2/ "" '^ »
Gestorben ist . . 1 = 5 „
Von denen unter 16 Jahren sind
gSert: : : : ?} = "pct-
ungeheilt .... 1 \ -= 29
Resultat unbekannt 1 / "
In einem Falle, in welchem bei dem Patienten bereits wegen
Fusstuberculose eine Amputatio cruris gemacht war, fand sich im
Femur ein grösserer tuberculöser Heord und es wurde, da durch
ifevidement Heilung nicht erzielt wurde, zur Amputatio femoris ge-
schritten. Patient wurde als geheilt entlassen.
d) Kniegelenk.
Die Erkrankung des Kniegelenks steht bei uns ihrer Häufig-
keit nach obenan, während sie bei Jaff6 erst in vierter Linie
kommt und glauben wir auch, dass das bei uns gefundene Resul-
tat — wir sehen hier aus den oben angeführten Gründen von der
Zahl der Wirbelerkrankungen ab — eher der Wirklichkeit ent-
spricht. Nimmt doch auch in der Billroth-Menzerschen Sta-
tistik das Kniegelenk die erste Stelle nach der Wirbelsäule ein und
wie Billroth ') bemerkt: „Dies überrascht nach den Erfahrungen chi-
rurgischer Praxis nicht.** Auch nach König scheint auf der Göt-
tinger Klinik ein ausserordentlich hoher Procentsatz von Kniege-
lenkstuberculosen vorzukommen.
Wir hatten hier im Ganzen
227 Fälle = ISpCt der Ciesammttuberculose;
122 „ r= 16 ^ männlichen,
105 „ = 19 „ weiblichen Geschlechts,
I oder im Ganzen = 23 pCt. der Knochentuberculose,
y und zwar = 22 , männlichen
und = 25 „ weiblichen Geschlechts.
Diesem Resultat steht Jaff6 mit nur 10 pCt. gegenüber; noch
nicht die Hälfte des hiesigen Procentsatzes!
Ferner findet Jaff6 bei fast doppelt so vielen Männern als
») l. c. p. 357.
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Beiträge zur Statistik der chirargisoben Tnberoalose. 185
Frauen Kniegelenkstuberculose und er meint*) «ob hier mehr Zu-
fall vorliegt, ob die Traumen, denen dies Gelenk gerade bei Män-
nern so vielfach ausgesetzt ist, die Schuld daran tragen, lässt sich
wohl kaum ergründen.*' Wir müssen hier ganz entschieden dem
ersten Grunde, dass es reiner Zufall war, zustimmen, zumal der
zweitangegebene, dass das Kniegelenk des Mannes gerade mehr
Traumen ausgesetzt sei, als das des Weibes, wohl schwerlich zu
beweisen sein würde. Wir möchten eher auf das umgekehrte Ver-
hältniss den hier gefundenen höheren Procentsatz der Frauen be-
gründen. Sind doch nach von Volkmann^) „die grosse Mehrzahl
aller tuberculösen Knochen- und Gelenkleiden sicher auf trauma-
tische Anlässe zurückzuführen, indess nicht auf schwere Wunden
und Verletzungen, sondern auf leichte Traumen, Oontusionen, Dis-
torsionen, welche bei Individuen, die keine Empfänglichkeit für
das tuberculöse Gift besitzen, keine weiteren Folgen gehabt hätten.**
Und gerade diesen leichten Traumen ist das weibliche dienende Ge-
schlecht viel häufiger ausgesetzt als das männliche.
Auch Billroth fand ein dem unseren ähnliches Resultat; bei
ihm waren 10,6 pCt. männlichen und 12,40 pCt. weiblichen Ge-
schlechts.
Bei uns waren unter 16 Jahren
75 Patienten = 33pGt., und zwar
45 Knaben = 37 « und
30 Mädchen = 29 ,
Was die Resultate anbetrifft, so hat Jaff6 sowohl, als auch
wir längst nicht eine so hohe Sterblichkeitsziffor gefunden wie
König.
Nach König*) sind von den in den letzten 10 Jahren in die
Göttinger Klinik wegen Kniegelenkstuberculose Aufgenommenen in
runder Summe 29 pCt. gestorben, Operirte und nicht Operirte zu-
sammengenommen; Dem gegenüber findet Jaff6 eine Sterblichkeits-
ziffer von 19 pCt. und wir nur eine solche von 14 pCt., auch Ope-
rirte und nicht Operirte zusammengerechnet. Wir müssen allerdings
iiicrbei bemerken, dass die Länge der Beobachtungsdauer nur eine
geringe war und dass deshalb das gefundene Resultat nur einen
relativen Werth hat, während Dem gegenüber bei den von König
») J. c. p. 443.
•) 1. c. p. 21.
•) I. c. p. 133.
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186 Dr. CoQstaiitin SchmaJfuss,
angeführten Fällen wahrscheinlich die Beobachtangszeit eine län-
gere war.
Im Allgemeinen stellt sich das Resultat hier folgendermaassen:
Es sind entlassen
« ungeheilt . . 16\ __ ,e
Resultat unbekannt 18/ "" *^ "
Transferirt ... 3=1 „
Gestorben sind . . 32 = 14 „
Von jenen unter 16 Jahren sind
angeheilt 11 =15 «
transferirt 3 = 4 „
gestorben 4 = 5 ^
Wir sehen also, dass wir bei den Kindern einen noch günsti-
geren Proceutsatz der Sterblichkeit haben, nämlich nur 5 pCt.,
während König allein unter 24 im Laufe der letzten Jahre nach
seiner Methode operirten Kindern 12 pCt. Todesfälle zu verzeichnen
hat. Hier starben von 28 operirten Kindern, von denen 15 rese-
cirt und 13 amputirt wurden, nur ein Amputirter = 0,4 pCt; die
übrigen wurden sämmtlich als geheilt entlassen.
Auf die functionellen Resultate gehe ich hier nicht weiter ein,
da gerade in der Streitfrage, ob bei Kindern die Kniegelenksresec-
tion zu machen sei oder nicht, Verschiedentliches zu Gunsten der-
selben in der letzten Zeit von der hiesigen Klinik berichtet ist.
Im Ganzen wurden resecirt 27 — ich sehe hier von jenen ab,
welche erst resecirt, später aber noch amputirt wurden.
Von ihnen sind geheilt ... 2n _ 82 nCt
gebessert. .1/ '^ '
ungeheilt. . 2 = 7 „
gestorben . 3 = 11 „
Amputirt wurden 49, unter ihnen 6 nach vorangegangener Resection.
Es wurden geheilt 24\ _ &R^Pf
iebessert 3/ " ^^P^'-
es blieben ungeheilt 2 = 4 „
transferirt sind 2 = 4 „
gestorben 18 =37 „
Wir sehen also ein bei Weitem günstigeres Resultat bei der
Resection, als bei der Amputation, was natürlich nur relativ zu
nehmen ist, da zur Amputation die schwereren Fälle kamen.
Es starben von den Operirten 18 = 56 pCt., von den Nicht-
operirten 14=^44pCt.
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Beiträge zur Statistik der chirargisohen Tuberculose. 187
e) Tibia, Fibula,. Patella.
In der Tibia fanden sich ohne nachweisbare Betheiligung der
Gelenke im Ganzen in
44 Fällen ra 3 pCt tuberculose Herde und zwar in
26 ,» = 3 fi beim männlichen und in
18 n = 3 „ „ weiblichen Geschlecht,
oder im Ganzen = 4 pCt. der Knochentuberoulose ;
Männer = 4,5 «
Weiber =4 n
unter 16 Jahren waren 19 = 43 pCt.;
Knaben 13 = 50 „
Mädchen 6 = 33 ,,
Hier haben wir einen bedeutend höhern Procentsatz als Jaff6,
der nur in 1 pCt. der Fälle Tuberculose der Tibia fand.
Wenn auch im Allgemeinen sicherlich isolirte tuberculose
Herde in den langen Röhrenknochen, welche zur Behandlung
kommen, nicht zu den häufigen Erscheinungen gehören, so kann
uns doch auch wieder die hier gefundene Zahl nicht gerade in Ver-
wunderung setzen. Beruht doch eine viel grössere Anzahl tuber-
culöser Gelenkentzündungen auf primär ostaler, als synovialer
Tuberculose.
Nach König') fanden sich bei 232 Fällen
ostaie Tuberculose 158 mal = 68pCt.,
synoviale „ 46 „ = 20 ,
zweifelhaft blieb die primäre Aflfection in 28 Fällen. Auch von
Volkmann 2) ist jetzt der Ansicht, dass die primär ostaie Form,
namentlich bei Kindern die erheblich häufigere sei. Früher war
er anderer Ansicht'); so schrieb er in seinen „Krankheiten der
Bewegnngsorgane", bei Besprechung des Tumor albus und der Ar-
throcace: „üebrigens ist Ausgang von den weichen Theilen und
zwar speciell von der Synovialhaut der unendlich viel häufigere,
als der von den Knochen."
Man sollte also eigentlich glauben, dass eher noch mehr Fälle
von noch auf den primären Herd beschränkten, natürlich fast
ausschliesslich Epiphysenerkrankungen, zur Behandlung kämen.
') 1. c. p. 66.
*) 1. c. p. 12.
') Pitha-Billroth, Bd. IL 2, Cap. XLII. «Krankheiten der Bewegungs-
orgaoo** TOD R. Volkmann.
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188 Dr. Constantin Sohmalfass,
£s worden entlassen
als geheilt . . . 201 .^..p
n gebessert. . . 15/ - ^^'^ P^*-
^ ungeheilt . . 2| _ .g
Resultat unbekannt 5/ "
Gestorben sind . . 2 = 4,6 ,
Von jenen unter 16 Jahren sind
geheilt . . . 11\ _ oq^px
gebessert. . . 6/ " ^^P^**
Resultat fraglich 2 = 11 ^
In einem Falle fanden sich bei einem zweijährigen Knaben in
beiden Tibien tuberculöse Herde, ohne Gelenkaffection. Der Knabe
wurde als geheilt entlassen.
Von Tuberculose der Fibula kamen zur Behandlung:
5 Fälle = 0,4 pCt. der Gesammttuberculose;
4 Männer = 0,6 „
1 Weib = 0,2 „
oder im Ganzen = 0,5 pCt. der Knochen tuberculose;
Männer = 0,7 ,
Weiber = 0,2 ,
Unter 16 Jahren war kein Patient.
Das therapeutische Resultat war:
GebSrt 2} = ^^^^^
Ungeheilt 2 = 40 ,
Jaff6 fand einen gleichen Procentsatz Erkrankungen für die
Tibia und für die Fibula. Es ist aber die Richtigkeit eines sol-
chen Resultats von vornherein nicht sehr einleuchtend. Wenn wir
mit von Volkraann annehmen, dass die Mehrzahl aller tuber-
culöseu Knochonleiden sicherlich auf traumatische Anlässe zurück-
zuführen sei, so ist doch wahrlich die Tibia für die tuberculose
Infection weit günstiger gestellt, als die Fibula.
Unser Resultat entspricht vielmehr dem von Billroth-Menzel
gefundenen, bei welchem auf 50 Tibiaerkrankungen auch nur 4 der
Fibula kommen.
In einem Falle fanden wir auch einen isolirten Herd in der
Patella, zugleich einen solchen in der Tibia. Das Gelenk war voll-
kommen intact. Patient wurde als geheilt entlassen.
f) Fussgeleuke und Knochen.
Hier finden wir wieder ein Liebliugsfeld der Tuberculose!
Im Hamburger Krankenhaus lieferten diese Knochen und Ge-
lenke nächst der Wirbelsäule die meisten Fälle von Tuberculose,
und auch in der Billroth- Menzel'schen Statistik findet sich von
Caries der Fussknochen eine stattliche Anzahl.
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Beitrage zar Statistik der chirurgischen Tabercalose. 189
Hier worden im Ganzen bebandelt:
187 = 14,5 pGt der Gesamrattuberculose,
und zwar 115 = 15 „ männlichen
und 72 = 13 „ weiblichen Geschlechts,
oder im Ganzen = 19 pCt. der Knochen tubercolose,
und zwar = 20 « männlichen
und = 17 „ weiblichen Geschlechts.
Unter 16 Jahren waren 71 = 38pCt.;
Knaben 45 = 39 „
Mädchen 26 = 36 „
Das Resultat im Allgemeinen war, dass entlassen wurden
als geheilt . . . HU _ 79 ^ct
n gebessert . . 37/ ~ '^ P^^'
r, ungeheilt . . 18\ _ ,e ^
Resultat unbekannt 16/ "" *^'^ "
transferirt ... 1 = 0,5 „
gestorben. ... 9 = 5 ^
Von jenen unter 16 Jahren:
Geheilt • • • • ^\ - 77 ^rt
Gebessert. ... 11/ - ^^ P^**
Ungeheilt. ... 5\ _ ,«
Resultat unbekannt 7/ "" * ' "
Gestorben. ... 4 = 6 „
Es wurden Resectionen, Amputationen und Exarticulationen in
Samma 58 = 31 pCt. gemacht.
Es wurden geheilt 491 ^ g. ^^
gebessert 4/ ^
es blieben ungeheilt 3 = 5 «
es starben 2 =: 4 „
Unter diesen Operationen sind 15 Ampatationes cruris, von
denen 6 secundär nach Resectionen gemacht wurden. Von letzte-
ren wurden 5 als geheilt entlassen, einer starb; die übrigen 9 Am-
putirten wurden geheilt.
In einem Falle, in welchem zunächst wegen Tuberculosis pedis
die Amputatio cruris gemacht war, wurde dann wegen Gonitis
tuberculosa die Resectio genu und schliesslich die Amputatio fc-
moris gemacht; Patient wurde geheilt entlassen, ebenso ein anderer,
bei welchem wegen gleichzeitiger Coxitis die Exacticulatio coxae
gemacht wurde.
unter 16 Jahren waren von den Operirten 15. Von ihnen wurden
TeKert- ! ! l ^?} = «' P^*'
Ungeheilt bleiben 2 = 13 ^
Gestorben ist keiner.
Anhang: Tuberculose der Sehnenscheiden.
Tuberculose der Sehnenscheiden ist in der Klinik wenig zur
Behandlung gekommen, nur
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190 Dr. Constantin Schinalfuss,
5 Fälle = OA pCt. waren sicher constatirt:
2 Manner = 0,3 „
3 Weiber = 0,6 „
Unter 16 Jahren war ein Patient. 4 Patienten wurden als
itlassen, einer starb.
diesen wenigen Fällen auch nur einen annähernden Schluss
[äufigkeit des Vorkommens ein Tuberculose der Sehnen-
ziehen zu wollen^ wäre natürlich grundfalsch, da eben in
Jahren vor dem Bekanntsein des Tuberkelbacillus die
nicht derartig gestellt ist, dass man jetzt daraus schliesson
b es sich damals um Tuberculose gehandelt habe.
5 Fälle, die ich hier nur anhangsweise der Vollständigkeit
fgefiihrt habe, stammen sämmtlich aus den Jahren 1884
n. Tuberculose der Lymphdrüsen.
Im Ganzen 196 Fälle = 15 pGt.
männlich 118 « = 16 ^
weiblich 78 „ = U „
16 Jahr waren: 61 Fälle = 31 pCt.
Knaben 31 « = 26 «
Mädchen 30 „ = 38 „
irden im Ganzen entlassen:
als geheilt . . . 94\ __ ,q - p.
„ gebessert ... 62/ - '^'^ P^^*
„ ungeheilt . . 7\ _ ,q.
Resultat unbekannt 20/ — '^'^ -
transferirt. ... 5 = 3 „
gestorben .... 8 = 4 „
jenen unter 16 Jahren wurden entlassen
„ ungeheilt . . 1\ _ o«
Resultat unbekannt 13/""^^ "
transferirt ... 2 = 3 „
gestorben .... 5=8»
[i auch die Zahl der Behandelten eine ganz beträchtliche
giebt doch schon ein Blick auf den verhältnissmässig ge-
ocentsatz derjenigen unter 16 Jahren, dass auch hier die
i der Aufstellung einer die Wirklichkeit treffenden Statistik
lässt. Ich will damit nicht behaupten, dass sie deshalb
th sei: von Werth ist schon das Resultat der therapeu-
rfolge. Aber ich glaube, dass der Lymphdrüsentuber-
eciell in der Kindheit der erste Platz gebührt. Wie häufig
wir jener Lympdrüsenentziindungl Aber welch' kleiner
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Beiträge zor Statistik der chirurgischen Taberculose. 191
Procentsatz findet im Vergleich mit den anderen tuberculösen Er-
krankungen Aufnahme in der Klinik; ein grosser Theil ') wird zu
Hause vom Arzte behandelt, ein grosser Theil mit schlecliteii Haus-
mitteln oder gar nicht behandelt und geht entweder an Allgemein*
tuberculose zu Grunde» oder heilt spontan aus, oder es kommt
nach einiger Zeit, zuweilen erst nach 10 bis 20 Jahren, zu einer
Gelenktuberculose, welche dann als metastatisch aufzufassen ist.
Endlich wird ein grosser, ja der grösste Theil Derer, welche die
Klinik aufsuchen, poliklinisch behandelt.
in. Tuberculose der äusseren Hautdecken uud des Zell-
gewebes.
Im Garnen 77 Falle = 6pCt.
männlich 37 ^ = 5 „
weiblich 40 , = 7 »
Unter IC Jahren waren 26 = 34pCt,
Knaben 9 = 24 „
Mädchen 17 = 43 „
Es wurden im Ganzen entlassen:
als geheilt . . .
, gebessert . .
„ ungeheilt . .
Resultat unbekannt
transferirt . . .
gestorben ....
Von jenen unter 16 Jahren sind entlassen
als geheilt . . . 10\ __ 77 ^pf
. gebessert . . 10/ - ^^P^''
, ungeheilt . . 2\ _ ,.
Resultat unbekannt 2/ ~" *^ ^
transferirt ... 1=4,
gestorben. ... 1=4,
Wir haben hier selbstverständlich den Lupus, der ja zweifellos
echte Hauttuberculose ist, mitgerechnet, müssen aber dabei bemer-
ken, dass nur ein Bruchtheil der die Würzburger Klinik auf-
suchenden Lupuskranken auf der chirurgischen Klinik behandelt
wird, die Mehrzahl aber auf der mit der internen Klinik verbun-
denen Abtheilung für Syphilis und Hautkrankheiten. Es wird folg-
lich in dieser Statistik der Procentsatz der Hauttuberculose ein etwas
zu geringer sein.
Vom Lupus zu trennende tuberculose Geschwüre der äusseren
Haut fanden wir in 23 Fällen. — Nach von Volkmann'*) kom-
*) Ich rede hier selbstverständlich nur von jenen Kreisen, welche sonst
das Material für die Klinik liefern.
*) l. c. p. 6.
4)=
74 pCt.
*\ -
7/ ~
14 .
7 =
9 .
2 =
3 ,
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192 Dr. Consiantin Schmalfuss,
men sie sehr vorwiegend bei Kindern und jugendlichen Individuen
vor, sind aber nicht allzu häufig. Wir hatten hier aber 23 Fälle =
30 pCt. der Hauttuberculose, wobei jedoch jener vorher erwähnte
Mangel an Lupus bedacht werden muss, und unter ihnen nur
8 Fälle = 35 pOt. bei Patienten unter 16 Jahren; Dies stimmt
also mit von Volkmann's Erfahrungen nicht überein.
Von constatirter Tuberculose des Zellgewebes habe ich nur
1 Fall finden können und zwar des Hodensackzellgewebes bei einem
13jährigen Knaben, welcher als geheilt entlassen wurde.
IT. Tuberculose Erkrankungen der dem Chirurgen zugäng-
lichen Schleimhäute.
Im Ganzen 10 Fälle = 0,8 pCt ,
und zwar 7 „ = 0,9 , männlichen,
3 ^ = 0,6 » weiblichen Geschlechts.
Unter 16 Jahren war ein Knabe, welcher als geheilt entlassen wurde.
Im Ganzen wurden entlassen:
transferirt. .1 = 10 „
gestorben . . 2 = 20 „
Tuberculose der Zunge ist zweimal vertreten und fand sich
in einem Falle auch jene von von Volkmann ^) hervorgehobene
grosse Aehnlichkeit mit Carcinora, so dass sie auch als solches
diagnosticirt wurde; erst die mikroskopische Untersuchung berich-
tigte den Irrthum.
In diesem Falle irrt eine Statistik, die auch aus Jahren schöpfen
muss, in denen der Tuberkelbacillus noch nicht bekannt war, ganz
sicher zu Gunsten der Zunge, als einem zu selten von Tuberculose
ergriffenen Theile. Es würden sehr wahrscheinlich unter den vielen
Carcinomata linguae, denen wir in den früheren Jahren begegneten,
heute manche der Tuberculose überwiesen werden. Die betreffen-
den beiden Fälle sind in Heilung übergegangen. Tuberculose des
Rachens ist in einem Falle constatirt; Patient wurde als gebessert
entlassen.
Unter den übrigen Fällen waren 4 tuberculose Anusfisteln —
1 wurde geheilt, 1 gebessert, 1 transferirt und 1 Fall endigte
letal; — eine tuberculose Bursitis, die gebessert wurde. Eine En-
*) L 0. p. 8.
/Google
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Beiträge zur Statistik der chirurgischen Tuberculose. 193
teritis tübercalosa nahm letalen Aasgang. Endlich wurde eine
Tuberculosis peritonei mit Adhäsionen nach einer Probelaparatomie
gebessert.
y. Tuberculosen des TJrogenitalapparates.
Wir haben hie)* 20 Fälle und zwar gehören dieselben sämmt-
lich der männlichen Abtheilung an. Fälle von Tuberculose der
Vagina, des Uterus und der Mamma sind auf der chirurgischen
Klinik nicht zur Behandlung gekommen.
Es litten also 3 pCt. der männlichen Tuberculosen an Tuber-
culose des Urogenitalapparates, von diesen waren unter 16 Jahren
5 = 25 pCt.
Es wurden im Ganzen entlassen:
tÄsert- : : '5} = 65 PCt.
„ angeheilt . . 2\ _ oc
Resultat unbekannt Zf " ^^ "
gestorben sind . . 2 :^ 10 «
Von jenen unter 16 Jahren sind geheilt 5 = 100 pCt.
Es waren unter jenen 20 Fällen 18 aufgenommen wegen Tu-
berculose der Hoden, 2 wegen Tuberculose der Niere.
Von jenen 18 Patienten wurden 12 = 67 pCt. castrirt und
zwar fand in 10 Fällen eine Semicastratio, in 2 Fällen eine Ca-
stratio, in 2 Fällen eine Castratio duplex statt.
Es wurden entlassen von ihnen
?pj:illrt- : : ^?} = 92pct.
Resultat unbekannt 1=8,
Die beiden Doppelcastrationen heilten.
Nach von Volk mann ist bei Kindern eine Castratio eigent-
lich nie nöthig und hätte er selbst bei einem Kinde noch nie eine
Castratio gemacht.')
Hier sind unter den 12 Castrirten 5 unter 16 Jahren und zwar
ein Patient mit 15 Jahren,
j» « n ** »
n n » 8-J „
4
j> » » 2 „
Bei jenem 8V2 jährigen Knaben war die Castratio duplex nöthig.
Es war in allen jenen Fällen, wie nachher die Operation zeigte,
*) Centralblatt für Chirurgie. 1885. No. 24. Discussion über Hoden-
tnberoulose auf dem Ghimrgen-Congress 1885.
▼. Langtabtok, ArehiT f. Cliirurgit. XXXV. 1. 13
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194
Dr. Constantin Schmalfoss,
die Indication zur Castration eine zwingende gewesen. Bei dem
S^/zjshngen waren beide Hoden vollkommen verkäst.
Die 5 castrirten Knaben wurden sammtlich als geheilt ent-
lassen.
Ein wegen Hodentaberculose aufgenommener 46jährigcr Mann
starb unoperirt und es fand sich noch, ausser. Lungentuberkulose,
ausgesprochene Tuberculose der Niere, des Tractus intestinalis und
des Peritoneums, ausserdem hatte er noch eine Tuberculosis pedis.
Von den beiden an Nierentuberculose Leidenden wurde einer
auf Verlangen ungeheilt, der andere gebessert entlassen.
Kurze Uebersicht der Häufigkeit der Knochen- und Ge-
lenkstuberculosen an den verschiedenen Körpergegenden.
Zum Vergleich will ich die von Billroth-Menzel und Jaffß
gefundene Reihenfolge voranschicken:
L Billroth'Menzel.
1) Wirbelsäule.
2) Kniegelenk.
3) Schädel und Gesicht.
4) Hüftgelenk.
5) '
Stemum und Bippen.
6) Fusaknochen.
7) Ellenbogengelenk.
8) Becken^ochen.
9) Handknochen.
10) Titia und Fibula.
11) Femur.
12) Sohultergelenk.
13) Hamems.
14) ülna.
15) Radios.
16) Scapala.
ü. Jaff6.
1) Wirbelsäule 26 pCt.
2) Fussknochen 21 «
3) Hüftgelenk 13 ,
4) Kniegelenk 10 «
5) Handknochen 9 ,
6) Ellenbogengelenk .... 4 «
7) Beckenknochen .... 3 «
8) Schädel and Gesicht 3 •
9) Stemam, Glavicula, Bippen 3 „
10) Schultergelenk 2 .,
11) Femur 1 .,
12) Tibia 1 ,
13) Fibula 1 ,
14) Hamerus 1 «
15) Scapala 0,6.
16) Ulna 0,6 ,
Wir fanden folgende Reihenfolge:
c5
Kille.
Gesammt-
Tubercalose.
Knochen-
Tabercolose.
l.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Kniegelenk . .
Fassknochen .
Hüftgelenk . .
Ellenbogengelenk
Handknochen .
Wirbelsäule . .
Tibia ....
227
187
160
86
76
74
44
40
35
18 pCt.
14,5 .
12 ,
7 «
6 n
5,7 «
3 ,
3 ,
2,7 ,
23 pCt.
19 .
16 «
9 ,
8 «
7,5 ,
4 ,
8.
9.
Schädel und Gesic
Beckenknochen \.
5ht
4 .
3,6 ,
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Beiträge zar Statistik der chirargischen Tuberculose.
195
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
Stemum, Bippen .
Femar ....
Sohaltergelenk . .
Ulna
Humeras . . .
Badias ....
Fibula ...
Patella ....
Fälle.
35
19
15
14
12
7
5
1
Gesammt-
Tuberculose.
2,7 pCt.
1,6 »
1 .
1 »
1 .
0,5 .
0,4 ,
0,08 ,
Enoohen-
Tuberculose.
3,6 pCt.
1.9 n
1,5 ,
1,4 .
1 n
0,7 ,
0,5 .
0,1 ,
Vergleichen wir die drei Tabellen mit einander, so finden wir
grosse Uebereinstimmnngen in denselben. Warum die Schädel- and
Gesichtsknochen, welche bei Jaff6 und uns erst in achter Linie
kommen, bei Billroth-Menzel schon die dritte Stelle einnehmen,
ist schon oben erwähnt, ebenso unsere auffallende Abweichung be-
treffs der Wirbelsäule, welche sowohl bei Jaff6 als Billroth -
Menzel die erste Stelle einnimmt, während sie bei uns erst in
sechster Linie kommt.
Schon ein kurzer Blick auf die Tabelle zeigt uns in wie viel
höherem Maasse die unteren Extremitäten, als die übrigen Körper-
regionen, der Tuberculose zugänglich sind.
Vertheilung der Tuberculose auf das Alter.
Wir hatten im Ganzen 1287 Patienten mit Tuberculose und zwar
748 männlichen und
539 weiblichen Geschlechts.
Yon Jenen litten 978 an Enochentuberculose und zwar
563 männlichen und
425 weiblichen Geschlechts.
Von jenen 1287 Patienten waren unter 16 Jahren:
491 = 88 pCt., und zwar
Knaben 277 = 37 ^
Mädchen 214 = 39,6 ,
Auf die Enochentuberculose kommen hiervon
397 = 40,5 pCt.
Knaben 230 = 41 ,
Mädchen 167 = 40 „
Wenn wir aber aus diesem Resultat den Schluss ziehen wollten,
dass die Tuberculose einen höheren Procentsatz Erwachsener be-
falle, so wäre es ein grundfalscher. Um den Procentsatz richtig
berechnen zu können, müssen wir vor Allem wissen, wie viel aus
dem betreffenden Lebensalter überhaupt in der Klinik gelegen haben,
dann werden wir ein ganz anderes, aber richtigeres Resultat erhalten.
13»
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196 Dr. Coostantin Schmalfuss,
Wie schon Eingangs erwähnt, haben in jenen Jahren, welche
unserer Arbeit zu Grunde liegen
8873 Patienten,
6125 männlichen,
2748 weiblichen Geschlechts in der Klinik ge-
legen. Es waren tabercalös 1287 = 14,5 pCt.
Nun befanden sich aber unter jenen 8873 Patienten nur
1152 = 13 pCt. im Alter unter 16 Jahren,
und zwar Knaben 668 = 11 «
Mädchen 484 = 17,6 „
Es waren von ihnen im Ganzen tuberculös
491 = 42,6 pCt
Knaben 277 = 41 „
Mädchen 214 = 44 ,
Diesen stehen gegenüber von Erwachsenen 796 = 10 pGt. der erwach-
senen Patienten.
An Knochentuberculose litten von jenen unter 16 Jahren:
397 = 84 pCt.
230 = 34 „ Knaben,
167 = 34,5 , Madchen.
Diesen stehen gegenüber von Erwachsenen 581 = 7,5 pCt.
Dies Resultat bedarf keiner näheren Erklärung.
Vertheilung der Tuberculose auf die einzelnen Jahre.
A. Männliche Abtheilung.
1873. 554 Patienten. Unter 16 Jahren 52.
Tuberculös 48 = -9 pCt Tuberculös 15 = 29 pCt.
Geheilt 16\ __ e. ^rw-
Gebessert 10/ "" ^ P^^*
Ungeheilt 3\ __ an
Unbekannt 10/ - ^' »
Gestorben 9 = 19 ,
1874 591 Patienten. Unter 16 Jahren 54.
Tuberculös 43 = 7 pCt. Tuberculös 10 = 18,5 pCt.
Geheilt ^U - «o ^rt
Gebessert 16/ ~ ^^ P^**
Unbekannt 12 = 28 „
Gestorben 4 = 9,
1875. 552 Patienten. Unter 16 Jahren 40.
Tuberculös 44 = 8 pCt. Tuberculös 15 = 37,5 pCt.
Geheilt 14\ __ ^^ ^nt
Gebessert 18/ " ^^ ^^^
Ungeheilt 2\ _ q
Unbekannt 2/ "" ^ "
Gestorben 8 = 18 „
1876. 597 Patienten. Unter 16 Jahren 54.
Tuberculös 53 = 9 pCt. Tuberculös 26 = 48 pCt
Geheilt 10\ __ ß. ^^
Gebessert 24/ - ^ P^'
Ungeheilt 7\ __ ,c
Unbekannt 1/ "" *^ »
Gestorben 11 =21 ,
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Beiträge zor Statistik der chirurgischen Tubercnlose. 197
1877. 619 Patienten. unter 16 Jahren 58.
Tuberculös 62 = 10 pCt. Tuberculös 23 = 40 pCt.
Geheilt 22\ _ 70 ,: ^p^
Gebessert 23/ - ^^»^ ^^^
üngeheilt 4\ _ .^
Unbekannt 2/ "" *" »
Transferirt 1 = 1,6 „
Gestorben 10 = 16 «
1878. 619 Patienten. Unter 16 Jahren 71.
Tuberculös 54 = 9 pCt Tuberculös 14 = 20 pCt
Geheilt 22\ _ .« ^px
Gebessert 12/ "" ^'^ ^^^
Üngeheilt — \ _ «^
Unbekannt 14/ "" ^^ "
Transferirt 4 = 7 „
Gestorben 2 = 4,
1881. 539 Patienten. Unter 16 Jahren 90
Tuberculös 76 = 14 pCt. Tuberculös 28 = 85 pCt.
Geheilt 41\ _ ß« ^p.
Gebessert 10/ ~ ^^ ^^^
Üngeheilt 4\ __ „^
Unbekannt 11/ " ^" »
Transferirt 2 = 2,5 ,
Gestorben 8 = 10,5 „
1882. 514 Patienten. Unter 16 Jahren 83.
Tuberculös 86 = 17 pCt. Tuberculös 31 = 37 pCt.
Gebessert 24/ = ^^ P^*'
Üngeheilt 5\ _ q
Unbekannt 3/ "" ^ "
Gestorben 5 = 6,
1883. 632 Patienten. Unter 16 Jahren 67.
Tuberculös 100 = 16 pCt. Tuberculös 35 = 52 pCt.
Geheilt 51\ «ß ^p.
Gebessert 37/ - ^^ P^'
Üngeheilt 5 = 5,
Gestorben 7 = 7,
1884. 613 Patienten. Unter 16 Jahren 74.
Tuberculös 120 = 20 pCt. Tuberculös 41 = 55 pCt.
Geheilt 70\ _ ^q ^r*.
Gebessert 30/ ~ ^^ P^*'
Üngeheilt 6\ _ «
Unbekannt 4/ "" ^ "
Transferirt 4 = 4»
Gestorben 6 = 5,
1885 bis lo. Juni inclusive 295 Patienten. Unter 16 Jahren 35.
Tuberculös 52 = 18 pCt. Tuberculös 18 = 51 pCt.
Da noch ein grosser Theil in Behandlung ist, lässt sich über
das Besnltat noch nichts sagen.
Aus den vorstehenden Tabellen sehen wir, dass die absolute
Zahl der Tuberculosen zugenommen hat, bei ziemlich gleichbleiben-
dem Aligemeinbestand; ferner sehen wir eine procentmässige Zu-
nahme der Heilungen und eine Abnahme der Todesfälle.
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198 Dr. Constantin Sohmalfuss,
Ein Blick auf die obigen Zusamnoenstellangen zeigt sofort den
grossen unterschied zwischen den tuberculösen Erkrankungen Aller
zusammen und denen der Patienten unter 16 Jahren. Ebenso sieht
man eine procentmässige Zunahme im Laufe der Jahre.
B. Weibliche Abtheilun(;.
1873. 246 Patienten. Unter 16 Jahren 30.
t Taberculös 43 = 17,5 pCt. Taberculös 14 = 47 pCt.
Geheilt n\ _ «a ^rw-
Gebessert 20/ - '^ ^^
üngeheilt 5\ _ ot
Unbekannt 4/ "" ^* "
Gestorben 3 = 7 „
1874. 247 Patienten. Unter 16 Jahren 36.
Tuberoulös 40 « 16 pCt. Tuberoulos 14 = 39 pCt
Geheilt 14\ _ „o ^^t
Gebessert 15/ "^ ^^ ^^'
Üngeheilt 2 = 6,
Transferirt 2 = 5,
Gestorben 7 = 18 ,
1875. 237 Patienten. Unter 16 Jahren 37.
Taberculös 35 = 15 pCt. Taberculös 14 = 38 pCt.
Geheilt 14\ _ «. ^p^
Gebessert 11/ - ^^ P^
Üngeheilt 3\ __ .«
Unbekannt 1/ "" *^ •
Gestorben 6 =17 ^
1876. 233 Patienten. Unter 16 Jahren 45.
Taberculös 40 = 17 pCt. Taberculös 14 = 31 pCt.
Geheilt 18\ «« ^ ^p.
Gebessert 13/ = ^^>öpCt.
Üngeheilt 8\ _ i^
Unbekannt 3/ ~" ^^ '^
Gestorben 3 = 7,5 „
1877. 228 Patienten. Unter 16 Jahren 34.
Taberculös 35 = 13 pCt. Taberculös 12 = 35 pCi
Geheilt 17\ _ „. ^p.
Gebessert 9/ " '* P^^"
Üngeheilt 2 = 6,
Transferirt 1 = 3,
Gestorben 6 = 17 ,
1881. 325 Patienten. Unter 16 Jahren 75.
Taberculös 64 = 20 pCt. Taberculös 31 = 41 pCt
Geheilt 3n _ «^ ^p.
Gebessert 14/ " ^^ P^**
Üngeheilt 8\ __ *-
Unbekannt 1/ "" ** "
Transferirt 2 = 3,5 ,
Gestorben 8 = 12,5 «
1882. 350 Patienten. Unter 16 Jahren 63.
Tubercalös 77 = 22 pCt. Tuberoulös 20 = 32 pCt
Geheilt 28\ __ «« ^p.
Gebessert 31/ ~ '' P^^'
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Beiträge zur Statistik der chirargischen Tabercuiose. 199
üngeheilt 8\ _ -« ^^.
unbekannt 1/ - *^ P^*'
Transferirt 2 = 2,
Gestorben 7 = 9 „
1883. 346 Patienten. Unter 16 Jahren 73.
Tuberculös 71 = 21 pCt. Tubercalös 29 = 40 pCt.
Geheilt 35\ _ ^^ ^p.
Gebessert 19/ "" ^^ P^*'
üngeheilt 9 = 13 „
Transferirt 2 = 3«
Gestorben 6 = 8 „
1884. 372 Patienten. Unter 16 Jahren 79.
Tuberculös 90 = 24 pCt Tuberculös 38 = 48 pGt.
Geheilt 47\ _ ^
Gebessert 26/ - ^^ ^^^
Üngeheilt 5\ _ q
Unbekannt 3/ " ^ "
Transferirt 1 = 1 „
Gestorben 8 = 9 „
1885 bis 15. Juni inclusive 164 Patienten. Unter 16 Jahren 12.
Tuberculös 44 = 27 pCt. Tuberculös 6 = 50 pCt.
Vorstehende Tabellen ergeben ein gleiches Resultat, wie die
der männlichen Abtheilung.
üeber die therapeutischen Erfolge.
Wir haben im Ganzen zu verzeichnen — wir rechnen hier
wieder die Heilungen und Besserungen zusammen —
907 Heilungen = 70,5 pCt. und
144 Todesfalle = 11 ,
Auf die noch nicht 16 Jahre alten Patienten kommen
341 Heilungen = 69 pCt.
26 Todesfalle = 5 „
Dem ersten Anblick nach könnte es hier scheinen, als ob das
Kindesalter hinsichtlich der Heilungen eine schlechtere Prognose
stellte, dem ist aber in Wirklichkeit nicht so; denn dass hier nur
69 pCt. Heilungen zu verzeichnen sind, liegt daran, dass in fast
25 pGt. der Fälle die unvernünftigen Eltern ihre Zustimmung zu
eingreifenden Operationen, die Jenen Heilung verschafft hätten, ver-
weigerten. Wie oft muss man hören, dass die Eltern sagen, wenn
die Krankheit nicht so ausheile, wäre der Tod für das Kind besser,
als wenn es später bei seiner Armuth auch noch als Kräppel
herumlaufe.
Ein Blick auf die Todesfälle zeigt aber gleich, dass die Lebens-
gefahr im Kindesalter nicht so gross ist.
Wenn wir jetzt die einzelnen Körperregionen nach der Häufigkeit
der erzielten Heilungen betrachten, so erhalten wir folgende Reihenfolge :
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200 Dr. Schmalfuss, Beiträge zur Statistik der chirurgischen Tabercalose.
Gesammtresu]
tat.
1) Hnmerus . . .
'\
1)
2) Ulna ....
. .) 100 pCt.
2)
3) Patella ....
J
3)
4) SchulterEelenk . .
. 87 .
4)
, ,
. 86 .
5)
Gesicl]
t . 80 .
6)
m , .
. 80 ,
7)
, ,
. 79,6.
8)
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. 79,5,
9)
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. 79 .
10)
it !
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11)
12)
. 70 ,
13)
, , ,
. 69,6,
U)
,
. 68 .
15)
•arat
. 65 ,
16)
pen
. 63 ,
17)
lenk
. 62 ,
18)
• •
•} 60 ,
19)
20)
.
■ 58 ,
iD . .
. 83 ,
Patienten unter 16 Jahren.
Humerus . .
Schultergelenk
Radius . . .
Ulna . . .
Sehnenscheiden
Schleimhäute .
Urogenitalapparat
Tibia . . .
Aeussere Haut
Fussknochen .
Kniegelenk
Stemum, Rippen
Schädel, Gesicht
Femur ....
Ellenbogengelenk
Lymphdrüsen
Wirbelsäule .
Hüftgelenk .
Handknochen .
Beckenknochen
100 pCt.
89 ,
77 ,
76 ,
75 ,
73 :
71 ,
68 ,
66 ,
62,5,
59,5,
50 ,
25 ,
Bandknochen eine so späte Stelle in den Heilungen
mehmen, liegt in dem schon oben erwähnten be-
) gute Resultate liefernde Behandlang der Spina ven-
Sterblichkeit ordnen sich die einzelnen Eörpertbeiie
n:
itresultat.
m
lenk
pen
larat
Gesicht
46,7 pCt.
[20 „
19,4 ,
17,6 ,.
11 n
10 »
5 „
4,5 ,
4 «
3 „
Patienten unter 16 Jahren.
1) Beckenknochen
2) Hüftgelenk . . .
3) Ellenbogengelenk
4) Handknochen . .
5) Lymphdrüsen •
6) Schädel und Gesicht
7) Wirbelsäule . .
8) Fussknochen . .
9) Kniegelenk . .
10) Aeussere Haut .
11) Stemum, Rippen.
12) Schultergelenk
13) Humerus . . .
14) Radius ....
15) Ulna
16) Tibia ....
17) Sehnenscheiden .
18) Schleimhäute . .
19) Urogenitalapparat
20) Femur ....
25 pCt.
19 ,
13 .
10 .
8 .
7 ,
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VIII.
üeber Chyluscysten des Mesenteriums.
Von
Dr. F. Bramaiiii,
Atsistensant an der k6nigl. chirarg. UniTerpititskUnik in Berlin.')
Bei der erhöhten Aufmerksamkeit, welche neuerdings die
pathologische Anatomie den grossen Lymphbahnen des Körpers und
besonders dem Ductus thorac. zugewandt, und dem grossen Interesse,
welches alle intraabdominellen Geschwulstbildungen sowohl in Be-
zug auf Diagnose, als besonders in Bezug auf Therapie und speciell
die chirurgische, von jeher in Anspruch genommen haben, erscheint
es gerechtfertigt, über einen Fall von Ljrmph-, resp. Chyluscyste
des Mesenteriums, welcher in der Klinik des Herrn Geheimrath
von Bergmann zur Behandlung kam, Mittheilung zu machen.
Die Veröffentlichung ist um so mehr geboten, weil die Erkrankung
einmal für die Differentialdiagnose sehr wichtig und andererseits
so selten ist, dass sie zu den chirurgischen Raritäten gehört. Ja
zur Zeit, als unser Fall zur Operation gelangte, war in der Lite-
ratur noch kein anderer bekannt, der zu einem chirurgischen Ein-
griffe Veranlassung gegeben hätte. Erst zwei Monate später, im
Juni V. J., als ich die einschlägige Literatur zu sammeln im Be-
griffe war, erschien die erste Publication über eine operativ be-
handelte Lymphcyste des retroperitonealen Raumes^). Es mögen
ja wohl auch vorher schon derartige Cysten beobachtet und selbst
operativ angegriffen sein, dann sind sie aber nicht als solche er-
kannt und, weil nicht näher untersucht, falsch gedeutet worden.
Aossügsweise vorgetragen in der ohirurg. Seotion der 59. Versammlung
dentMber Naturforscher und Aerzte in Berlin, am 23. September 1886.
*) Eilian, Eine grosse retroperitoneale Cyste mit Ghylusartigem Inhalt.
Berliner kiin. Wochenschrift. 1886. S. 407 ff.
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202 Dr. F. Bramann,
So machte auch gelegentlich meiner Mittheilung über unsere Beob-
achtung auf der Berliner Naturforscherversammlung Herr Prof.
Dr. Küster auf einen von ihm operirten Fall aufmerksam, auf
den ich später noch zurückkommen werde, und welcher genau
dieselben Symptome und Merkmale, wie der unserige gehabt, aber
von ihm seiner Zeit als Kystoma mesenterii gedeutet sei. Aehn-
liehe Verwechselungen mögen in noch anderen Fällen vorgekommen
sein und sind um so leichter anzunehmen, als bei dem Mangel an
anderen epidermoidalen Bestandtheilen, ausser in Zerfall begriffenen
Epithelzellen, der mikroskopische Befund beider in der That manche
Aehnlichkeit hat. Dennoch lässt sich die Entscheidung bei näherer
Untersuchung wohl in jedem Falle treffen.
In dem von ans beobachteten Falle handelte es sich um einen 63 Jahre
alten Herrn, welcher, abgesehen von einer typhösen Erkrankung vor 20 Jahren,
stets gesund gewesen sein will. Vor etwa 10 — 12 Jahren stellten sich all-
mälig mehr und mehr zunehmende Hämorrhoidalbesch werden, verbunden mit
starken Blutungen bei der Defaecation ein and dazu seit etwa 5 Jahren chro-
nische Stahlverstopfung, die ihn zu unausgesetztem Gebrauche von Abführ-
mitteln and Klysmata nöthigte. Seit etwa IV3 Jahren soll die Obstipation
besonders hartnäckig geworden sein. Seitdem will Patient auch eine geringe
Auftreibung seines Leibes bemerkt haben. Im November v. J. entdeckte er
dann zufällig in der Tiefe der Nabelgegend eine etwa faustgrosse Geschwulst,
die beweglich, aber absolut schmerzlos war. In den folgenden Monaten soll
dieselbe dann langsam an Grösse zugenommen haben, ohne jedoch auch jetzt
dem Patienten irgend nennenswerthe Beschwerden, ausser einem Gefühl von
Schwere und geringem Druck im Leibe, besonders nach dem Essen, zu ver-
ursachen. Da die Anwesenheit der Geschwulst aber den ohnehin nervösen und
aufgeregten Patienten im höchsten Grade beunruhigte, so bestand er auf der
Entfernung derselben, am so mehr, als er sie als die Ursache einer wenn auch
nur geringen Abmagerung ansah.
Bei seiner Aufnahme in die hiesige Klinik im April 1886 fanden wir
bei dem etwas blass und leidend aussehenden und sehr nervösen, sonst aber
kräftigen Patienten das Abdomen in der Nabelgegend etwas hervorgewölbt.
Unter den schlaffen, jedoch dicken Bauchdecken fühlte man einen runden, fast
kindskopfgrossen Tumor mit anscheinend glatter Oberfläche, sehr prall ge-
spannt und deutlich fluctuirend. Die Percussion ergab über dem Tumor tym-
panitischen, zum Theil gedämpft tympanitischen Schall, der gerade auf der
Kuppe des Tumors in fast absolute Dämpfung überging. Die letztere nahm
an Umfang zu, sobald man die Bauchdecken fest gegen den Tumor andrückte,
nur am Ramde des letzteren blieb alsdann der tympanitische Schall bestehen.
Gegen die Bauchdecken leicht und weit verschieblich schien der Tumor an
der hinteren Beckenwand resp. in der Gegend der Lenden wirbelsäale fixirt,
jedoch so locker, dass man ihn sowohl nach dem rechten wie nach dem linken
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Ueber Chylnsoysten des Mesenteriams. 203
Hypocboodriam hin bis fast zam Rippenrande and zagieich rückwärts nach
der Lumbal-9 doch nicht bis in die Nierengegend hindrängen konnte. Leber
und Hilz, in normaler Lage und von normaler Grösse, hingen mit dem Tumor
in keiner Weise zusammen. Herz und Lungen gesond; der Urin war klar,
reichlich, ohne Eiweiss und Zucker, oder sonstige abnorme Bestandtheile,
Oedeme nirgend Torhanden. — Die Untersuchung des Rectum ergab zahl-
reiche grosse, leicht blutende Hämorrhoidalknoten.
Nach diesem Befunde war es schwer, ja anmöglich, eine bestimmte
Diagnose des in der Bauchhöhle gelegenen Tumor zu machen. Die grösste
Wahrscheinlichkeit hatte ein im Peritoneum resp. Mesenteriam zar Entwicke-
lang gelangter Echinococcus, oder ein Dermoid. Weniger wahrscheinlich war
die Annahme einer cystisch degenerirten Wandemiere resp. Hydronephrose,
dazu war namentlich die Verschieblichkeit nach der Nierengegend za gering.
Gegen eine Pankreascyste sprach einmal der Sitz and sodann die grosse Be-
weglichkeit des Tumor.
Die Probepanction, die wohl ohne Weiteres die Diagnose sicher gestellt
haben würde, musste anterbleiben, einmal, weil bei der starken Spannung
der Cyste ein Austritt von Cysteninhalt in die Bauchhöhle aas der wenn auch
noch so feinen Punctionsöffnung erfolgen konnte und besonders, weil bei der
Lage des Tumors unter resp. zwischen den Darmschlingen eine Verletzung
der letzteren sich nicht mit Sicherheit vermeiden liess.
Herr Geheimrath von Bergmann schritt deshalb am 17. April v. J.
zur Laparotomie. Nach Eröffnung des Abdomens mittels eines etwa 1 8 Otm.
langen, in der Linea alba geführten Schnittes, stellte sich sofort der kugel-
runde, prallgespannte, mit einem glatten, glänzenden Peritonealüberzuge ver-
sehene Tumor in der Wunde ein. Trotz der grossen Verschieblichkeit aber,
die derselbe vorher gezeigt hatte, liess er sich doch nicht vollständig, son-
dern nur bis zu seiner grössten Circumferenz aus der Abdominalhöhle hervor-
ziehen. Allein dieses genügte schon, um zu constatiren, dass über die Ober-
fläche des Tumors hinweg zahlreiche Dünndarmschlingen verliefen, die ihm
glatt auflagen und so innig mit ihm verwachsen waren, dass ihre Serosa un-
mittelbar in die des Tumor überging. Ihr Mesenterium fehlte resp. war durch
den Tumor ersetzt.
Unter diesen Umständen war natürlich an eine totale Exstirpation des
oystischen Tumors nicht zu denken , weil sonst der ganze Dünndarm ohne
Mesenterium, d. h. ohne Ernährung geblieben, also gangränös geworden wäre.
Der Tumor wurde deshalb, soweit es ohne Zerrung des Darmes anging, her-
vorgezogen und zunächst behufs Verkleinerung mit einem starken Troicart
punktirt, wobei sich im Strahle eine rein milchige, fast schneeweisse, rahm-
artige, geruchlose Flüssigkeit in einer Quantität von ca. 7 — 800 Grm. ent-
leerte. Nun wurde die Cyste an einer vom Darm frei gelassenen Stelle etwa
10 Ctm. weit gespalten und ihre Wundränder, nachdem die Laparotomie-
wunde durch Nähte am oberen und unteren Wundwinkel vorher etwas ver-
kleinert worden war, mit denen der Bauchhaut vernäht. Die der Cystenwand
aufliegenden Darmschlingen kamen dabei theiiweise sehr nahe der Nahtlinie
zu liegen. Die Innenfläche der Cyste, die, soweit sie sich nicht übersehen
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204 Dr. F. Bramann,
liess, durch Eingehen mit der Hand abgetastet warde, war vollkommen glatt
und glänzend, nirgend fanden sieb Hervorragungen, Vorsprünge oder Uneben-
heiten. Der Qrund der Cyste schien bis dicht an die Wirbelsäule zu gehen.
Gerinnsel waren nicht vorhanden. Nach Einlegen zweier Drains in die Cyste
wurde die Wunde in gewohnter Weise verbunden.
Der Wundverlauf gestaltete sich trotz der grossen Unruhe und Nervo-
sität des Patienten äusserst gänstig^ die Temperatur bewegte sich stets unter
38, die Secretion war gering und fast rein serös. Milch- resp. Cbylusartiges
Secret fand sich in nur ganz geringer Menge beim ersten Verbandwechsel am
Tage nach derOperation, wohl der letzte noch imCystensack zurückgebliebene
Rest des ehemaligen Inhaltes. Unsere bei und nach der Operation gehegle
Befürchtung, dass in der Folge ein reichlicher Chylusverlust stattfinden und
in Folge dessen die Genesung des Patienten im höchsten Grade beein-
trächtigen könnte, erwies sich somit glücklicher Weise als unbegründet. Die
Drains wurden am 10. resp. 16. Tage nach der Operation entfernt, am Ende
der 3. Woche war die Wunde bis auf einen kleinen Granulationsstreifen ge-
heilt und Patient konnte das Bett verlassen. 4 Wochen nach der Operation
wurde die kleine Wunde dann durch Naht der anstossenden Hautränder,
nachdem dieselben angefrischt und unterminirt waren, geschlossen und am
Ende der 5. Woche Patient vollkommen geheilt entlassen, mit der Weisung,
eine passende Leibbinde zu tragen.
Die Untersuchung der etwa 2 — 3 Mm. dicken, festen und derben Cysten-
wand, von der ein Stück excidirt war, ergab, dass dieselbe aussen vom Pen-
tonealüberzuge bekleidet, aus einem ziemlich derben, aber von zahlreichen
Blutgefässen und Lymphräumen durchsetzten Bindegewebe bestand. Auf der
Innenfläche liess sich aber weder Epithel noch Endothel nachweisen.
Was den Cysteninhalt betrifft, so war derselbe, wie oben bemerkt, von
milchiger Beschaffenheit, weiss, ohne Flocken und Gerinnsel, von neutraler, oder
schwach alkalischer Reaction. Mikroskopisch bestand er aus einer sehr fein-
körnigen Masse, aus Fett in feinster Zertheilung, Fettkörnchenkugeln, Lymph-
körperchen, spärlichen Cholestearinkrystallen und einigen wenigen rothen
Blutkörperchen; die letzteren sind wohl nur bei der Operation von der Wunde
aus hineingelangt. Epithelien war keine vorhanden. — Auf Essigsäure-
zusatz und Kochen gerann die Flüssigkeit vollständig, beim Schütteln mit
Aether löste sie sich zu einer hellgelben, fast durchsichtigen Flüssigkeit auf.
Sie hatte also alle Eigenschaften und Bestandtheile des Chylus. Einen Theil
der Flüssigkeit habe ich aufgehoben und auf der Naturforscher- Versammlung
zu demonstriren Gelegenheit gehabt. Sie ist jetzt, d. h. 9 Monate nach der
Operation noch unverändert, nur durch Verdunstung des Wassergehaltes
etwas dickflüssiger und gelblich geworden und die Fettkörnchenkugeln , die
früher in grosser Zahl vorhanden waren, sind verschwunder.. Trotzdem die
Aufbewahrung Wochen lang in einem ganz offenen, nur leicht zugedeckten
Glase und seitdem in einer mit einem gewöhnlichen Kork verschlossenen
Flasche stattgehabt hat, ist keine Spur einer Zersetzung oder Fäulniss ein-
getreten, eine Eigenschaft, durch die sich bekanntlich der Chylus auszeichnet.
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Ueber Chylascysten des Mesenteriums. 205
Wir haben es also im vorliegenden Falle unzweifelhaft mit
einer chylushaltigen Cyste zu thun, die aber von den wenigen,
bisher beschriebenen Fällen in einigen Punkten wesentlich abweicht.
Bezüglich der Grösse wird sie allein von der Kilian'schen über-
troffen, die bis 2500 Grm. Flüssigkeit enthalten haben soll. Die-
selbe war aber weniger gespannt und lag vorwiegend in der rechten
Oberbauchgegend, um einige Centimeter die Linea alba nach links
überragend. Sie hatte ausserdem die rechte Niere und das Colon
transversum vor sich her gedrängt und scheint wenig beweglich
gewesen zu sein.
Der oben schon erwähnte Fall von E. Küster*), wenn der-
selbe überhaupt hierher gehört, kommt dem unserigen an Grösse
ziemlich gleich und sieht ihm auch sonst sehr ähnlich : ein Einds-
kopfgrosser, genau in der Medianlinie, etwas unterhalb des Nabels
gelegener, runder, prall gespannter und leicht beweglicher Tumor,
zwischen den Blättern des Mesenterium gelegen. Dieselbe Farbe,
Beschaffenheit des Inhaltes, sowie der Cysten wand ; ein wesentlicher
Unterschied bestand aber darin, dass sich im Inhalte einige, wenn
auch sehr spärliche, in fettiger Umwandlung begriffene Epithelial-
zellen und geschichtetes Pflasterepithel als Auskleidung des Sackes
vorgefunden haben sollen, weshalb die Diagnose „Dermoid"* ge-
rechtfertigt erschien. Allein bei der Grösse der Cyste, welche
von Dermoiden, die nicht vom Ovarium ausgehen, bisher auch
annähernd nicht erreicht zu sein scheint, und bei dem Mangel an
anderen epithelialen Gebilden, wie Haaren etc. und endlich der
von Küster selbst zugestandenen „leider nur flüchtigen mikro-
skopischen Untersuchung *", bei der die Fettkörnchenkugeln mög-
licher Weise mit in Zerfall begriffenen Epithelzellen verwechselt
sein könnten, scheint die Annahme, dass es sich auch in diesem
Falle um eine Chyluscyste des Mesenterium gehandelt hat, keines-
wegs ausgeschlossen.
Alle anderen Ghyluscysten waren sehr viel kleiner und nur
in dem Falle von Enzmann^) erreichte von den multipel vor-
handenen Cysten eine die Grösse einer Faust. Hier bestand der
Inhalt aber nicht in einer milchigen Flüssigkeit, sondern in einem
') E. Küster, Ein chirurg. Trienniam. Berlin 1882. S. 158 ff.
*) Rnzmann, Beiträge zur patholog. Anatomie des Ductus thoraoicas.
Disflert Basel 1883.
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206 Dr. F. Bramann.
braunen, glitzernden Brei, der mikroskopisch aus zahlreichen Chole-
stearinkrystallen, rothen Blutkörperchen, Körnchenzellen und Pig-
ment bestand und wohl als eingedickter Chylus angesprochen
werden muss. Die in directeiii Zusammenhange mit dem weiter
irerschlossenen Duct. thorac. stehende Cyste lag zwischen
ihfellschenkeln und ragte sowohl in die Pleura-, wie in
ihöhle hinein. Diese, sowie die übrigen chylushaltigen
Gebilde, die alle als kleinere, weiche, lappige Geschwulst-
beschrieben werden, sind ausnahmslos nur zufallig bei
n gefunden, nie in vivo beobachtet und, wie es scheint,
)s verlaufen. Sie haben deshalb auch weniger ein dia-
s, als vielmehr ein pathologisch - anatomisches und ätio-
nteresse. Allein selbst an der Hand dieser Beobachtungen,
deren ich auf die neuesten ausführlichen Arbeiten von
i*), Boegehold*), Kilian') verweise, kommen wir bei
ng unseres Falles kaum über Vermuthungen und Hypo-
laus.
^machst liegende Annahme, dass eine Stenose oder ein
;er Verschluss des Duct. thoracicus eine derartige Ghylus-
n Gefolge haben konnte, trifft für die meisten Fälle
)h zu, kann aber deshalb nicht als alleinige Ursache
werden, weil in anderen Fällen, selbst bei totalem Ver-
ir eine massige Dilatation und eine mehr diffuse Er-
des unteren Theiles des Brustganges und der Gisterna
zuweilen selbst diese nicht gefunden sind. Die letztere
lg erklärt sich durch die grosse Mannichfaltigkeit, die der
racicus in seinem Verlaufe und seiner Anlage zeigt, indem
;en Fällen doppelt vorhanden ist, in anderen der ganze
[er doch ein grösserer Ast desselben sich bereits in die
;os, in die Vena cava oder selbst in eine der Lumbal-
dinergiesst. Endlich soll zuweilen bei Unwegsamkeit des
es durch eine Entwicklung von CoUateralen die Zufuhr
s zur Blutbahn besorgt sein,
in nicht gerade seltenen Fällen aber die Verhältnisse
Boegehold, Ueber die Verletzungen des Ductus thoracico«. von
ck's Arohiv. Bd. XXIX. 1888. S. 448 ff.
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üeber Chyluscysten des Mesenteriums. 207
auch weniger günstig liegen können, d. h., dass es bei Verschluss
des Duct. thor. zu sehr erheblicher Chylusstauung kommen kann,
beweisen mehrere sicher constatirte Sectionsbefunde. So berichtet
Virchow*) über einen Fall von Verschluss des Brustganges durch
ein Carcinoma oesophagi in der Höhe der Bifurcation, in welchem
nicht allein der untere Theil des Brustganges und die Cisterna
chyli stark ausgedehnt, sondern auch die Chylusgefässe des Magens,
des Colon transversum und des mittleren Abschnittes des Dünn-
darms bis zur Berstung gespannt waren. Ferner erwähnt Kilian^)
einer Obliteration des Brustganges durch »schrumpfendes Narben-
gewebe**, die zu bedeutender Erweiterung des ganzen Chylusgefäss-
systems, sowie zu Hirsekorngrossen Chylaneurysmen im Mesenterium
und sogar zu einem chylösen Ascites geführt hatte.
Auch Rokitansky*) will bei Verschluss des Duct. thorac.
durch eine „Schwiele", ausser dem letzteren die Chylusgefässe des
Mesenterium und der Darmzotten erweitert gefunden haben.
Eine ebenfalls sehr hochgradige Lymphstauung fand Virchow*)
bei einem neugeborenen Kalbe, bei welchem der Duct. thorac. in
Folge einer Thrombose der Vena jugul. externa obturirt und, ab-
gesehen von erheblicher Lymphstauung in fast allen Organen, ins-
besondere der ganze Darm über und über mit breiten, rosenkranz-
förmigen Canälen überzogen war. Hier mag wohl ein plötzliches
Zustandekommen des Verschlusses die Ursache der bedeutenden
Stauung gewesen sein, wie sie von verschiedenen Autoren auch auf
dem Wege des Experimentes erzeugt ist. So fand Schmidt-Mül-
heim*) bei Hunden, denen er nicht allein den Duct. thorac,
sondern auch die Ven. jugul. ext. und intern., die axillaris und
anonyma unterbunden hatte, ausser einer starken Ausdehnung des
Duct. thorac. und der Cisterna chyli Chylusflüssigkeit in das peri-
vasculäre Gewebe hindurchgepresst und in Brust- und Bauchhöhle
ein gewisses Quantum davon angesammelt. Ja Co o per«) soll nach
Unterbindung des Duct. thorac. allein sogar eine Ruptur der Ci-
*) Virchow, Gesammelte Abhandlungen zur wissenschaftlichen Hedicin.
S. 214 ff.
*) 1. 0. p. 410.
') Rokitansky, Lehrbach der pathol. Anatomie. Bd. IL S. 388.
*) Virchow, Ueber Makroglossie etc. Virchow's Archiv. Bd. 7. S. 130.
*) Archiv für Physiologie von Du Bois-Reymond. 1877. S. 553 ff.
*) s. Boe gehold, von Langenbeck's Archiv. Bd. XXIX. S. 460.
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208 Dr. F. Bramann,
sterna chyli beobachtet haben, was aber keiner der folgenden
Experimentatoren hat bestätigen können.
Was in unserem Falle die Chylusstauung bedingt haben mag,
dafür haben wir keine näheren Anhaltspunkte gefunden, weder
liess sich ein Verschluss des Hauptstammes durch einen Tumor,
noch eine Obturation in Folge chronischer Entzündung, wie sie
nach Enzmann u. A. vorkommen soll, noch eine Thrombose irgend
einer der grossen Venen nachweisen. Trotzdem glaube ich nach
dem oben gesagten in einem gehinderten Chylusabfluss die erste
Ursache für den Beginn des Leidens suchen zu müssen; dagegen
erscheint es zum mindesten zweifelhaft, ob auch in der letzten
Zeit noch eine Chyluszufuhr Seitens der Chylusgefässe stattgefunden
hat, weil sonst bei dem hohen Druck, unter dem der Inhalt der
Cyste stand, Erscheinungen von Chylus- resp. Lymphstauung in
den der Cystenwand dicht aufliegenden Darmschlingen offenbar
hätte eingetreten sein müssen, etwa in der Form, wie ich sie oben
erwähnt und wie ich sie selbst bei der Operation einer Hernie an
einer etwa 20 Ctm. langen incarcerirten und zugleich torquirten
Dunndarmschlinge gesehen habe, die ganz mit jenen perlschnur-
artigen, stark gefüllten, weissen, nach dem Mesenterium zu ver-
laufenden Gefassen bedeckt war. Davon war aber in dem vor-
liegenden Falle nichts zu bemerken, der Darm vielmehr in seiner
Wandung und Farbe durchaus normal.
Gegen eine noch bestehende directe Verbindung der Chylus-
gefässe mit dem Cysteninnern spricht ferner der Umstand, dass
vom Tage der Operation ab keine Ausscheidung resp. Entleerung
von Chylusflüssigkeit aus der Cyste mehr stattgefunden hat, die-
selbe müsste doch, wenn noch eine Communication vorhanden ge-
wesen wäre, nach Eröffnung der Cyste und der dadurch bedingten
Herabminderung des Druckes in derselben nicht allein fortbestanden,
sondern eher zugenommen haben.
Dieser Annahme widerspricht aber andererseits wieder das
Verhalten der Cyste in dem Falle von Kilian, in welchem eben-
falls nach der Operation keine Chylusausscheidung eintrat, während
nach vorangegangener zweimaliger Function die Füllung der Cyste
von neuem in sehr kurzer Zeit erfolgt war und zwar wieder mit
chylöser Flüssigkeit, die nur von den auf resp, in der Wand ver-
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üeber Chylascysten des Mesenteriums. 209
laufenden und mit dem Cysteninnern communicirenden Chylus-
gefässen herstammen konnte.
Die betreffenden Cysten zeigen somit gegenüber der Function
and Incision ein ähnliches Verhalten, wie wir es bei anderen Cysten,
der Cyst. congen. colli u. a. so häufig beobachten können, mit
welchen sie auch sonst wohl in Parallele gestellt werden können.
Wie wir diese aber als selbstständige, mit dem Lymphgefässsystem
nur bis zu einem gewissen Grade in Verbindung stehende Gebilde
anzusehen gewohnt sind, so werden wir, die Analogie aufrecht er-
haltend, auch für die in Rede stehende Chyluscyste annehmen
können, dass sie, woraus sie auch hervorgegangen sein möge, ur-
sprunglich ipit dem Lymph-, resp. Chylusgefässsystem in directem
Zusammenhang gestanden hat, dass aber bei fortschreitender
Dilatation ihrer Wandung und Zunahme des Flüssigkeitsdruckes
in ihrem Innern die Communication mit dem Chylusgefässsystem,
wenn auch nicht ganz aufgehört hat, so doch eine beschränkterere
geworden ist und die Cyste sich von nun ab als etwas für sich
Bestehendes, Selbstständiges präsenürt.
Ob dann noch von den Wandungen der Cyste selbst in Folge
ihrer Lage inmitten der chylusführenden Organe chylusartige Flüssig-
keit ausgeschieden ist, lässt sich nicht feststellen. Sicher dürfte
das Wachsthum unserer Cyste schon vor längerer Zeit beendet,
oder doch in der letzten Zeit kein erhebliches mehr gewesen sein.
Eine andere Erklärung des Wachsthums dieser Cysten, etwa
durch fortschreitende Fettmetamorphose ihrer Wandungen, wie sie
z. B. Grawitz*) für kleinere Cysten des Peritoneums in Anspruch
nimmt, erscheint wegen des Fehlens aller Epithelien und Endothelien
nicht zulässig, zumal in Anbetracht der grossen Schnelligkeit, mit
welcher die Füllung der von Kilian punktirten Cyste wieder
eintrat.
Was nun den Ort resp. das Organ betrifft, aus resp. in wel-
chem die Cyste zur Entwickelung gekommen ist, so glaube ich
zunächst bei der Lage der Geschwulst in der Mittellinie des Kör-
pers und im Mesenterium des Dünndarms etwa in Nabelhöhe
einen directen Zusammenhang mit dem Duct. thorac. selbst, d. h.
•) Grawitz, Dermoidähnliche Cysten des Peritoneums. Virchow's
Archiv. Bd. 100. S. 262 ff.
T. Langenbeek, AretaW f. Chirurgie. XXXV. 1. 14
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210 Dr. F. Bramann,
eine cystische Erweiterung desselben ausschliessen zu können, weil
der Stamm erst dicht unterhalb des Zwerchfells entsteht und die
Cysten des letzteren deshalb stets dicht unterhalb des Zwerchfells
oder oberhalb desselben oder zwischen den Zwerchfellschenkeln ge-
legen haben. Wahrscheinlicher wäre schon eine cystische Erweite-
rung des mittleren der den Duct. thor. bildenden Gefässstamme,
des Trunc. lymphat. intestin., oder aber, und das ist wohl das
Wahrscheinlichste, eine Erweiterung der Cisterna chyli selbst, die
ja ganz im Mesenterium des Dünndarms gelegen, und deren Fächer
und Septa, die sie normaler Weise besitzt, in Folge des erhöhten
Druckes seitens der sich ansammelnden Flüssigkeit allmälig ver-
loren gegangen sein können, analog den Vorgängen bei cystischen
Entartungen von Drüsen, die in Folge des Schwindens der Scheide-
wände zu einfachen Säcken umgewandelt werden.
Von den anderen Möglichkeiten des Ursprunges unserer Cyste
käme sodann die aus einem Lymphcavernom resp. Lymphangiom
in Frage, das im Mesenterium resp. im retroperitonealen Räume,
wenn auch sehr selten, beobachtet ist. In einem Falle von Weich-
selba um ^) fand sich bei der Section eines 80jährigen Mannes ein
etwa Handtellergrosser, glatter, gegen das umgebende Fettgewebe
des Mesenteriums nicht deutlich abgegrenzter Tumor, aus welchem
beim Einschneiden eine rein weisse, milchähnliche Flüssigkeit» wie
aus einem Schwamm, ausfloss. Derselbe sollte nach Weichsel-
baum ursprünglich ein Lipom gewesen sein und erst später zu
cavernösem Gewebe sich umgewandelt haben.
Der zweite von Winiwarter^) beschriebene Fall von Lymph-
resp. Chylangioma cavernosum lag nicht im Mesenterium, sondern
ähnlich der Kilian 'sehen Cyste im rechten Hypochondrium. Ich
glaube denselben hier um so mehr erwähnen zu müssen, als er in
den anderen Arbeiten von Kilian, Enzmann u. a. unberück-
sichtigt geblieben ist.
l^ei einem 4 Monate alten schwächlichen Kinde, das von
Geburt an einen aufgetriebenen Leib gehabt haben soll, fand sich
eine, das rechte Hypochondrium stark hervorwölbende fluctuirende
*) Weichselbaum, Virchow's Archiv. Bd. 64. S. 145 ff.
*) von Winiwarter, Chylangioma cavernosa. Mi tthei langen aus dem
Rudolphs-Spital in Wien. 1877. Jahresber. II. S. 321.
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üeber Chylnsoysten des Mesenteriums. 21 1
Geschwulst, die nach der Function, welche ungefähr 3 Liter einer
milchähnlichen Flüssigkeit lieferte und in Zwischenräumen von
einigen Wochen mehrere Male wiederholt werden musste, als eine
aus mehreren schlaffen Säcken bestehende Cyste sich erwies, von
Wini warter hält sie für cystenartig erweiterte Chylusgefässe,
entstanden in Folge einer angeborenen Obturation des Duct. thorac.
Dass aus diesen gewissermassen mehrkammerigen Gebilden durch
allmäligen Schwund der Zwischenwände einfache Cysten hervor-
gehen können, habe ich oben bereits erwähnt.
Gegen den Ursprung der Cyste aus einer oder mehreren
Lymphdrüsen des Mesenteriums, aus welchen Rokitansky eben-
falls Chylushaltige Cysten, wenn auch sehr viel kleinere entstehen
gesehen haben will, spricht das gänzliche Fehlen aller epithelialen
und endothelialen Elemente in der Cystenflüssigkeit, sowie ausser-
dem die Abwesenheit sonstiger Drüsenschwellungen, sowohl im Ab-
domen, wie im ganzen übrigen Körper.
Endlich schliesst die mikroskopische und chemische Be-
schaffenheit des Cysteninhaltes sowohl die Annahme eines Dermoids,
wie die einer carcinomatösen Neubildung, die allein noch in Frage
kämen, mit Sicherheit aus.
Um zum Schlüsse nochmals kurz zu recapituliren , so handelt
es sich in unserem Falle um eine reine Chylusflüssigkeit* ent-
haltende kindskopfgrosse Cyste, die im Mesenterium des Dünn-
darms gelegen, mit Wahrscheinlichkeit aus einer Dilatation der
Cisterna chyli nach Verschluss resp. Unwegsamkeit des Duct. thorac.
oder aus einem Lymphcavernom resp. -angiom hervorgegangen sein
dürfte.
In Bezug auf das Befinden des Patienten nach seiner Entlassung habe
ich noch zu bemerken, dass sich 14 Tage später bei längerem Stehen und
Gehen eine odematöse Anschwellung der unteren Extremitäten einstellte, die
in vier Wochen wieder spurlos verschwunden ist. Der Appetit war und blieb
gut, Verdauung, Allgemeinbefinden ebenfalls. Das etwas blasse Aussehen
blieb trotzdem bestehen und dürfte wohl unzweifelhaft auf die Hämorrhoidal-
biutungen , dagegen kaum auf das frühere Leiden zurückzuführen sein. In
3 Monaten hatte sich Patient soweit erholt, dass er seine immerhin anstren-
gende Thätigkeit als höherer Forstbeamter wieder aufnehmen konnte. Leider
ist in Folge der Nichtbefolgung unseres Rathes, eine entsprechende Leibbinde
zu tragen, eine wenn auch nicht bedeutende Bauchhemie in der Narbe ent-
standen, die in diesem Falle um so mehr zu befürchten war, als die bei der
Operation in der Mittellinie getrennten Banchdecken gar nicht wieder mit ein-
14*
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212 Dr. F. Bramann^ Ueber Chylascysten des Mesenteriums.
ander vereinigt werden konnten and allein durch die zwar straffe , aber doch
nur dünne fibröse Cysten wand ersetzt sind.
Trotz dieses üebelstandes, dem sich durch eine passende Ban-
dage hinreichend abhelfen lässt, dürfte aber auch im nächsten
Falle kaum ein anderes Operationsverfahren, vor Allem aber nicht
die Exstirpation der Cyste mit nachfolgendem vollständigen Ver-
schluss der Bauchwand anzurathen sein, weil, abgesehen von der
Mühe, die das Ablösen der Darmschlingen verursachen würde, eine
Gangrän der letzteren resp. einzelner Theile derselben und damit
ein lethaler Ausgang die unausbleibliche Folge sein würde.
Andererseits sich nur auf die Function zu beschränken, ist
deshalb nicht rathsam, weil eine einmalige Function nicht aus-
reichen, eine öftere Wiederholung derselben aber in Folge des
damit verbundenen Säfteverlustes die Ernährung des Patienten
wesentlich beeinträchtigen dürfte.
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IX.
Zur Jodoformfrage.
Von
Dr« Ciu8ta¥ de Ruyter«*)
Theils im hygieinischen Institut, theils im Laboratorium der
Königlichen Klinik habe ich Versuche über den antiseptischen
Werth des Jodoforms angestellt und glaube ich, dass die Resultate
dieser Versuche einiges Interesse beanspruchen dürfen.
Zuvor muss ich jedoch bemerken, dass ich bei meinen Unter-
suchungen vom rein praktisch chirurgischen Standpunkte ausging
und das Jodoform wie die verschiedenen Lösungen desselben auf
ihre antibacterielle Wirkung geprüft habe, ohne viel zu überlegen,
ob die erzielten Resultate dem Jodoform selbst, oder einem Zer-
setzungsproduct desselben zuzuschreiben seien. Im Verlauf meiner
Untersuchungen wurde ich allerdings wiederholt auf diesen Ge-
sichtspunkt hingewiesen und musste ich bereits in meinem Vor-
trage betonen, dass nicht das Jodoform selbst, sondern erst die
bereits in den verschiedenen Lösungen ausserhalb wie innerhalb
des Körpers hervorgerufenen chemischen Processe, die wirksamen
antiparasitären Producte lieferten.
Ohne mich daher mehr, wie die einzelnen Versuche es ver-
langen, auf chemische Details (dieselben sind in Arbeiten von Binz,
Behring u. A. zu finden; verschiedene neuere Beobachtungen ver-
danke ich den mündlichen Mittheilungen des Herrn Dr. Behring)
einzulassen, will ich mich beschränken auf die Aufzählung der bei
Anwendung des Jodoforms resp. seiner Zersetzungsproducte con-
statirten antibacteriellen Einflüsse. In der Literatur fand ich nur
zwei Arbeiten, welche sich mit dem oben bezeichneten Thema be-
Nach einem in der 1. Sitzung der freien Vereinigung der Chirurgen
Btrlins im November löö6 gehaltenen Vortrage.
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214 Dr. Gostav de Ruyter,
schäftigen; es ist dies eine Dissertation von Meyer, welcher 1882
seine Versuche unter Leitung des Herrn Professor Rosenbach in
Göttingen anstellte.
Eine zweite Arbeit ist von Rummo aus Neapel in den Compt.
rend. XCVI. No. 16 publicirt.
Beide Autoren haben nur eine beschränkte Anzahl von Ver-
suchen angestaut, experimentiren nur mit denti Jodoformpulver und
vindiciren deiüselben hauptsächlich entwickelungshemmende Ein-
flüsse auf verschiedene Mikroorganismen.
Bevor ich nun über die Resultate meiner einzelnen Versuche
berichte, habe ich zu bemerken, dass ich zu meinen Untersuchungen
Mikroorganismen wählte, welche eine prompte Wirkung auf die
Versuchsthiere resp. auf die benutzten Nährböden ausübten.
Zu den Thierversuchen nahm ich
1. den Bacillus anthracis,
2. « , der M&aseseptioämie,
3. n „ der Kaninchensepbicämie,
4. n y, der Hühnercholera,
5. ^ „ des malignen Oedems,
6. „ Mikroooccus tetragenus,
7. ^ StaphylococoQs aureus,
8. „ ,) albus.
Bei den Culturversuchen auf Nährböden fällt der Bacillus der
Mäusesepticämie und der des malignen Oedems fort, dafür tritt als
leicht verwerthbar der Bacillus des grünen Eiters und der Mikro-
coccus prodigiosus ein.
Um der gebräuchlichsten Anwendung des Jodoforms möglichst
nahe zu kommen, arbeitete ich zunächst mit Flächenculturen und
kam zu folgenden Resultaten:
Nachdem mit den oben bezeichneten Organismen Kartoffeln,
Gelatine, Agar-Agar und Blutserum geimpft und darauf die Ge-
sammtoberfläche mit Jodoformpulver bestreut ist, lässt sich bei
sämmtlichen Gulturen eine langsamere Entwickelung der Colonien
constatiren, wie auf den gleichzeitig angelegten Controlen, nur der
grüne Eiter und der Mikrococcus prodigiosus sind nicht tangirt.
Von Erheblichkeit ist die Differenz bei den übrigen Gulturen jedoch
nicht und es erscheint mir sehr wahrscheinlich, dass dieses lang-
samere Wachsthum mehr auf einer physikalischen Wirkung dos
Jodoformpulvers, sei es durch relative Einschränkung des Luft-
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Zur Jodoform frage. 215
Zutritts, sei es durch Behinderung der Ausbreitung der Colonien,
als auf cheniischen Einfluss desselben basire.
Femer habe ich Mischungen des Jodoformpulvers mit Gelatine
und Agar-Agar als Nährböden anzuwenden versucht und gesehen,
dass die Gelatine sich sehr schlecht mit dem Pulver emulgiren
lasst und somit beim Giessen oder Rollen von Platten viele Stellen
vollständig von Jodoform frei bleiben; auf diesen entwickeln sich
die betreffenden Organismen ungestört, auf den durch Jodoform
undurchsichtigen Partien stellt sich bald eine Vegetation von
Schimmelpilzen ein.
In Agar-Agar ist eine vollständig gleichmässige Vertheilung des
Jodoforms zu erzielen und sah ich auf Mischungen von 20 pCt. auf-
wärts ein Wachsthum nicht mehr; ob hier durch Agar-Agar in der
höheren Temperatur (diese Platten wurden im Brütofen gehalten)
eine Zersetzung des Jodoforms bedingt ist, wird noch untersucht
werden.
Das fast unvermeidliche Wachsthum der Schimmelpilze, selbst
in den nach Esmarch gerollten Gelatineplatten, legte die Ver-
muthung nahe, dass das Jodoformpulver selbst die Sporen der-
selben beherberge, obgleich niemals andere Verunreinigungen sich
fanden. Dass dieselben bei unvorsichtiger Behandlung des Jodo-
formpulvers vorkommen können, zeigt eine kürzlich in Kopenhagen
aus dem physiologischen Institut in dänischer Sprache veröffent-
lichte Beobachtung, welche lehrt, dass mit Jodoform gemischter
Staphylococcus aureus noch nach Wochen wachsthumsfähig ist'),
ebenso wenig konnte ich eine Abnahme der Virulenz der Milz-
brandsporen oder Milzbrand bacillen, welche ich an Seidenfäden Tage
lang im Jodoformpulver liegen Hess, constatiren. Die erwähnte
Gefahr muss jedoch gering sein, da ich sonst bei den etwa 250
Versuchen gewiss einige Verunreinigungen constatirt hätte, und die
Schimmelpilze sich nur bei den Misch ungs versuchen fanden, bei
denen beim Abwiegen etc. das Jodoform äusseren Einflüssen länger
ausgesetzt war, sicherlich dürfte sich jedoch ein festes Verschliessen
der Jodoformbüchsen empfehlen.
Auch die weiter zu erwähnende Anwendung des Jodoform-
pulvers gab mir zu einer vorherigen Sterilisation desselben keinen
') Ich hörte von dieser Arbeit erst nach meinem Vortrage durch einen
dänischen Coilegen.
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216 Dr. Gastay de Rujter,
Anlasspich habe sterilisirte Gelatine-, Agar-Agar- und Blutseram-
platten mit Jodoformpulver bestreut und der Luft ausgesetzt und
unter dera Jodoform niemals eine Vegetation gefunden, während
die betreflFenden Controlen bald mit Colonien besäet waren.
Doch bin ich um so weniger geneigt, in diesem Vorgange eine
specifische Wirkung des Jodoforms zu erblicken, als gleiche Lagen
Stärkepulvors denselben Schutz gewährten; sonach wird es sich
hierbei lyn eine Filtration handeln, welche ja auch, nur durch
Steine und Kies bewirkt, in dem Wasser der Berliner Wasser-
leitungen die Millionen Keime eines Cubikcentimeters auf ein paar
Hundert reducirt; auf diese Weise würde das Jodoformpulver einen
ähnlichen Schutz gewähren, wie der Wattebausch und die Gaze-
lagen und in Verbindung mit denselben erst recht einen wirksamen
Schutz gegen von aussen an die Wunden herantretende Keime ge-
währen.
Correspondirend den erwähnten Impfungen auf Nährbodenober-
.flächen, legte ich bei Mäusen und Meerschweinchen offene Wunden
an, indem ich Hautpartien excidirte, impfte mit den oben er-
wähnten Organismen, der Staphylococcus aureus und albus mussten
ausscheiden, da eine Infection mit denselben von offenen Wunden
aus nicht gelang, streute dann im üeberschuss Jodoform auf. Die
mit Jodoform behandelten Thiere starben an der Infection mit den
betreffenden Mikroorganismen ebenso gut, wie die Controlthiere,
nur um 1—4 Tage später; bei diesen Versuchen muss jedoch schon
zugegeben werden, dass wir es nicht mehr mit einer reinen Jodo-
formwirkung zu thun haben, da die Körpersäfte eine Zersetzung
des Jodoforms herbeiführen, wie Hinz und andere Autoren bereits
betont haben; neuerdings habe ich auf Veranlassung des Herrn
Dr. Behring mit Demselben Versuche angestellt, in wie weit sich
dies experimentell nachweisen lässt und wurde constaürt, dass bei
Michungen des Jodoforms mit Eiter, in etwa dem Verhältnisse von
15 : 100, in das alkalisch gemachte Wasser des Dialysators Jod-
verbindungen übergehen, aus denen durch üntersalpetersäure freies
Jod leicht abgeschieden wird, während dies aus dem Jodoform
selbst nicht zu erzielen ist.
Es ist einer weiteren Untersuchung vorbehalten, zu eniiren,
welcher chemischen Verbindung im Eiter diese Wirkung auf das
Jodoform zuzuschreiben ist, und ob etwa die klinisch bewährten
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Zar Jodoformfrage. 217
Vorzüge des Jodoforms darin ihren Grand haben, dass Zersetznngs-
producte desselben schädliche Producte des Eiters chenaisch verändern.
Dass eine völlige Desinfection bei den Versuchen mit offenen
Wunden durch das Jodoformpulver nicht gelang, mag an der ge-
ringen Secretion, wie an der Menge des überimpften Materials ge-
legen haben. Kann man doch sehen, dass granulirende oder wenig
Secret liefernde Wunden das Jodoform kaum verändern.
Bei Wiederholung der Versuche blieb allerdings das Resultat
dasselbe.
Die Experimente mit Taschenwunden sprechen für diese Ver-
muthung, indem bei diesen in einer Reihe von Fällen, in denen
mit der Impfung zugleich Jodoformpulver übertragen wurde, die
Infection ausblieb.
Die Versuche, bei welchen mit Milzbrandsporen oder -bacillen
geladene Seidenfäden oder Organstücke an Milzbrand gestorbener
Thiere in Taschenwunden übertragen wurden, nachdem die Fäden
bis zu mehreren Tagen in Jodoformpulver gelegen hatten, gaben
dasselbe Resultat, wie bei der Impfung auf Nährböden.
Bezüglich der Mischungen von Jodoformpulver mit gequetschten
milzbrandigen Organen verweise ich auf die Versuche von Meyer;
bei den meinigen blieben bei Mischung von Jodoform 2 Theilen
zu 1 Theil Organ die Thiere am Leben.
Ein günstigerer Procentsatz ergab sich bei Impfungen mit
Erde, welche maligne Oedem bacillen enthielt, bei einer Mischung
mit Jodoformpulver im Verhältniss von 4 : 1 war ein reactions-
loses Einheilen der Massen zu Consta tiren, geringere Procente
schätzten die Thiere nicht mehr. Besonders sichere Schlüsse glaube
ich jedoch aus diesem Befunde nicht ziehen zu dürfen, wenigstens
nicht für die angegebenen Procent Verhältnisse, da bei der Erde
eine quantitative Bestimmung hinsichtlich der übertragenen Menge
von Bacillen des malignen Oedems oder der zugehörigen Dauer-
formen unmöglich ist. *
Bei diesen Versuchen dürften jedoch die bereits durch die
Mischung mit den Organstücken bedingten oder im Thierkörper
geschaffenen Zersetzungsproducte des Jodoforms, sei es nun freies
Jod, oder noch andere Jodproducte, von hervorragender Bedeu-
tung sein.
Resumiren wir nun die antibacteriellen Leistungen des Jodo-
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218 Dr. Gustav de Rujter,
formpalvers, so rauss zugegeben werden, dass dasselbe ausserhalb
des Thierkörpers gegen die wichtigsten pathogenen Pilze und Coccen
so gut wie machtlos ist, dass dasselbe jedoch als schützendes
Filter gegen an die Wunden herantretende Bacterien Beachtung
verdient, im Thierkörper dagegen unter dem Einfluss der thierischen
Säfte zersetzt, zum Theil die Entwicklung der Bacterien zu hemmen,
zum Theil dieselben unschädlich zu machen im Stande ist.
In der praktischen Wundbehandlung, wo es sich um viel ge-
ringere Mengen pathogener Keime, als bei künstlichen Impfungen
handelt, wird durch das Jodoformpulver die Desinfection aus-
reichend besorgt, am sichersten bei Dauerverbänden, wo für die
Zersetzung längere Zeit zu Gebote steht.
Wenn somit das Jodoform pul ver bereits insbesondere wegen
seiner bequemen Handhabung in der Wundbehandlung seinen Platz
behaupten muss, so erweisen sich um so werthvoUer seine Lö-
sungen.
Ehe wir jedoch auf die einzelnen Lösungen und ihre prak-
tische Verwendung eingehen, ist es nöthig, sich zu vergegen-
wärtigen, dass wir es in denselben nicht mehr mit dem Jodoform
allein, sondern sicherlich zum grossen Theil mit freiem Jod und
anderen chemischen Verbindungen desselben zu thun haben.
Ich habe hauptsächlich mit der von Herrn Geheimrath von
Bergmann schon seit langer Zeit praktisch angewandten lOproc.
ätherischen Jodoform lösung, dann mit einer ätherisch-alkoholischen
Lösung experimentirt, nebenbei Glycerin und Schwefelkohlenstoff
als Lösungsmittel benutzt.
Wenn man Jodoform in Aether oder in einer Aether-Alkohol-
mischung löst, so erhält man in beiden Fällen bei Ausschluss des
Tageslichts eine fast farblose, leicht gelbliche Flüssigkeit und er-
giebt eine Reaction auf freies Jod ein negatives Resultat, selbst
wenn die Lösungen mehrere Stunden gestanden haben. Bei Lö-
sungen jedoch, welche längere Zeit dem Tageslicht ausgesetzt waren
(dies gilt von den von mir benutzten), ist der Befund ein anderer;
ich konnte bei einer quantitativen Bestimmung des Jodgehalts in
einer etwa 6 Wochen alten Jodoform -Aether- Alkohollösung einen
Iproc. Gehalt an freiem Jod nachweisen.
Bei diesen quantitativen Bestimmungen ergab sich, dass die
ätherisch-alkoholische Lösung mit Wasser eine complete Emulsion
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Zar Jodoformfrage. 219
giebt, aus welcher sich bei längerem Stehen Jodoform und wahr-
scheinlich andere Jodproducte ausscheiden, während in der zurück-
bleibenden gelblichen Flüssigkeit noch ein guter Theil freien Jods
gelöst bleibt; es war bei Abend eine noch deutlich wahrnehmbare
Reaction mit Stärkekleisterlösung zu constatiren in einer Verdün-
nung, welche V20000 ^^^ ursprünglichen alkoholisch-ätherischen ent-
hielten. Anders stellt es sich bei der rein ätherischen Lösung.
Hier findet erst, wenn der Aether verdunstet ist, eine Abgabe
grösstentheils niedergeschlagenen Jodoforms an das Wasser statt,
noch nach einer Stunde war das Wasser klar und ungefärbt, wäh-
rend über demselben die ätherische Lösung stand, während sich
spärliche Jodoformkrystalle zu Boden senkten.
Da nun die Körperflüssigkeiten zum grössten Theil aus Wasser
bestehen, so geht schon aus diesem Befunde hervor, dass, wenn
man eine Imprägnation der Gewebe mit Jodlösungen für werthvoU
hält, dies durch eine ätherisch -alkoholische Jodotormlösung, in
welcher es bereits zu einer Zersetzung des Jodoforms gekommen
ist, sehr viel schneller und viel gründlicher besorgt wird, wie
durch eine rein ätherische. In der Glycerin- und Schwefelkohlen-
stofflösung geht die Abscheidung freien Jods langsam vor sich und
ist damit bereits ein Grund für die geringe antiseptische Wirkung
dieser Lösungen, über welche ich später zu berichten habe, gefunden.
Koch hat bereits gewusst, dass eine Lösung von Jod in
7000 Theilen Wassers Milzbrandsporen zu tödten im Stande ist,
da aber Jod auf's Begierigste durch organische Stoffe gebunden
wird, womit zugleich seine directe Einwirkung auf frisch hinzu-
tretende Mikroorganismen aufgehoben wird, ist wohl der Grund zu
suchen, dass seither diese Lösungen praktisch nicht verwerthet sind.
Im Laufe der Arbeit kann ich jedoch über Versuche berichten,
in welchen es gelang, mit der ätherisch -alkoholischen Jodoform -
lösung mit Milzbrandbacillen durchsetzte Organstücke unschädlich
zu machen; ich muss es dahin gestellt sein lassen, bis ich die
entsprechenden Jodlösungen experimentell geprüft habe, ob dies
Verdienst der concentrirteren Jodlösung oder noch anderen Jod-
verbindungen zuzuschreiben ist.
Ohne diese Frage bereits zu beantworten, will ich über die
angestellten Desinfectionsversuche referiren und zuerst die Glycerin-
und Schwelelkohlenstofflösung absolviren.
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220 Dr. Gustav de Ruyter,
Bezüglich der Glycerinlösung, welche im üeberschuss unge-
löstes Jodoform enthielt, um auch lOproc. zu sein, muss ich be-
merken, dass die antiseptische Wirkung derselben sicherlich ohne
praktische Bedeutung ist, wenn nicht das Glycerin nur als Vehikel
für das Jodoformpulver betrachtet wird.
Die Schwefelkohlenstofflösung, welche nur bei Versuchen ausser-
halb des Thierkörpers angewandt werden konnte, übte ebenfalls
geringen Einfluss auf die Mikroorganismen, dabei ist allerdings zu
bemerken, dass diese Versuche zum grössten Theil bei Gaslicht
angestellt wurden und ich es nicht als ausgeschlossen betrachten
kann, dass bei längerer Aufbewahrung der Lösung unter Einwir-
kung des Tageslichts günstigere Resultate erzielt werden könnten.
Da jedoch für die praktische Wundbehandlung ein Gewinn hieraus
nicht zu erzielen ist, habe ich weitere Untersuchungen nicht an-
gestellt.
Die ätherische und die ätherisch-alkoholische Jodoform-Lösung
habe ich dagegen systematisch in ihren Einwirkungen auf ver-
schiedene Mikroorganismen in und ausserhalb des Thierkörpers
geprüft.
Ich benutzte zu Thierversuchen :
1. Bacillus anthracis,
la. Sporen desselben,
2. Bacillus der Mäusesepticämie,
3. Bacillus der Kaninchensepticämie,
4. Bacillus der Hühnercholera,
5. Mikrococcus tetragenus,
6. Staphylococcus aureus.
Zu Versuchen ausserhalb des Thierkörpers:
1. Bacillus anthracis,
la. Sporen desselben,
2. Bacillus der Hühnercholera,
3. Bacillus des grünen Eiters,
4. Mikrococcus tetragenus,
5. Staphylococcus albus,
6. „ aureus,
7. „ citreus,
8. Mikrococcus prodigiosus.
Bei letzteren Versuchen erwies sich für 1 und la, dass Sporen
wie Bacillen, welche an Seidenfäden haften, nachdem diese IV2
Minuten in den Lösungen gelegen, auf den Nährböden ohne Wachs-
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Zur Jodoformfrage. 221
thnm blieben, dasselbe fand ich nach Einlegung von etwa Hirse-
korngrossen Stücken einer Milz eines an Milzbrand gestorbenen
Thieres für die ätherisch-alkoholische Lösung, während die rein
ätherische 2 Minuten einwirken musste und auch dann noch einen
Fehlversuch zu verzeichnen hatte.
Für den Staphylococcus aureus ergab sich bei analog ange-
stelltem Experiment dasselbe Resultat.
Des Ferneren war zu constatiren, dass Kartoffeln, schräg er-
starrte Gelatine, Blutserum und Agar-Agar, deren Oberfläche (ich
konnte bis zu 30 Secunden herabgehen) unter Einwirkung der
Lösungen standen, ein Wachsthum der Mikroorganismen nicht mehr
zuliessen, nur der Mikrococcus prodigiosus entwickelte sich auf so
präparirter Gelatine zweimal bei 4 negativen Resultaten. Bei
vorhergehender Impfung dieser Nährböden und späterem üeber-
giessen mit den Desinfectionslösungen blieb ebenfalls jede Ent-
wickelang aus, nur machte hier der Bacillus des grünen Eiter in
2 von 4 Fällen einö Ausnahme. Kartoffeln und Gelatineplatten,
welche mit den Lösungen imprägnirt waren, konnten Tage lang
der Luft ausgesetzt bleiben, ohne dass eine Vegetation zu con-
statiren war. Mischungen der verflüssigten Nährböden mit den
Jodoformlösungen mussten ausser Betracht gelassen werden, weil
die rein ätherische Lösung sich nicht vermischt und die alko-
holische einen starken Niederschlag, wohl der Peptone, hervorruft.
Bei den analogen Thierversuchen musste bei Anwendung der
rein ätherischen Lösung der Uebelstand constatirt werden, dass die
Mäuse zum Theil an der Aetherwirkung, zum Theil an einer Pneu-
monie, deren Ursache mir noch nicht klar ist, starben; dieser Be-
fand gab mir ursprünglich die Veranlassung, die ätherisch -alko-
holische Lösung in Anwendung zu nehmen, wenn auch bei den
Todesfallen, welche 2 — 3 Tage nach Impfung und der Desinfection
statthatten, niemals eine Infection mit dem übertragenen Bacillus
vorgefunden wurde.
Die Thier- Versuche wurden in derselben Weise angestellt, wie
oben bei der Anwendung des Jodoformpulvers beschrieben ist,
und ergab sich, dass die Thiere nach Impfung der offenen Wunden
mit darauf folgender Desinfection gerettet waren, während die
Controlthiere prompt gestorben sind.
Der Staphylococcus aureus musste jedoch nach einer kürzlich
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222 Dr. Gustav de Rayter,
von Watson-Cheyne beschriebenen Methode in die von der Fasele
befreite Masculatur übertragen werden; auch in diesen Fällen gelang
die Desinfection. Bei den Controlethieren entwickelten sich
Abscesse, welche den Staphylococcas aureus als Reincultur produ-
cirten, nur eine Maus starb und war hier in dem Herzblut der
Staph. nachzuweisen.
Für den Bacillus anthracis und seine Sporen stellte ich be-
sondere Versuche an, indem ich, wie oben bei den Nährböden,
Fäden und Organstücke in der beschriebenen Weise in den Jodo-
formlösungen bis zu 1 Yj Minuten liegen liess und dann über-
trug, bei Anwendung der ätherisch -alkoholischen Lösung heilten
Fäden wie Organstücke reactionslos ein, bei der rein ätherischen
kam es mehrere Male zu einer Allgemeininfection. Ich hoffte, nun
müsste es auch gelingen, geladene Fäden oder inficirte Organstücke
zu übertragen und erst in der Wunde unschädlich zu machen, doch
ist dies trotz einer grossen Zahl Versuche nur einmal gelungen,
wenn auch der Tod der Meerschweinchen erst nach 3 und 4 Tagen
eintrat; da die Controlthiere bereits nach 24 Stunden starben, war
ein entwickelungshemmender Einfluss auf die Bacillen ausgeübt.
Verhältnisse, wie sie bei diesen Versuchen geschaffen, sind natür-
lich in der gewöhnlichen Wundbehandlung nicht zu erwarten, doch
würde gewiss auch in diesen Fällen ein längeres Irrigiren mit der
ätherisch-alkoholischen Jodoformlösung uns zum Ziele fuhren. Dass
sich jedoch die Wirkung der ätherisch-alkoholischen Lösung nicht
nur auf die Wundoberflächen beschränkt, mag folgender Versuch
illustriren: An einem Kaninchen wird auf das mit Pleuraüberzug
versehene Zwerchfell, welches zu einer Tasche ausgebauscht wird,
die ätherisch-alkoholische Lösung gegossen und an der dem Ab-
domen zugekehrten Seite ist eclatante Jodreaction beim Betupfen
mit Stärkekleisterlösung zu sehen; derselbe Versuch giebt bei der
ätherischen Lösung ein negatives Resultat. In diesem Befunde
glaube ich zugleich eine Begründung für die schon oben erwähnte
Idee zu finden, dass bei sehr starken Jodlösungen nicht alles Jod
durch organische Verbindungen gebunden wird, dass es somit noch
seinen Einfluss auf Keime, welche in den umgebenden Geweben
einer Wunde sich finden, ausübt.
Wenn demnach die Jodoformätheralkohollösung sowohl im
Stande ist, die widerstandsfähigsten Organismen zu tödten, wie
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Zur Jodoformfrage. 223
auch den Nährboden für dieselben angeniessbar zu machen, wenn
sie schliesslich selbst noch in die Wandungen der Wunde eindringt,
ohne dabei an ihrer Wirksamkeit eine Einbusse zu erfahren, so
braucht man nur nachzusehen, wie dieselbe in tiefen Taschen-
wunden in alle Winkel, ja bis 5 Ctm. über ihr eigenes Niveau an
den Wandungen emporsteigt, um dieser Jodoformlösung eine be-
rechtigte Stellung unter den Desinfectionsflüssigkeiten zu vindiciren.
Noch zu bemerken ist, dass ich auf 1 Theil Jodoform 2 Theile
Aether und 8 Theile Alkohol genommen habe; dabei bleibt jedoch
ein Theil des Jodoforms, wenn man grössere Gewichtsmengen
nimmt, ungelöst; ich habe indessen aus verschiedenen Versuchen die
üeberzeugung gewonnen, dass die oben abgegossene Lösung voll-
ständig wirksam genug ist und glaube, dass man mit der Hälfte
des Jodoforms in der Mischung eben so gute Resultate erzielt.
Zur Controle habe ich den Aether und den Alkohol (es han-
delte sich stets um Alcohol absolutus) in einigen Versuchen auf
ihre desinficirenden Eigenschaften geprüft und den Aether als voll-
ständig wirkungslos erfunden; der Alkohol ist ebensowenig im
Stande, eine Kartoffel-, Gelatine-, Agar-Agar-Oberfläche zu sterili-
siren, als geimpfte Culturen erheblich am Wachsthum zu hindern,
dagegen kann er bei genügend langer Einwirkung, etwa 20 Minuten
auf ein Organstück eines an Milzbrand verstorbenen Thieres, solche
Wirkung auf die Milzbrandbacillen üben, dass dieselben auf Nähr-
böden nicht wachsen, für die praktische Verwerthung der Jodo-
formäther-Alkohollösung würde dies nur ein günstiges Moment
mehr sein. Es bleiben aber noch verschiedene Fragen zu erledigen,
das ist erstlich, ob die Effecte der Lösung durch eine einfache Jod-
lösung ebenfalls zu erzielen sind, ob femer dieselbe dem Organis-
mus absolut unschädlich ist; bei meinen Thierexperimenten konnte
ich dies niemals constatiren.
Hauptsächlich beklage ich jedoch, dass ich über die Ein-
wirkung auf die Tuberkelbacillen ein endgiltiges Urtheil abzugeben
noch nicht im Stande bin, doch lassen meine bezüglichen Ver-
suche auch hierfür die besten Erwartungen zu. Ich behalte mir
vor, sobald ich für diese Fragen bestimmte Resultate aufzuweisen
habe, darüber zu referiren.
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X.
Mittheilungeii aus der chirurgischen
Casuistik
und
kleinere Mittheilungen.
1. Kh Fall VOM OstMM des Siebbeiaes.
Von
Dr. Sprengel,
Chirurg. Oberarzt am Kinder-HotpiUl xu Dresden.
Der Umstand, dass schon mehrfach in diesen Blättern von den Knochen-
geschwälsten in den Nebenhöhlen der Nase die Rede war, veranlasst mich, an
dieser Stelle einen einschlagen Fall zu publiciren , der vor Kurzem von mir
beobachtet und mit gutem Erfolge operirt wurde. Wenn auch nach den ein
gehenden literarischen Untersuchungen Bornhaupt's feststeht, dass die frag-
lichen Tumoren keineswegs so selten sind, wie man in früherer Zeit annahm,
so dürfte doch jede genaue Einzelbeobachtung auch heute noch allgemeineres
Interesse beanspruchen.
Pat. Herzog, 28 J., Buchbinder aus Dresden, früher nie ernstlich krank,
bemerkte zuerst vor ca. 15 Jahren — also zur Zeit der Pubertät — eine
kleine hart« Anschwellung an der dem rechten Auge zugekehrten Fläche der
Nasenwurzel. Dieselbe belästigte ihn Anfangs sehr wenig und wurde daher
zunächst nicht sonderlich beachtet. Erst als sich, etwa 2 Jahre später,
Thränenträufeln einstellte und zugleich auf der Höhe der Geschwulst eine
kleine, massig secernirende Fistel entstand , sah sich der Kranke veranlasst,
ärztliche Hülfe in Anspruch zu nehmen. Er consultirte nacheinander mehrere
Augenärzte, von denen das Uebel offenbar als eine Affection der thränenableiten-
den Organe angesehen und Jahre lang mit Sondirung desThränennasenganges,
Schlitzung der Thränenpunkte und Injectionen in den Fistelgang behandelt
wurde. Die Secretion des letzteren soll danach abgenommen, aber nie ganz
aufgehört haben. Als sie in neuerer Zeit wieder zunahm, wandte sich Pat.
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Ein Fall von Osteom des Siebbeines. 225
an den hiesigen Augenarzt Herrn Dr. Haenel, der ihn, ab der chirargiscben
Hälfe bedürftig, mir znr Behandlung überwies. Zu bemerken ist, dass einige
Male Blut und Eiter, ?ielleicht im Zusammenhang mit den Sondirangen, durch
die Nase abgegangen sein soll. Phlegmonöse Processe an der Geschwulst
selbst worden zu keiner Zeit beobachtet.
Die Untersuchung des übrigens gesunden, nur etwas blassen Mannes er-
gab an der oben erwähnten Stelle das Bestehen einer etwa haselnussgrossen,
unbeweglichen, knochenharten, nicht eindrückbaren Geschwulst, die eine
gleichmässige, nicht knollige Oberfläche hatte und von normal verschieblicher
Haut bedeckt war. Nur an der Stelle der etwas nach vorn und unten von
der Höbe des Tumors gelegenen Fistel war eine Verwachsung der Haut mit
dem Tumor zu constatiren. Die Sondirung ergab freiliegenden, rauhen,
Knochen dicht unter der Haut. — Der von Herrn Dr. Haenel aufgenommene
Augenbefond ergab, abgesehen von dem Thränenträufeln und der ündurch-
gängigkMt des Tliränennasenganges , keinerlei Abweichungen von der Norm.
In specie fehlten alle Bewegungsstörungen des Bulbus oder sonstige Erschei-
nungen, welche einen auch bei der äusseren Untersuchung nicht nachweisbaren
Druck des Tumors auf das Auge hätten annehmen lassen.
Nach diesem Befund stellte ich die Diagnose mit annähernder Sicherheit
— ans welchen Gründen soll weiter unten erörtert werden — auf ein Osteom
des Siebbeines und unternahm die Exstirpation desselben am 3. 10. 86 in
meiner Klinik in folgender Weise.
Die Narkose wurde zunächst benutzt, um eine Digitalexploration der
Nase vorzunehmen. Während dieselbe auf der linken Seite einen völlig
negativen Befund ergab, fühlte der eingeführte Finger auf der rechten Seite
ganz oben und hinten eine von anscheinend normaler Schleimhaut bedeckte,
knochenharte Vorwölbung, welche der Lage des äusserlich sichtbaren Tu-
mors entsprach, deren hintere und mediale Grenze indessen nicht deutlich
abzutasten war. Nunmehr wurde ein 3 förmiger Schnitt geführt, der von
der Mitte des oberen Orbitalrandes begann, mit seiner Convexität über die
Höbe der Geschwulst hin weglief, in der Mitte des unteren Orbitalrandes
endigte nnd überall bis auf den Knochen ging. Nachdem zur besseren Frei-
legang noch je eine seitliche Incision nach oben und unten angelegt war,
gelang es ohne grosse Schwierigkeit, das Periost nach allen Richtungen bei
Seite ZQ schieben und damit die Geschwulst völlig freizulegen. Danach
zeigte sieb, dass die Geschwulst mit ihrer oberen Fläche unbedeckt vorlag, in
der Nähe der Orbitalwandung dagegen kreisförmig von einem Knochenwall
umgeben war, der sie überall fest fixirte und dessen dünnere Ausläufer sich
ringsum noch eine kurze Strecke weit ihrer Oberfläche anlagerten. Dieser
Knoehenring entsprach zweifellos der Perforationsöffnung in der Orbitalwand,
und es war klar, dass die Exstirpation der Geschwulst nur nach Entfernung
jenes Ringes geschehen konnte. Schon während ich mit dem Meissel diesen
Akt Tollzog, lockerte sich die Geschwulst allmälig und zum Schluss konnte sie
mit der Knoobenzange ohne jegliche Gewaltanwendung herausgehoben werden.
«. Lange nb«ek, ArehW f. Chirurgie. XXXV. 1. 15
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226 Dr. Sprengel,
DenSchluss der Operation bildete die Dorohbobning der Knocbenwand, welcbe
das Osteom von der Nasenböble getrennt hatte, nnd, wie oben bemerkt, schon
vor der Operation von der Nase aus gofüLlt worden war. Die zurückbleibende
Höhle war so tief, dass ich eine Drainage derselben durch die Wunde nicht
für hinlänglich sicher hielt und es yorzog. auf die angegebene Weise ein
Drain in die Nasenhöhle zu leiten, obwohl ich die Wunde dadurch der nach
meiner Ansicht geringeren Gefahr einer Infection durch das Nasensecret aas-
setzte. Naht und Drainage der äusseren Wunde; Tamponnade der Nase mit
Jodoformganze.
Verlauf fiebeilos. Erster Verband am 7. Tage. Entfernung des Drains
und Nähte. 2. Verband am 14. Tage. Wunde bis auf eine kleine Granula-
tion an der früheren Drainstelle geheilt, schliesst sich in den nächsten Tagen
vollkommen. Der Kranke wurde am 13. 2. 86 in der hiesigen Ges. für Natur-
und Heilkunde vorgestellt.
Was das Resultat des operativen Eingriflüs anlangt, so ist der plastische
Erfolg desselben ein vollkommener. Die Wunde ist völlig glatt geheilt, der
entstellende Tumor und die Fistel beseitigt. Dagegen lässt der „functionelle*'
Erfolg in sofern zu wünschen übrig, als das Thränen träufeln vor der Hand
fortbesteht. Ob es der von Herrn Dr. Haenel eingeleiteten Sondenbehand-
lung gelingen wird, diesem Uebelstand in Zukunft abzuhelfen, mag in Anbe-
tracht der früheren Entzündung und späteren Narbenschrumpfung in der Um-
gebung der Thränenwege mit einigem Recht bezweifelt werden.
Es sei mir gestattet, den bescheidenen Werth der mitgetheilten Beob-
achtung dadurch in etwas zu vergrössern, dass ich ihre Bedeutung für die
Genese und Diagnostik der Osteome der Nasennebenhöhlen kurz erläutere.
Bekanntlich ist die Entstehung der in Rede stehenden l'umoren aach
heute noch keineswegs völlig klargelegt; und wenn auch mit einiger Sicher-
heit angenommen werden darf (cf. die Arbeiten von Bornhaupt, dies. Arob.
Bd. 26. S. 589 und Tillmanns, dies. Arch. Bd. 32. II. 3), dass sie mit ir-
gend einer Störung in der sehr langsam erfolgenden und spät beendeten Ent-
wicklung der Nebenhöhlen der Nase in ätiologischem Zusammenhang stehen,
so bleibt doch die weitere Frage vorläufig ungelöst, ob sie aus zurückgeblie-
benen fötalen Knorpelresten oder vom Periost ihren Ursprung nehmen. Wenn
nach der Anschauung Bornhaupt's der letztere Entstehungsmodns, d. h. die
periostale Genese, durch jene Fälle wahrscheinlich gemacht wird, bei denen es
zu einer Spontanlösung gekommen ist, weil bei den «nnr durch Weich theile
und nicht durch knöcherne Verbindung mit der Höhlenwandnng zusammen-
hängende Tumoren entzündlichen Vorgänge im Stiel die Ernährung des Tumors
aufheben können", so ist unser Fall als ein weiterer Beleg für die periostale
Entwicklung zu betrachten. Weder an dem Tumor selbst, noch an der genau
untersuchten Höhlenwandung liess sich irgend eine Stelle entdecken, welche
man als Verbindung zwischen dem Tumor und der anliegenden Knochenwand
hätte auffassen können; vielmehr war der erslere an seiner dem Siebbein zu-
gekehrten Oberfläche vollkommen glatt, nur mit einer ganz dünnen, ihrem
Charaoter nach nicht zu bestimmenden Membran und geringen Eiteraoflage-
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Ein Fall von Osteom des Siebbeines. 227
rangen bedeckt, während die innere Auskleidang der Höhle ans unveränderter
Schleimhaut bestand. Da nun selbstverständlich eine Verbindung zwischen
Osteom und Höhlen wandung existirt haben muss, so kann ich mir nur vor-
stellen, dass diese Yerbindang in einem relativ dünnen Stiel bestanden hat,
dessen E^rnährung durch den Druck der Knoohenwandungen auf den wachsen-
den Tamor beeinträchtigt und durch die später hinzukommende fistulöse
Eiterung völlig aufgehoben wurde. Hätte der Stiel des Tumors aus Knochen
bestanden, wie von den neueren Autoren z. B. Tillmanns für ähnliche Fälle
annimmt, so hätte man doch wenigstens eine Andeutung desselben noch er-
warten dürfen. Ich möchte also im Anschluss an Bornhaupt, da die voll-
kommene Lösung des Tumors feststeht, da andererseits die Möglichkeit einer
traumatischen Lockerung sowohl durch die Anamnese, wie durch die relative
Kleinheit der Geschwulst (Länge 2y2, Dicke \^,\ Ctm.) auszuschliessen ist,
die l)esprochenen Thatsachen als einen Wahrscheinlichkeitsbeweis für die pe-
riostale Genese des Tumors betrachten.
Für die Diagnose hat mir die oben citirte Arbeit von Bornhaupt die
wesentlichsten Dienste geleistet. Durch das Studium derselben war es mir
möglich, nicht nur die Diagnose auf einen Knochentumor sicher zu stellen,
sondern auch den Ursprung desselben vom Siebboin vor der Operation zu be-
stimmen. Da indessen für Jeden, der die Born hau pt'sche Arbeit kennt, eine
ausführliche Darlegung meiner diagnostischen Erwägungen nur eine Wieder-
holung bedeuten würde, so verzichte ich auf eine solche und möchte die Auf-
merksamkeit nur auf ein diagnostisches Hülfsmittel lenken, das von Born-
haupt nicht erwähnt wird, während es doch für analoge Fälle von zweifel-
loser Bedeutung ist. Bei der ausführlichen Besprechung derfürSiebbeinosteonie
charakteristischen Merkmale — Entwicklung vom inneren Augenwinkel, late-
rale Verschiebung des Bulbus, Intactbleiben des oberen und unteren Orbital-
randes — hebt der mehrfach citirte Autor hervor, dass „die Entscheidung
der Frage, ob der betreifende Tumor sich als äussere Exostose von der Lamina
papyracea aus, oder als eingekapseltes Osteom im Siebbeinlabyrinth entwickelt
habe, sehr schwierig sei.* Selbstverständlich besteht diese „Schwierigkeit''
nur für jene Fälle, in denen es nicht zur Fistelbildung gekommen ist; denn
sobald eine solche vorliegt, kann es sich nicht um eine äussere Exostose han-
deln, muss vielmehr ein Uöhlenosteom vorliegen , weil nur bei letzterem die
Bedingungen für die Entstehung einer Fistel gegeben sind. Ich möchte aber
glauben, dass auch in denjenigen Fällen , bei denen keine Fistel besteht, die
Diagnose ermöglicht oder wenigstens erleichtert werden kann, wenn man von
der in Narkose auszuführenden digitalen Untersuchung der Nase Gebrauch
macht. Besonders bei einseitig entwickelten Tumoren ist dieses Hülfsmittel
von Werth und die Ausfüllung des oberen Theils der einen Nasenhälfte ge-
rade an der Stelle, wo aussen der Tumor sichtbar wird , ist im Gegensatz zu
der Leerheit des anderen Nasenganges ausserordentlich characteristisch.
Leider ist das genannte Merkmal, so weit man aus einem einzigen Falle
sehiiessen kann, nur für die differentielle Diagnose zwischen äusserer Exostose
und Höfalenosteom von Bedeutung, während es zur Entscheidung der Frage,
15*
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228 Dr. A. W. C. Berns,
ob das Osteom vom Siebbein oder etwa ?om Keilbein seinen Ursprang nimmt,
wenigstens in unserem Falle nicht ausreichte, da die hintere Grense des
Tumors von der Nase ans nicht fühlbar war. Für die letztere, glücklicherweise
sehr seltene Eventualität wird man sich also vor der Hand aaf die allgemeineien,
leider noch wenig präoisirten Symptome verlassen müssen.
% EiB Fall TOM CirciMOHii ■liMMie bei eiieai HaiBe«
Von
Dr. A. ll¥. €• Berns
in Amtterdam.
Der Patient W. zählt 42 Jahre, gehört den besseren Ständen an, ist
unverheirathet und war bis jetzt völlig gesand. Er entstammt ebenfalls ge-
sunden Eltern and in seiner Familie herrscht keine erbliche Krankheit. Das
einzige Uebel, wovon er in den letsten Jahren öfters heimgesucht warde, ist
eine rheumatische Diathese, wozu unser feuchtes Klima bei seinem vielen
Herumziehen mit die veranlassende Ursache abgegeben haben mag.
Patient sieht urgesand aas. Obwohl er 11 5 Kilo wiegt, bewegt er sich
mit Leichtigkeit. Er führt keine unmässige Lebensweise and seine Stellang
bringt es mit sich, dass er fortwährend mit Geschäften überhäaft ist. Auch
die Obesitas, welche ihn schon von seinem 15. Jahre an auszeichnete, wurde
ihm nicht von seinen Ahnen überliefert.
Allmälig, schon in seiner Jugend, fingen auch die beiden Mammae an
sich colossal zu entwickeln. Einmal in seiner Studienzeit ist ihm erinnerlich,
dass er von einem Kameraden aus Scherz sehr unsanft an die rechte Brust
gegriffen wurde, was ihn damals einige Tage lebhaft geschmerzt haben soll.
Von irgend einer Secretion der Brastdrüsen hat er nie etwas gespürt.
Was ihn im September 1884 zu mir führte war eine vor Kurzem von
ihm zufällig entdeckte ganz schmerzlose harte Stelle in der rechten Mamma,
die ihm aber nicht geringe Sorge machte. Die Untersuchung der Brüste zeigte
diese ausserordentlich mächtig entwickelt. Sie hatten vollständig denCharacter
von mächtigen weiblichen Mammae. Sie hingen tief herab, waren sehr fett-
reich und eine tiefe langgezogene Falte trennte sie von den unterliegenden
Theilen. Der horizontale Durchmesser der rechten Brust war 19 Ctm., die
der linken 17 Ctm.; der verticale war rechts 16, links dagegen 14 Ctm. Die
von der recjiten Brust gebildete Falte maass 27 Ctm., die von der linken
bloss 23 Clni. Rechts ist die Papille eingezogen, links ist diese wie ihre Um-
gebung normal. Die Haut ist über beiden Brüsten normal gefärbt. Ein Paar
Centimeter nach aussen von der rechten Papilla lässt sie sich aber nicht in
einer Falle von den unterliegenden Geweben abheben und ist deatlich mit
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Ein Fall von Carcinoma mammae bei einem Manne. 229
einem Tumor verwaohsen. Dieser Tamor hat sehr derbe Consistenz, er hat
eine nicht höckrige, sondern nahezu ebene Oberfläche, ist leicht verschiebbar
über dem Musculus pectoralis major und hat, bei ovaler Form, etwa 6 Ctm.
Durchmesser von rechts nach links, und 9 Ctm. von unten nach oben. Die
Aohseldrüsen sind nicht infiUrirt und nirgends sonst ist in der näheren oder
entfernteren Umgebung etwas Krankhaftes zu entdecken.
Die Diagnose lautet also Carcinoma mammae dextrae.
Am 22. November wurde zur Operation geschritten. Patient verlangte
kategorisch auch von der linken gesunden Brust befreit zu sein, ein Ver-
langen, in welches um so eher eingewilligt werden musste, da eine passende
Bekleidung, die jetzt schon ihre grossen Schwierigkeiten hatte, bei Ungleich^
mäasigkeit der beiden Seiten nur noch viel schwieriger zu beschaffen gewesen
sein wurde. In der Narcose, welche dadurch eigentbnmlich war, dass der
Patient, welcher nichts fühlte, doch fortwährend mit allen ihn Umgebenden
redete, wurden beide Mammae in aller Schnelligkeit mit grossen Ovalär-
schnitten total entfernt und wogen zusammen mehr als 2^2Kilo. Rechts wurde
überall, 6 — 7 Ctm. vom Tumor entfernt, im Gesunden operirt und nachdem
die arterielle Blutung beseitigt war und eine kleine Dosis Jodoform gleich-
massig In beiden Wunden eingerieben war wurde zu jeder Seite ein resorbir-
barer Drain an der tiefsten Stelle der Wunde eingebracht und, nachdem die
Suturen angelegt waren, wurde der Verband gemacht. Pat. konnte es bei seiner
Fettlei bigkeit\ mit beiden Armen verbunden, nicht lange im Bette aushalten
und stand noch an demselben Tage auf. Auch begann er schon nach zwei
Tagen seine Arme zu bewegen und bald zu schreiben. Nichtsdestoweniger
heilten beide grosse Wunden völlig reactionslos und konnte er am 12. Tage
geheilt entlassen werden.
Ende Mai 1 885 meldete Patient sich schon wieder mit einem localen
Recidiv sowohl unten wie oben von der Operationsnarbe. Das Recidiv ist
nicht mehr beweglich über der Unterlage, und unterhalb der Narbe befinden
sich in der Haut mehrere linsenförmige kleinere und grössere Knötchen. Das
Gewicht des Patienten bat bloss um die amputirten Brüste abgenommen , er
sieht ebenso gesund und blühend aus wie früher; nur macht er nicht mehr
den alten heitern Eindruck. Am 1. Juni 1885 findet die Operation statt.
Durch einen enorm grossen Ovalärsohnitt soweit im Gesunden, dass jedes
Recidiv ausgeschlossen schien, wird alles Krankhafte auf einmal entfernt.
Auch jetzt ist in der weiteren Umgebung nichts Krankhaftes mehr zu ent-
decken. Die Grösse des entfernten Stückes machte eine dauernde völllige
Vereinigung der Wundränder unmöglich. Auch diesmal schritt die Heilung,
obwohl theilweise nicht per primam intentionem. gut vorwärts ohne Fieber
oder einen sonstigen Zwisicbenfall. Bloss dauerte, als Patient am 15. Juni
entlassen wurde, um gewohnterweise seiner Arbeit obzuliegen, die völlige Hei-
lung noch volle 2 Wochen.
Am Ende des Jahres wurden die rheumatischen Anfälle des Patienten
immer quälender. Kein Mittel konnte gefunden werden diese zu beseitigen.
In derselben Zeit schritt sein Uebel vorwärts. Anfangs Januar 1886 ver-
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230 Dr. B. Schnohardt,
langte er eine Consaltation. Diesmal handelte es sich am ein viel ausge-
dehnteres Recidiv. Die Operation masste wohl unternommen werden, um dem
armen Manne die Hoffnung einer definitiven Heilung nioht gänzlich su nehmen.
Diesmal trat das Recidiv hauptsächlich nach oben und tiefer wuchernd auf.
JNoch waren die Achseldrüsen frei. Das Carcinom hatte sich aber jetzt bis
zum Stern um und Schlüsselbein verbreitet und allerwegen befanden sich die
schon früher gefundenen linsenförmigen Knötchen in der Haut. Wieder war
die alte Narbe theilweise fest mit der Unterlage verwachsen. Obwohl durch
eine letzte grosse Operation noch versucht wurde, alles Krankhafte zu ent-
fernen, müssen damals schon Metastasen vorhanden gewesen sein; denn,
obwohl auch diesmal ohne besonderes Fieber, Patient alsbald völlig genas,
steigerten sich die sogenannten rheumatischen Schmerzen bis in's Unerträg-
liche und verschied er im März unter den Erscheinungen von Oedema pul-
monum. Eine Section wurde nicht ausgeführt.
Die Untersuchung der Präparate von Dr. med. J. A. Voorthuis ergab
Folgendes: Der zuerst exstirpirte Tumor ist in Fettgewebe eingebettet, in wel-
chem makroskopisch nichts zu entdecken ist. Der Tumor ist mit festen Binde-
gewebszügen durchsetzt, zwischen welchen mikroskopisch Alveolen von sehr
verschiedener Grösse nachgewiesen werden mit grossen polymorphen Zellen
gefüllt, in welchen grosse runde Kerne mit deutlichen Kernkörperchen sich
befinden, von feinen Fetttröpfchen umlagert. Nebenbei findet man röhren-
förmige Hohlräume mit gleich grossen, abgeplatteten Zellen angefüllt, welche
in die Maschen des Fettgewebes hineingewuchert sind. Auch trifft man Acini
an mit Cylinderzellen und ebenfalls viele kleine Cysten mit einer amorphen,
käseartigen, zahllose Felttröpfchen enthaltenden Masse, in welcher Gholestea-
rinkrystalle und etwas Pigment sich findet. Die beiden Recidive zeigten ähn-
liche Bilder. Wir hatten also zu thun mit einem Alveolarcarcinom, verbunden
mit Scirrhus mammae.
3. Ein weiterer Fall tob Krebs der nAuliehei Irastdriise.
Von
Dr. Bernhard SIehiichardt
in Gotha.
Herr Dr. Felix Franke. Assistenzarzt am Herzogl. Krankenhause zu
Braunschweig, hatte die Güte, mir im Anschluss an meine früheren statisti-
schen Zusammenstellungen den folgenden Krankheitsfall zur Veröffentlichung
mitzutheilen, wofür ich ihm meinen herzlichsten Dank ausspreche.
Otto S. , pensionirter Eisenbahnbeamter aus Lehre bei Braunsohweig'
69 Jahre alt, hereditär nicht belastet, im Ganzen immer gesund gewesen^
kam in das Krankenhaus zu Braunschweig wegen einer Geschwulst in de'
rechten Brust, welche sich seit einem halben Jahre aus einem damals vom
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Ein weiterer Fall von Krebs der männlichen Brustdrüse. 231
Pat. zuerst bemerkten Knoten zu der jetzigen Grösse, ohne sonst Beschwerden
zu verursachen, herangebildet hatte.
Pat. sieht seinem Älter entsprechend ziemlich rüstig aus, die Bmabrung
ist leidlich gut, das Allgemeinbefinden gut, keine nervöse Aufregung oder
etwas dergleichen zu bemerken.
Die genannte Geschwulst sitzt nach oben und aussen dicht neben der
rechten Brustwarze, welche eingezogen erscheint. Die Geschwulst ist pro-
minent, von normaler Haut überzogen, welche sich auch etwas über der Ge-
schwulst verschieben, aber nicht leicht falten lässt. Die Geschwulst, von über
Wallnussgrösse, fühlt sich hart an, ist länglich rund, lässt sich auf der Unter-
lage bin und her verschieben, ist mit der Brustwarze nicht fest verwachsen,
schmerzt nicht beim Druck. In der Achselhöhle sind Drüsen nicht recht deut-
lich zu fühlen.
Am 1. Februar 1887 wurde von dem Vorstande der chirurgischen Ab-
tbeilung des Krankenhauses, Dr. O.Völker, unter Assistenz des Dr. Pranke,
die Operation ausgeführt: Exstirpation der Geschwulst mit Hinwegnahme eines
gprösseren elliptischen Hautstückes, welches auch die Brustwarze mit enthält
und dessen Längsrichtung nach der Achselhöhle zu verläuft, und Abpräpari-
rung des gesammten, der Mamma angehörenden Fettgewebes von der Musku-
latur, Verlängerung des Schnittes in die Achselhöhle und Ausräumung der-
selben. In dem ausgeräumten Fettgewebe werden einige kleine Drüsen ge-
funden . an denen makroskopisch keine deutliche pathologische Veränderung
wahrzunehmen ist. Der Tumor und eine der Drüsen werden Behufs der mi-
kroskopischen Untersuchung in Müll er 'scher Flüssigkeit und Alkohol gehärtet.
Der Tumor hängt weder mit der Haut, noch der Warze fest zusammen, er-
scheint gegen dieselben wie abgekapselt, während er gegen die übrige Um-
gebung, namentlich gegen die Tiefe zu, gegen das Fettgewebe sich wohl scharf
absetzt, aber unregelmässig in dasselbe vorspringt, von einer kapselähnlichen
Umhüllung nichts sehen lässt. Auf dem Querschnitte ist das Aussehen ein
gleichmässig weissröthliches , Krebsmilch lässt sich nicht abstreichen, Con-
sistenz hart. Es waren verhältnissmässig viel Gefässe zu unterbinden. Aus-
spülung (Sublimat 1 p. m.), Naht, Drainage, Verband. Die Heilung erfolgte
per primam. Jodoform kam mit der Wunde nicht in Berührung, nur auf die
Nahtlinie wurde etwas aufgepudert.
Der Patient bekam am 3. Tage nach der Operation leichte Delirien, sah
Hunde, fremde Menschen in seinem Zimmer u. s. w. Die Delirien nahmen
in den nächsten Tagen zu. Schlaf war nur durch grosse Dosen von Morphium
and Ghloral zu erzielen. Die Nahrungsaufnahme war sehr gering, wurde
soblieselich ganz verweigert und war nicht zu erzwingen, ebenso die Auf-
nahme von Getränken. Der Patient wurde so schwächer und schwächer, es
kamen noch Hyperästhesie und andere auf Meningitis deutende Erscheinungen
hinzu. Am 14. Februar erfolgte der Tod. Fieber war nie dagewesen. Pota-
torium wurde von den Angehörigen geleugnet. Die Section ergab eine chro-
nische, nicht eiterige Meningitis als wahrscheinliche Todesursache.
Nach der mikroskopischen Untersuchung stellt die Geschwulst ein zellen-
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232 Dr. Schüchardt, Ein weiterer Fall von Krebs der männl. Brustdrüse.
reiches Carcinom mit dicht gedrängt stehenden kleineren und grösseren Al-
veolen dar. Ausgangspunkt wahrscheinlich die Drnsenläppchen resp. -gange.
Uebergänge nicht deutlich zu sehen. Die Drüse ist zum Theil carcinomatös
entartet.
Ich benutze diese Gelegenheit, um über den schon in Band XXXIL,
Heft 2. S. 302 dieses Archiv's erwähnten Fall von Gaertner's einige aus-
führlichere Mittheilnngen zu machen.
Der betreffende Kranke stammte von Eltern , von denen der Vater im
57. Jahre einem Nervenfieber, die Mutter im Alter von 72 Jahren einer Lungen-
lähmung erlegen ist. Von den 4 Geschwistern ist eine Schwester im 44. Jahre
an Brustkrebs gestorben. Der Hausarzt giebt an, dass der Patient in den
letzten 20 Jahren nie ernstlich krank gewesen und stets das Aeussere eines
kräftigen, nicht dyskrasischen Mannes gezeigt habe. Am 7. August 1880
zeigte der Patient zum ersten Male eine Anschwellung seiner rechten Brust-
drüse, nicht um wegen derselben ärztlichen Rath zu erhalten, sondern mehr
der Merkwürdigkeit wegen ; denn er hatte dieselbe angeblich zufällig entdeckt,
wusste gar nicht, wie lange sie etwa schon bestand und hatte bisher gar keine
Unbequemlichkeiten davon gehabt. Beide Brustdrüsen waren für einen Mann
unverhältnissmässig stark entwickelt. Die betreffende Geschwulst hatte die
Grösse einer Wallnuss, war hart, glatt und unempfindlich gegen Druck. Die
darüber liegende Haut zeigte keine Veränderungen. In der Nähe der rechten
Achselhöhle war ein Packet geschwollener Lymphdrüsen zu bemerken. Es
wurde die Diagnose auf Carcinoma mammae gestellt und zur operativen Ent-
fernung eindringlich gerathen. Der Patient aber, welchem die Geschwulst
gar keine Beschwerden machen sollte, konnte sich zu einer Operation nicht
entscbliessen und ging mehrere Monate auf Reisen. Im nächstfolgenden Früh-
jahre wurde constatirt, dass sich die Geschwulst um mehr als das Doppelte
vergrössert hatte. Die Haut war jetzt exulcerirt, die Achseldrüsen hatten an
Umfang zugenommen, und selbst die Lymphdrüsen am Halse waren bereits in
Mitleidenschaft gezogen. Dabei war aber der Kräftezustand und das All-
gemeinbefinden angeblich noch vollständig ungestört. Die in dieser Zeit be-
treffs einer etwaigen Operation consultirten Aerzte riethen von einer solchen
ab, da ein dauernder Erfolg nicht mehr erzielt werden konnte. Seitdem nun
nahm die Geschwulst in der Brustdrüse und namentlich in der Achselhöhle
allmälig derartig zu, dass die Blutcirculation im ganzen rechten Arme in be-
trächtlicher Weise gestört wurde. Auch waren jetzt die Klagen über die für
Carcinom charakteristischen Schmerzparoxysmen laut. Im November siedelte
der Patient nach S. über, um den Winter dort zu verbringen. Hier nahm
indessen die Krankheit einen wider Erwarten rapiden Verlauf, und es machte
sich die allgemeine Krebscachexie bemerklich. Die linke Hüftgegend wurde
der Sitz der heftigsten Schmerzen, und es zeigten sich Symptome, welche auf
eine unzweifelhafte Betheiligung des Gehirns und seiner Häute hindeuteten
und innerhalb weniger Wochen, am 8. December 1881 , den Tod zur Folge
hatten.
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1 2 Fremdkörper aus Magen und Darm in einer Sitzung entfernt. 233
4 12 FrendkAriier ais Magei iid Dam im einer Sitnng
dveh Bnterotonie »d GastrotoMif entfernt
(Mittheilung aus der chirurg. Abtheilung des Hofrath Dr. Stelzner
im Stadtkrankenbause zu Dresden.)
Von
Dr. Radestack,
Assittensant I. Ki. im Kgl. Sachs. Sauitäts-Corps, s. Z. Assistent am Stadtkrankenhanse tu Dresden.
Den bisher veröffentlichten Fällen von glücklich verlaufener operativer
Entfernung verschluckter Fremdkörper aus dem Magendarmcanal fügen wir in
Folgendem einen weiteren bei, der sowohl durch die Eigenart und Anzahl der
entfernten Fremdkörper, als auch durch die Complioation der vorzunehmenden
Entorotomie mit gleichzeitiger Gastrotomie in mehrfacher Beziehung unser
Interesse erregt.
Ein 22 jähriger, durch mehijährige Haftstrafe in seinen Kräften herab»
gekommener Sträfling beging, nachdem er 6 Wochen vorher durch Eröffnung
mehrerer Armvenen sich über einen Liter Blut abgelassen, ohne den gesuchten
Tod zu finden 9 am 10. November 1886 einen weiteren Selbstmordversuch,
indem er eine Reihe Fremdkörper verschluckte. Es waren dies nach seiner
Angabe: Zunächst eine in 2 Hälften zerrissene Qummimanschette , darnach
5 fingerkuppengrosse Fensterglassplitter und endlich 10 fingerlange und bis
daumdicke Stücke Holz vom Rahmen des Zellenfensters. — Er schob jedes
Mal den betreffenden Gegenstand möglichst weit über den Zungengrund nach
hinten und würgte ihn, zum Theil mit Hülfe nachgetrunkenen Wassers, hin-
unter. Ausser einem Gefühl von Völle im Magen verspürte der Mann augen-
blicklich kein Missbehagen. Erst am dritten Tage- darauf stellten sich
Schmerzen in der Magengegend ein, besonders beim Essen. Patient, der das
Geschehene verheimlichte und sich beim Gefangnisswärter nur über Leib-
schmerzen und Verstopfung beklagt hatte, erhielt von Jenem in den folgenden
Tagen und Wochen wiederholt (im Ganzen 7 Mal) Ricinus-Oel. Vom vierten
Tage an konnte der Mann nur noch wenige flüssige Nahrung gemessen. Nach
14 Tagen gesellte sich zu der fortbestehenden Appetitlosigkeit und zu den
zunehmenden Leibschmerzen Erbrechen schleimiger Massen. Den Abgang von
Fremdkörpern mit dem Stuhl will Patient nicht bemerkt haben. — 16 Tage,
nachdem der Kranke jene Gegenstände verschlungen, constatirte der Gerichts-
arzt die Anwesenheit von Fremdkörpern im Abdomen und veranlasste die
Ueberführung des Gefangenen in das Dresdener Stadtkrankenhaus. Hierselbst
bot derselbe bei seiner Aufnahme folgenden Status*. Schlanker, stark ab-
gemagerter Mann , mit verfallenem , blassen Gesicht, eingesunkenen Augen;
Temperatur: 38,6; Puls 86, leidlich voll. Sensorium klar. Patient, der nur
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234 Dr. Radestock,
gebrochen spricht, klagt über heftigen Darst, kolikartige Leibschmerzen in
der Unterbauchgegend, die mit y^stündigen Pansen auftreten, völlige Appetit
losigkeit. In Mund and Rachen ist keinerlei Verletzung sichtbar. Herz und
Lungen sind gesund. Die Athmung ist oberflächlich, beschleunigt, der Stuhl
durcbfallig, nicht blutig. Der Hastdarm ist leer, frei von Verletzungen. Das
Erbrechen hört nach Verabreichung von Opium auf. Beim Wasserlassen treten
ziehende Schmerzen in der Blasengegend ein. — Der Leib ist im Ganzen auf-
getrieben, in allen Theilen schmerzhaft; die Bauchhöhle ist frei von Erguss.
— Im Mesogastrium fühlt man etwas nach links und unten vom Nabel, jedoch
in ihrer jeweiligen Stellung wechselnd, mehrere harte, spitze, anscheinend im
Dünndarm befindliche Gegenstände; einen weiteren, anscheinend stumpferen
Fremdkörper findet man rechts vom Nabel. Die Umgebung der betreffenden
Fremdkörper fühlt sich resistent an und ist sehr druckempfindlich. Die Magen -
gegend ist hochgradig schmerzhaft; die Falpation derselben ergiebt ein
plätscherndes Geräusch.
Die vorläufige Therapie bestand in Verabreichung mittlerer Opiumdosen,
Eispillen ^ Eisblase auf Leib, Wein. Weil Patient, der fast nichts zu sich
nahm, zusehends verfiel, andauernd fieberte und an ein spontanes Abgehen
der Fremdkörper nicht zu denken war, schritt Hofrath Dr. Stelzner am
3. 12., das ist 23 Tage nach der Verschluokung der betreffenden Gegen-
stände, zur operativen Entfernung derselben. Als muthmasslicher Sitz wurde
der Dünndarm angenommen. — In gemischter Narkose wurde ein 2 Gtm.
unterhalb des Nabels beginnender, 10 Gtm. langer Schnitt in der Linea alba
bis zur Schamfugenkante durch die Bauchdecken geführt. — Das Peritoneum
parietale wurde auf jeder Seite an die Bauchdecken mit je 3 Fadenschlingen
fixirt, die weiterhin zum Auseinanderhalten der Wundränder dienten. Die
eingeführten Finger stiessen sofort auf eine mit Fremdkörpern prall gefüllte
Dünndarmschlinge, die hervorgezogen in der Ausdehnung von 25 Gtm., mit
harten, unmittelbar hintereinander liegenden Gegenständen sich gefüllt er-
zeigte. Der Bauchfellüberzug der Darmsohlinge sowohl, als des zugehörigen
Mesenteriums zeigt die ausgesprochenen Symptome beginnender Peritonitis.
In der Darmwand finden sich, entsprechend den andrängenden spitzen Enden
einzelner Fremdkörper, mehrere Stellen, an denen die Entzündung fortge-
schrittener ist und woselbst Perforation droht. Am unteren Theil der Schlinge
findet sich in der Grösse eines Zweipfennigstückes eine blutende Wundfläche
der Serosa, vielleicht eine gelöste Verwachsung mit tiefer gelegenen Darm-
schlingen. — Durch einen i Gtm. langen Längsschnitt wurde die hervor-
gezogene Darmschlioge über der Mitte der in ihr befindlichen Fremdkörper-
reihe eröffnet; die Schleimhaut blutete erheblich, untergelegte warme Salioyl-
Compressen schützten die Bauchhöhle. Aus der mit warmem Salioylwasser
ausgespülten Schlinge wurden mittelst Kornzange 4 je 8 bis 9 Gtm. lange,
bis daumdicke, zum Tbeil spitzige Holzstücke, deren eines sich in eine rollen-
artig zusammengedrehte Gummimanschettenhälfte eingeschoben hatte, sowie
die andere Hälfte der Gummimanschette entfernt. Auch letztere war spiralig
zusammengerollt zu einem 6 Gtm. langen und 2 Gtm. im Lichten messenden
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12 Fremdkörper aas Magen and Darm in einer Sitzang entfernt. 285
Hohlcylinder. Die Besohafifonheit der 4 fingerlangen ond 1 bis 2 Ctm. in
ihren Darcbmessem habenden Holzleistenstücke Hess in ihnen Fragmente eines
aas Tannenholz hergestellten Fensterrahmens erkennen. — Nach abermaliger
Ausspülung des Darminnem warden, während ein Assistent den Darm seitlich
der Wunde comprimirte, die Wandflächen der Darmwand durch 5 nur die
Serosa fassende Seiden-Nähte glatt zusammengefügt, über welchen die äusserst
zerreissliche Serosa durch weitere 10 Nähte nach Art der Lember tischen
eingebogen und yemäht wurde. — Beim Abtasten der übrigen Darmpartien
fanden sich keine weiteren Fremdkörper. Dagegen fühlte man solche im
Fundus des Magens. Da ihre Entfernung Ton der vorhandenen Laparotomie-
wunde aus unmöglich erschien, wurde für ihre Entfernung die sofort anzu-
sobliessende Gastrotomie beschlossen. — Nachdem die sorgfältig abgespülte
Darmschlinge an ihren wunden Stellen mit Jodoform bestäubt und versenkt
worden war, wurde die Laparotomiewunde durch 8 tiefe, das Bauchfell mit-
fassende Knopfnähte (Seide) und die erforderliche Anzahl oberflächlicher Nähte
geschlossen. — Ein neuer, 6 Ctm. langer, bis ziemlich zum Schwertfortsatz
reichender Schnitt eröffnete 1 Ctm. unterhalb des Rippenbogenrandes and
parallel letzterem die Baachhöhle. Das Peritoneum parietale ward in gleicher
Weise wie oben mit den Bauchdecken vereinigt, der Bfagen hervorgezogen, mit
2 Seidenschlingen fixirt und oberhalb der grossen Corvatur durch einen
4 Ctm. langen Schnitt eröffnet, wobei sich ungefähr 2 Kaffeelöffel glasigen,
gelblichen Magenschleimes entleerten. Die Serosa des Magens war blass und
wenig injicirt, dagegen war die Schleimhaut sehr blutreich und quoll in
dicken, dunkelrothen Wülsten aus der Wunde hervor. Nachdem der Magen
von der Wunde aus ausgespült worden, fühlte der eingeführte Finger hoch
oben im Fundus mehrere harte Fremdkörper, die sich nur eben mit der Finger-
spitze erreichen Hessen. Erst nachdem der Kranke auf die rechte Seite ge-
lagert worden und der offenbar stark dilatirte Magen möglichst weit in den
Wundspalt gezogen, gelang es, die Fremdkörper mit der gekrümmten Stein-
zange zu extrahiren. Es waren 6 Stucke Holz, das kleinste 8, das grösste
10 Ctm. lang, je % bis 1 Vj Ctm. dick, mehrere von ihnen mit zackigen
Spitzen versehen. Bei der Extraction blutete die Magenschleimhaut beträcht-
lich, doch stand die Blutung auf Ausspülung mit kaltem Salicylwasser. —
Glassplitter wurden hier ebenso wenig wie im Darm gefunden; ob dieselben
spontan entleert worden , oder ob dieselben überhaupt nicht existirt , bleibt
dahingestellt. — Die Magenwunde wurde in gleicher Weise wie die Darm-
wunde durch 5 lockere, nur die Serosa fassende Nähte vereinigt, über die
8 Lember tische Nähte gelegt wurden. Die Naht schloss vollkommen. Der
Magen wurde abgespült, und nachdem die Nahtlinie mit Jodoform bestäubt
worden, versenkt. Die Gastrotomie wunde wurde durch 5 tiefe, das Bauchfell
mitfassende, und 10 oberflächliche Seiden-Nähte geschlossen. Beide Bauch-
wunden wurden leicht jodoformirt , mit Sublimatgaze und einer Wattesohicht
verbunden. Ueber den Verband kam eine Eisblase. Patient verfiel nach der
im Ganzen zweistündigen Operation in einen schweren Collaps mit Schwind^u
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236 Dr. Radesiock,
des Radialpulses, aas dem er sich nach erfolgter Autotransfasion und auf
Analeptioa bald erholte.
Ohne dass Aufstossen, Erbrechen oder stärkere Leibschmerzen eintraten
und ohne dass das schon vor der Operation bestehende Fieber im Mindesten
stieg, verlief der Heilungsprocess dergesiali, dass Patient seit dem dritten
Tage nach der Operation ganz fieberfrei war und sich sichtlich erholte. Der
Kranke erhielt die ersten Tage reichlich Opium.
Die Diät bestand am ersten und zweiten Tage in Lindenblüthenthee,
esslöffelweise gereicht, und in Mundausspälungen mit Wein, am dritten Tage
erhielt er Bouillon schluckweise sowie nährende Clysmata mitKemmerioh's
Fleischpepton, am achten Tage genoss er bereits geschabtes Fleisch und nach
1 4 Tagen volle Diät. — Die Nähte der per primam geheilten Laparotomie-
wunde wurden am achten Tage entfernt; die Heilung der Gastrotomiewunde
verzögerte sich durch einen kleinen Nahtlinienabscess um einige Tage. Am
28. Tage nach der Operation konnte Patient, mit einer Leibbinde versehen,
das Bett verlassen; seine Kräfte waren wesentlich gehoben und gestatteten
seine baldige Ablieferung an die Gefangenenanstalt.
Ist einmal der Act des Verschluckens derartiger spitziger Holzstäcke in
solcher Anzahl eine bemerkenswerthe Leistung, so erregt auch das Verhalten
der Fremdkörper im Intestinaltractus unser Interesse. Zunächst durch ihr
Verhalten im Magen, indem ein Theil den Sphincter passirte, während der
andere hoch oben im Fundus zurückgehalten wurde.
Eine Erklärung hierfür lässt sich vielleicht darin finden, dass durch die
entstandene Gastritis reflectorisch ein Krampf des Sphincter erzeugt sein mag,
der den Durchtritt weiterer Fremdkörper hinderte.
Weiterhin ist es merkwürdig, dass eine Perforation der prall mit Fremd-
körpern erfüllten, entzündeten Darmschlinge bislang nicht eingetreten war,
obwohl seit dem Acte des Verschlingens bereits 3 Wochen verflossen waren.
Bezüglich der Operation dürfte die Gastrotomie in unmittelbarem Anschluss
an eine Enterotomie noch nicht vorgenommen sein. Bemerkenswerth ist auch
der reactionslose Heilungsverlauf trotz beginnender Peritonitis. Endlich
konnten wir die Beobachtungen Gredö's und Anderer bezüglich der Toleranz
des Magens bestätigen, indem auch im vorliegenden Falle trotz der starken
Zerrung des Magens, die sich bei der Operation nicht vermeiden Hess, weder
sofort noch im späteren Verlaufe Erbrechen eintrat.
Zum Schlüsse nehme ich Gelegenheit, meinem verehrten Chef, Herrn
Hofrath Dr. Stelzner, für die Ueberlassung des Falles meinen ehrerbietigsten
Dank auszusprechen.
Nachtrag. 9 Tage nach seiner Entlassung wurde der inzwischen zu
langjähriger Zuchthausstrafe verurtheilte Verbrecher mit einer anscheinend
absichtlich erzeugten Excoriation der Gastrotomie - Narbe wiederum dem
Krankenhause zugeführt. Als zufälliger Befund fanden sich eines Tages
Fremdkörper im Unterleib und gestand Patient, vor mehreren Wochen aber-
mals Holzstücke verschluckt zu haben. Da ein längeres exspectatives Ver-
fahren bei der Gefährlichkeit des Verbrechers nicht angezeigt war, wurde 80-
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12 Fremdkörper aas Magen und Darm in einer Sitzung entfernt. 237
fort zur operativen Entfernung der Fremdkörper geschritten. Der untere Theil
der alten Laparotomie- Narbe wurde in der Ausdehnung von 4,5 Gtm. eröffnet,
die stark entzündete, mit Fremdkörpern gefüllte Dünndarmsoblinge — soweit
es die bestehenden Adhäsionen gestatteten — in die Wunde gezogen und
durch einen Längsschnitt eröffnet. Sie enthielt 3 Stücke Tannenholz, bez.
Oy,, 10 und IOYj Gtm, lang und fingerdick, deren eines mit Bindfaden-
touren umwickelt war.
Die weitere Behandlung der Wunde und des Patienten war dieselbe wie
bei der ersten Operation.* Ohne jede Temperatursteigerung, ohne Puls-
reränderung. ohne Erbrechen oder irgend welche andere Störung lief der
Wundheilungsprocess binnen 10 Tagen in völlige Genesung aus.
S. lieber den Abriss der Streeksehie ?•■ der Phalan des
NagelgUedes.
Von
Dr. G« (ichoeiiliiy
in LQbeek.
In meiner früheren Stellung als Assistenzart an der chirurgischen Uni-
versitätsklinik zu Rostock hatte ich im Sommer 1884 die Gelegenheit, eine
recht seltene Fingerverletzung, nämlich den Abriss der Fingerstrecksehne von
dem Nagelglied des kleinen Fingers, zu beobachten.
Bekanntlich haben Segond und Busch uns diese Verletzung kennen
gelehrt. Segond') hat zuerst nach einer Beobachtung am Lebenden und
nach zahlreichen Experimenten an Leichen eine ausführliche Beschreibung
der in Frage stehenden Verletzung geliefert. Busch') in Bonn hat dann
später im Anschluss an Segond's Arbeit seine eigenen diesbezüglichen kli-
nischen Beobachtungen veröffentlicht.
Die Angaben beider Autoren über die anatomischen Verhältnisse und
die Entstehungsbedingungen dieser Verletzungen weichen in vielen Punkten
von einander ab. Es erschien mir deshalb der Mühe werth, die von Segond
angestellten Leichenexperimente zu wiederholen , um vielleicht die wider-
sprechenden oder ungenügenden älteren Angaben ergänzen zu können. •
Im hiesigen Krankenhaus standen mir durch die gütige Erlaubniss des
*) P. Segond, 'Note sur un cas d'arrachement du point dMnsertion des
deux langnettes phalangettiennes de Veztenseur du pelit doigt par flexion forc6e
de la jpbalangette sur 1a phalangine. Le progr^s ro6dica1. 1880. 3. juillet.
^ W. Busch, üeber den Abriss der Strecksehne von der Phalanx des
Nagelgliedes. Centralblatt für Chirurgie. 1881. No. 1.
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238 Dr. G. SchoeniDg,
nanmebr verstorbenen Oberarztes Dr. Hinckeldeyn 5 Leichen für die Ver-
suche zar Yerfagung. Die von mir angestellten Versocbe haben manche nene
und den früheren Angaben widersprechende Thatsache ergeben. -Ich erlaube
mir deshalb im Anschlass an die karze Krankengeschichte des za meiner
Beobachtung gekommenen Falles die Ergebnisse meiner Untersuchungen zu
yeröffentlichen.
Die Krankengeschichte des beobachteten Falles ist kurz folgende :
Herr D. , ein Mann von etwa 50 Jahren, stürzte im Sommer 1 884 von
der Pferdebahn und stiess dabei mit den Fingerspitzen der gestreckten rechten
Hand und dann mit der rechten Schulter auf das Strassen pflaster auf. Wegen
der dabei erlittenen Schulterquetschung trug er den Arm mehrere Tage in
der Binde und merkte erst später, dass er das Nagelglied des rechten kleinen
Finger nicht ganz strecken konnte. Die Gegend des zweiten Interphalangeal-
gelenks war in dieser Zeit angeblich schmerzhaft und geschwollen.
Bei der ersten Untersuchung, 8 Tage nach dem Unfall, war kaum eine
Schwellung oder Formveränderung an dem verletzten Finger zu constatiren.
Die Nagelpbalanx stand aber in halber Beugung und konnte activ nicht ge-
streckt werden; es trat bei diesem Versuch an der Dorsalfläche des zweiten
Interphalangealgelenks Schmerz auf. Wurde die Endphalanx emporgehoben,
so sank sie losgelassen sogleich wieder in Beugestellung zurück. Diagnose:
Abriss der Strecksehne von dem Insertionsbezirk an der Nagelphalanx.
Ich gypste den Finger in gestreckter Stellung ein. 8 Tage später wurde
aus äussern Gründen der Gypsverband durch zwei Guttaperchaschienen er-
setzt. Ich sah den Patienten erst nach mehreren Monaten wieder. Der Er-
folg war ein befriedigender. Die Endphalanx konnte fast vollständig activ
gestreckt werden.
Ich war erstaunt, eine so vollständige Vereinigung der meiner Meinung
nach vollkommen durchtrennten Strecksebne zu constatiren , da ja doch bei
der bandartigen Beschaffenheit des hierbei betheiligten Sehnenabschnittes die
Heilungsbedingungen offenbar nicht günstig sein können. Nachdem ich die
erwähnten Arbeiten von Segond und Busch kennen gelernt hatte, wurde
mir der gute Heilerfolg erst verständlich. Nach den Beobachtungen dieser
Autoren reisst nämlich bei einer derartigen Verletzung nicht die Sehne selbst
durch, sondern es reisst vielmehr die Sehne ein kleines Knochenstück von der
Elndphalanx ab.
Segond hat diese Verletzungen experimentell an Leichen herstellen
können, während Busch, wie er angiebt, bei denselben Experimenten keinen
Erfolg. hatte. Nach meinen Versuchen kann ich die Segond'schen Angaben
grösstentheils bestätigen. Ich habe an jedem Finger, so oft ich es versuchte,
diese typische Verletzung erzeugen können, wenn ich mit massiger Kraft die
gebeugte Endphalanx gegen die im ersten Interphalangealgelenk gestreckte
Mittelphalanx andrückte. Doch trat nicht jedesmal, wie Segond angiebt,
der Abriss des Knochenstückchens ein, sondern ausnahmsweise riss, besonders
bei jüngeren Individuen, die Strecksehne selbst dicht an der Insertion ein,
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Ueber den Abriss der Sirecksehne von der Phalanx des Nagelgliedes. 239
aber nur theilweise, so dass sie dann immer noch durch die seitlichen Fasern
mit der Endphalanx in Verbindung blieb.
Eine wichtige Bedingung für das Zustandekommen der besprochenen
Verietzang ronss ich noch besonders hervorheben, da weder Segond noch
Busch dieselbe erwähnt. An der Leiche lässt sich der Abriss des Knochen-
stäckchens resp. der Binriss der Strecksehne nur erzeugen, wenn man beim
Experiment das erste Interphalangealgelenk — beim Daumen das Metacarpo-
phalangealgelenk — in Streckstellung fixirt. Nur durch Ausserachtlassung
dieses wichtigen Momentes können die Misserfolge der von Busch ange-
stellten Leichenexperimente bedingt sein. Wenn ich die erwähnte Bedingung,
nämlich die gleichzeitige Streckung des ersten Interphalangealgelenks , nicht
einhielt, so blieb der Versuch entweder gaiiz erfolglos oder es trat bei stär-
kerer, etwa mit der Daumenzange bewirkter Flexion der Endphalanx eine
vollständige Qaerfractur derselben ein.
Was den Entstehungsmodus der besprochenen Verletzung beim Lebenden
betrifft, so wurde die übermässige Flexion der Nagelphalanx nur in dem
Segond'sohen Falle ebenso wie beim Leiohenexperiment durch Fingerdruok
einer zweiten Person bewirkt« In den Busch' sehen Fällen und in dem mei-
nigen trat die Verletzung in Folge eines Falles auf die Spitze des betreffenden
Pingers ein. In allen Krankengeschichten wird ausdrücklich bemerkt, dass
im Moment des Falles der verletzte Finger in Streckstellung stand, was ja
mit dem erwähnten Ergebniss meiner Experimente übereinstimmt.
Ich hatte vorhin nur kurz erwähnt, dass ich mit den seltenen Ausnahmen,
wo die Sehne selbst an ihrer Insertion eiuriss, bei meinen Versuchen ebenso
wie Segond einen Abriss eines Knochenstückchens von der Basis der Nagel-
pbalanx beobachtet habe. Was nun die Form dieses an der Streoksehne
haftenden Knochenfragments anlangt, so kann ich Segond 's Beschreibung
bedläligen. Es bricht von dem oberen dorsalen Rande der Endphalanx in der,
ganzen Breite der Gelenkfiüche eine etwa 5 Mm. breite, dreikantige Knochen-
leiate ab. In der beigegebenen Zeichnung, welche einen Medianschnitt
(Fig. 1) und einen Frontalschnitt (Fig. 2) durch die beiden letzten Phalangen
Fig. 1. Fig. 2.
darstellt, ist die Form des Fragmentes durch Schattirung angedeutet. Dieses
kleine Knochen fragment weicht aber nicht, wie man erwarten sollte, mit der
Strecksehne zurück, es wird vielmehr durch das aufliegende Fasergewebe und
die immer unverletzt bleibende Gelenkkapsel so fixirt, dass das Herauspräpa-
riren desselben an der Leiche nur mit Mühe gelingt. Ja, zuweilen bricht
nicht einmal der Gelenkknorpel mit durch. Beugt man nach vollführier Ver-
letzung die Nagelphalanx, so sieht man. dass die abgebrochene Knochenleiste
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240 Dr. G. ScbtCBiBf .
tB ikrer L«fe nnkkbiaibt. wilireBd neb die Pralaax dav«« cctiHct «nd so
ein \tir:htt% Klaffen der PrmcUir; nie l»«4iiift Diese Uonoebieblidikeit der
abgebroekneD Knochen leiste bietet beim Lebeadeo nitirftcb sekr ginstige
fleilbedingongen, wenn nur die durch mgnt Schwere md dnch dss Tob«s
dsr Beagensskeln gebeugte KagelphaUax derch eint« ix ir eadss Verbaad
eotgegeogeboben wird. Aber sach io des seltesea Filleii, wo rieUeicht die
EndpUtte der Streeksehne selbst verletzt ist, wird die Pfsgnose eine gste. da,
wie erwähnt, der Endzipfel der Sehne nor theilweise einreisst nnd daher nur
onbedentend zoröckweichen kann.
Mag es sieb nun beim Lebenden am den Abriss des Knochenstäckcheiis
oder am den Sehneneinriss handeln . in beiden FaHeo können , wie a«s der
Schildening der anatomischen Verhältnisse herrorgeht, dem Aoge oder dem
tastenden Finger erkennbare Formabweichangen an dem letzten Interphalan-
gealgelenk offenbar nicht henrortreten. Meine Beobaditnng stimmt also nicht
mit Bosch 's Angabe, es seien bei einer derartigen Verletzang des Daumens
die Formen der Gelenkkörper in der Gelenklinie des Interphalangealgelenks
deatltcher darchzafahlen gewesen. Wie wohl aas meinen Aosfahrongen her-
Torgeht, darf man im gegebenen Fslle dieses von Bosch angegebene dia-
gnostische Merkmal keinesfalls erwarten.
In Vorstehendem habe ich die anatomischen Verhaltnisse der beschrie-
benen Verletzong an der Hand meiner Versuche klarzolegen Tersacht. Es
bleibt mir noch die Aufgabe, meine Untersuchungen über den Entstehongs-
mechanismos derselben mitzutbeilen.
Die in der einschlägigen Literatur niedergelegten diesbezüglichen An-
gaben und Ausföbrungen lauten recht verschieden :
Busch nimmt an, dass^'bei der in Frage kommenden Verletzang der
Abbruch der Knochenleiste durch den Zug der Strecksehne bewirkt werde.
Er scheint dabei die plötzliche Contraction des zugehörigen Streckmuskels als
die eigentliche Ursache aufzufassen, denn er vergleicht diese Praolur geradezu
mit den Rissfracturen des Fersenhöckers und des Tub. maj. hameri.
Eine ähnliche, aber doch etwas abweichende Deutung dieser Verhältnisse
^iebt neuerdings 0. Witzel in seiner Abhandlung ^Ueber Sebnenverletzungen
und ihre Behandlung^ , allerdings in der nicht ganz zutreffenden Annahme,
es handle sich bei der fraglichen Verletzung einfach um Zerreissung der
Fingerstrecksehne. Witzel stellt die Verletzung gerade den gewöhnlichen
durch plötzliche Muskelcontraction entstehenden Sehnenzerreissungeo resp.
Rissfracturen gegenüber; er glaubt vielmehr, dass bei den von Busch und
Segond beobachteten Verletzungen die durch Beugung der Nagelphalanx
bedingte passive Dehnung der Strecksebne die Ursache der Verletzung dar-
stelle. An der betreffenden Stelle^) heisst es (nachdem vorher die durch
plötzliche Zusammenziehung des zugehörigen Muskels bedingte Sehnenruptur
besprochen ist):
*) 0. Witzel, Ueber Sebnenverletzungen und ihre Behandlung.
Volkmann's Sammlung klinischer Vorträge. No. 391. S. 2649.
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Ueber den Abriss der Strecksebne von der Phalanx des Nagelgliedes. 241
^Häufiger freilich wird man fär die betreffende Verletzung wohl noch
finden, dass sie bei einer Ueberdehnung des relativ schwachen Muskels und
seiner pathologisch veränderten Sehne entstand.*' «Dass foroirte Bewegungen
im Sinne der Antagonisten einen solchen Effect haben können, dafür lassen
sich weiterhin die Miitheilungeo von W. Busch über den Abriss der Streck-
sehne von der Phalanx des Nagelgliedes, sowie die entsprechende Beobachtung
von F. Segond mit guter Berechtigung heranziehen.**
Dagegen giebt Segond in der schon erwähnten Arbeit eine ganz ab-
weichende und eigenariige Erklärung für die Entstehung unserer Verletzung.
Er fasst den Mechanismus derselben als ganz verschieden von dem der ge-
wöhnlichen Muskelrissfraeturen resp. Sehnenrupturen auf. In seinem Falle
und auch bei seinen Leichenversuchen entstand die Verletzung, indem die
Endphalanx gegen die Mittelphalanx zwischen Daumen und Zeigefinger des
Verletzenden angedrückt wurde. Segond nimmt an, dass hierbei die Streck-
sebne auf der Mittelphalanx durch den Fingerdruck des Verletzenden fixirt
wird , sodass dadurch der unterhalb dieses einen Punktes liegende Sehnen-
endzipfel jetzt gewissermassen von der ganzen Sehne ausgeschaltet ist und
ein zwischen dem durch Fingerdrack des Verletzenden. gebildeten festen Punkte
und der Endphalanx ausgespanntes Band darstellt. Bei übermässiger Flexion
der Endphalanx werde dieser isolirte Sehnenabschnitt stark gedehnt und reisse
schliesslich den Insertionsbezirk von der Nagelphalanx ab.
Segond's Erklärung scheint mir nicht stichhaltig, da es doch sehr un-
wahrscheinlich ist. dass durch den Fingerdruck auf die Dorsalfläche der
Mittelphalanx hier die Strecksebne bis zur Unverschiebliohkeit fixirt werden
kann. Auch würde diese Hypothese weder für meinen noch für die von Busch
beobachteten Fälle anwendbar sein, da hier die typische Verletzung durch
Fall auf die Spitze des gestreckten Fingers entstanden war.
Um mir ein eigenes Urtheil über die so verschiedenen Ansichten der ge-
nannten Autoren zu bilden, versuchte ich vor Allem experimentell festzustellen,
inwieweit die Strecksehne bei der Entstehung dieser Verletzung betheiligt sei.
In einer Reihe von Versuchen — bei 3 Leichen — durchtrennte ich nämlich
zuerst die Strecksehnen in verschiedener Höhe und sah dann zu, wann noch
die typische Verletzung erzeugt werden konnte. Auf diese Weise gelangte ich
zu folgenden überraschenden Resultaten:
Wird die Strecksehne auf dem Metacarpalknochen oder sogar auf der
Grundphalanx unterhalb der Insertion der Mm. interossei und lumbricales
durchschnitten, so gelingt es trotzdem jedesmal die geschilderte Fractur oder
den Einriss cfes Sehnenendzipfels herbeizuführen. Es kommt also die Streck-
sehne in toto gar nicht in Betracht. Demnach kann diese Verletzung durch-
aus nicht, wie Busch es will, als eine gewöhnliche Muskelrissfractur oder,
wie Witzel es thut, als eine durch äussere Gewalt bewirkte einfache Ueber-
dehnung und Zerreissung der Strecksebne aufgefasst werden. Ebensowenig
kommen die Mm. interossei und lumbricales hierbei in Betracht.
In einer weiteren Versuchsreihe durchschnitt ich von vornherein das auf
der Mittelphalanx liegende Stück der Strecksehne, und nun Hess sich die Bnd-
T. Langen b«ek,ArehiT£. Chirorgi«. XXXV. 1. 16
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242 Dr. G. Schoening,
phalanx sofort leichter und viel starker beagen. aber die typische Fractur
resp. der Sehneneinriss liessen sich nan nicht mehr erzeugen. Es kommt also
bei dieser Verletzung, wie schon Segond vermuthete, in der That nur auf
das untere Ende der Strecksehne an, soweit es der Mittelphalanx aufliegt und
dasselbe hat wohl einfach die Bedeutung eines zwischen Grund- und Nagel-
phalanx ausgespannten Bandes. Die beschriebene Verletzung wäre daher eher
z. B. mit dem bei gewaltsamer Pronation des Fusses eintretenden Abriss des
Malleolus int. resp. Einriss des Lig. deltoides zu vergleichen.
Wie kommt es nun aber, dass die Endplatte der Strecksehne unter diesen
besonderen Verhältnissen gewissermassen ganz ausgeschaltet wird und die
Rolle eines einfachen Bandes übernimmt? Es muss doch dieser Sehnenab-
schnitt, welcher sich bei der Fingerbewegung für gewöhnlich mitverschiebt,
bei dem beschriebenen Unfall in dem oberen d. h. central gelegnen Theil,
etwa auf dem ersten Interphalangealgelenk einen festen Stutzpunkt erhalten.
Dass die Segond 'sehe Annahme, diese Fixation werde durch den Fingerdruck
des Verletzenden bewirkt, sehr wenig wahrscheinlich und mit der klinischen
Erfahrung nicht vereinbar ist. habe ich schon erwähnt. Kach den Beobach-
tungen, welche ich bei meinen Versuchen gemacht habe, bin ich -zu der An-
sicht gekommen, dass der erwähnte eigenthümliche Mechanismus allein durch
die anatomische Anordnung des in Betracht kommenden Strecksehnenabsohnittes
bedingt resp. ermöglicht wird. Es sei mir daher gestattet, die hierbei maass-
gebenden anatomischen Verhältnisse kurz anzugeben:
Die Fingerstrecksehne theilt sich bekanntlich auf der Grundphalanx,
dicht oberhalb des ersten Interphalangealgelenks in 3 Sehnenplatten. Die
mittlere setzt sich sogleich an die Kapsel desselben Gelenks und an die Basis
der Mittelphalanx an, die beiden Seitenplatten gehen aber über die Gelenk*
kapsei hinweg, vereinigen sich wieder auf der Dorsalfläche der Mittelphalanx
und inseriren sich mit dem gemeinsamen Endzipfel an der Basis der Bnd-
phalanx und an der Kapsel des letzten Fingergelenks. Auf dem ersten Inter>
phalangealgelenk sind nun alle 3 Sehnenzipfel ziemlich kurz mit der Dorsai-
fläche der Gelenkkapsel verbunden. Es liegt also auf der Hand, dass die
Verschieblichkeit der unterhalb dieser Verwachsungsstelle liegenden seitlichen
Sehnenplatten nur eine beschränkte sein kann und bei Beugung der End-
phalanx in normaler Excursion ganz erschöpft ist. Wird nun aber, wie es bei
unserer Verletzung der Fall ist, die Nagelphalänx übermässig gebeugt, so
werden schliesslich die beiden Sehnenschenkel an der Kapsel des ersten Inter-
phalangealgelenks zurückgehalten und wirken nun wie ein zwischen erstem
Interphalangealgelenk und Endphalanx ausgespanntes Band. Möglicherweise
wird diese Fixation der Seiten Schenkel besonders durch Vermittlung des breit
in die Kapsel übergehenden mittleren Schenkels bewirkt. Auch am Daumen
liegen ähnliche Bedingungen vor, da hier die Sehnen des M. extens. poUic.
long, und des M. extens. brev. ebenfalls mit der Kapsel das hier in Betracht
kommenden Metacarpophalangealgelenks verwachsen sind. Die unterhalb die-
ses Punktes liegenden Sehnenenden sind daher in ähnlicher Weise in ihrer
Verschieblichkeit beschränkt.
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Ueber den Abriss der Strecksehne von der Phalanx des Nagelgliedes. 243
Es bleibt noch eine Frage zu beantworten, nämlich warum die in Frage
stehende Verletzung nur bei gestrecktem ersten Interphalangealgelenk eintritt,
während man doch erwarten sollte, dass die beiden seitlichen Sehnenschenkel
noch stärker gezerrt werden, wenn neben der forcirten Flexion der Bndphalanx
auch noch die Mittelphalanx gebeugt wird. Meine Experimente haben auch
hierfür eine meiner Meinung nach genügende Erklärung ergeben. Bei Beugung
der Mittelphalanx bleiben nämlich die Seitenschenkel der Strecksehne nicht
auf der Dorsalfläohe des ersten Interphalangealgelenks . sondern sie gleiten,
soweit es ihre Anheftung an die Gelenkkapsel zulässt. etwas nach den Seiten
herab. Dadurch werden sie offenbar schlaffer, als wenn sie über den durch
Beognng des ersten Interphalangealgelenks gebildeten Winkel hinweggingen
ond kdnnen daher auch keinen stärkeren Zug auf die Basis der Endpbalanx
ausüben. Bleibt dagegen das erste Interphalangealgelenk gestreckt, während
.die Nagelphalanx stark gebeugt wird, so erleiden jetzt die Seitenschenkel
•ine stärkere Spannung, da sie jetzt nicht nach der Seite herabgleiten können.
Ihre Anspannung kann unter diesen Verhältnissen eine so starke werden, dass
eine der typischen Verletzungen eintritt.
Meine eben dargelegte Ansicht erhält eine Stütze in der Henle'schen
Daistellong von der Wirkungsweise der Fingerstrecksehnen. Die betreffende
Stelle') lautet: „Ist das erste Fingergelenk gebeugt, so wird das zweite, wie
erwähnt, locker, und es wird unmöglich, die Endphalange in Streckung fest-
zustellen. Der Qrund dieser Erscheinung liegt darin , dass bei Beugung der
Mittelphalange die seitlichen Schenkel der gemeinsamen Strecksehne, die zur
Streckung der Endphalange dienen, erschlaffen." Wie diese Erschlaffung der
Seitenschenkel zu Stande kommt, darüber äussert sich Henle nicht. Auch
in andern mir zugänglichen anatomischen und physiologischen Werken konnte
ich über diesen Punkt nichts finden, so dass ich bezüglich meines Erklämngs-
Tersuches mich in dieser Beziehung nur auf meine an der Leiche gemachten
Beobachtungen berufen kann.
Gleichzeitig muss ich zugestehen, dass meine eben vorgetragene Hypo-
these für die gleiche Verletzung des Daumens nicht ausreicht, da hier die
Anordnung der Strecksehnen eine andere ist, als bei den übrigen Fingern.
Die beiden Strecksehnen des Daumens (M. extensor pollic. long, und extens.
breris) vereinigen sich schon auf dem Metacarpophalangealgelenk mit einander.
Es kann also hier nicht bei Beugung dieses Gelenkes, welches hierbei in Be-
tracht käme, ein Herabgleiten und Erschlaffen der beiden Sehnenendzipfel
eintreten. Wenn trotzdem auch am Daumen die typische Verletzung bei ge-
beugter Grundphalanx — welche in dieser Beziehung der Mittelphalanx der
andern Pinger gleichzustellen ist — nicht hergestellt werden kann, so scheint
mir der Grund darin zu liegen, dass bei gebeugter Grundphalanx die forcirte
Flexion der Nagelphalanx durch Qegenstossen derselben gegen den meist vo-
luminösen und volarwärts vorspringenden Daumenballen verhindert wird.
■) Henle, Handbuch der Muskellehre des Menschen. 1871. S. 211.
16 •
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244 Dr. G. Schoening, Ueber den Abriss der Strecksehne etc.
Die in Vorstehendem besprochene Verletzung ist eine recht seltene und
daher von geringerer practischer Bedeutung. Der Mechanismus derselben ist
aber ein so eigenartiger und interessanter, dass ich mit der Veröffentlichung
meiner Untersuchungen nicht zurückhalten mochte.
Die von Busch gewählte Bezeichnung «Abriss der Strecksehne von der
Phalanx des Nagelgliedes* entspricht, wie ich dargelegt habe, nicht ganz den
thatsächlichen Verhältnissen. Ich habe sie trotzdem als Aufschrift meiner
Arbeit beibehalten, da die eben besprochene Verletzung unter diesem Namen
in Deutschland einmal bekannt ist.
Gedruckt bei L. Sehumtoher in B«rün.
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XI.
Ueber die schräge Gesichtsspalte.
Von
Dr« R« niorlan^
Assistent der von Bergin au n'schen Klinik in Berlin.')
(Hierzu Tafel IIL und Holzschnitte.)
Trotz der lebenswichtigen Bedeutung, welche die schräge Ge-
sichtsspalte für ihren Träger besitzt, hat diese Heramungsbildung
des Gesiclites bei den Chirurgen bisher deshalb nur geringe Beach-
tung gefunden, weil sie, gleich allen übrigen Gesichtsmissbildungen,
der Hasenscharte gegenüber verschwindend selten vorkommt. Wie
fast alle angeborenen Spaltbildungen des Gesichtes von den bleiben-
den physiologischen Spalten desselben ihren Ausgang nehmen, so
beginnt auch die schräge Gesichtsspalte, Fissura faciei obliqua, im
Munde oder der Nase und verläuft zur Augenhöhle. Die erste
Beschreibung einer solchen rührt zwar schon aus dem Jahre 1732
von Kulm US 2) her, doch hat man noch fast ein Jahrhundert lang
alle angeborenen Gesichtsspalten (mit Einschluss der ünterlippen-
und queren Wangenspalten) zu den Hasenscharten und Wolfsrachen
gerechnet. Der Franzose Laroche^) war der Erste, welcher 1823
von diesem alles umfassenden Begriffe die „Fissure cong6nitale
des joues*, die Wangenspalte abtrennte; ihm schloss sich 1832
J. Geoffroy St. Hilaire*) an, indem er, wie später erörtert
werden soll, die ätiologischen Gesichtspunkte wesentlich erweiterte.
^) Im Auszuge mitgetbeilt in der Sitzung der Berliner medicinischen
Gesellschaft, am 3. November 1886.
^ J. E. Kulm US, Partus monstrosi bistoria. 1732. Lipsiae.
*) Laroche, Essai d'anat. pathol. sur les monstr. ou vices de conform.
primit. de la face. These de Paris. 1823.
*) Geoffroy St. Hilaire, Trait6 de t6ratologie. Paris 1832.
V. L»iiR«nb«ek, Areh. f. Chirargle. XXZV. 2. 17
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246 Dr. R. Morian,
ein Gleiches lässt sich von Walter Dick*) sagen, der (1837)
auf St. Hilaire's Schultern stand. Im Jahre 1864 zweigte Pei-
vet^) „la fissure naso-g6nienne", die schräge Gesichtsspalte von
den Wangenspalten ab und wies ihr zugleich ihre physiologische
Bedeutung als offen gebliebene Augennasenrinne zu, wie schon vor
ihm') die quere Wangenspalte als Hiatus zwischen embryonalem
Ober- und Unterkieferlappen angesprochen worden war. Die Selten-
heit dieser Missbildung trägt die Schuld daran, dass die ein-
schlägigen Publicationen wenig Beachtung fanden und ähnliche
Fälle jüngerer Zeit in alter Verwirrung wieder unter die Wangen-
spalten oder Hasenscharten geriethen. Tal ko 's Präparat (Anhang
No. 23) 1871, mehr noch die Patientinnen von Hasselmann
(Anhang No. 25) 1874, und Kraske (Anhang No. 26) 1876,
lenkten wieder die Aufmerksamkeit auf das Gebiet der schrägen
Gesichtsspalte. An der Unzugänglichkeit des Materiales mag es
gelegen haben, dass Fritzsche*) 1878 das Wesen der schrägen
Gesichtsspalte, die auch er gleich den eben genannten Autoren
für die offen gebliebene Augennasenrinne ansah, nicht völlig zu
erschöpfen in der Lage war; ich glaubte deshalb, mich der Mühe
unterziehen zu sollen, am Schlüsse meiner Arbeit vor der Be-
schreibung meiner Fälle in extenso das an Originalen zusammen-
zutragen, was mir zugänglich gewesen. Im Beginne der 80er Jahre
sind besonders zwei Autoren, welche sich um die Lösung der
Hasenschartenfrage verdient gemacht, Albrecht*) und Theodor
Koelliker*), der Erste mehr auf vergleichend anatomischem und
speculativera Wege, der Zweite durch embryologische Untersuchungen
zu zwei verschiedenen Ansichten über die schräge Gesichtsspalte
gelangt: nach Th. Koelliker ist sie, wie es der Auffassung Pel-
vet's entspricht, als offen gebliebene Augennasenrinne und die
Fortsetzung einer gewöhnlichen Hasenscharte anzusehen, sie geht
demnach vom Munde durch die Nase zum Auge, zwischen dem —
*) Walter Dick, London Med. Gaz. 1887. March. p. 897.
•) Pelvet, Gaz. de Paris. 1864. No. 28.
*) vergl. Bruns, Handbuch der prakt. Chirurgie. 1859.
*) Fritzsche, Beitrag zur Statistik und Behandlung der angeborenen
Missbildungen des Gesichtes. Zürich 1878.
*) Paul Albrecht, siehe die Verhandlungen des XIII. Chirurgen-Con-
gresses, 1884 und a. a. 0.
•) Th. Kölliker, Centralblatt für Chirurgie. 1884.
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Ueber die schräge Gesiohtsspalte. 247
nach ihm einfach angelegten — Zwischenkiefer und Oberkiefer
durch, darf man ihn jedoch nach den neuesten embryologischen
Untersuchungen (Biondi>) ergänzen, zwischen dem inneren Zwischen-
kiefer einerseits und dem äusseren und Oberkiefer andererseits hin-
durch zum Auge. Nach AI brecht entsteht Oberlippe und Ober-
kiefer jederseits aus 3 Theilen: aus
1) Supralabium intemum — Endognathion (a. d. inneren
Stimfortsatze);
2) Supralabium medium — Mesognathion (a. d. äusseren
Stimfortsatze);
3) Supralabium externum — Eiognathion (a. d. Oberkiefer-
fortsatze).
Die Spalte zwischen 1. und 2. ist die Hasenscharte, die Spalte
zwischen 2. und 3. ist die schräge Gesichtsspalte, diese letztere
kann daher nach ihm als offen gebliebene «Stomatoorbital furche "^
niemals in die Nase verlaufen, sondern sie geht vom Munde stets
auswärts von der Nase direct durch die Wange zum Auge, zwischen
äusserem Zwischenkiefer und Oberkiefer hindurch. So lagen die
Dinge auch noch in diesem Frühjahre, wie die Discussion gelegent-
lich eines von mir auf dem XV. deutschen Ohirurgen-Oongresse^)
demonstrirten Präparates aus der pathologischen Sammlung der
von Bergmännischen Klinik erwies.
Durch die ausserordentliche Qüte der Herren Professoren C. Hasse and
Ponfiok in Breslau fand ich seitdem Gelegenheit, vier Prachtexemplare von
schräger Gesichtsspalte, worunter das alte Barkow^sche, zu untersuchen, und
der Gute des Herrn Prof. Scheeler und Geheimrath Schweigger hatte ich in
jüngster Zeit 3 lebende Fälle zu verdanken, von denen der eine bestimmt, die
beiden anderen höchst wahrscheinlich hierher gehören. Die Beschreibung der-
selben folgt am Schlüsse der Abhandlung. Bei der Durchsicht der Literatur
konnte ich mich hauptsächlich an die Zusammenstellung Ah 1 fei d 's ^) halten;
von seinen 20 Fällen glaubte ich zwar 4 absetzen zu müssen, da 3 von diesen
(2 von Otto, 1 von Leuckart) zu den Nasenspalten zu rechnen sind, und
einer [Wilde^)], der eine rechtsseitige schräge Gesichtsspalte sein solK im
Originale nicht genau beschrieben und leider nur von der linken Seite abge-
bildet ist Dafür habe ich durch Hinzurechnung des Falles von Fritzsche,
welchem Ahlfeld eine Sonderstellung einräumt, sowie durch die Fälle von
Biondi, Sitzungsbericht der icönigl. Akademie der Wissenschaften zu
Berlin. 1886. Heft 6.
*) s. die Verhandlungen des XV. deutschen Ghirurgen-Congresses. 1886.
*) Ablfcld, Die Missbildungen des Menschen. Leipzig 1882.
*) Wilde, Dublin Quarterly Journal. 1862. p. 78.
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248 Dr. R. Morian,
Seiler, Foerster und das Leipziger Präparat aaf p. 152, welche er als
totale QesichtsspalteD auffährt, jene Zahl wieder ergänzen und noch 9 ander«
aus der Literatur hinzufügen können; und zwar habe ich das in jenen 3 Fällen
für erlaubt gebalten , weil die Spalten einmal durch die Anlage von Vomer-
und Zwischenkieferrudimenten und dann durch den am äusseren Rande er-
kennbaren Oberkiefer als seitliche charakterisirt sind , und weil sie mit den
Augenhöhlen erkennbar zusammenhängen.
Trotzdem das literarische Material arm ist an genauen Be-
schreibungen und erläuternde Abbildungen oft fehlen, so reicht es
doch hin, um aus seinen Acten und an der Hand von Präparaten
den Albrecht-Koelliker'schen Streit zu entscheiden: Jeder von
beiden behält Recht, aber Keiner ausschliesslich, beide Arten von
schräger Gesichtsspalte kommen vor, ja es giebt noch eine dritte
Art, bei welcher die Spalte noch weiter nach aussen, vom Mund-
winkel aus durch die Wange und den Oberkieferkörper zur Augen-
höhle zieht. Es lassen sich also, wie ich meine, folgende 3 Typen
für die schrägen Gesichtsspalten aufstellen:
L Bei der ersten Form, welche der Koellik er 'sehen ent-
spräche, beginnt in den Weichtheilen der Spalt seitlich vom Phil-
trum am Oberlippensaume als typische Hasenscharte, verläuft zu-
Fig. 1. Schema der L Form.
nächst in die Nase and dann auswärts um den Nasenflügel herum
zwischen Nase und Wange in die Höhe, durch den inneren Augen-
winkel') oder das Unterlid^) zur Lidspalte und aus dieser durch
*) s. den Anhang: Ruimus, Sömmering, Walter Dick, Hecker,
Talko, links, Förster, Morian II.
*} s. den Anhang: Guersant, BidalotV
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lieber die schräge Gesichtsspalte. 249
den äusseren Augenwinkel schräg aufwärts zur Stirn*). Nicht
immer braucht diese ganze Strecke durchmessen zu werden, mehr-
mals endigt der Spalt schon oberhalb des Nasenflügels^), ein
andermal ist die Oberlippe nur eingekerbt, und der Spalt be-
schränkt sich auf den Raum zwischen Nase und Augenhöhle');
in der Regel erstreckt er sich vom Muöde durch die Nase bis in
die Lidspalte.
Dementsprechend verläuft der Spalt im Knochen zwischen
innerem und äusserem Zwischenkiefer zur Nasen- und Augenhöhle:
innerer Zwischenkiefer, Vomer, Nasenbein, Thränen- und Siebbein
nebst der untern Muschel liegen einwärts von der Spalte, äusserer
Zwischenkiefer mit Oberkiefer und Gaumenbein auswärts von ihr.
Zwischen Joch- und Stirnbein kann der Spalt sich dann weiter
fortsetzen. Die Tiefe des Spalts schwankt zwischen einer mehr oder
weniger tiefen Einkerbung im Alveolarrande*) zwischen den beiden
Schneidezähnen bis zu einer breiten Kluft, welche durch partielle
oder totale Defecte an den Knochen der Spaltränder entsteht '^).
Der Thränencanal fehlt entweder gänzlich^), oder er steht offen''),
nur in leichten Fällen ist er intact®).
Eine totale Kiefergaumenspalte ist in der Regel mit dieser
Form der schrägen Gesichtsspalte verbunden^), selten eine incom-
plete vordere Kieferspalte*®). Ich zähle im Ganzen 19 Fälle zu
dieser Giiuppe.
U. Bei der zweiten Form der schrägen Gesichtsspalten, welche
sich mit der AI brecht 'sehen deckt, beginnt der Spalt in der
Oberlippe ungefähr am Orte einer gewöhnlichen Hasenscharte, sie
* s. den Anhangt Vrolik, Ross.
*) s. den Anbang: Ottmer, Butcher, Barkow L, Tübinger Präparat
Talko, rechts.
^) s. den Anbang: Meckel II.
*) s. den Anhang: Meckel II., Walter Dick, Hecke r.
*) s. den Anhang: Kulmus, Sömmering, Förster, Seiler, Ott-
mer, Vrolik, Hedenias, Ross, Talko, Leipziger Präparat, Morian IL
•) s. den Anhang: Sömmering, Seiler, Hedenius, Förster.
^ s. den Anhang: Vrolik, Meckel II., Ross, flecker, Talko,
Morian IL
^) s. den Anhang: Ottmer, Barkow L, Walter Dick, Butcher,
Bidalot.
*) s. den Anhang: Sömmering, Kulmus, Ottmer, Seiler, För-
ster, Vrolik, Butcher, Hedenius, Barkow I, Leipziger Präparat, Guer-
sant, Ross, Talko, Morian IL
'*) 8. den Anhang: Walter Dick, Meckel II, Hecker.
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250 Dr. R. Morian,
verläuft jedoch nicht in das Nasenloch, sondern auswärts vom
Nasenflügel in der Nasenwangenforche oder auswärts von ihr die
Wange hinauf, durch den Canthus internus '), oder das Unterlid')
in die Lidspalte und aus dieser durch den Canthus extemus') oder
eins der Lider ^) hinaus in die Stirn, in der Regel vom Munde bis
ober die Lidspalte.
Fig. 2. Schema der H Form.
Im Knochen verläuft der Spalt zwischen äusserem Zwischen-
kiefer und Oberkiefer einwärts vom Foramen infraorbitale zur
Orbita und durch den Supraorbitalrand ') oder zwischen Stirn-^ und
Jochbein«) über sie hinaus: beide Zwischenkiefer, ferner Vomer,
Nasen-, Thränen-, Siebbein nebst der unteren Muschel liegen ein-
wärts, Oberkiefer mit Gaumenbein auswärts von der Spalte.
Auch hier schwankt die Tiefe des Spalts von einer leichten
Einkerbung am Alveolarrande zwischen 2 Schneidezähnen'') oder
zwischen Schneide- und Eckzahn^) bis zu einem breiten Hiatus,
welcher durch Defecte an beiden Rändern zunimmt. Die Apertura
') s. den Anhang: Bruns, Klein, Meckel I, Hasselmann, Fritz-
sohe, links, Barkow II, Morian IV und Y.
*) s. den Anhang: Pelvet, Kraske, Morian lU.
') s. den Anhang: Klein, Meckel I, Fritzsche, links.
*) s. den Anhang: Bruns, links, Pelvet, Barkow 11, Hassel-
mann, Morian in, IV, V.
*) 8. den Anhang: Hassel mann.
*) 8. den Anhang: Klein, Morian IV.
^) s. den Anhang: Hasselmann, Morian I, IV rechts.
") s. den Anhang: Pelvet, Kraske, Morian III, IV links und yr«ehtii
Barkow U.
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Ueber die sohr&ge Gesiohtsspalte. 251
pyriformis besitzt ihre knöcherne Umrandung. Der Thränencanal
ist in den leichteren Graden der Missbildung intact*), in schweren
FäUen defect^). Der Alveolarbogen ist bei den leichten, intrauterin
nahezu verheilten Graden dieser Gattung nur seicht eingekerbt,
der Gaumen nur stark spitzbogig gewölbt^; dann kommen
schwere Fälle mit vorderer partieller Eieferspalte bis etwa zum
Foramen incisivum hin ^)y in den schwersten Fällen liegt eine totale
Kiefergaumenspalte ^) vor. Mit den meinigen kommt die Zahl der
zur II. Art gehörigen schrägen Gesichtsspalten auf 12.
III. Die dritte Form derselben ist die seltenste, nur 3 finden
sich in der Literatur, denen ich die Beschreibung eines vierten,
zweifelhaffen, von unvollständiger Weich theilspalte im Anhange
hinzufugen kann. Bei ihr beginnt in den Weichtheilen der Spalt
am Mundwinkel und verläuft in einem aus- oder einwärts con-
vexen Bogen durch die Wange und das Unterlid*) oder einen der
Lidwinkel '') zur Lidspalte.
Fig. 3. Schema der III. Form.
Im Knochen beginnt der Spalt am AWeolarrande auswärts
vom Caninus*) und geht durch den Oberkieferkörper in der Gegend
des Ganaiis infraorbitalis zur Orbita. Bei dieser Gattung ist der
*) 8. den Anhang: Pelvet, Kraske, Barkow II, Morian IV links, V.
*) s. den Anhang: Klein, Meekel I, Brans, Fritzsohe, Morian
IV reehts,
') 8. den Anhang: Basseimann, Kraske, Morian Y.
*) 8. den Anhang: Brans, Morian I, III und IV rechts.
') s. den Anhang: Klein, Meekel I, Fritzsche, Morian IV links.
*) s. den Anhang: Remacly (Fergusson erreicht nicht die Lidspalte).
t. den Anhang: Nicati.
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252 Dr. R. Morian,
Thränencanal geschlossen, der Gaumen entweder intact, oder es
liegt eine incomplete vordere Kieferspalte*) vor.
Mit dieser III. Form nähert sich die schräge Gesichtsspalte sehr Dem.
was man anter der queren Wangenspalte versteht; doch lassen sich diese
beiden Begriffe, obwohl im Grunde keine principiello Verschiedenheit unter
ihnen existirt, gut auseinanderhalten: beide Spalten beginnen am MundwinkeU
doch verläuft die schräge Gesichtsspalte in die Augenhöhle, die quere Wangen-
spalte zum Ohre oder oft mit Durchbrechung des Jochbogens zur Schläfe
hinauf und lässt die Augenhöhle unberührt. Die Auricuiaranhänge und Vor-
bildungen der Ohrmuschel haben nichts Specifisches für die quere Wangen-
spalte, Beides findet sich auch bei der schrägen Gesichtsspalte ^).
Bei den meisten schrägen Gesichtsspalten convergiren die Lid-
spalten einwärts und erhalten durch die Stellung und die Defecte
der Lider eine abnorme Gestalt. Die Augenhöhlen sind auch meist
verschoben und über die Norm geräumig, weil das Wachsthum
ihrer knöchernen Wände ungleichmässig und mangelhaft ist, be-
sonders der Oberkiefer bleibt zurück, ist zu niedrig und einwärts
oft keilförmig zugespitzt. Die Nase steht meist zu hoch, bei ein-
seitigen Spalten ist sie zur Seite verzerrt, die Nasenflügel, nament-
lich bei der 1. Form, verflacht.
Es bedarf kaum der Erwähnung, dass die schräge Gesichts-
spalte entweder einseitig oder doppelseitig vorkommen kann, ebenso,
dass sie entweder nur die Weich theile durchtrennen, oder bis in
das Gesichtsskelet durchschneiden kann. Danach erscheint es ge-
rechtfertigt, nach Analogie der Hasenscharteneintheilung die schrägen
Gesichtsspalten in einfache und complicirte zu gliedern. Wie unter
den Hasenscharten, so finden sich auch hier unter allen 3 Formen
verhältnissmässig viele intrauterin gut geheilte Fälle.')
Unter 26 schrägen Gesichtsspalten, bei deren Träger das Ge-
schlecht angegeben ist, finden sich 10 männliche und 16 weibliche.
Von unsem 34 schrägen Gesichtsspalten sind 19 doppelseitig,
von den 15 einseitigen entfallen- 9 auf die linke, 6 auf die rechte
Seite; 9 von den einseitigen sind mit Spaltbildung der anderen
Gesichtshälfte combinirt, und zwar 5 mit Hasenscharte und 4 mit
querer Wangenspalte der anderen Seite.
Schwerer, als die so eben erwähnten Complicationen, wiegen
*) s. den Anhang: Remacly (Fergusson erreicht nicht die Lidspalte).
^) s. den Anhang: Barkow II, Morian III.
^) s. den Anhang: Pelvet, Bidaiot, Kraske, Morian V.
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Ueber die schräge Gesiohtsspalte. 253
diejenigen mit Schädel- resp. Hirnanoraalien einerseits und Spuren
amniotischer Adhäsionen am Kopfe andererseits, oder mit beidem
zugleich.
Einmal lag ein Kraniopagus occipitalis *) vor, 3mal Hydro-
cephalus^), 3 mal Hydrocephalus mit Encephalocele^), 4 mal En-
cephalocele und Hemicranie*), 4 mal amniotische Adhäsionen am
Kopfe allein **), 11 mal Hirnanomalien mit amniotischen Adhäsionen
am Kopfe zusammen^). In 8 Fällen von 34 sind derartige Com-
plicationen nicht bekannt, doch ist dabei zu bedenken, dass 2 von
ihnen'') ungenau beschrieben sind, ein dritter®) ist ein imbeciller
Mensch, drei weitere^) haben verhältnissmässig sehr dicke Köpfe
und nur zwei intrauterin fast völlig geheilte Fälle ^®) haben sicher-
lich einen normalen Schädel. Der eine von diesen ^^) weist zwar
am Kopfe nichts Abnormes auf, dagegen finden sich an seinen
Fingern und Zehen in mehrfachen Spontanamputationen die deut-
lichsten Spuren amniotischer Strangulationen.
Die Wichtigkeit derartiger Complicationen leuchtete schon
Klein") (1792) ein, indem er die Hydrencephalocele seines Falles
mit der Missbildung .des Gesichtes in ursächlichen Zusammenhang
brachte. Nicati*') sowie Laroche**) suchten den Grund in der
mangelnden Vereinigung unter den embryonalen Theilstücken des
Oberkieferknochens, wobei der erstere der Ansicht seines Lehrers
Vrolik beipflichtete, dass eine dicke Zunge die Schuld daran
tragen könnte. Aus der Beschreibung des Meckel'schen *') Falles
vom Jahre 1828 spricht lebendig die Auflfassung, als sei die Ent-
') s. den AnhaDg: Barkow I.
') s. den Anhang; Seiler, Hedenius, Tübinger Präparat.
') s. den Anhang: Meckel II, Remacly, Morian II.
*) s. den Anhang: Vrolik, Meckel I, Ross, Talko.
*) s. den Anhang: Nicati, Fergusson, Hasselmann, Leipziger Präp.
•) s. den Anhang: Kulm US, SÖmmering, Förster, Walter Dick,
Klein, Hecker, Barkow II, Bruns, Fritzsche, Morian III, IV.
') s. den Anhang: Guersant, Bidalot.
*) s. den Anhang: Pelvet.
•) s. den Anhang: Ottmer, Butcher, Morian I.
*•) 8. den Anhang: Kraske, Morian V.
") s. den Anhang: Morian V.
*^) Klein, Spec. anat. inang. sist. mostr. qu. descript. Stattgardae 1792.
**) B^iaati, Spec. de lab. lep. nat. et orig. Diss. Traj. ad Rhen. et Amste-
lodami 1823.
) [larochfi 1 c
") Meckel, 'MeckeTs-Archiv. 1828. S 156.
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254 Dr. R. Morian,
Wickelung des Gesichtes auf früh embryonaler Stufe erstarrt und
auch Pelvet') 1864 steht auf diesem Standpunkte. 1832 fügte
J. Geoffroy St. Hilaire^) ein wichtiges ätiologisches Moment
hinzu, indem er auf die von seinem Vater') hervorgehobene Be-
deutung amniotischer Adhäsionen für die Entstehung von Miss-
biidungen hinwies und auf den Nicati 'sehen Fall exemplificirte.
Walter Dick^) erwog 1837 bei Betrachtung seines Falles neben
den Spuren amniotischer Adhäsionen im Sinne J. Geoffroy St.
Hilaire's die Bedeutung der gleichzeitig vorhandenen Hydren-
cephalocele. Hecker') 1864 Hess eine zwiefache Aetiologie zu,
einmal eine primäre, dem Keime innewohnende Vorbildung, über
deren Wesen man ohne alle Eenntniss sei, dann aber die von
G. Braun ^ betonten amniotischen Adhäsionen, anomale Faltung,
mangelhafte oder verspätete Abhebung des Amnion. Talko'^)
machte 1871 die Defecte der Schädelknochen für die Entstehung
der Gesichtsspalten in seinem Falle verantwortlich. Ahlfeld®)
1882 suchte wieder die Aetiologie »meist in einer Verwachsung
des Amnion mit den Wänden der Spalte oder durch Verbreiterung
der primitiven Schädelbasis in Folge von Hydrops der Himblasen^ ;
im ersteren Falle sähen die Spaltränder unregelmässig geformt
oder fetzig, im anderen rein und glatt aus. In jüngster Zeit hat
Salzer^) auf die amniotischen Verklebungen als gemeinsame Ur-
sache für Spaltbildungen und Entwickelung von Dermoiden resp.
Teratomen im Gesichte hingewiesen. Die Ansioht Ahlfeld's
findet im Ganzen durch die Literatur ihre Bestätigung, wenn auch
nach meiner Zusammenstellung das Verhältniss etwas verschoben
ist: unter 26 Fällen wiesen 11 Hirn- resp. Schädelanomalien allein
auf, 4 zeigten nur Spuren amniotischer Verklebungen, die übrigen
11 Köpfe waren mit beidem zugleich behaftet. Bei diesen Zahlen
Pelvet, l. c.
•) Geoffroy St Hilaire, 1. o.
') Geoffroy St. Hilaire« Philosophie anatomiqne. Paris. Tome II.
p. 487. (Note.)
*) l. c.
*) Heck er, Klinik der Gebartskunde. Bd. II.
*) G. Braun (citirt nach Hecker), Neuer Beitrag zur Lehre von den
amniot. Bändern. Med. Jahrbücher. Wien 1862.
') Talko, Virohow's Archiv. Bd. 52. 1871. p. 568.
8) Ahlfeld, l. c.
») Salzer, von Langen beok's Archiv. Bd. XXXIH. Heft 1. S. 134.
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üeber die sohräge Gesiohtsspalte. 255
mag der Zufall mitspielen; kein Zufall wird es jedoch sein, wenn
unter 34 Fällen 26 mal, also in fast 77 pGt., derartige Gompli-
cationen am Schädel vorgelegen haben. Das Hirn ist für die Bil-
dung des Gesichtes massgebend, warum sollte jenes, wenn es sich
pathologisch entwickelt, nicht auch die Bildung des Gesichtes
stören? Am handgreiflichsten erscheint der Einfluss da, wo z. B.
eine Encephalocele in eine Spalte irgendwelcher Art hineingezwängt
ist, wie es Witzel') bei einer Medianspalte der Nase beschrieben
hat; auch könnte, wie das Ahlfeld wohl im Auge hatte, die pri-
mitive Schädelbasis krankhaft so verbreitert sein, dass die Ober-
kieferlappen, welche ja unter ihr seitlich von hinten hervorsprossen,
auch wenn sie die normale Grösse erlangen, den vom vorderen
Ende der Himblase herabwachsenden Stirnlappen nicht zu erreichen
vermögen. Auch eine fehlerhafte und mangelhafte Entwickelung
von Hirn und Schädel, wie Kraniopagie, Anencephalie , Acranie,
Hemicranie etc. wird auf die Wachsthumsrichtung der gesichts-
bildenden Embryonaltheile nicht ohne Einfluss bleiben. Derartige
Hirn- und Sch&delanomalien bedingen keineswegs immer Spalt-
bildungen im Gesichte; denn dieses kann ja schon in allen seinen
Theilen zusammengefügt sein, ehe eine der obigen Anomalien
räumlich Bedeutung gewinnt.
Einfacher noch erklärt sich die Wirkung amniotischer Ver-
klebuHgen, welche in der primitiven Hundspalte oder deren Nähe
zu Stande kommen; denn sie können, wie das Hirn von innen, so
diese von aussen her durch die Breite und Festigkeit ihrer Stränge,
ihren Angriffspunkt und ihre Zugrichtung, rein durch mechanische
Kraft, die gesichtsbildenden Theile im Wachsthume hemmen, oder
dem Wachsthume derselben eine veränderte Richtung geben. Auch
hierbei ist die Zeit, in welcher eine solche Adhäsion ihre Wirkung
entfaltet, von wesentlicher Bedeutung, die beiden ersten Embryonal-
monate sind am verhängnissvollsten; allein auch nach gelungener
Vereinigung der Gesichtslappen ist eine derartige Einwirkung nicht
ausgeschlossen ; vermag ein amniotischer Strang ganze Extremitäten
nach vorgeschrittener Ausbildung zu amputiren, so wird er auch,
schräg über das Gesicht gespannt, im späteren Embryonalleben sich
tief in das Fleisch und den Knochen hineingraben können und dann
') Witzei, von Langenbeck's Archiv. Bd. XXVll. 1881
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256 Dr. R. Morian,
im Gesicht andere, als die physiologischen Spalten zu Wege bringen ;
CS wäre daher gewiss nicht zu verwundern, wenn einmal eine ganz
andere, als die bisher bekannten schrägen Gesichtsspalten dabei
herauskäme. Wenn in den oben angeführten 1 1 Fällen die schräge
Gesichtsspalte auf die gleichzeitig vorhandene Schädel- resp. Hirn-
missbildung zurückgeführt und die letztere als das primäre ange-
sehen worden ist, so geschah das, weil kein sicheres Zeichen auf
eine secundäro Entstehung der Schädel- resp. Hirnmissbildung hin-
wies; wie wahrscheinlich es aber ist, dass von jenen 11 Fällen
mancher auf der Einwirkung der Eihäute beruht, das lehren die
Beobachtungen Dareste's*) über die Entstehung der Cyclopie:
diese Missbildung des Hirn- und Gesichtsskelets wird, wie Jener
nachgewiesen hat, durch Raumbeengung in der Köpfkappe des
Amnion hervorgerufen. Das Amnion hebt sich dann aber vom
Kopfe ab, und keine sichtbare Spur deutet später auf seinen ver-
hängnissvollen Einfluss. Bis jetzt sind wir noch nicht in der Lage,
die Aetiologie der schrägen Gesichtsspalte völlig zu erschöpfen,
immerhin lassen sich 2 Momente besonders hervorheben: 1. die
Anomalien des Hirnes und seiner Hüllen, 2. die pathologische Ein-
wirkung des Amnion im Bereiche des Kopfes. Warum es jedoch
in einem besonderen Falle gerade zu dieser und zu keiner anderen
Form von schräger Gesichtsspalte hat kommen müssen, bleibt vor-
läufig dunkel. Ob die erste Form eher durch das erstgenannte
ätiologische Moment, die zweite und dritte öfter durch das letzte
hervorgebracht wird? Das wäre denkbar; doch reicht das vor-
handene Material nicht aus, um an ihm den Werth dieser Ver-
muthung abzuschätzen.
Worin besteht nun das Wesen der 3 Formen der schrägten
Gesichtsspalte, und warum sind die 3 Linien für ihren Verlauf im
Oberkiefer so typisch? Denn der Spalt im Knochen darf als mass-
gebend betrachtet werden, während die Weich theile, in denen der
Verlauf des Spaltes variabeler ist, sich an das Skelet adaptiren.
Es wäre denkbar , dass die oben angeführten beiden ursächlichen
Momente den Oberkiefer an einer beliebigen Stelle zu durch-
brechen vermöchten, weil sie ja auch an beliebiger Stelle an-
Gamille Dareste, Reohercbes sur la prodaction artificielle des mon-
struosit68. Paris 1877.
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lieber die schräge Gesichtsspalte. 257
greifen können. Fasslicher wäre es jedoch, wenn der Oberkiefer
ursprünglich aus mehreren Knochenstücken zusammengefügt wäre,
und wenn derselbe nun durch die Macht jener Kräfte in einer
dieser Fugen ohne Verschluss bliebe. Aus einer derartigen An-
lehnung an physiologische Vorgänge folgte naturgemäss eine ge-
wisse Regelmässigkeit in der Erscheinung der schrägen Gesichts-
spalten: und so lassen sich in der That unsere 3 Formen der-
selben erklären. Nach Portal ') entwickelt sich der Oberkiefer
aus 5—6 Stücken, von denen die Gosichtsfläche 3, der Gaumon-
fortsatz 2 — 3 enthält, B^clard *) und Serres *) nähern sich
dieser Auffassung. MeckeP) fand „ihn bei mehreren 3 monat-
lichen Foeten im Ganzen aus 3 Theilen bestehend, von denen der
vordere den vor dem Gaumencanale liegenden Theil des Gaumen-
fortsatzes und Zahnhöhlenfortsatzes und des Nasenfortsatzes, der
mittlere den Körper und den mittleren Theil des Gaumenfortsatzes,
der dritte äussere, den hinteren Theil des Gaumenfortsatzes ent-
hielt"; während »die innere, obere und hintere Wand des Körpers
noch gar nicht gebildet** waren. Aehnlich fand Nicati') den
Oberkiefer durch 2 longitudinale Fissuren in 3 Theile gespalten:
die eine Fissur bildete die Fortsetzung des Ganalis infiraorbitalis
zur 1. Molarzahnalveole, die andere ging vor dem Ganinus und
durch den Processus frontalis in die Höhe und spaltete den Zwischen-
kiefertheil ab, welcher die beiden Schneidezähne enthält und die
äussere Umrandung der Apertura pyriformis bildet. Von diesen
beiden Fissuren entspräche die erstgenannte unserer 3. Form von
schräger Gesichtsspalte, welche durch den Oberkieferkörper zur
Orbita zieht. Und wir erkennen in der zweitgenannten leicht un-
sere 2. Form wieder, bei welcher die Spalte zwischen äusserem
Zwischenkiefer und Oberkiefer zwischen Eck- und Schneidezahn in
die Höhe läuft, auswärts von der äusseren Umrandung der Aper-
tura pyriformis 9 welche durch den Processus nasalis des äusseren
Zwischenkiefer hergestellt wird. Den Verlauf für die 1. Form der
schrägen Gesichtsspalte endlich können wir heute mit noch viel
grösserer Sicherheit bezeichnen, als wir es eben für die 2. und 3.
*) Portal, B6clard, Serres citirt nach Nicati und Meckel.
*) Meckel, Handbuch der menschlichen Anatomie. U. S. 130. 1816.
Halle und Berlin.
«) Nicati, l. c.
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1
258 Dr. R. Morian,
gethan, sie geht zwischen innerem und änsserem Z?nschenkiefer
hindurch zur Nase und von hier zur Orbita.
Dies führt uns zur Frage nach der Existenz von 4 Zwischen-
kiefem beim Menschen; sie ist durchaus nicht so neu, wie es den
Anschein hat: schon Autenrieth') 1797 war der Ansicht, dass
fnr jeden Schneidezahn ursprünglich ein besonderes Knochenstäck-
chen angelegt sei, MeckeP) stimmte ihm 1812 bei, und Leuckart')
hat 1840 in seiner Arbeit über das Zwischenkieferbein des Menschen
die Anlage von 4 Zwischenkiefern durch die schönsten Präparate
vom 3 monatlichen Embryo bis zum Erwachseoen klar und deutlich
bewiesen, unabhängig davon kam 1879 Alb recht*) durch Be-
funde an mehreren Thier- und Menschenschädeln zu demselben Re-
sultate, und Meyer*) hat ihn 1884 durch weitere Präparate be-
stätigt, auch meine Untersuchungen unterstützen die Ansicht, dass
man beim Menschen in pathologischen Fällen mit 4 Zwischen-
kiefern zu rechnen hat Nach Bio ndi 's*) embryologischen Unter-
suchungen ist der kleine innere Zwischenkiefer im mittleren Stirn-
fortsatze, der grössere äussere im Oberkieferfortsatze angelegt. Ist
Dieses richtig, so entspräche unsere 1. Form von schräger Ge-
sichtsspalte am ehesten der embryonalen Augennasenrinne; wie
kommt es dann aber, dass der äussere Zwischenkiefer bei der
2. Form der schrägen Gesichtsspalte vom Oberkiefer abgetrennt,
mit dem inneren Zwischenkiefer im Verein die Sehneidezahnalveolen
und die Umrandung .der Apertura pyriformis bildet? Er muss ent-
weder nachträglich vom Oberkieferlappen abgetrennt worden sein,
wie das ja durch einen amniotischen Strang geschehen könnte und
auch in den Fällen fasslich ist, in welchen er im Grunde der
Spalte noch an den Oberkiefer angrenzt, oder wir müssen uns zu
der Annahme verstehen, dass bei Verkümmerung des äusseren die
Anlage des inneren Zwischenkiefers excessiv wächst und ausser den
Sehneidezahnalveolen auch noch die Knochenspange für die Apertura
pyriformis liefert; sie würde gerade für die Fälle der 2. Form mit
breiter Kluft ohne Spuren amniotischer Adhäsionen willkommen
*) Authenrietb, Supplement, ad histor. embryonis. Tübingen 1797.
') Meckel, citirt nacb M.'s Handb. d. menschl. Anat. IL S. 180.
') Leuckart, Ueber das Zwischenkieferbein des Menschen. Leipzig 1840.
*) P. Albrecht, Zoologischer Anzeiger. No. 26. 1879.
') Meyer, Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 1884.
*) Biondi, Sitzangsber. der königl. Akademie der Wissensch. VL 1886.
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Ueber die sehnige Gesichtsspalte. 259
sein ; und sie gewinnt in der That den Boden der Wahrscheinlich-
keit durch die Erfahrungen an Hasenscharten. Denn während nach
Leuckart und Blondi die inneren Zwischenkiefer in der Norm
nur kleine Knochenplättchen vorstellen, welche die Hinterwand der
medialen Schneidezahnalveole bilden helfen, können sie patho-
logisch, wie z. B. beim doppelten Wolfsrachen, so enorme Dimen-
sionen annehmen, dass der Bürzel nicht bloss weit nach vorn pro-
minirt, sondern auch die ganzen Alveolen von oft 4 Schneidezähnen
bildet und breiter ist, als der Doppelspalt des Kiefers, in welchen
er bei der Rücklagerung gedrängt werden soll.
Auch die 3. Form der schrägen Gesichtsspalten kann man
sich nicht wohl anders, als durch nachträgliche Abspaltung der
einwärts gelegenen Partie vom Oberkieferlappen entstanden denken
und dieser Vorgang wäre wieder am einfachsten durch amnio-
tische Verklebungen und Stränge zu erklären ^). Es erübrigt noch
ein Wort über die Zahnstellung bei Gesichtsspalten überhaupt, der
man zur Zeit eine grössere Bedeutung beizumessen pflegt, als ihr
gebührt. Wenn in einem meiner Präparate, No. 30 des Anhanges,
ein Milchgebiss vorliegt, bei dem der rechte Oberkiefer im Ganzen
4 Schneidezähne, 3 einwärts von der Spalte in dem vereinigten
rechten Zwischenkiefer und 1 auswärts von ihr im Oberkiefer trägt,
and femer bei Fall 33 derselben Form wiederum rechts auswärts
von der Spalte im Oberkiefer ein überzähliger Schneidezahn sitzt,
so beweist Dies, dass Schneidezähne, abgesehen von denen des
Unterkiefers, auch ausserhalb des Zwischenkieferbereiches patholo-
gisch vorkommen können, d. h. Schneidezähne können in zweifel-
haften Fällen nicht für die Marksteine des Zwischenkiefergebietes
gelten. In dem Barkow 'sehen Falle No. 24 ist merkwürdiger-
weise auswärts von der Spalte (IL Form) ein überzähliger zweiter
Eckzahn vorhanden.
üeber die Schwere unserer Missbildung kann man sich leicht
einer Täuschung hingeben, wenn man die begleitenden anderweitigen
Bildungsfehler, besonders die Hirnanomalien, ausser Acht lässt.
Das muss man bei der Thatsache bedenken, dass von den 34 Fällen
') Spuren amniotischer Adhäsionen sind , obwohl in der Beschreibung
nicht erwähnt, aaf der Abbildung des Remacly'schen Falles deutlich zu
erkennen.
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260 Dr. R. Morian,
nur 9*) so lange am Leben blieben, dass ein operativer Eingriff
in Frage kommen konnte; die übrigen 25 waren entweder Todt-
gebarten oder überlebten nur die ersten Standen und Tage. 7 von
jenen 9 Fällen waren einseitige, 4^) von ihnen intrauterin nahezu
verheilt, 7 waren ohne Hirncomplicationen , von zweien^) fehlen
genauere Angaben darüber. An Symptomen addiren sich bei der
schrägen Gesichtsspalte im Allgemeinen die einer Hasenscharte
entsprechenden Grades zu denen, welche aus den Defecten der
Thränenwege und der Lider entspringen.
Therapeutisch wird man sich zunächst an die Erfahrungen in
der Hasenschartentherapie halten müssen und im übrigen für
Wangen- und Liddefecte den bekannten Regeln der Plastik folgen,
wie es mit Erfolg besonders Hasselmann bereits geübt hat.
A. n h a n g-.
1. Job. Ernst Kalmus, Partus monstrosi historia 1732. Lipsiae. —
8 monatliches Mädchen mitdydrencephalocele parietalis und doppelter schräger
Gesichtsspalte und totaler Gaumenspalte starb nach 3 Tagen: „Dexteriores pal-
pebrae ab positu naturali viisque lacrumalibus alienae, et versus nasam
declives, valdeque deformes visae, partibus insuper longitudinis monstrosae
tribus coaluerunt; sed ocuH bulbum magnitudine naturali haud adeo minorem
conoluserunt: nihilominus Cornea, transparente uleroquin in sanis tunica ille
destituebatur oculus; qui ceteroquin sub biatu palpebrarum exiguo iilico viden-
dum se dedit. Neque vero minus turpiter sinisteriores palpebrae ducebantur,
sed ferme ex toto cum inferiori superior cobaesit; ac sub earundem incisione
quidem apertarum tegmine oculi exquirebatur orbita, dexteriori angostior, et,
copiosam inter pinguedinem, delitescentem ocnlum, triplo naturali minorem,
nihilominus comea transparente nitidaque , pro magnitudine oouli instructum
condens atque tenens. Tantum paullo superins et ad sinum inter ossa supe-
riora papyracea ille reponebatur oculus monstrosus et musculis de cetero de-
stituebatur. Uterque vero oculus suos humores, pro magnitudinis ratione
tunicasque internas et iridem conclusit; tautum retina nervusque opticus dis-
paruerunt. Inde, in facie externa, tarn dextrarum quam sinistrarum palpebrarum
deoliviumque anguli interni, cum sulco utrinque conspirarunt, qui loco nasi
sedis fere consueto ab oculis ad superioris labii fissuram amplissimam descen-
derunt; quam non ita multo post proponemus. Inter hos sulcos dexter magis
conspicuus et amplior prae sinistro erat, tractumque in integumentis faoiei
*) s. den Anbang: Ottmar, Butcher, Fergusson» Pelvet, Guer-
sant, Bidalot, Uasselmann, Kraske, Morian V.
') s. den Anhang: Pelvet, Bidalot, Kraske, Morian V.
'} s. den Anhang: Gnersant, Hidalot.
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lieber die schräge Gesicbtsspalte. 261
yeluti secta baeo essent, uterque monstrabat; ut ita ad orbitae angülam inter-
num difformis via pateret. Sigillatim ille sulcus, qui ab sinistris deferebatar,
bic fere in medio tractü eminentem quandam, neo cartilaginis dissimilem
sobstantiae, ac qaintüplo circiter naturali minorem aurem externam, sed inver-
sam et inde eminentem exemplo notabili exbibebat. Erant in ea omnes cavi-
tates et sinas insculpti, eminentesqae partes reliquae spectaculo jnoando dis-
scernebantur . qnales sunt belix et antbelix, deinde concba et scapha, tragus
et antitragQs; ipse denique meatos auditorius singulari foramine, qaod ad os
Qsqae subjectum penetrabat, ita quidem fictus omnino erat. Inter atrumque
tegumentorum faciei salcum, quem modo diximus, jam medius extare nasus
debebat. Nulla bic nasalia ossa, aut qni distincti essent et eminerent ossiam
maxillarium nasales processus; deinde nullns vomer, nee cartilagines extemum
nasum effecerunt; ita vero fornice omni et naribus absentibus ore tantam
spiritum duxit infans. Proinde sulci, quos ante notavimus, nonnisi deformes
nasi limites quodammodo significarunt ac de reliquo uterque in fissuram supe-
rioris labii. deinde ?ero in maxillae ossis et processnum palatinorum aperturam
desiit, per quam aer inferior! bus locis ad ossa spongiosa atque internas nasi
Cameras ducebatur. Erat igitur superstes superioris labii , pariter fissi portio
eaque prospectum baerentis exiguae partis in ore cum probibebat^ tum ex
parte adnascebatur gingivae maxillarique ossi fisso; sciücet ita protuberans
tibus bisce ac partitis, ut nibilominus supplerent prolabio leporino fingendo
defectum ipsius partium labii superioris qualis Fig. 1 literis M. et N. notatur.
Ex quo praeter superioris labii amplissimam partitionem etiam gingivae et
maxillaria atque palati ossa valde notabilem biatum, sed ab utraque parte,
superstitis quidem portionis internae vomeris exiguaeque retulerunt; qualis
proinde ingressus priori oris loco c fig. 2, digitum minimum pro amplitadine
sua capiebat; sed biatus ipse, suo per palatum progressu, tandem ad sedem
uvalae, quae desiderabatur, sensim angustissimus factus, rimae instar, in
faucibas apertae finem consequebatur. Quare in ilio palati biatu partitio quae-
dam in naso interne et varietas ab parte oris ulrinque observabatur. Nam
amplior quodammodo prae parte sinisteriora fissura dexteriori loco erat, et
utramque disiungebat ossium palati fissorum angusta, sed media sedes, qualis
celeroquin in sanis multo exquisitius vomerem figit-, cuius quippe sedis pars
exigua nonnisi minorem vomeris partem relictam sustentabat. Per duplicem
ita fissuram, ore quidem aperto, spongiosa inferiora ossa in sensum inciderunt,
et bini ingressus deletarum narium expleverunt vices, spiritumque ad cavemas
nasi interioris et ad utriusque generis spongiosa ossa atque fauces in recens
nato detulerunt.^
8. Soemmerring, Beschreibung einiger Missbildungen. 1791. —
Doppelseitige schräge Gesicbtsspalte bei einem neugeborenen Mädchen mit
Hydrocepbalus , grossem Baucbbrucbe, defecten Rippen und Extremitäten.
^In der Mitte des linken Scheitelbeines ohngefäbr findet sich ein flautaus-
wuchs, der ein paar Linien lang und breit ist, ein ähnlicher kleiner Auswuchs
findet sich auch aut der Stirn. — Die sogenannte Fontanelle ist sehr weit
und gross, und tbeilt, wie bei Wasserköpfen, das Stirnbein, doch sehr an-
T. Langeobtok, ArehiT f. Cbirargio. XXXV. 2. ^g
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262 Dr. R. Morian,
gleich, sodass das rechte Stück grosser, als das linke ist, daher die Stirn naht
schief von der rechten gegen die linke Seite hinläuft. Die Augäpfel ragen
ans den äusserst widernatürlich auseinanderstehenden Augenlidern hervor,
und lassen rings um die Hornhaut einen beinahe 3 Linien breiten Ring von
dem Weissen des Auges sehen. Die Augenlider bilden daher eine runde Oeff-
nung, und das obere Augenlid ist mit seinem unteren nur zur Bildung des
äusseren Winkels einigermaassen natürlich verbunden, üebrigens sind ihre
Ränder natürlich beschaffen, und selbst die Wimpern und Tbränenpunkte.
besonders vom unteren Augenlid deutlich sichtbar. Wohingegen das obere
Augenlid mit dem unteren zur Bildung des inneren Winkels zusammenkommen
sollte, ist es 7 Linien weit am rechten und 5^/\ Linien weil am linken Auge
vom Unterlid durch den hervorgepressten Augapfel entfernt. An beiden Augen
findet sich jedoch eine an die Steile tretende Haut, die die Lider zusammen
verbindet. Die Nase ist ein blosser unförmlicher, an der Basis gegen die Stirn
breiter und am Ende schmälerer Hautlappen . der schief nach der rechten
Seite hinübergeht, wo er sich an die obere Kinnlade verliert. Dieser Nasen-
lappen ist indessen auf der Nasensoheidewand befestigt, welche zwischen sich
und der inneren knöchernen Wand der Augenhöhle, die ebenfalls sehr un-
förmlich ist, eine unregelmässige Höhle übrig lässt. Diese Höhle ist auf der
rechten Seite nach unten zu. durch die mit dem unteren Theile des Nasen-
lappens verwachsene Oberlippe geschlossen. Auf der linken Seite dagegen
macht sie eine gemeinschaftliche Höhle mit der MnndhÖhle aus. — Der Ober-
kiefer steht in der Mitte bis zu 7^^ Linien fürchterlich auseinander, und die
Flächen seiner Gaumentheile, die sonst nach unten gerichtet zu sein pflegen,
sind hier mangelhaft, ihr Rest verdreht, gleichsam wie gegen einander ge-
kehrt. Ausser der Gaumenfläche fehlt den Oberkiefern ihr ganzer Nasenfort-
satz, besonders auf der linken Seite, ferner die ganze linke Hälfte des übrigen
Gaumens. Die Muschelbeine sind auf beiden Seiten ebenfalls verunstaltet.^
3« Klein. Specimen anatom. inaugur. sistens monstrorum quornndam
descriptionem. Stuttgardae. 1792. — 24 Stunden altes Mädchen mit Ence-
phalocele und Spuren amniotischer Adhäsionen am Kopfe, trug eine rechts-
seitige schräge, linksseitige quere Wangenspalte. — § 5. Inter protuberantiam
marginemque ossis frontis vestigia aderant sacci permagni disrupti. membrana
alba, tenui, pellucida, ab integumentis protuberantiae ossisque frontis. latera-
liter in labiis leporinis contorta descendens. utrinque in margine inferiore
maxiilae snperioris evanescens. — § 6. Nunc et adhuc ambae genae a labio
superiore usque ad illam distantiam ossis frontis et bregmatis erant divisae,
et quidem sinistrorsum haec divisio ex angulo oris per os maxillare et jugale
protenditur et retro canthum oculi externum illi distantiae ossium inoscolatur,
haec divisio perscissa aemulat integumenta. Dextrorsum divisio prope com-
missuram dextram oris incipit, marginibus multo distantioribus, oblique ad
canthum internum oculi tendit, marginisque orbitae inferioris medietatem
attingit, usque ad quam os maxiilae plane divisum late distal. Ibi integu-
menta sie per externum oculi canthum ad distantiam dextram ossis frontis et
bregmatis usque erant divisa, ut inferior hujus oculi palpebra ab oculo sepa-
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lieber die schräge Gesichtsspalte. 263
retar. Haec divisio maxillae superioris dextrae ita per palatum, velum nyu-
Umque extenditur, ut os spongiosam inferius dextrum in cavitate oris, cavi-
tasqae oris ipsa parsqae alveoli huc distincte, sinistris autem nonnisi didactfs
divisarae marginibus solummodo inferior cavitas oris videatar. — § 17. Dex-
tris omnia difformiora. Os maxillare medio penitus divisum et pars nasalis
posterior multum ab ethmoVdeo osse spongiosoque inferiore distat, ductas
lacrjmalis ergo plane apertiis, concha media inferiorque liberae dependent.
Orbitae inferior paries deest, canalis infraorbitalis irregularis, profandiorque.
Os jugale parte orbitale caret. ipsumque exteriora anterioraqne magis spectat
quam sinistrum. — Ausserdem war rechts wie links ein Spalt zwischen Stirn-
und Jochbein. Paiatum plane divisum et solummodo a parle quadrata ossis
sinistri palati adhuc rndimentum restat. Pars palatina maxillae sinistrae natu-
ralis, dextrae deest. ^
4« Ottmer, Nachricht von einer ausserordentlichen Hasenscharte.
Braunschweig. 1805. — ^/ 4 jähriger Knabe mit einer Lippenspalte der linken
Seite, welche bis über den linken Nasenflügel hinaufreichte. Es bestand
dabei eine totale linksseitige Kiefergaumenspalte mit Verbiegung des Septum
nach rechts. Der Processus alveolaris sin. war ebenso, wie der Processus
palatinus und die Pars horizontalis ossis palatini rudimentär, so dass nach
O.'s Ansicht, im Oberkiefer später nur 1 — 2 Backzähne Platz finden könnten.
Links fehlte das Velum ganz, ebenso da&Os spongiosum, während rechts das
halbe Velam mit der halben Uvula hing. In den Spalt konnte 0. bequem
seinen Daumen einführen. — 0. heilte den Lippenspalt ^wundersam" durch
Ablösung der Weichtheile vom Knochen und directcn NahtVerschluss nach
Anfrischung, wofür er Augenzeugen anfährt.
3. Nicati, Specimen anatomico-paihologicum de labii leporini con-
geniti natura et origine, Trajecti ad Rhenum et Amstelodami 1822. p. 63.
^Idem Vitium, minori licet gradu, observatur in embryone trium circiter men-
sium , quod specimen rarissimum musaeum ornat clariss. Vrolik. Praeter
valde singularem et abnormalem insertionem funiculi umbilicalis duobus ra-
mis, uno ad umbilicum, altero ad caput, adest labium leporinum in latere
sinistro, in dextro fissura notabilis, quae ab ore incipiens ad oculum dextrum
usque extenditur, secundum directionem fissurae, quae partem maxillae supe-
rioris externam a parle media separat^). Idem audivi de matrona, cui in
latere facie'i dextro, foeda adest fissura. inde ab angulo oris ad oculum usque
adscendens.*" — Es sei dieser flüchtigen Beschreibung hinzugefügt, dass
dieser Embryo männlichen Geschlechtes in einem Entwickelungsstadium, in
dem weder Augenlider noch Nase gut ausgebildet, der Kopf dick erscheint;
der Spalt beginnt am rechten Mundwinkel und läuft einwärts convex bogig
in den inneren Lidwinkel.
C. Meckel L, MeckeTs Archiv für Anatomie und Physiologie. 1828.
S. 156. Doppelte schräge Gesichtsspalte bei einem weiblichen Fötus mit
') Nach p. 36 einer Linie entsprechend, welche vom For. infraorbitale
hinab zum Alveolarrande zwischen Caninus und I. Molaris gezogen wird.
18»
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264 * Dr. R. Morian,
Hemicephalie. „Die Hasenscbarten , rechts 1 V2 Li"*) ^^^^^^ ^ Lio. breit, er-
streckten sich bis in dieOrbitae. — Zwischen den beiden Hasenscharten zeigten
sich ohne Spur einer Oberlippe die beiden Intermaxillartheile des Oberkiefers ;
alles, mit Ausnahme der Breite jener Spalten, im frühen embryonalen Zustande
ganz regelmässige Formen. — Die Haut unter der Nase ging ohne Falte in
das Zahnfleisch über, welches die 4 regelmässig gestellten Zahnkeime und
-Bälge bedeckte. Hinter den Zahnkeimen, in der Gegend des vorderen Gaumen-
loches hörte jede weitere Trennung von Mund und Nasenhöhlen ganz auf, der
Intermaxillartheil war mit den Nasen fortsätzen des Oberkiefers und Nasen-
beinen vereint, in der Mitte stieg die knorpelige Scheidewand von der Schädel-
basis bis zu den Nasenlöchern, allmälig verschmälert, hinab, blos im vorderen
Theile eine Trennung in zwei Nasenhöhlen bewirkend. Der innere Theil der
Oberkieferbeine war von ihren äusseren Theilen auch höher hinauf durch die
beiden Gesichtsspalten völlig getrennt. Die Weite dieser Spalten entsprach
den Dimensionen der Hasenscharten , die linke 4 mal weiter, als die rechte;
wiederum ein zurückgebliebenes, freilich monströs vergrössertes Bild dessen,
was anfangs normale Form ist, deren Spur bei der gewöhnlichen Ausbildung
nur schwach im In fraorbi talloch und -Canal übrig bleibt. — Im Inneren des
Gesichtstheiles fehlten die Nasenmuscheln, wahrscheinlich die ganzen Seiten-
theile des Riechbeines, der Pflugschaar, die Gaumenfortsätze der Oberkiefer-
und Gaumenbeine existiren als wenig hervorragende Leisten, von deren hinterem
Ende auf jeder Seite zwei kleine Hautfalten, Rudimente des weichen Gaumens
hinabstiegen, ;:wischen denen die Mandeln hervorragten.**
7« J. C. L. Barkow I., Commentatio anatomico-physiologica de mon-
stris duplicibus verticibus inter se junctis. Lipsiae 1831. p. 10 „Puellae
verticibus et occipitibus ita conjunctae sunt, ut regiones quam vis diversas,
non tarnen sibi oppositas spectent. Ab anteriore parte si intuearis, puella in
sinistro imaginis latere depicta pollices quindecim et lineas sex, in dextro
jacens pollices quattuordecim et lineas novem longa est. Haec praeterea illa
tenuior et exilier labio leporino duplice, rictuque lupino in sinistro latere de-
turpata est. — Quotiescunque fluidi aliquid hauserunt, ex orbita sinistra
capitis minoris aliquantuluro semper prodibat. Infans minor boras quingenta
novem visit. majore horarum duodecim spatio diutius. " — Nach der Abbildung
geht der linke Spalt durch die Oberlippe an dem Orte der Hasenscharte in
die Nase, weiterhin um den Nasenflügel herum aufwärts gegen den Canthus
internus, den er nicht erreicht, da er etwa in der Höhe des unteren Orbital-
randes endigt.
8. B. W. Seiler, Beobachtungen ursprünglicher Bildungsfehler der
Augen. Dresden 1833. Ausgetragener Knabe mit Hydrocephalus, Defect des
rechten, Missbildung des linken Armes, starb 3 Tage nach der Geburt. „Die
Stellen, wo die Augenhöhlen ihren Sitz haben sollten, sind mit einer Fort-
setzung der Kopfhaut überzogen, die auch bis zu den verwachsenen Nasen-
beinen, welche wie ein Schnabel (Rostrum) hervorragen, mit Haaren bedeckt
sind. Den mittleren Theil des Gesichtes nimmt ein grosser Wolfsrachen ein.
Von der äusseren Nase sind nur die unvollkommen entwickelten und ver-
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Ueber die schräge Gesichtsspalte. 265
wachsenen Nasenbeine vorhanden, der Zwischenkieferknoohen , die Stirnfort-
sätze des Oberkiefers und die Qaumenknochen fehlen ganz, sodass man frei
in die zusammengeschmolzene Nasen- nnd Mundhöhle hineinsiebt, in welchen
oben in der Mitte die senkrechte Platte des Siebbeins, zu beiden Seiten die
unteren Muscheln und neben diesen nach vorwärts die Rudimente des Zahn-
zellentheiles des Oberkiefers liegen; die Grundfläche dieser grossen Höhle
bildet die Zunge und der Unterkiefer. — Das rechte äussere Ohr ist voll-
kommen entwickelt, das linke ist verkrüppelt, der äussere Gehörgang ist ver-
schlossen. — Von den Stirnbeinen ist nur ein kleines, unförmliches, 3 Linien
langes und 5 Linien breites Rudiment vorhanden, welches links neben der
Siebplatte des Siebbeines und unmittelbar über dem Kostro liegt. — Auf der
Grundfläche der Hiruschaale sieht man von vorn nach hinten: das Rudiment
des Stirnbeines, die Siebplatte des Siebbeines, sie ist sehr dünn, und statt
der Siebbeinlöcher finden sich nur seichte Vertiefungen, der Hahnenkamm
fehlt ganz, zu beiden Seiten jener Platte liegen die ungewöhnlich breiten
kleinen Flügel des Keilbeines, sie gehen gekrümmt nach aufwärts und zur
Seite, verbinden sich mit dem Rudimente des Stirnbeins und den Scheitel-
beinen nach aus- und aufwärts, und nach einwärts mit der Siebplatte des
Siebbeiiies. Zwischen ihnen und den weiter rückwärts liegenden grossen
Flügeln des Keilbeines ist ein beträchtlicher Spalt, welcher mit einer weichen
sehnen faserigen Masse ausgefüllt ist und in die Nasenhöhle führt. — Da die
Augenhöhlenplatten des Stirnbeines, der Oberkieferknochen und der Joch-
beine, sowie die Papierplatten des Siebbeines und die Thränenbeine fehlen,
so sind auch beide Augenhöhlen ganz unentwickelt geblieben ^ die Scheitel-
beine schliessen sich an die kleinen Flügel des Keilbeines an, und die be-
haarte Haut setzt sich unmittelbar in die Wangenhaut fort."
f. Walter Dick, Lond.Med.Gaz. 1839. March. p.897. 7 monatl. Fötus
mit Hydrencephalocelen und amniot. Verwachsungen am Kopfe, doppelseitige
schräge Gesichtsspalte. „The face, which was of a brownish red coloar.
presented a very unnatural appearance. The eyes were wide apart, and pro-
minent. In place of the usual conformation of nose. tbere were two small
roundish apertures, corresponding to nostrils, sufficiently large to admit the
point of a common quill, through which the spongy bones were visible. The
apertures were about half an inch apart, and from each of them a fissure,
or groove, between three and four lines in width, passed obliquely upwards
and outwards, running close to inner cantlii of eyes, and terminating about
half an inch above superciliary ridges. These grooves were lined with mucous
membrane, continous with that lining internal nares. Superiorly they became
gradually more superficial, tili lost in the adjacent skin. A narrow bridle
of skin was stretched obliquely aross the upper part of the one on right side.
— The right side of upper lip was cleft in same line as corresponding groove
in cheek, and the traces of consolidation of a similar division on left side were
visible; the line of junction being slightly depressed and irregulär. — The
ossa nasi and nasal cartilages were defective. The other bones of the face
were well deveioped, and the constituent parts of saperior maxillary bones
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266 Dr. R. Morian,
firmly ünited. There was a fissare in fore-part of hard palate, not extending
througb the bones. Its edges were thick and slightly everted.** — W. Dick
sacht die Aetiologie der Missbildung in dem Hydrencepbalas und auf G. St.
Hilaire hinweisend, in den amniotischen Verwachsungen auf der Stirn.
lt. Meckel IL, Anatomische Geschichte frühgeborener Drillinge, unter
denen einer monströs ist. Illustrirte mediciniscbe Zeitung. I. Bd. S. 99.
1852. 6 monatlicher, kleiner, weiblicher Fötus mit ödematöser Haut, miss-
bildeten Extremitäten und Encephalocelen. „Am Kopfe waren beide Ohren
als schwache Knorpelleisten wahrnehmbar, Unterlippe und Unterkiefer normal;
Oberlippe mit starker medianer Hasenscharte und entsprechender Furche am
Gaumengewölbe. Von der Mundhöhle mit normaler Zunge war keine Commu-
nication mit der Nasenhöhle, aus der beim Druck das dünnflüssige Gehirn
hervordrang. Die Nasenknorpel bildeten eine Scheidewand der Nasengruben ;
nach aussen dagegen waren die Nasengruben nicht geschlossen, sondern die
Muscheln waren frei zu sehen, und die Nasenschleimhaut ging durch den
nicht geschlossenen Halbcanal des Thränennasenganges in die Conjunctiva
über; nach hinten waren die Nasenhöhlen blind geschlossen. Beide Augen
zeigten ein Staphyloma corneae pellucidum. — Der Schädel war eine dünn-
häutige Blase mit geringen Knochenspuren. "^
II. Vrolik, Tabulae ad illustrandam embryogenesin hominis et mamma-
lium. Lipsiae 1854. Tafel 45, Fig. 1—4. „Infans deformis femininus octavo
mense graviditatis in lucem est editus. Paucis signis postquam in lucem est
editus vitam patefecit, levi nempe clamore, convulsivo extremitatum motu, et
dein puellula mortua est. — In capite apparent duo sacci, transverso sulco a
reliquo capite separati. — Saccus postremns cute externa tegitur, et distinctam
manifestat fluctuationem, Saccus anticus est membranacens, et verosimiliter in
partu disruptus. Ex eo effluit substantia cerebralis pulposa. Frontis cutis
stricto sensu tertium efficit saccum, supra faciem deorsum pendentem, et
similiter humoris motum ostendentem. — Utroque latere hancce frontis cutem
sulcus ambit, qui a margine superiore capitis descendens, in labium superius
transit. — Latere sinistro hujus sulci est oculi bulbus convexus et eminens
pone quem palpebrae sunt quasi depressae et in circulum contractae; cantho
interno magnum inter eas est intervallum. Latere dextro oculus primo ad>
spectu deficere videtur. Sublata tarnen tumida frontis cute, patet pone eam
situm esse parvum oculi rudimentum, duabus palpebris circumdatum, quae
cantho quidem externe, sed non interne invicem sunt conjunctae. Bulbus iste
parte postica confusis tegitur fibris muscularibus, et quantumvis parvum sit
ejus Volumen, omnes, e quibus componitur partes rite demonstrat. Inter utrum-
que oculum mox infra frontis entern, situs est nasus proboscidem referens, in
cujus utroque latere apertura est, per quam stylum immittere licet in pharyD>
gem penetrantem, quoniam patetum utroque latere est fissum. Parte media
infra nasum proboscideum os intermaxillare eminens refert tuberculum, in quo
duo apparent dentes minores. Lingua fere tota nuda jacet. — In cranio hujus
infantis deficiente tegumento superiore nuda jacet integra basis, in qua ambae
apparent partes coi.dyloideae ossis occipitis, quas postrorsum sequitur squama
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üeber die schräge Gesichtsspalte. 267
excelsa occipitalis, qua facies postica cranii claoditur. Ambitus cranii aperti
determinatur daobus planis et arcuatis ossiam parietaliam rudimentis, ad
qaorum parteni anticam apparent partes orbitales ossis frontis, cam osse a
lamina frontal! residuo. Pone laminas orbitales fovea est satis profunda et
obliqua, in qua lamina cribrosa ossis ethmoide'i est slta. Pone hanc sünt Pro-
cessus ensiforoaes ossis sphaenoTdei. quos sequitur sella turcica parvum pro-
funda. Ambae alae magnae ossis sphaenoideV fere totae depressae videntur.
In dexira tantum est foramen ovale, in sinistra sunt rotundum et ovale. Basis
ossis occipitis verticali directionc deorsum tendit. — In partibus petrosis
ossiuDi temporalium nil notandum venit. — In palato distincta adest fissura
in sinistro latere. quae usque in fundum orbitae penetrat. Hinc os spongiosum
infimum sinistrum prorsus est nuduni. Secunda est fissura in dextro latere,
sed haec tantum extenditur usque ad marginem alveolarem. Inter eas fissuras
eminet tuberculum. quod distinclum refert os intermaxillare , suturae ope in
duas partes divisum. In eo resident duo dentium germina. Pone istud tuber-
culum Sita sunt ossa nasi brevia et satis lata. Ambae orbitae sunt angustae
et depressae. '^ — Ausserdem Spontanamputation des ganzen rechten Armes
und linken Vorderarmes, linksseitiger Klumpfuss; Thoraxspaltc, Situs perversus.
12. V. von'Bruns, Handbuch der praktischen Chirurgie. 1859. I. Bd.
p. 262. Atlas, Taf. VI., Fig. 32. „Ein nahezu reifer Fötus weiblichen Ge-
schlechtes mit übrigens äusserlich wohlgebildetem Körper, abgesehen von den
gleich zu beschreibenden Abweichungen am Kopfe. Man sieht zunächst die
Oberlippe in drei Theile getheilt durch zwei Spalten , welche an der gewöhn-
lichen Stelle des Lippenrandes anfangen, jedoch nicht wie sonst immer nach
oben in die Nasenlöcher auslaufen , sondern sich schräg aufwärts in der Haut
dicht neben den Nasenflügeln vorbei, an der Grenze zwischen Seitenwand der
Nase und Wange, bis zu dem inneren Augenwinkel in die Höhe erstrecken
und hier zwischen den beiden voneinander gewichenen Thränenpunkten in
die Augenlidspalte auslaufen. Von diesen beiden Spalten wird ein grosses
Mittelstück begrenzt; dasselbe besteht seinem grössten Theile nach aus der
äusseren Nase mit wohigeformter Spitze, Nasenflügeln und Nasenlöchern etc.,
und darunter aus einem in normaler Weise sich anschliessenden Stücke der
Oberlippe von länglich viereckiger Form, welches in querer Richtung unge-
wöhnlich breit, in senkrechter Richtung dagegen etwas kürzer, als die vor-
handenen beiden seitlichen Theile der Oberlippe ist und durch ein sehr ent-
wickeltes Bändchen an der Mittellinie des darunter und dahinter gelegenen
Alveolarbogentheiles angeheftet wird. Es ist nämlich der obere Zahnbogen
durch zwei seitliche, nach hinten zusamraenfliessende Spalten von mehr als
Linienbreite in drei Theile getrennt, von denen der regelwidrig vorragende
mittlere, aus den Zwischenkieferbeinen bestehende Theil nur nach hinten und
oben mit dem vorderen Ende des Vomer zusammenhängt und erst durch dieses
mit den in der Mittellinie vereinigten Gaumen fortsätzen der beiden Oberkiefer-
beine verbunden wird. Ausser einer ungewöhnlich starken Wölbung des harten
Gaumens und einer auffallend dicken fleischigen Zunge sind keine weiteren
Abweichungen in der Mundhöhle bemerkbar. Dagegen finden sich noch ausser
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268 Dr. R. Morian,
einer unTolIkommenen Entwickelang des Sohädelgewölbes und des Gehirnes
(Hydrencephalocele und Hemicrania) noch mehrfache Bildungsabweichangen
an dem Sehorgane vor; zunächst mehrfache Einkerbungen und Spaltungen
an den Aagenlidern, wodurch dieselben in mehrere unregelmässige Stücke ge-
theilt erscheinen, welche in verschiedenen Richtungen verzogen sind, nament-
lich ist der innere Theil des linken unteren Augenlides mit dem unteren
Thränenpunkte ungefähr 1 Ctm. weit hinabgesunken. Auch der Augapfel er-
scheint unvollkommen entwickelt und besonders dadurch auffallend, dass von
der Mitte jeder Hornhaut ein schmaler häutiger Strang ausgeht, welcher sich
nach einer Länge von 1 y^ Zoll mit dem der anderen Seite zu einem breiteren
häutigen Gebilde vereinigt, das nach kurzer Strecke gewaltsam abgerissen
erscheint. Nähere Nachrichten über den weiteren Verlauf des Stranges vor
dem Abreissen konnte ich nicht erhalten."*
IS. M. Guersant, Gazette des hdpitaux. 1860. No. 28. p. 112.
„Un enfant (Mädchen) de quarante-deux jours, nö avec nn bec-de-li^vre double
tres-compliqu^. La division de la voüte palatine et du voile du palais est des
plus completes; mais, en outre, la division, qui interesse la l^vre superieure
de chaque c6t6 se prolonge en haut^ et comprend la joue et la panpiere infe-
rieure. qui est separee en deux, de maniere a laisser Toeil a d6couvert. Quoi-
que artificiellement nourri, cet enfant se d^veloppe bien, et se trouve dans
un ^tat assez satisfaisant. **
14. Butcher, The Dublin Quarterly Journal of Medical Science. Vol. 29.
Febr. and May. 1860. p. 279. „Double Hare-lip, with double fissure of
the palate, the intermaxillary bones Standing out directly, and, as it were,
fused into the extreraity of the vomer; successfully operated on, and with little
consequent deformity. — John Flyen, aged ten days — the nose was entirely
turned to the left side. and so curved at its extremity, from the tigbtness with
which it was pinned down to the intermaxillary bones , that it resembled the
beak of some bird of prey; consisting with this twisted deformity, the right
ala was much higher up than the left ; a wide cleft. nearly three - quarters of
an inch, separated the central piece from the right maxilla, which anteriorly
was scarcely at all developed, neither its palate plate; the cleft on the left
side was not so wide, the maxillary hone coming farther forwards, and the
approximation of the central piece; from the obliquity of the nose, as already
mentioned, it, in some degree. contributed to a narrowing of the fissure; nearly
the entire palate plate was likewise absent on this side, and the posterior
part of the vomer was absent, together with the palate plates of the palate
bones, so that the lateral, the right, and left fissures , separated in front by
the vomer and projecting intermaxillary bones, formed one broad gap behind
from side to side of where should have been situated the roof of the mouth;
the projecting osseous piece was very diminutive, and hung by a contracted
neck; the extemal parts were, on a similar scale, defective; the central bit,
hanging from the tip of the nose, and adherent to the osseous projection, was
unusually small, while the right lateral portion of the lip ran in almost a
straight line from the anterior edge of the non-developed maxilla to the angle
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üeber die schräge Gesichtsspalte. 269
of the mouth; it was tensely bound above to this pari of tbe bone with the
right ala, and incorporated with it, much higher than I ever saw, so as to
account for the extreme obliquity of the nose. ^
IS. Foerster, Die Missbildangen des Menschen. T. XV. Fig. 22. Jena
1861. Doppelte schräge Gesichtsspalte bei einem Knaben mit Encepbalocele
frontalis (Präparat der pathologischen Sammlung zu Göttingen). „Links-
seitiger grosser Hirnbruch am Ende einer grossen Spalte des Gesichts, in
welche die Eihäute angewachsen sind. Die Gesichtsspalte ist beiderseitig und
vollständig, die Oberkiefer haben sich nirgends mit Stirnfortsatz und Zwischen-
kiefer vereinigt. Der Unterkiefer und die Zunge sind normal, Nase und Auge
rudimentär. Der linke Arm fehlt vollständig, ebenso ein grosser Theil der
linken Brust und Bauchwand, fast vollständiger Vorfall der sämmtlichen Ein-
geweide der Brust- und Bauchhöhle; dieselben sind von einer zarten serösen
Haut überzogen , welche an den Rändern in die äussere Haut übergeht. Die
rechte Hand hat nur 4 unförmliche Finger. **
IC, Fergnsson (A System of practical surgery 4. edit. p. 575) citirt
nach Debout, Bulletin g^n^ral de th^rapeutique m^dioale et chirurgicale
1862. Tome 63. ^C'etait un enfant de quelques mois, qui pr^senuit a la
levre superieure, ä gauche, la fissnre ordinairement appel6e bec-de-lievre,
tandis qu^ a droite, une autre fissure s'^le^ait de Tangle de la bouche en haut
et en dehors jusqu' ä Tos malaire, sans communication toutefois avec la
narine. On voyait an fond de la fissure la gencive et la partie ant^rieure de
Tantre d'Highmore, tapissees de muqueuse, et on remarquait une d^pression
ä la paroi ant^rieure de l'antre. En outre de cette difformit^, la paupi^re in-
f6rieure de Toeil gauche avait subi un arr^t de döyeloppement et avait con-
tractu des adh^rences avec la conjonctive ^). La figure ci-contre retrace ceito
forme de fissure que j^opörai par la m^thode ordinaire: avivement et sutures
entortillees.**
17. Hecker, Klinik der Geburtskunde (Hecker und Buhl). IL Bd.
p. 227. 1864. „1861 wurde ein nicht ganz reifes, todtgeborenes Kind
weiblichen Geschlechts eingeliefert. Bei wohlgebildetem Rumpf zeigte es eine
beträchtliche linksseitige Gesichtsspalte: es ist eine Hasenscharte mit breitem
Defect vorhanden, auch ein Wolfsrachen, aber nur geringen Grades, indem
der Gaumen nur in seinem vorderen Theile eine Trennung aufweist, ferner
siebt man durch einen Spalt in die Nasenhöhle hinein, und dieser Defect setzt
sich nach dem linken Auge fort, dessen Höhle nach der Nasenseite nicht ge-
schlossen ist; in Folge dessen und weil auch die Lidbildung mangelhaft ist,
steht es weit hervor, während das rechte von den Augenlidern völlig bedeckt
wird. Die Nasenknochen sind nach der rechten Seite verworfen und von einem
Rudimente der häutigen Nase überkleidet; von diesem verläuft nach oben und
rechts ein narbenähnlicher Streifen, an welchem ein paar abgerissene kleine
Fädchen hängen. Weiter aufwärts, auf dem rechten Stirnbein, sieht man
einen kreisrunden Knochendefect, der von einer Hernia cerebri ausgefüllt wird.**
') Vermutblich üeberreste amniotischer Adhäsionen
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270 Dr. R. Morian,
18. Remacly, De fissara genae congenita. Inang.-Diss. Bonn 1864.
3 Tage altes Kind mit Hydrencephalocele ocoipitalis. ^Fissura — juita sini-
sirum dentem caninum per maxillae superioris processum alveolarem porrigitur
in genae cute profundum hiatam gignit et interiorem palpebram versus in
furcae formam desinit. — In media fissnra os inoisivnm. processus alveolaris
maxillaeque superioris ossis lamina palatina, palatina cute detracta apparent.
In ipsa fissura nodus jacet, germen continens dentis, magnitiidine fabae aequus
pinguisque, caius ossens canlis cum maxilla snperiore cohaeret. Post eum
in gena foramen cernilur; cutis enim tumor pontis formam referens (brücken-
förmiger Hautwulst) os palatinum versus extenditur, cumque eo coalescit. Post
et supra bunc pontem pars posterior jacet processus alveolaris maxillae supe-
rioris germina dentium molarium continens hoc ipso ponte ab oris cavo
seiunctum. Os zygomaticum una cum posteriore parte maxillae superioris a
nodo supra laudato extrinsecus jacet, in profundis faucibus tubarum aper-
turae late hiantes apparent. — Ne dextra quidem maxilla superior normaliter
formata est; cuius anterior pars, quae cum osse incisivo coaluit, nibil con-
tinet nisi germina duorum dentium incisivorum I et II; tum sequitur labii
crassi cum palato concretio coni non pontis formam referens et post hanc
demum oonus una cum germinibus posteriorum dentium molarium. "^
lt. Fei V et. Gaz. de Paris. No. 28. 1864. 22jähriger Mann, körper-
lich, wie geistig mangelhaft entwickelt. Rechtsseitige schräge Gesichts-,
linksseitige quere Wangenspalte. „Une fissure verticale s'etend de Poeil a la
beuche, cette fissure est superficielle; eile est cependant netteroent tranchee.
Inferieurement eile tombe sur la levre superieure au niveau de Tespace, qui
separe Tincisive externe de Tinterne. En ce point la levre est relevee, grosse
et presente une echancrure sur son bord libre. ** Der unbedeckte Theil der
Conjunctiva bulbi ist geröthet, stark vascularisirt. ^La fissure divise la pau-
piere inf^rieure. ä la paupi^re superieure. deux ^chanornres en forme de V se
remarquent. — La narine est ouverte largement et tir^e en Ivaut par sa partie
posterieure. Le nez est d^vie ä droite. Au dessous de Toeil la joue presente
une notable depression, comme un enfoncement du sinus maxillaire, de sorte,
que les parois se sont presque adossees. II en resulte encore que Toeil droit
est attirö en bas. — La division n'est par restöe bornee ä la face . eile a
port^ son action plus profondement encore. En faisant ouvrir la boucbe au
malade, on voit la luette rejetee du cote droit et separee par une large
echancrure du pilier gauche. sur lequel un petit tubercule semble otre le vestige
d^une portion de luette laissee par la division. La voüte palatine est saine et
la division n'a porte que sur la portion molle." — Thrän enträufeln und
näselnde Sprache waren die Hauptbeschwerden dieses Patienten.
X#, J. Frän<;;ois Bidalot. These de Strasbourg 1867. Observations
de Varietes rares de bec-de-lievre. 18 monatlicher Knabe mit linksseitiger
Lippenspalte; pag. 9 ^ cette division (de la lövre gauche) au lieu de s'arreter
ä la hauteur des narines, se prolongeait sous forme de silion cicatriciei le long
du bord du nez et aboutissait ä Pangle interne de Toeil, ou eile se terminait
en marquant une faible division congenitale de lapaupi^re superieure (pag. 3
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Ueber die schräge Gesichtsspalte. 271
beisst es infe'rieure) eo debors du point lacrymal." Genauer fixirt B. den Ort
des Narbenstreifs pag. 3 als ^une depression entre les muscles elevateur
commun de Paile du nez et de la l^vre , et ^l^?ateur propre de l^vre^ und
sagt pag. 9: „la paupi^re subit un arret de d^Feloppemenf, indem er seinen
MicheI-Bidalot*schen Fall mit dem Fergusson'schen in Parallele stellt,
welcher im Unterlid einen Defect hat. demnach därfte pag. 9 „la paupiere
supörieure" ein Lapsus calami sein, statt richtiger „inferieure^.
21. W. Ross, A curious monster which lived for some time after birth.
(Transactions of the Obstelrical Society of London. Vol. IX. 1868. Mit
2 Figuren.) «The monster shown in the drawing, which was made sixteen
days after birth, was born on the 14th June, 1866. The parents were per-
fectly healthy, half-cast Africans. Owing to a great deficiency of osseous
material, there was considerable arrest of developement of the temporal, pa-
rietal and superior maxillary bonos; and in consequence, a very small amount
of cerebral substance could be protected by the membranous expansion of the
cranial centres; and there was evidence of effusion of serum in well-marked
Pouches , presenting a knobbed outline. The lower jaw and os frontis were
both perfect. Tbe ears well developed, and the tongue strong and active.
There was however no roof to the mouth, and, of course, no floor to the nose.
The nostrils were quite imperforate. The eyes curiously free from eyelids,
or lashes, or brows. The humours of the eye, by the contractile force of
muscles external to the globe. were squeezed forward, until the Cornea threa-
tened to slough, and assumed the shape and colour of a carbuncle. Tbe upper
lip was split through the fossa to form the right harelip, and there was a
double harelip on the left side. The septum was plainly visible when the
mouth was looked at sideways; and the tongue could be easily watched in
all its movements, owing to the absence of the upper jaw. The child swallo-
wed from a spoon. and appeared to hear, but seemed to have no sense of
sight. All the exposed mucous surfaces were of a brilliant carmine tint. The
upper and lower extremities were also deformed. — The child died shortly
after the skelch was taken. **
22. Hedenius, Upsala Läkareför. Förh. Bd. 4. p.459. NachVirchow-
Hirsoh. Jahresbericht 1869. L 176. 33 Wochen alter weiblicher Fötus.
Ausser einem bedeutenden Hydrocephalus internus mit entsprechenden Ver-
änderungen des Craniums, fand man die Nase defect, die Nasenbeine ziem-
lich wohl entwickelt, den mittleren Theil des Gesichtes flach, doch nicht ge-
spalten, sondern mit der Haut bekleidet, die gegen den Mund hinab Rudimente
von zwei flachen Nasenflügeln ohne äussere Nasenöfi'nungen zeigte; der
Zwischenkiefer fehlt, und die von dem oberen Kiemenbogen ausgehenden
Oberkiefer- und Gaumen fortsätze sind unvollständig entwickelt, der Mundhöhle
fehlt dergestalt das Dach, und sie fliesst mit der Nasenhöhle zusammen, die
Oberlippe fehlt ganz, so dass der Mund eine Oeffnung mit 4 Winkeln bildet,
nach oben von den Rudimenten der Nase und des Oberkiefers, nach unten
von dem Unterkiefer begrenzt. Cataract an beiden Augen. Ueberzähliger
Finger an jeder Hand.
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272 Dr. R. Morian,
28. J. Talko, Virchow's Arohiv. Bd. 52. p. 563. 1871. ,Miss-
geburt mäDDÜchen Geschlechtes , welche etwas mehr als 24 Standen lebte.
Ihre Länge betrug 12 Zoll, ihr Gewicht 2\ ^ Pfand. Rumpf und Extremitäten
hatten das regelmässige Verhältniss hinsichtlich ihrer Grösse. Der Kopf jedoch
war verhältnissmässig kleiner. — In der Gegend der Vereinigung der Hinter-
hauptsknochen mit den Scheitelbeinen bemerkte man eine Erhöhung, welche
sich in Form eines dreieckigen Wulstes von den Scheitelbeinen abhob. Die
Nase trennte sich von dem Stirnbein nicht durch die Nasenwarzel. Indem sie
mit einer Erhöhung vom Kopfe an beginnt, steht sie in ihrem ferneren Ver-
laufe immer mehr und mehr hervor, ist in der Mitte des Nasenrückens mit
einer Erhöhung, an ihrer Spitxe mit einer Vertiefung verseben. Die Nasen-
scheidewand ist etwa viermal breiter, als normal, Nasenlöcher sind nicht vor-
handen, die Nasenhöhle communicirt unmittelbar mit der Mundhöhle. Der
Oberkiefer ist zu beiden Seiten der Nase gespalten. Das Os maxillare (soll
heissen intermaxillare), welches eine Breite von 13 Mm. hat, ist mit dem
Vomer verwachsen. Die Spaltung des Oberkieferknochens bei gleichzeitiger
Spaltung der Wange reicht links bis zum untern linken Orbitairande (das
untere Augenlid ist nicht gespalten), rechts erreicht sie nicht das Auge, indem
sie in der Entfernung von 6 Mm. vom unteren Lide aufhört. Die Spalte ist
links länger, rechts breiter. Beide Augäpfel erscheinen ein wenig hervor-
getreten, jedoch auf den ersten Blick normal entwickelt. Die oberen Lider
fehlen an beiden Augen. Die Haut bildet hier eine kaum merkbare Falte.
Die unteren Lider sind gut entwickelt und scheinen ein wenig geschwollen zu
sein."* Rechts und links tauben eigrosse Ilirnbrüche, Defecte in beiden Orbital-
dächern. An Fingern und Zehen amniotische Bänder. T. sucht die Ursache
der Gesichtsspaltc in dem abnormen Verhalten der Schädelknochen.
24. H. C. L. Barkow, Beiträge zur pathologischen Entwickelungs-
geschichte, IV. Abtheilung. Breslau 1871. Barkow II: „Eine Encephaloceie
lobularis zeigte ein neugeborenes Kind. An der linken Gesichtshälfte fand
sich eine Hasenscharte, deren Verlängerung aufwärts bis zum inneren Augen-
winkel reichte. Der Mund war gross, die Zunge etwas vor die Lippen hervor
geschoben. Beide Nasenlöcher waren normal beschaffen. Das linke Auge
ragte weit aus der Augenhöhle hervor. Das linke Augenlid war schief nach
aussen und oben gezogen und mit der Stirnhaut, und diese mit dem Amnion
verwachsen. " Diesen wenigen Worten B.'s erlaube ich mir eine genauere Be-
schreibung des Gesichtes hinzuzufügen, da ich durch die Güte des Herrn
Prof. Ponfick in Breslau in den Stand gesetzt worden, dasselbe Präparat zu
untersuchen. — (S. Fig. 1 gegenüber und auf Tafel III. Fig. 1.) Abgeschnittener
Kopf mit hübsch ovalem Gesichte; der Schädel hat einen Fronte • Occipital-
umfang von 23,5 Ctm.; an ihm fehlen beide Scheitelbeine, und aus der
grossen Lücke zwischen Stirn- und Hinterhauptbein, rechter und linker Schläfe-
schuppe ist das Gehirn in zwei Gänseeigrossen Wülsten herausgetreten. Diese,
selbst gefurcht, sind nach unten zu rings herum durch eine tiefe Hautfnrche
abgesetzt; überkleidet sind sie in der Medianlinie in einem 3 Querfinger breiten
flachen Sattel und unterhalb der circulären Furche fingerbreit von behaarter
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Ueber die schräge Gesicbtsspalte.
273
Fig. 1.
Kopfhaut, auf der Höhe beider Höcker tbeils mit normalfarbiger, runzeliger,
kahler, theils mit perlmutterartig glänzender, glatter, dünner Haut. Wie eine
Fortsetzung von dor obersten Schicht dieser letzteren ist ein freies Band,
fingerdickbreit und fast fingerlang, perlmutterfarbig und fliesspapierdünn, von
einem zum anderen Höcker, gleich einem Diademe, quer über die bis zu den
Augenbrauen hinab behaarte Stirn gespannt. Der Ansatz dieser Membran,
auf den Wülsten flächenartig, wird abwärts linear und folgt beiderseits durch
die Schläfe einer Hautfurche, welche rechterseits in der Mitte zwischen Ohr
und Auge abwärts immer tiefer in die
rechte Wange einschneidet, bis sie in der
Höhe dos äusseren Gehörganges den so-
weit verbreiterten Mundwinkel erreicht.
Links kann man die Spuren der Membran
in einer Furche verfolgen, die schräg
durch die Schläfe hinab das Unterlid fast
* 2 Ctm. vom Canthus externus entfernt
kreuzend, in der ümschlagsfalte der Unter-
lidconjunctiva die schief gestellte Lid-
spalte durchzieht und nahe am unteren
Thränenpunkte endigt. Wo sie aufhört,
liegt das obere Ende einer Yj C^°^- brei-
ten Spalte, welche im Oberlippensaume
1 Ctm. vom Mundwinkel entfernt beginnt
und am inneren Augenwinkel in die Lid-
spalte übergeht. Der äussere Spaltrand
ist bis nahe an das Auge mit Lippenroth
umsäumt und aufwärts abgerundet, der
innere Rand verhält sich ähnlich, er ist
von der wohlgeformten Nase etwa V'jCtm.
entfernt, die Oberlippe ist niedrig, aber
breit. Das rechte Auge ist klein, die
Lider fast geschlossen, der linke Bulbus
ist vorgetrieben, von den Lidern nicht
bedeckt. Die linken Thränenpunkte stehen
über 1 Yj Ctm. auseinander, am Canthus
externus treffen die Lider stumpfwinkelig zusammen, der äussere Theil des
linken Unterlides steht dort, wo die Furche ihn kreuzt, so stark winkelig
zum inneren, dass man den Scheitel dieses Winkels für den Canthus externus
halten könnte. — Der linke Oberkiefer ist 1 Ctm. einwärts vom Foramen
infraorbitale durch eine vom Alreolarrande schräg nach hinten, aussen und
oben schneidende Spalte in 2 Stücke getheilt; diese Spalte, etwa 8 Mm.
breit und 1 ^j^ Ctm. lang, beschreibt einen nach innen und oben convexen
Bogen, an dessen oberem Ende die beiden Oberkiefertheile in einer schrägen
Naht zusammenstossen ; das innere von beiden beginnt in der Orbita leisten-
artig schmal und füllt, von der unteren Muschel nach innen überragt,
Bar k o w 's Pripant des path.-anat. Institutes
XU Breslau, halbsohematisch. • Thrloenbeiu,
b Tlurtnencanal, d Tereinigter linker Zwi-
sctieDkieferknochen , e Oberkiefer, c Naht
zwischen d und e , f Foramen infraorbitnle,
g erster, innerer, h aweiter, inssererSchneide-
xahn, i und k Ifolanähne, I und m media-
ler und lateraler Schneidesahn, n Nasenbein,
o Stirnbein.
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2T4 Dr. R. Morian,
theilweise die breite durchgebende Kiefergaumenspalte aus. Nach vorn ver-
breitert sich das Innenstück und bildet mit dem anstossenden Thränenbeine
einen durchgängigen Canalis lacrymalis, steht nach oben mit dem Stirn-, nach
vorn mit dem Nasenbeine in Nahtverbindung und liefert aussen und unten die
knöcherne Umrandung der Apertura pyriformis. In seinem normal geformten
Alveolartheile trägt er zwei correct gestellte Schneidezähne. Der Canalis
incisivus sin. ist nach hinten offen; von ihm aus zieht beiderseits nach der
Hinterwand der zweiten Schneidezahnalveole eine deutliche Naht (Sutura
incisiva): ihre Anwesenheit hat bei der Annahme, der ich mich zuneige,
dass das innere Oberkieferstück aus den beiden linksseitigen Zwischenkiefern
zusammengesetzt ist, etwas Bemerkenswerthes. Der äussere Abschnitt des
linken Oberkiefers steht etwas zu weit nach unten und hinten; sein Alveolar-
fortsatz ist gut gebildet, enthält 2 Molares und in seinem aufwärts gebogenen
Ende zwei, nach ihrer zugespitzt pyramidalen Form zweifellos
als solche zu erkennende Eckzähne. Der Processus palatinus dieses
Stückes besteht in einem eben angedeuteten Knochenßrste. Das Velum ist
median gespalten. Der rechte Oberkiefer enthält regulär seine 5 Milchzähne.
— Das linke Ohrläppchen ist abnorm zusammengefaltet, die Ohrmuscheln
sonst normal.
25. Hasselmann, Langenbeck's Archiv. XVI. p. 681. 1874. Im
Uebrigen wohlgebildetes, lebenskräftiges Mädchen. „Die linke Gesichtshälfte
wurde von einer schrägen Spalte durchzogen, welche ungefähr von der Mitte
der linken Hälfte der Oberlippe beginnend, sich neben der Nase durch die
Weichtheile der Wange bis zum inneren Augenwinkel erstreckte, und dann
an der Grenze des äusseren Dritttheils vom oberen Augenlid wieder anfangend,
schräg durch die Augenbraue und Schläfe bis zur Grenze des Haupthaares
verlief. — Die Nasalseiie der Oberlippe war hinauf und der dem oberen Lide
gehörende Theil des inneren Augenwinkels nach abwärts gezerrt, weiter der
Rand des medianen Theils vom oberen Augenlid nach aufwärts verzogen, so
dass die normalen Winkel in eine rundlich schräge Linie umgebildet waren.
Auch war der untere Theil der Nase nach rechts hin gewichen. Noch auf-
fälliger war die Verzerrung am äusseren Spaltrand. Der abgetrennte äussere
Theil der Oberlippe mit dem dazu gehörenden Wangentheil war gewulstet
und mit dem unteren Augenlid nach aussen und unten verzogen, nur der
durch einen Stützpunkt befestigte äussere Augenwinkel hatte seine normale
Lage, während wieder der äussere Theil des oberen Augenlids bogenförmig
nach oben und aussen verzogen war. Der äussere abgetrennte Theil der
Augenbraue war so verdreht, dass er mit dem medianen Theile derselben einen
rechten Winkel bildete. Mitten in dieser Spalte lag das anscheinend wohl-
gebildete Auge, welches, da es schon durch Entzündung getrübt war, keine
genaue Untersuchung mehr zuliess; dasselbe war umgeben von wulstig ge-
schwellter Conjunctiva. — Im Wesentlichen beschränkte sich die Spaltbildung
auf die Weichtheile, doch war der Processus alveolaris (zwischen 2 Schneide-
zähnen) der Spalte der Weichtheile entsprechend eingekerbt, und die Wölbung
des Gaumens derart unregelmässig, dass der Scheitel der Wölbung von dem
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üeber die schräge Gesichtsspalte. 275
Ende des Spalts anfangend, links neben der Mittellinie verlief, sich nach hinten
derselben immer mehr nähernd. Es war also ein schiefes Spitzgewölbe, und
die Spitze des Gewölbes schloss sich an die Spalte an, ohne eine eigentliche
Narbe erkennen zu lassen. Der obere Theii der Spaltbildung liess ebenfalls
eine Spalte im Knochen entdecken, und zwar so, dass der knöcherne Augen-
brauenbogen wirklich eingekerbt erschien, während die Spalte weiter nach
der Schläfe hin nur eine leichte Depression im Knochen darstellte. Uebrigens
schien der Knochen dort auch im Allgemeinen im Wachsthum zurückgeblieben
zu sein , da die Wölbung der linken Stirnschläfegegend wesentlich flacher er-
schien, als die der rechten.**
26. P. Kraske, ZurCasuistik der retardirten intrauterinen Verschmelzung
von Gesichtsspalten. Langenbeck's Archiv. XX. p. 396. 1877. ,,Emilie
Dittmar, 13 Jahre alt. ist ein im Uebrigen wohlgebildetes Mädchen, ziemlich
gross, leidlich genährt, gesund aussehend. Sie macht einen sehr verständigen
Eindruck; ihre Antworten zeugen sogar von sehr gut entwickelten intellec-
tuellen Fähigkeiten. — Die rechte Augenlidspalte steht schief, der innere
Augenwinkel beiräohtlich tiefer, als der äussere. Am unteren Augenlide fällt
sofort ein keilförmiger Defect auf. dessen Basis dem freien Lidrande ent-
sprechend , etwa an der Grenze zwischen äusserem und mittlerem Drittel be-
ginnt und bis an die Papilla lacrymalis reicht, auf welcher der Thränenpunkt
deutlich zu erkennen ist. Der äussere Rand der keilförmigen Spalte ist etwa
doppelt so gross, als der innere, die Spitze, welche etwas abgerundet ist,
mithin beträchtlich nach innen gerichtet. Seine Höhe ist nicht bedeutend,
immerhin aber so gross , dass ein vollständiger Schluss des Auges nicht mög-
lich ist; es bleibt ein schmaler Spalt, durch den die weisse Sklera durch-
schimmert. In der Ausdehnung der Basis dos Spaltes fehlen die Cilien voll-
ständig. An dem Bulbus findet sich keinerlei Abnormität; die Conjunctiva
schlägt sich in gewöhnlicher Weise auf das untere Lid um und geht frei bis
zu den narbigen Begrenzungen der Lidspalte. Der untere Orbitahrand ist
vollständig als ein ununterbrochener Saom abzutasten. Der normale Abflnss
der Thränenflüssigkeit ist nicht gestört; nur beim Aufenthalt im Winde soll
das rechte Auge etwas mehr thränen, als das linke. — Von der Spitze dieses
Defecles nun zieht sich senkrecht nach unten, dicht am rechten Nasenflügel
vorbei, ein weisser Narbenstreif, welcher in einer kleinen, sogleich zu be-
schreibenden Lippenspalte endet. Dieser Streif ist oben in etwa der Hälfte
seiner Ausdehnung stark wulstig, während er nach unten als feine weisse
Linie erscheint und nur bei genauem Zusehen bemerkbar ist. Er lässt sich
über dem Knochen verschieben, an welch' letzterem man entsprechend der
Narbe und also ebenfalls vertical verlaufend, oben eine Leiste, unten eine
rinnenförmige Vertiefung fühlen kann. Die erwähnte Lippenspalte besteht in
einer leichten Einkerbung, die genau bis an die Grenze des rothen Lippen-
Baumes reicht. Der nach aussen von der Spalte liegende Theil der Oberlippe
ist dick und stark wulstig. Der rechte Nasenflügel erscheint etwas platt ge-
drückt. Das rechte Nasenloch ist weniger hoch und breiter, als das linke.
— Genau entsprechend der Spalte befindet sich an der Innern Seite der Ober-
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276 Dr. R. Moriao,
lippe ein abnormes Frenalom, etwas kleiner, als das normale mediane. Dicht
am Ansätze dieses Bändchens, an seiner äusseren Seite and an der Stelle, wo
die Scbleimhant von der Lippe auf den Alveolarfortsatz des Oberkiefers sich
umschlägt, ist eine feine Oeffnung sichtbar, aus welcher sich bei Druck von
aussen eine klebrige, gelbliche Flüssigkeit in spärlicher Menge entleert. Diese
Oeffnung führt io einen engen Canal, welchen man mit feiner Sonde senkrecht
nach oben, hart am Knochen hingehend, ^^j^ Ctm. weit verfolgen kann. Das
Secret, welches aus dieser Fistel entleert wird, besteht zum überwiegenden
Theile aus Eiterkörperchen ; daneben finden sich in beträchtlicher Anzahl
Plattenepithelien, theils unverändert mit schönen grossen Kernen, theils mehr
oder weniger hochgradig fettig metamorphosirt. Die Secretion an der be-
zeichneten Stelle soll abwechselnd stärker und schwächer schon so lange be-
stehen, als die Patientin sich erinnert. — Am Oberkiefer fallen folgende Ab-
normitäten auf: Der Alveolarbogen zeigt nicht seine normale regelmässige
Krümmung, sondern ist vor dem rechten Eckzahne wie eingeknickt. Der
rechte Oberkiefer erscheint etwas nach innen gerückt, die Fortsetzung der
Curve seines Limbus alveolaris würde hinter den Zwischenkiefer fallen. Ent-
sprechend dieser Einwärtsstellung des Oberkiefers ist auch vorne die Grenze
zwischen ihm und dem Zwischenkiefer durch eine senkrechte Furche deutlich
markirt, ausserdem ist der harte Gaumen rechts schmaler, als auf der anderen
Seite. Am Zwischenkiefer findet sich ausser seinen 4 Schneidezähnen, deren
äusserer rechter mit seiner labialen Fläche um 45 ^ nach aussen gedreht ist,
rechts ein überzähliger, kleiner, zapfenförmiger Zahn, der etwas nach vorne
steht und den Eckzahn des Oberkiefers zu einem Theile deckt. — Die Lippen-
spalte wurde operirt mit Bildung zweier kleiner Zipfel und Exstirpation des
Theiles des rothen Lippensaumes, welcher an der tiefsten Stelle der Ein-
kerbung lag und wegen seiner Schmalheit zur Plastik nicht verwendbar war.**
27. Gh. Fr. Fritz sehe, Beiträge zur Statistik und Behandlung der
angeborenen Missbildungen des Gesichtes. Zürich 1878. „Männliches, abge-
sehen von den zu beschreibenden Abnormitäten gut entwickeltes Kind von
normaler Grösse. Rechts ein hochgradiger Klumpfuss. Der missgestaltete,
auffallend niedrige Kopf steht auf sehr kurzem, dickem Hals, wodurch er
gleichsam zwischen die Schultern hineingedrängt erscheint. Gleich über den
Schultern stehen die Ohrmuscheln, deren abnorm tiefer Stand in die Augen
springt. Das rechte Ohr steht tiefer als das linke. Beide Ohrmuscheln sind
in verschiedener Weise durch abnorme Krümmungen entstellt. Tragus beider-
seits verkümmert, nur angedeutet. Keinerlei Auricularanhänge. Das Schädel-
dach fehlt , mit Ausnahme einiger Rudimente von Hinterhaupt- und Scheitel-
bein. An seiner Stelle sitzen drei Blasen verschiedener Grösse, von denen
eine vorn in der Mitte , die beiden andern hinten neben einander liegen. Die
vordere , Kleinfatistgrosse Blase erhebt sich unmittelbar oberhalb der Nasen-
wurzel und ist von den hintern durch eine tief einschneidende Furche getrennt.
— An der vorderen Blase findet sich vorn and links ein häutiges Anhängsel,
das als breite Membran aufsitzt, sich dann rasch verdünnt und in zwei ab-
gerissenen, dünnen Zipfeln endigt. Dieses Band ging zur Placenta, stellte
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lieber die schräge Gesichtsspalte. 277
ein sogenanntes amniotisches Band dar und kann als solches zur Erklärung
für das Zustandekommen der ganzen Missbildung herbeigezogen werden. —
Die Basis der vorderen Blase geht vorn mit scharfer Grenze der äusseren Haut
etwas rechts von der Mittellinie in die breite, flache Nasenwurzel über. Von
dieser ?erläuft der ebenfalls sehr breite Nasenröcken etwas nach rechts, aber
namentlich nach vorn, wo er in einer stumpfen rundlichen Spitze endigt. —
An der Nasenspitze, von derselben durch eine flache Delle getrennt, hängt der
grosse Zwischenkiefer, von einem reichlichen Hautläppchen bedeckt. Der
Zwischenkiefer steht aber nicht in der Mitte, sondern nach links und vorwärts,
sein linker Rand prominirt stärker, als sein rechter. — Die Spalten der Ober-
lippe zeigen auf beiden Seiten einen etwas verschiedenen Verlauf. Links ist
das Nasenloch rings geschlossen. Der Nasenflügel ist mit dem Zwischenkiefer-
läppcben verwachsen. Unmittelbar ausserhaib des Nasenflügels, ca. 1 Linie
nach aussen vom Nasenloch, endigt die Oberlippenspalte. Dann kommt eine
schmale Hautverbindung zwischen oberem Theil des Nasenflügels und der
Wange, und oberhalb dieser Hautbrücke beginnt dann sofort eine mit Schleim-
haut ausgekleidete Furche, die nach oben in der Conjunctiva des linken Auges
auslauft. Die Lippenspalte rechts zeigt andere Verhältnisse. Das Nasenloch
ist hier nicht ringsum geschlossen, sondern die Spalte geht ins Nasenloch.
Der Nasenflügel jedoch ist kaum zu erkennen. Von der stumpfen Nasenspitze
verläuft derselbe, straff ausgespannt, steil schief nach oben und trifft im Winkel
der Spalte mit dem äusseren Spaltrande, d. h. dem Oberlippentbeil, zusammen.
Da man nirgends am inneren Spaltrand eine Unebenheit wahrnimmt, die etwa
dem Ende des Nasenflügels entspräche, so bleibi ungewiss, ob wir es mit einer
einfachen oder durchgehenden Hasenscharte zu thun haben, oder ob sich eine
solche mit einer partiellen, verticalen Wangenspalte combinirt hat. Für
letzteres spricht die colossale Verziehung nach oben und das Entgegenkommen
einer Furche vom inneren Augenwinkel her. Die Lippenspalte ist auch hier
durch eine Hautbrücke abgeschlossen, die von der Wange zum Nasenrücken
zieht, und oberhalb welcher die Furche zum inneren Augenwinkel beginnt.
Beide Augen fehlen. Die Bulbi sind weder sichtbar, noch an irgend einer
Stelle durchzufühlen. Dagegen sind die Lider vorhanden. Was zunächst die
rechtsseitigen betrifft, so nehmen sie ziemlich die normale Stelle ein. Jedoch
steht der äussere Lidwinkel bedeutend höher, als der innere und ist nament-
lich weit nach rückwärts verzogen. Das untere Lid ist ganz nahe dem inneren
Winkel gespalten. In diese Spalte setzt sich die Conjunctiva fort. Auch im
oberen Lide besteht eine Einkerbung, hier aber im äusseren Theile derselben.
Die Richtung derselben ist so, dass sie mit der Spalte im unteren Lid und
mit der Lippenspalte in einer Linie liegt. Die Lider des linken Auges zeigen
sich in einer eigenthümlichen Verziehung, wie sie sehr ähnlich in dem typischen
Fall von Hasselmann sich offenbarte. Von der oben genannten Hauibrücke
zwischen linkem Nasenflügel und Wange an verläuft die Oberhautgrenze in
drei scharf begrenzten Bogen schräg nach oben und aussen. Oberhalb der-
selben findet sich in einige kleine Längsfalten gelegt, die Conjunctiva, welche
nach oben allmälig in die zarte Bedeckung der vorderen Blase übergeht. Die
«. LftDf «nbeek, ArohW f. Ohlnarfi«. XXXV. 9. 19
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278 Dr. R. Morian,
genannte, in drei Bogen verlaufende Hautgrenze, entspricht offenbar den in
eine Richtung verzogenen Augenlidern. Namentlich der äussere Bogen docu-
roentirt sich deutlich als Augenlid durch die daselbst vorhandenen Wimpren.
— Totale Spaltung des harten und weichen Gaumens beiderseits.
28. Ahlfeld. Die Missbildungen des Menschen. Leipzig 1882, erwähnt
ohne nähere Beschreibung, doch mit Abbildung II. Th. p. 152: „Präparat
des pathologisch-anatomischen Institutes in Leipzig. Missbildungen No. 1 12.
An Stelle der Nase, der Augen und des Mundes eine grosse offene Höhle, in
deren Grunde die Zunge normal gelegen ist. Unterkiefer intact. Abbildung:
Atlas, Tafel XXIV. Fig. 2.-
29. Ahlfeld, 1. c. II. Th. p. 153: „Präparat der Sammlung des pa-
thologisch-anatomischen Institutes in Tübingen. Doppelte Gesichtsspalte. Die
linke Spalte ist nur unvollkommen und stellt sich als scheinbar vernarbt dar.
Abbildung: Atlas, Tafel XXIV, Fig. 11.«
%%. Morianl., Verhandl. des XV. deutschen Ghirargen-Congresses. 1886.
Kinderschädel aus der patbol. Sammlung der v. Bergmann 'sehen Klinik; kli-
nische Notizen fehlen. Fronto-occipitalamfang ca. 31 Ctm. Von vorn besehen,
ist der Oberkieferbogen durch 2 Spalten in 3 Stücke getheilt. Diese Spalten
beginnen jederseits am Alveolarrande, an der für die gewöhnliche Kiefergaumen-
Fig. 2 A. Ansicht des Präparates- von vorne.
Coneha inf. sin.
iker Oberkl«fcr
mit Schneide-
tnhnnWeol«.
rechte Unke Q ? rechter ünker
Spalte. s 2. Zwischenkiefer.
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lieber die schräge Gesichtsspalte. 279
Pip. 2 B. Ansicht d^s Präparates von der Gaumenseite.
Sutura mrdfana.
Satura int4
angedeut
Procesttus
des recht
kiefers.
Horizont.
l»einpUt
spalte typischen Stelle, sie laufen jedoch nicht, wie jene, nach oben in die
Apertara pyriformis aus. sondern auswärts an ihr vorüber zum inneren« Winkel
des Infraorbitalrandes, links breit bis in die Orbita hinein, rechts schmal bis in
die^Nähe derselben. Das von den Spalten eingeschlossene Mittelstück prominirt
vor den Seitentheilen, steht höher als diese und ist nach rechts verdreht; es
unterscheidet sich von dem Bürzel einer gewöhnlichen Kieferspalte dadurch
wesentlich, dass es eine allseitig knöchern umrandete Apertura pyriformis trägt.
Circa 1 Ctm. rückwärts von der hinteren Wand der Schneidezahnalveolen ist
der Bürzel durch eine Naht mit dem Vomer verbunden, das Foramen incisivum
fehlt, doch ist dicht hinter dem Alveolarrande, besonders rechts eine Rinne,
die man für die eine Hälfte desselben nehmen könnte. Eine mediane Längs-
nabt theilt das Mittelstück in 2 Theile, von denen jeder noch einmal längs-
getheilt wird durch eine symmetrisch gelegene Naht zur Hinterwand der me-
dialen Schneidezahnalveole. Der ganze rechte Tlieil ist nach aussen mit dem
Processus frontalis des rechten Oberkiefers, nach oben mit dem Stirnbein und
Nasenbeine durch Naht verbunden, links erreicht der Nasenfortsatz des
Zwischenkiefers, eine schmale Knochenspange, welche die Apert. pyrif. um-
randet, weder das Stirnbein, noch den rudimentären Oberkiefer, sondern steht
nur mit dem linken Nasenbein und der unteren Muschel in Berührung. Der
linke Oberkiefer hat keinen Stirn fortsatz, sein Körper ist ausserordentlich
niedrig und spitzt sich einwärts keilförmig zu. in der Tiefe der Orbita steht
er mit der Lamina papyracea des Siebbeines in Nahtverbindung. Der Canalis
infraorbitalis ist vorhanden. Das Thränenbein fehlt — Von unten gesehen,
zieht sich die ca. 2 Mm. breite rechtsseitige Spalte spitz zulaufend vom
Alveolarrande 1 Ctm. weit nach hinten bis kui*z hinter die Zwischenkiefer-
Vomernaht, links ist sie 5 Mal breiter und endigt ca. 1 Ctm. hinter der ge-
nannten Naht. In den Seitentheilen der Oberkiefer sitzen je 4 Zähne, worunter
je ein Schneidezahn auswärts von der Spalte; das Mittelstück trägt 4 Schneide-
zähne, von denen einer links von der Sutura mediana steht, während rechts
3 grosse Schneidezähne dachziegelartig übereinander greifen, um auf dem
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280 Dr. R. Morian,
engen Raame Platz zu finden. Es liegt also zum ersten Male ein menschliches
Milcbgebiss vor. bei dem 4 Schneidezähne gleichzeitig in einem Oberkiefer
angelegt sind, und'^war 3 davon im Zwischenkiefer, einer im Oberkiefer selbst.
31« Morian 11., Präparat der Breslauer anatomischen Sammlung. (Siehe
Fig. 2 auf der Tafel.) 48 Ctm. langer Knabe mit linksseitiger schräger Oe-
Sichtsspalte, rechtsseitiger Hasenscharte und Hydrencephalocele frontoparietalis
dextra. Der Fronte- occipitalumfang beträgt 53 Ctm. Die grosse Fontanelle
setzt sich als 2 fingerbreite und tiefe Rinne in's rechte Stirnbein bis ''/j Ctm.
über den oberen Orbitalrand fort, die Kopfschwarte ist in dieselbe jetzt ein-
gesunken. — Rechterseits ist eine ^2 Otm. breite Lippenspalte mit Einkniff
am Alveolarrande vorhanden, welcher letztere durch Weichtheile in Gestalt
eines von der Oberlippe zum Philtrum ausgespannten Bändchens aasgefallt
ist. Links beginnt die schräge Gesichtsspalte in der Oberlippe ebenfalls wie
eine Hasenscharte und klafft 2 Ctm. breit, sie geht zunächst in's linke Nasen-
loch, weiter um den Nasenflägel herum durch den an die 2^.2 Ctm. klaffenden
Canthus internus zur Lidspnlte. Der wohlentwickelte Nasenflügel ist nach
aufwärts verzogen und berührt fast den inneren Rand des linken Oberlids.
Die Oberlippe ist am äusseren Spaltrande nach innen aufwärts abgerundet,
ihr freier Rand ist mit Lippenroth umsäumt und endigt am inneren Ende des
Unterlides. Die Begrenzung der Spalte nach obenhin bildet der Baibus mit
dem Orbitalinhalte, die Bindehaut geht nach unten in die Mund-, nach innen
in die Nasenschleimhaut, speciell die der unteren Muschel über. Der etwa
2 Ctm. lange Oberlidrand steht normal, das stark 1 Ctm. lange Unterlid ist
herabgezogen, so dass die beiden Thränenpunkte 2V2 Ctm. von einander ent-
fernt sind. Kiefer und harter Gaumen ist auf der linken Seite, weicher Gaumen
nebst Uvula median gespalten. Die linke untere Muschel liegt frei. Links ragt
ein accessorisches Zahnsäckchen von innen her in die Spalte hinein, eine Alveole
ist neben der für den medialen Schneidezahn nicht vorgesehen. Nach Ab-
hebung der Weichtheile sammt Periost hat man. von unten besehen, den An-
blick eines durchgehenden Kiefergaumenspalts links, rechts eines bis zu dem
vorhandenen Foramen incisivum reichenden Kieferspaltes mit Prominenz des
Mittelstückes. Beiderseits geht die Spalte zwischen zwei Schneidezähnen (links
auch nach Wegnahme des erwähnten überzähligen Zahnsäckohens) durch. Das
Mittelstück besteht aus 2 Theilen, welche durch eine mediane Naht anter sich,
durch eine hintere quere, hinter dem Foramen incisivum mit dem Vomer,
rechts durch eine, welche die Fortsetzung des Alveolarbogenspaltes bildet, mit
dem rechten Oberkiefer verbunden sind. Der Stirn fortsatz des letzteren ist rudi-
mentär, der ca. '/^ Ctm. breite Raam zwischen ihm und dem Processus naaalis
ossis frontis dextri ist durch eine knorpelartige Membran ausgefüllt. Die durch
eine breite Naht verbundenen Nasenbeine stehen abwärts etwas auseinander.
Links ist am Alveolarbogen der Spalt fast 2 Ctm. breit, einwärts yon ihm
der linke Theil des Mittelstackes ohne erkennbaren Canalis incisivus. Die
linke Orbitalhöhle ist geräumiger als die rechte, ihr Boden steht um V2 Otm.
tiefer und noch mehr hinter jener zurück, sodass der ganze Baibus untenber
nur von Weich theilen bedeckt ist, den Abschlass bildet an Stelle des fehlen-
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üeber die schräge Gesichtsspalte. 281
den OrbitÄlbodens eine straffer gewebte, mit der Periorbita zusammenhängende
Membran. Der mangelhafte untere Orbitalrand und -boden wird durch vier
Knochenstücke hergestellt: zu äusserst von dem Os zygomaticum sin., wel-
ches sich nach oben in lockerer Naht mit dem Stirnbeine verbindet, in der
Mitte vom Oberkiefer, der vorwärts concavrandig ist, dann folgt ein kurzes
Schaltstück, welches nach vorn innen die untere Muschel trägt, zuletzt von
einem , vielleicht dem Thränenbeine entsprechenden rhombischen Knochen-
plättchen, welches die obere Muschel trägt und mit der unteren, mit der
Lamina papyracea des Siebbeins, mit dem Stirn- und Nasenbeine in Verbin-
dung tritt. Dieses, weiter unterhalb die untere Muschel (im Ganzen sind
jederseits 2 Muscheln sichtbar) bilden zur Orbita hin den inneren, der schmale,
aufwärts gerichtete Gaumen fortsatz, später der Alveolarbogen des Oberkiefers
den äusseren Rand der Knochenspalte, wobei zu bemerken ist, dass von der
vordersten Ecke des Kieferbogens ein kaum linsengrosses Knochenstückchen
durch Naht erkennbar abgesetzt ist, das die hintere Alveolen wand des äusseren
Schneidezahnes bilden hilft. Ausser dem letzteren sitzen im Oberkiefer jeder-
seits noch derCaninusund 2 Molares. Das Foramen infraorbitale sin. liegt aus-
wärts von der Spalte. Von dem Canalis lacrymalis sin. ist nichts zu entdecken.
32. Morian III. Präparat der Breslauer anatomischen Sammlung,
Siehe Figur 3 unten und auf der Tafel. Der 38 Ctm. lange weibliche Foetus
bat ausser 2 occipitalen Encephalocelen und einem haselnussgrossen blasigen
Anhange aus der Vulva eine rechtsseitige Lippenkiefergaumenspalte , links
seitige schräge Gesichtsspalte und mediane Unterkieferspalte. Nur den Kopf
will ich ausführlich beschreiben. Derselbe hat die Grösse einer Billardkugel,
Fig. 3.
c
a
b
/
Zange.
BMhU breit« Kieferepalte, links sohr&ge Oesichtospalte (anvollsUndig). a Proo. front. maxilUe
•iq». lin. b Die beiden vereinigten linken Zwischen kiefer. d Unvollständige schräge Gesichts-
•palt«. e Caninos sin. f, g Lateraler und medialer Incisor. c Linkes Nasenbein.
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282 Dr. R. Morian,
die kleine Fontanelle bildet eine rhombische Mulde, in die man die Finger-
kuppe bequem eindrücken kann; in ihrem Bereiche ist die Haut durch eine
weissliche, papierdünne Membran ersetzt,, welche reichlich gefältell, nach
allen Seiten frei die durch sie verschlossene Fontanelle überragt, hauptsäch-
lich aber in schief circulärer Linie, wie gleich näher beschrieben werden soll,
den Kopf umgiebt. Nach rechts setzt sich eine Duplicatur dieser Membran
horizontal um den Kopf herum bis dicht hinter die rechte Ohrmuschel fort.
Dann überbrückt sie in grossem Bogen das rechte mit 2 Auricularanhangen
versehene Ohr und die rechte Wange und gewinnt wieder Boden auf dem
Kamme einer schräg neben dem Kinn von rechts zur Unterlippen mitte auf-
steigenden Hautfalte. Von der kleinen Fontanelle nach links verläuft frei in
einer tiefen Hautfurche , die er ^ich anscheinend selbst gegraben , fast hori-
zontal, kaum 1 Ctm. über der linken Ohrmuschel, ein nahezu drehrunder
amniotischer Faden über die linke Temporalgegend durch das linke, schief
gestellte Oberlid schräg in die Lidspalte, er folgt der letzteren und setzt
seinen Weg in derselben Richtung durch den Canthus internus bis dahin fort,
wo die gleich zu beschreibende schräge Qesichtsspalte beginnt. Im Bereiche
der Lidspalte adhärirt der Faden wiederum linear und endigt membranös. Der
kleingebliebene Bulbus ist von der Membran ganz zugedeckt, letztere schickt
nach der Mitte des Oberlid randes einen freien schmalen Strang. Das Oberlid
selbst ist durch den amniotischen Faden in 2 ungleiche Theile getheilt, der
kleine äussere Theil . ein Zipfelchen , formirt mit dem Unterlide , das etwa
halb so gross ist, wie das ganze Oberlid, den normalen Canthus extemus.
Der Canthus internus ist nicht geschlossen, der untere Thränenpunkt steht
etwa 1 Ctm. auswärts und etwas zu weit abwärts vom oberen. — Rechter-
seits besteht Exophthalmus. — Links setzt sich die Lidspalte in einen Spalt
fort, welcher Fleisch und Knochen durchdringend, schräg durch die linke
Wange auswärts von der Nase und durch die Oberlippe ziehend, am Orte
einer typischen Hasenscharte den Mund erreicht. Beide Spaltränder sind mit
Lippenroth umsäumt, der linke äussere Oberlippenspaltrand abgerundet, nach
aufwärts verzerrt, adhärirt etwa 7 Mm. unterhalb des linken unteren Thränen-
punktes am Oberkiefer. Die Nase ist nach links verworfen, das linke Nasen-
loch ist normal gebildet, das rechte verbreitert, nach der Mundhöhle nur von
einem schmalen Weichtheilstrange überspannt. Wie die Nase, so ist auch das
knöcherne Mittelstück nach links verbogen, es prominirt vor dem Alveolar-
bogen und ist um eine sagittale Axe soweit gedreht, dass die beiden linken
Incisores mit der Schneide gerade nach aussen gerichtet sind, der dritte
Schneidezahn des Mittelstückes gehört dem rechten Zwischenkiefertheile an,
er steht nahezu richtig; nach auswärts von der rechtsseitigen Spalte sitzt —
um das gleich hier zu erledigen — ebenfalls ein Schneidezahn , wie denn,
mit Ausnahme des oben beschriebenen Querstranges, rechts eine typische
Lippenkiefergaumenspalte vorliegt. Einwärts von der linksseitigen Spalte
liegt ein den vereinigten beiden linken Zwischenkiefern entsprechender
Knochen, der nach Abhebung des Periostes nach hinten mit dem Vomer, nach
innen mit seinem rechten Partner, nach oben mit dem Nasenbein und kurz
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Ueber die sohräge Qesichtsspalte. 283
mit dem Stirnbein, naoh aussen mit dem Oberkieferstirnfortsatze überall
durch Nähte verbunden erscheint. Er bildet links die untere und seitliche
Umrandung der Apertura pyriformis. Weder das Thränenbein, noch der -Canal
ist deutlich zu erkennen. Auswärts von der Spalte liegt der linke Oberkiefer
mit dem Eckzahne und hinter diesem 2 Backzähne in dem ohne Bogen, grad-
linig und nach hinten verlaufenden kurzen Alveolarfortsatze. Die Spalte
misst am Alveolarrande kaum mehr als 2 Mm. und verschmälert sich rasch
nach hinten zu einer Furche, in welcher der schmale harte Gaumen mit dem
linkshin verbogenen Vomer sich vereinigt. Velam und Uvula sind wie ge-
wöhnlich median gespalten. Die Unterlippe trägt, wie erwähnt, in ihrem be-
weglichen Tbeiie eine Ifedianspalte.
SS. Morian IV. Präparat des pathologisch-anatomischen Institutes zu
Breslau (s. Fig. 4 unten und auf derTafel.) 31 Ctm. langer weiblicher Embryo
mit doppelseitiger schräger Gesichtsspalte. Hemicranie, Encephalocele und
beiderseitiger Backenfussstellung. Die Nabelschnur ist 22 Ctm. lang, der
Durchmesser der Placenta beträgt 12 Ctm. Der birnförmige Kopf von 18 Ctm.
starkem Fronto-occipitalumfang entbehrt des knöchernen Schädeldaches; dieses
ist dicht über der Nasenwurzel und den Ohrmuscheln wie horizontal abge-
tragen ; unter der behaarten Kopfhaut fühlt man den oberen Rand des niedrigen
Hinterhauptbeines nach innen umgeschlagen, die Stirnbeine sind über den
Augenhöhlen im Winkel naoh hinten ilacb gedrückt, das linke Seitenwand-
bein besitzt eine rudimentäre Grösse und rhombische Gestalt, das rechte
fehlt; an seiner Stelle ragt ein ca. 5 Ctm. langer, hühnereigrosser, glatt-
häutiger Beutel hervor. Aussen, an dessen Basis entspringt in einer flachen,
schräg in die Lidspalte laufenden Furche eine 4^2 Otm. breite, perlmutter-
glanzende, durchscheinende Membran; sie vereinigt sich mit einer dreimal
schmäleren gleichartigen, welche in fast gleicher Weise auf der linken Seite
entspringt, zu einem Segel, das, wie eine Hand so breit und lang, die Nabel-
schnur eine kurze Strecke einschneidet und sich schliesslich im Plantarüber-
zuge verliert. Der symmetrisch gelegene Ansatz beider Membranen geht
jederseits einige Millimeter einwärts vonl) Canthus externus durch das Oberlid
in die schiefgestellte Lidspaite und endigt rechts auf dem atrophischen Bulbus
an einer schwärzlich pigmentirten , stecknadelkopfgrossen Stelle, links kurz
unterhalb des stärker hervorgetriebenen, ebenfalls pigmentirten Bulbus im
Canthus internus. Das rechte Oberlid ist ectropionirt, die Thräaenpunkte
stehen beiderseits 8 Mm. weit auseinander. Ebenfalls symmetrisch in der
Flucht der abwärts convergirenden Lidspalten zieht eine Spalte vom inneren
Augenwinkel, fast ^ ^ ^^°^* ^^° ^^^ breiten, sonst gut geformten Nase ent-
fernt, durch die Wange und Oberlippe beinahe 1 Ctm. einwärts von den Mund-
winkeln zum Munde. Dieselbe ist nicht überall y, Ctm. breit und hat ab-
gerundete, streckenweit mit Lippenroth bekleidete Ränder; der mittlere, mit
der Nase vorspringende Theil der Oberlippe ist gut Yj Ctm. hoch. Der Ober-
kiefer ist jederseits V2 Cim. einwärts vom Foramen infraorbitale durch eine
am Alveolarrande Va ^^^- breite Spalte getheilt, welche rechts bis in die
Orbita, links bis in ihre Nähe reicht. Das Mittelstück springt 1 V2 Ctm. weit
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284
Dr. R. Morian.
über die Seitentheile vor und bildet nach oben in Nahtverbindung mit den
Stirn-. Thränen- und Nasenbeinen, das wohlgeformte Knochengrüst der Nase,
links mit dem Thränenbein zusammen den Canalis lacrymalis, welcher rechts
dagegen offen und nur in einer schwachen Rinne des Thränenbeins wieder-
zuerkennen ist. In dem kurzen Alveolarfortsatze stehen 4 nach vorn gerichtete
Schneidezähne. Nach hinten verbindet sich das Mittelstnck, wie der Bürzel
Fig. 4.
A.
Vorderantiebt.
mll ml tili gl sm 8l e ml mir
Rechte Seitenansicht. Linke fieitenansiciit.
8 Stirnbein, n Nasenbein, rt, It rechtes, linkes Thr&nenbein, k Thränencanal (linl^>)» ^ Foramen
infraorbitale, o Oberkiefer, t Zwischenkiefer, sro, sl, sIU medialer, lateraler, dritter Schneide-
xahn, e Eckiahn, ml, roll erster, sveiter Molarsahn.
einer doppelten Hasenscharte, hinter einem über Yj Ctm. breiten und noch
etwas längeren Stiel durch Quernaht mit dem ebenso breiten Vomer, und ist
selbst durch eine Mediannaht in 2 Hälften gespalten; von einer Sutura inci-
siva findet sich auf keiner Seite eine Spur. Der Canalis incisivus ist durch
2 Hohlrinnen ersetzt. Während das aufwärts verjüngte Ende des linken
Innenstückes mit dem Anssentheile des Oberkiefers durch eine Naht in Ver-
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üeber die schräge Gesiobtsspalte. 285
bindong steht, bleibt das rechte durch die ganze Breite der Spalte von seinem
zagehörigen Aussentheile getrennt, und die Verbindung wird nur durch das
Thränenbein vermittelt. Die beiden Seitentheile des Oberkiefers bestehen im
Wesentlichen aus dem niedrigen, aber breiten, fast gradlinig hinterwärts ver-
laufenden Alveolarfortsatze , links regulär mit Eckzahn und d(9n beiden Mo-
lares versehen , rechterseits ausserdem noch auswärts von der Spalte — also
sicher im Oberkieferknochen — mit einem Schneidezahne bestanden. Der
ProcessQS palatinos maxillae und der horizontalis des Gaumenbeines sind links
rudimentär, woraus dann links eine von der überragenden Muschel nahezu
ausgefällte totale Gaumenspalte resultirt, rechts haben sich dieselben besser
entwickelt, die Gaumenplatte erreicht jedoch erst um Y2 Gtm. hinter der
Vomer-Zwisohenkiefemaht den Vomer, daher bleibt eine vordere incomplete
Kieferspalte übrig. Das Velum ist wie gewöhnlich median gespalten.
84. Morian V. Intrauterin geheilte doppelte, schräge Gesichtsspalte.
(Siehe Fig« 5a und b auf der Tafel.) M. R., im 17. Lebensjahre, hat keine
früheren Erkrankungen zu verzeichnen, sie ist seit V^ Jahren menstruirt. Im
Februar d. J. wurde sie in der Augenklinik des Herrn Prof. Scheeler wegen
Strabismus divergens am linken Auge und an beiden Unterlidern wegen an-
geborenen Bildungsfehler operirt. Trotzdem sind bei dem mittelgrossen wohl-
genährten Mädchen noch deutliche Spuren jener Missbildung einer doppel-
seitigen , intrauterin fast völlig verheilten, schrägen Gesichtsspalte , zu be-
merken. Die Kopfbildung zeigt keine Besonderheiten, der Intellect ist hin-
reichend. Beide Lidspalten convergiren einwärts. Beide Oberlidränder tragen,
wohl 1 Mm. auswärts vom Thränenpunkte, einen kleinen Einkniff. Der linke
innere Lidwinkel entbehrt einer normalen Commissur, an ihrer Stelle befindet
sich eine ovale Ausbuchtung vom Umfange einer Linse, in welche die Con-
jnnctiva herabreicht, sodass die Thränenpunkte etwa Y^ Gtm. von einander
entfernt sind. Vom unteren Winkel dieser Ausbuchtung erstreckt sich eine
Narbe etwa 1 Ctm. weit über die linke Wange herab. Im Ganthus externus
•springt ein hanfkorngrosses Hautwülstchen in die Lidspalte ein. Links ist
der innere Lidwinkel ebenfalls nicht normal geschlossen, er klafft ca. 2 Mm.,
von ihm aus zieht eine strohhalmbreite, flache, im oberen Theile kaum an-
gedeutete Rinne in der Haut zwischen Nase und Wange herab um den Nasen-
flügel herum und durch die Oberlippe an der Stelle einer typischen Hasen-
scharte in den Mund hinein. Die Oberlippe ist verkürzt und in ihrem Fleische
ist anch nicht alles in Ordnung, denn einmal wird bei Bewegungen derselben
die Rinne deutlicher markirt, und dann findet sich an der Oberlippenschleim-
baut ein zweites und drittes Frenulum rechts und links von dem normalen.
Auf der linken Seite läuft im Alveolarbogen eine senkrechte Furche zwischen
Schneide- und Eckzahn herab; letzterer ist aus der Reihe gedrängt, im Uebrigen
ist das Gebiss normal und auch am Oberkiefer bis auf eine spitzbogige Form
des Alveolarrandes und Ganmengewölbes nichts auszusetzen. Ausserdem trägt
die Patientin Spuren amniotischer Strangulationen an Fingern und Zehen :
der II. und III. linke Finger sind im Mittelgliede, der linke IV. und V. in der
}Jagelpbalanx spontan amputirt, desgleichen hat der IV. rechte Finger seine
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286 Dr. R. Morian,
Kuppe eingebüsst. Trotzdem ist Patientin als Putzmacherin thätig. Am
rechten Pusse fehlt die grosse Zehe, an den drei folgenden finden sich im
Nagelgliede Ansätze zur Spontanamputation.
Nur mit Wahrscheinlichkeit können folgende beiden Fälle zu den schrägen
Gesiohisspaiten gerechnet werden:
K. Morian VI. Die 9jährige A. K. aus Sp. (siehe Fig. 6 auf der
Tafel) hat eine normale Kopfbildung und gewöhnliche Intelligenz. Ausser
beiderseitigen Auricularanbängen zeigt sich Fehlbildung am linken äusseren
Augen- und Mundwinkel; letzterer liegt 1 Ctm. zu weit nach aussen und er-
mangelt seiner normalen Gestalt und ordenilichen Lippenrothes. Die linke
äussere Lidcommissur klafft ca. 2 Mm. weit, zu ihr herein zieht sich band-
förmig ein perlmutterglänzendes Häutchen und endigt mit spiegelnder Narbe
im Limbus corneae. Von dieser Stelle wurde im Juli ?. J. in der Sc ho el er-
sehen Augenklinik ein erbsen grosses , behaartes Dermoid entfernt, das bei
(^er Geburt stecknadelkopfgross gewesen sein soll. Vom äusseren Augenwinkel
verliert sich eine seichtere Rinne in leichtem Bogen in der Wange, diese selbst
ist im Uebrigen normal, ebenso die Knochen. Ich trage kein Bedenken, die
Spaltbildungen am Auge und Munde mit einander in Verbindung zu bringen
und für eine un?ollständige schräge Gesichtsspalte der dritten Ordnung an-
zusprechen. Sie ist jedenfalls grossartiger angelegt gewesen, aber intrauterin
zum grössten Theile verheilt. In dem glatten Häutchen in der Lidspalte darf
man den Rest einer amniotischen Adhäsion erblicken, welche sowohl die
schräge Gesichtsspalte, als auch die Entstehung des erwähnten Dermoides
verursacht haben wird ').
S6. Morian VII. (Siehe Fig. 7 auf der Tafel.) Der 18jährige Gym-
nasiast K. S. , welcher aus einer von Missbildungen seines Wissens bisher
nicht heimgesuchten Familie stammt, wurde mit den gleich zu beschreibenden
Defecten an Oberlippe und rechtem Oberlide, sowie mit einer stecknadelkopf-
grossen Geschwulst auf dem linken Auge geboren; das Lippencolobom wurde
im ersten Lebensjahre erfolglos, im Juli d. J. nochmals operirt, seiner Augen*
wegen besucht er die Ambulanz der Universitätsaugenklinik hierselbst. Der
über mittelgrosse, kräftige Patient besitzt einen fronto-occipitalen Kopfumfang
von öSy.^ Ctm., die Grenze des Haarbodens ist auf der Stirn (s. d. Figur)
auffallend unregelmässig. Das rechte Oberlid trägt auf der Hautduplicator
zwei flache Haut wülstchen. Genau unter dem äusseren von diesen trägt
der rechte Oberlidrand in der Mitte seiner ganzen Länge einen keilför-
migen, mit der Spitze bis zur Hautfalte des Oberlides, circa 3 Mm. weit
reichenden Defect, dessen Basis ca. 2 Mm. breit ist. Der Tarsus ist unter
der innen noch weiter hinauf sichtbaren Narbe gespalten. Ca. 3 Mm. einwärts
davon hat der Oberlidrand keine Wimpern und ist auf eine Strecke von etwa
8 Mm. unregelmässig gestaltet und über 1 Mm. tief eingebuchtet; dann folgt
*) Salzer, an der Billroth'schen Klinik in Wien, hat küralich (von
Langenbeck's Archiv. XXXIIL l. S 134. 1886) eine ähnliche Beobachtung
gemacht, indem ein Teratom der Stirnhöhle mit gleichseitiger Lippenkiefer*
gaumenspalte vergesellschaftet war.
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üeber die schräge Gesichtsspalte. 287
einwärts davon eine kurze, bewimperte, normale Lidrandpartie mit dem median-
wärts verschobenen oberen Thränenpunkte. Beim Lidschlusse bleibt die Sclera
an den defecten Stellen des Lides unbedeckt. Unbedeutendes Thränenträufeln
ist die Folge obiger Abnormitäten. Ausserdem ist das rechte Auge congenital
amblyopisch und astigmatisch; S = 7.24 — V19. Beim linken Auge ist
S = %3 — Yi-j vorhanden und im äusseren unteren Quadranten der Cornea
sitzt ein weissliches, erbsengrosses , behaartes Dermoid. Die Nasenspitze ist
verbreitert, der rechte Nasenflügel ist flacher und steht etwas tiefer als der
linke und trägt auch ein flaches Hautwülstchen. Das Oberlippenphiltrum ist
breit und tief, nach oben setzt es sich jederseits mit einer seichten Rinne in
das Nasenloch fort, nach unten endigt es in einen kleinen, keilförmigen Defect
desLippenrothes. ImVestibulum oriswird die Oberlippe dicht neben der Median-
linie durch zwei Frenulumartige Schleimhaotzüge am Kieferrande festgehalten,
die nach unten in zwei bohnengrosse, das Zahnfleisch überragende Zipfelchen
auslaufen; dieselben bilden zwischen sich, also an der Stelle des normalen
Frenulums, eine schmale, aber tiefe Tasche. Die Oberlippe ist durch sie in
ihren Bewegungen gehindert, sodass Patient, welcher noch dazu mit der
Zunge anstösst, über keine correcte Aussprache verfügt. Die medialen
Schneidezähne stehen weiter als gewöhnlich auseinander und sind mit der
Schneide zuweit nach hinten gerichtet, und die Zahnreihen passen nicht völlig
aufeinander. Der Befund am rechten Oberlide, Nase und Oberlippe verführt
zu der Vermuthung, dass es sich hier um die Spuren einer intrauterin ver-
heilten schrägen Oesichtsspalte der ersten Form handeln könnte. ')
Erklärung der Abbildungen auf Tafel 111.
Fig. 1. Nach einer Photographie des No. 24 aufgeführten Barkow'schen
Falles,
a, a Amniotische Membranen.
b Encephalocele.
Canthus externus sinister.
s Schräge Gesichtsspalte links.
q Quere Wangenspalte rechts.
Gefaltetes Ohrläppchen.
Fig. 2. Nach einer Photographie des Falles 3 1 .
a Linker Nasenflügel.
*) Während der Drucklegung dieser Arbeit hatte ich durch die Güte des
Herrn Privatdocenten Dr. Winter fielegenhcit, in der Sammlung der Berliner
geburtshülflicb-gynäkologischeu Klinik zwei ausgetragene Kinder mit schräger
Gesichtsspalte zu sehen. Beide gehören dem ersten Typus derselben an und
bestätigen die in der Arbeit angenommene Aetiologie: das eine hat neben
doppelseitiger schräger Gesichtsspalte einen Hydrocephalus, das andere, mit
linksseitiger schräger und rechtsseitiger querer (jesichtsspalte, ist mit Exen-
cepbaiie behaftet und bat am Kopfe (ähnlich dem IL Bark waschen Präparate
No. 24) adhärente amniotische Membranen aufzuweisen; ausserdem findet sich
an der Wurzel des linken Armes ein Ansatz zur Spontanamputation.
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288 Dr. R. Morian, üeber die schräge Gesiohtsspalte.
b Ooncha inferior.
c Uebereäbliger Schneidezahn.
d Medialer linker Schneidezahn.
e Lateraler „ ^
f Rechtsseitige Lippenkiefergaumenspalte.
X Encephalocele.
Fig. 3.
Nach einer Photographie des Falles 32.
a, a Amniotische Membranen.
e Encephalocele.
s Schräge Gesichtsspalte links.
h Hasenscharte rechts.
m Medianspalte der Unterlippe.
Fig. 4.
Nach einer Photographie des Falles 33.
a, a Amniotische Membranen.
e Ectropionirtes rechtes Oberlid. .
r Rechtes Auge.
1 Linkes Aage.
c Canthos extern us sin ister.
s 1 Linke schräge Gesichtsspalte.
sr Rechte „ „
Fig. 5a.
Nach einer Photographie dos Falles 34.
a Haotwülstchen im Canthas ext. sin.
sr. sr Rechte schräge Gesichtsspalte.
s 1 Linke , ^
Fig. 5b.
Nach einer Photographie des Falles 34.
a II linker Finger im II. Gliede spontan amputirt.
bIII„ »»>»>, f> f,
ClV^ Ufffiff w »
d V , , „ III. ,
e IV rechter „ , , „ ' , ,
Fig. 6. Nach einer Photographie von Fall 35.
a Narbe, früher Sitz eines Dermoid.
b Makrostomie links.
Fig. 7. Nach einer Photographie von No. 36.
h Unregelmässige Haargrenze aaf der Stirn,
a b Einkerbungen im rechten Oberlidrande.
d Dermoid des linken Auges.
m Breite Medianfurche im Phillrum.
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TciP. nr.
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— Ol
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XII.
Aus der Heidelberger chirurgischen Klinik
des Prof. Dr. Czerny.
li. Ria Beitrag nr Statistik ud kliaiscliea BeiieatBag
Mclaaatiseher CieschwAlste.
Von
Dr. Philipp Dleterich
in Flombom.
Wenn schon grössere Zusammenstellungen von pigmentirten
Geschwülsten von Eiselt*) und von Fuchs*), von Ersterera eine
solche, welche die melanotischen Tumoren des ganzen Körpers bis
zum Jahr 1860 enthält, von Letzterem eine sehr grosse Statistik
der melanotischen Tumoren des Auges bis zum Jahr 1882, existi-
ren, so erschien es Herrn Geheimen Rath Czerny doch wünschens-
werth, eine umfassende Statistik melanotischer Geschwülste aus-
arbeiten zu lassen, um an der Hand derselben zuverlässige Schlüsse
über die klinische Bedeutung, speciell über die Prognose resp.
Heilbarkeit ziehen zu können, besonders auch aus dem Grunde,
weil auf diesem Wege nur die richtige Indication für unser thera-
peutisches Eingreifen festgestellt werden kann. Ich bin Herrn Ge-
heimen Rath Czerny für die Anregung zu dieser Arbeit, wie auch
für die Ueberlassung des Materials aus der hiesigen chirurgischen
Klinik zu grossem Danke verpflichtet. Ich habe versucht, die-
jenigen Fälle, welche vom Jahre 1860 ab veröffentlicht sind, mit
Ausnahme der melanotischen Geschwülste, welche vom Augapfel
ihren Ausgangspunkt genommen haben, zusammenzustellen. Der
') £iselt, Ueber Pigmentkrebs. Prager Vierte Ij ah rsschrift. 1862.
*) Fuchs, Das Saroom des Uvealtraotas. 1882.
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290 Dr. Philipp Dieterich,
üebersicht halber theile ich das gesammte Material in zwei Gruppen,
in eine solche, in der die Fälle enthalten sind, die operirt wor-
den sind, und in eine, bei deren Fällen keine Operation vorge-
nommen ist. Die Casuistik ist nach Körperregionen geordnet;
die Fälle aus der hiesigen chirurgischen Klinik habe ich darin be-
reits in der Kürze aufgenommen; ich lasse aber am Schlüsse der
Arbeit eine ausführlichere Beschreibung derselben folgen. Bemerkt
muss noch werden, dass sich oft erwähnt findet, ob melanotischos
Sarcom, Carciuora oder Mischform diagnosticirt ist, allein die Fälle
werden darnach nicht berücksichtigt, sondern nach Lücke's Aus-
spruch (Pitha-ßillroth, Handbuch), „dass es vorerst noch zweck-
mässiger erscheint, die Pigmenttumoren gemeinschaftlicli abzuhan-
deln", als melanotische Geschwülste behandelt.
Oasuistik«
I. Kranke» welche an melanotiscben GescbwGIsten litten und operirt
wurden.
1. Am Kopfe.
1. Virchow (Die krankhaften Geschwülste. IL 18G4.). — Melanotische
Geschwulst am unleren Augenlid. — Exstirpation.
2. Meissner (Schniidt's Jahrbücher. 1865.). 5jähr. Knabe. —
Carcinoma melanot. des Zwischonkiefers. — Entwickelung der Geschwulst aus
den Zahnsäckchen des Zwischenkiefers, der sehr vorgrössert war^ — Exstir-
pation der Geschwulst mit benachbartem Knochen, voi welchem sie um-
schlossen war. — Tod bald nach der Operation.
S. Rudnew (Canstatt's Jahresberichte. 1867.). — Melanosarcom
unter der Kopfhaut, seit 1 Yg Jahren bestehend. — Die Apfelsinengrosse Ge-
schwulst sitzt auf dem rechten Scheitellappen. — Exstirpation.
4, Kocher (Berliner klin. Wochenschrift. 1868. No. 35.). 58jähr.
Mann. — Carcinoma melanodes der rechten Wange, seit y.^ Jahre bestehend.
— Apfelgrosser . kugeliger Tumor von blaurother Farbe, ausgegangen von
der vorderen Partie der Parotis. — Bei der Exstirpation am 4. 9. 67 rausste
wegen zu starker Blutung ein kleiner schwärzlicher Tumor in der Tiefe sitzen
bleiben. Nach 3 Monaten zahlreiche Recidivknoten.
5. Luecke (Geschwülste, in Pitha-Billroth's Handbuch. 1869.).
— Melanotische Geschwulst der Nasenschleimhaut — Exstirpation.
e. Derselbe (Ebendaselbst). 52jähriger Mann. — Melanotische Ge-
schwulst am Zangenrand. — Exstirpation.
7. Mose n geil (Archiv für klin. Chirurgie. XIL). 50jährige Frau.
— Epithelialcarcinom mit vereinzelten melanotiscben Stellen der Nase, seit
2 Monaten bestehend. — In der Narbe eines vor 15 Jahren exstirpirten Tu-
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Statistik und klinische Bedeutung melanotiscber Geschwülste. 291
mors entstand die schwammartige Geschwulst. Exstirpation am 10. 7. 69.
Nach 2 Tagen Recidiv. Aetzung mit Ferrum candens. Erysipelas faciei.
Nach vollständiger Heilung der Wunde sollen die seit der Jugend vorhandenen
Wärzchen exstirpirt werden.
8. Homer (Schtnidt's Jahrbücher. 1871.). 64jährige Frau. —
Melanosarcom der Conjunctiva tarsi. — Gestielter, nussgrosser Tumor. —
Abtragung der Basis des Stieles mit der Scheere.
9. Fischer (Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. XIV.) 35 jähriger
Mann. — Melanosarcom der Galea aponeurotica. — Wallnussgrosse, nur zum
Theil prominirende Geschwulst. — Exstirpation am 10. 4. 71. — Gesund
nach 9 Jahren.
M. Maso.n (Canstatt^s Jahresberichte. 1878.). 64jähriger Mann.
Melanotisches Sarcom der rechten Wange, seit 1 Jahre bestehend. — In der
Nähe eines angeborenen Males Orangegrosser Tumor. Drüsen in der Sub-
maxillargegend vergrössert. — Exstirpation des Tumors und der infiltrirten
Drüsen.
U. Gussenbauer (Virchow's Archiv. XLIII. S. 331.). Sjähriges
Mädchen. — Melanotische Geschwulst der Wange, seit mehreren Monaten be-
stehend. — Exstirpation der taubeneigrossen Geschwulst am 30. 6. 73.
12. Clauzel (These de Paris. 1874.). 68jährige Frau. — Melano-
tiscber Tumor der rechten Wange. — Exstirpation der kirschgrossen Ge-
schwulst, die auf einem rothen Fleck entstanden ist. Nach 3 Monaten Recidiv
und weisse Blutkörperchen massig vermehrt.
IS. Krönlein (Archiv für klinische Chirurgie. XXI. (Suppl.) S. 86.
66 jährige Frau. — Sarcoma melanot. der linken Wange, seit 20 Jahren be-
stehend. — Auf einem Leberfleck entstand die kirschgrosse Geschwulst. —
Exstirpation am 23. 10. 73. — Heilung.
14. Buschmann (Wiener medicin. Wochenschrift. 1877. No. 30.).
4 4 jähriger Mann. — Carcinoma melanodes faciei. seit 4 Monaten bestehend.
— Entsprechend dem linken Oberkiefer eine etwa Citronengrosse Geschwulst,
in welcher der Infraorbitalrand unterging. Bulbus nach auf- und vorwärts
gedrängt, kein Doppelsehen. — Exstirpation am 23. 9. 76. 13. 11. senk-
rechtes Doppelsehen. — Gesund nach 7 Wochen.
K. Fischer (Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. XIV.). 70jähriger
Mann. — Melanosarcoma auris dextr. , seit 1 V2 Jähren bestehend. — Ohr-
läppchen und äusserer Gehörgang mit in die Neubildung hereingezogen. —
Exstirpation der Handtellergrossen, leicht verschieblichen Geschwulst und
partielle Amputatio auris am 9. 12. 76; ein Theil der Parotis muss als afficirt
ebenfalls entfernt werden.
M. Buschmann (Wiener medicin. Wochenschrift. 1877. ^0. 30.).
56 jähriger Mann. — Carcinoma melanodes faciei, seit 3 Jahren bestehend.
— 2 Jahre lang, anhaltende Verstopfung der rechten Nasenhöhle, seit 1 Jahr
halbkugelige, bläulich - rothe Geschwulst, die nach 3 maligen Entfernungs-
versnchen rasch wuchs. Vor 3 Monaten eine erweichte Stelle im Gaumen be-
merkt, dort jetzt bläuliche Masse sichtbar. — Exstirpation der erkrankten
Partie am 17. 2. 77. — Blasencatarrh und Prostatavergrösserung.
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292 Dr. Philipp Dieterich, ^
W. Derselbe (Ebendaselbst. 1877. No. 31.). 66 jähriger Mann. —
Carcinoma melanodes faciei, seit 4 Monaten bestehend. — Verstopfang der
linken Nasenhöhle, Sehstörang. März 77 Blutung aus der Nase. Vordrängang
des linken Bulbus. Schmerzen in der Stirne und im Bereiche des N. infra-
orbit. — Durch beide Choanen fühlt man eine vfeiche. Halb walin ussgrosse.
sich in den Nasenrachenraum vordrängende Geschwulst, die zweifellos die
Orbital wand durchbrochen hat. Drüsen nirgends geschwellt. — Exstirpation
am 5. 4. 77. — Tod an Meningitis.
18. Mattissen (Inaug.-Üissert. Bonn 1879.). 22jähriger Mann (?).
— Melanom der rechten Wange, seit 2 Jahren bestehend. — Kleine schwarze
Geschwulst. — Exstirpation. Bald darauf Recidiv. — Exstirpation. Nach
wiederholten Recidiven trat der Tod ein. Section: Allgemeine Melanose.
19. Derselbe (Ebendaselbst.). 35jährige Frau (?). — Melanom ober-
halb der Glabella, seit 3 Monaten bestehend. — Exstirpation. — Tod. —
Section : Allgemeine Melanose.
2t. Settegast (Archiv für klin. Chirurgie. XXIV. 1879.). 53jäh-
riger Mann. — Melanotische Geschwulst der Wangenhaut. — Exstirpation.
21. Derselbe (Ebendaselbst.). 60jäbrige Frau. — Melanotische Ge-
schwulst der Wangenhaut. — Exstirpation.
22. Derselbe (Ebendaselbst.). 65jährige Frau. — Melanotische Ge-
schwulst der Wangenhaut. — Exstirpation.
23. Simon (Gaz. des Hop. 69. 1881.). 54jähriger Mann. — Mola-
notisches Sarcom der Haut am Ohr und Auge, seit 12 Jahren bestehend. —
Am rechten Ohrläppchen und rechten äusseren Augenwinkel sitzend. Einzelne
schwärzlich-braune Flecke im Gesicht. — Exstirpation. — Tod an Erysipel.
24. Nieberg (Inaugural-Dissertation. Würzburg 1882.). 53jähriger
Mann. — Melanotische Geschwulst der Nasenhöhle, seit 3 Jahren bestehend.
— Nach einem Fall auf die Nase entstand die Geschwulst auf der Schleim-
haut der Nase. — Auskratzung und Aufschneidung der Nase. — Region.
Recidiv nach 2 Monaten: partielle Resection des Oberkiefers. — Recidiv nach
nach 3 Monaten in der Highmorshöhle: totale Resection des Oberkiefers 1880.
— August 1881 Tod unter Erscheinungen einer (metastatischen?) Leber-
erkrankung.
25. Derselbe (Ebendaselbst.). 55jährige Frau. — Carcinoma mela-
not. faciei dextr. , seit 8 Monaten bestehend. — In einer Narbe entwickelten
sich 3 Erbsengrosse Knötchen, Schwellung der Lymphdrüsen am ünterkiefer-
winkel. — Exstirpation am 2. Januar 1882.
2€. Chirurgische Klinik, Heidelberg. 59 jähriger Mann. — Sarcoma
melanoticum auris dextr., seit 4 Monaten bestehend. — Operation 23. 1. 83.
— Gesund nach 14 V-, Monaten.
2. Am Halse.
27. Virchow (Geschwülste. IL). 34jährige Frau. — Melanotische
Geschwulst der Haut des Halses, seit 1\/., Jahren bestehend. — Wallnuss-
grösse. — Exstirpation. — Nach 2 Wochen Recidiv. — Exstirpation. —
Recidiv. — Tod.
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Statistik und klinische Bedeutung melanotischer Geschwülste. 293
28. Houel (Gaz. des Hop. No. 86, p. 341. Juill. 1867.). 37.jährige
Frau. — Melanotischer Tumor der Haut über dem Epistropheus, seit 3 Jahren
bestehend. — Tumor und die geschwellten Achseldrüsen werden exstirpirt.
— Die melanotische Beschaffenheit wurde erst bei der Operation entdeckt.
29» Pitha und Billroth (Handbuch der allgemeinen und speciellen
Chirurgie. II. 1.). 45jährige Frau. — Melanoma colli, seit 2 Monaten be-
stehend. — Auf einer angeborenen pigmentirten Warze entstand die hasel-
nossgrosse Geschwulst. — Exstirpation. Nach 4 Wochen allgemeine Melanose.
— Tod nach 3 Monaten.
3#. Kolaczek (Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. XII.). 35jährige
Frau. — Naevus melanot. nas. e. gland., Lymph. melanot. maxill., seit 9 Mo-
naten bestehend. — 4 Jahre vor der Operation, während der 4. Schwanger-
schaft schwarze Flecken auf der rechten Nasenhälfte. In den folgenden 2 Jah-
ren, keine Schwangerschaft, Schwinden der Flecken bis auf den Naevus. Pat.
hat spärlich pigmentirte Warzen. In der rechten Submaxillargegend eine
WalJnussgrosse Geschwulst (degenerirte Lymphdrüse.) — Exstirpation des
Naevus am rechten Nasenflügel und der melanotischen Lymphdrüse am
10. 3. 75.
51. Fischer (Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. XIV.). 42 jähriger
Mann. — Melanosarcoma vasor. cav. et jug. — Exstirpation am 16. 1. 76.
Tod an intercurrenter Krankheit.
52. Settegast (Archiv für klin. Chirurgie. XXIV. 1879.). 63jähri-
ger Mann. — Melanotische Cervicaldrüsen. — Exstirpation und Auskratzung.
Tod in Folge der Operation. Metastasen in der Leber.
83. Liebe (Inaug.-Dissert. Strassburg 1881.). 54 jähriger Mann. —
Melanosarcoma colli, seit 4 Monate? bestehend. — Nach Verletzung unter-
halb der linken Orbita entstand ein kleines Knötchen , das Ende März durch
Äetzung entfernt wurde. Gleich darauf Anschwellung vor und unterhalb des
des linken Ohres. — Hühnereigrosse Anschwellung zwischen Ohr und Kiefer-
winkel, zwei kleinere Knoten unter dem Unterkiefer. An Stelle der früheren
Verletzung eine leicht bräunliche Pigmentirung. — Exstirpation am 15.7. 80.
Tod unter den Erscheinungen einer Pneumonie. Metastasen in inneren Organen.
34. Chirurg. Klinik, Heidelberg. 58jährige Frau. — Sarcoma melanot.
colli, seit 2 Jahren bestehend. — Operation am 17. 11. 79. — Bald nach
der Operation Recidiv. — Tod nach 1 Jahre.
35. Ebendas. 50jährige Frau. — Sarcoma melanot. region. parot.
sin., seit 3 Jahren bestehend. — Operation am 5. 6. 80. Einige Zeit nach
der Operation Recidiv. — Tod nach 1 1 Monaten.
3S. Ebendas. 53jährige Frau. — Sarcoma melanot. colli, seit 1 Jahr
8 Mon. bestehend. — Operation am 21. 11. 82. — Tod nach 2 Monaten.
3. Am Rumpf.
37. Wagner (Schmidl's Jahrbücher. 1865.). 3 5 jähriger Mann. —
Melanotisches Carcinom der Haut der Leborgegend. — Auf einem Mal ent-
standen. Exstirpation. Tod bald nach der Operation an allgemeiner Melanose.
T. Lang«nbftek, Arehiv l. Chirurgie. XXXV. 3. 20
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294 Dr. Philipp Dieterich,
58. Meissner (Ebeudas.). 30 jähriger Mann. — Pigmentgeschwalst
der Lebergegcr.d , seit 10 Jahren bestehend. — Auf einem Pigraentmal ent-
standen. Exstirpation. — 10 Jahre nach der Operation Tod an allgemeiner
Melanose.
59. Derselbe (Ebendas.). 53jähriger Mann. — Melanotische Ge-
schwulst am Nabel und beiden Schenkelbeugen, seit 18 Monaten bestehend.
— Abbindung. — Nach 2 Monaten Tod an allgemeiner Melanose.
4#. vonWiniwarter (Beiträge zur Statistik der Carcinome. Tab. lü.
Fall 82.). 68jährige Frau. — Mischform von Carcinoma und Sarcoma mela-
noticum der rechten Brust. — Seit der Geburt ein schwarzes Knötchen unter
dem rechten Auge. 2 Knötchen über der Fossa supraspinata. Kindskopf-
grosse Geschwulst der rechten Brust; infiltrirte Acbsetdrüsen. Amputatio
mammae dextrae, Exstirpation der Achseldrüsen. Am Rücken und Vorderseite
des Thorax entstanden schwärzliche , pigmentirte Knötchen in der Haut. —
1 Jahr nach der Operation Tod.
41. Fischer (Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. XIV.). 54jährige
Frau. — Melanosarcom der linken Leistengegend, seit 20 Jahren bestehend.
— Nach Abbinden eines kleinen schwarzen Gewächses am Damm trat in der
Leistengegend die Zweifaustgrosse Geschwulst auf. — 14. 5. 69 Exstirpation
des Tumors mit Ligam. Poupartii, einem Theile der Bauchmuskulatur und
Gefässscheide. — Gesund nach 12 Jahren.
42. Heurteloup (Canstatt's Jahresberichte. 1871.). 65jährige
Frau. — Tumeur mölanique der rechten Brust, seit 9 Jahren bestehend. —
Orangogrosse, schmerzhafte Geschwulst. Exstirpation.
4S. Mosengeil (Archiv für klin. Chirurgie. XII.). 36jäbr. Frau. —
Melanom der Mamma. — Die Geschwulst entstand in der Narbe eines exd-
dirten Tumors. — Amputatio mammae (wegen Melanose der Ausführungs-
gänge). 4 Jahre nach der Operation Infiltration der Achseldrüsen. Exstirpation.
44. Küster (Ebendas.). 58jähr. Mann. — Melanotische Geschwulst
in der linken Achselhöhle, seit 1 Jahr bestehend. — Exstirpation. Tod an
Erysipel.
45. Journez(Canstatt's Jahresberichte. 1874.). 42jährige Frau.
— Melanotisches Carcinom der Haut über der linken Clavicula. — Nuss-
grosses, zum Theil melanotisches Carcinom der Haut der linken Clavicula (am
äusseren Drittel). Exstirpation. Heilung.
4S« Kolaczek (Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. XII.). 25jährige
Frau. — Carcinoma melanoticum cutis abdom.. seit 2 Jahren bestehend. —
Mannsfaustgrosser, oberfläclilich goscbwüriger Tumor. Linksseitige Leisten-
drüsen bis zur WallnussgrÖsse geschwollen. — 24. 1. 74 Exstirpation. —
14 Tage später Tod an Sepsis.
47, SohüUer (Ebendas. X.). 33jährige Frau. — Melanotische Ge-
schwulst der linken Inguinalgegend. seit 5 Monaten bestehend. — Faust-
grosse Geschwulst. 10. 6. 76 Exsiirpaiion. Region. Recidiv, part. Exstir-
pation und Cauterisation. Recidiv. Tod.
48« Kolaczek (Ebendas.). 63 jähr. Mann. — Angiosarcoma melano-
ticum axill. sin., seit 3 Jahren bestehend. — Auf dem linken Muse, serrat.
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Statistik und kliniscbe Bedeutung melanotiscber Geschwülste. 295
ant. maj. sitzt ein über Mannskopfgrosser , harter, von blaurother Haut be-
deckter Tumor; nach oben verliert er sich in die Achselhöhle. — Im März
1876 Exstirpation ; Blutverlust bedeutend. — Tod nach einigen Tagen an
Septicämie.
49« Derselbe (Ebendas.). 6 2 jähr. Fraa. — Sarcoma melanoticom
cutis abdom., seit Yj Jahr bestehend. — Auf Kratzen an einem Mal entstand
der Halb walin ussgrosse, höckerige, oberflächlich geschwürige, mit der Bauoh-
haut verschiebliche Tumor rechts oben vom Nabel. — Im September 1878
Exstirpation.
59. Gluck (Archiv für klin. Chirurgie. XXV.). 19 jähriger Mann. —
Gelapptes Pigmentfibrom auf dem Proc. xiphoid., seit 17 Jahren bestehend.
— Entwickelung des Tumors seit dem 2. Lebensjahre; später verwundete
Patient den Tumor. Tumor hat Faustgrösse und ist von bläulich glänzender
Haut bedeckt. Exstirpation, starke Blutung.
M. Liebe (Inaug.-Dissert. Strassburg 1881.). 63jährige Frau. —
Melanoma cutis der rechten Hüfte. — Vor 3 Jahren Vesicator über der Hüfte
wegen Rheumatismus ; die dadurch gesetzte Wundfläche heilte bis auf eine
kleine, etwas nässende Stelle, auf der im October 1878 eine Haselnussgrosse
Geschwulst bemerkt wurde. Tumor ist Apfelgross, von bräunlich schwarzer
Farbe, in dessen Umgebung kleinere, und ein ebenso grosser in der Schenkel-
beuge. — 8. 2. 79 Exstirpation. Nach 10 Tagen Recidiv und 4 Wochen
später Tod. Metastasen in allen Organen.
SS. Benzler (Inaug.-Dissert. Berlin 1880). 40 jähr. Mann. — Me-
lanom unter der linken Achselhöhle, seit 1 Jahr bestehend. — Der phthisische
Pat. kratzte wiederholt an einem Naevus, worauf die haselnussgrosse Ge-
schwulst enstand. — Excision im August 1879. Nach 14 Tagen ein kleiner
Tumor an der r. Schulter zu dem sich innerhalb Y^ Jahres ca. 150 kleine
über den ganzen Körper zerstreute Knötchen gesellten.
SS. Chirurg. Klinik Heidelberg. 43 jähr. Mann. — Melanotisches Sar-
com der rechten Leistengegend und der rechten Hinterbacke. — Operation
am 22. 7. 1879. — Tod 1 Jahr nach der Operation.
54. Billrotb (Arch. f. klin. Chirurg. X.). 42 jähr. Frau. — Melano-
tische Geschwulst des Rückens, seit 9 Monate bestehend. — Geschwulst
hübnereigross. — Exstirpation im November 1860. Recidiv nach 8 Monaten.
— Tod nach 15 Monaten an allgemeiner Melanose.
M. D ur et (C ans tatt's Jahresberichte. 1873). 50jähnge Frau. —
Misobgeschwulst von Rundzellensarcom und melanotischem Carcinom auf dem
Rucken. — Seit 8 Jahren eine pigmentirte Warze auf dem Rücken bemerkt,
auf der der Tumor entstand. — Exstirpation.
SC. Volkmann (Beiträge zur Chirurgie. 1873. S. 349). 60jähr.
Mann. — Melanotisches Sarcom des Rückens. — Exstirpation (unbeendet) am
18. 3. 1873. — Tod 10 Tage nach der Operation. — Section: Allgemeine
Melanose.
S7. Kolaczek (Deutsche Zeitschr. für Chirurg. XII.). 52jähr. Frau.
— Sarcoma verruc. melanot. dorsi, seit 2 Jahren bestehend. — Auf der Haut
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296 Dr. Philipp Dietericb,
über dem recliteu Schulterblalt eutwickelle sich aus einem Pigmentiual eine
50-Piennigstück-grosse, weiche Warze von grauer Farbe; nur hier und da
mit schwarzen Punkten gesprenkelt. — Exstirpation im März 1878.
58. Meissner (Seh midt's Jahrbücher. 1880). 31 jähr. Mann. — Me-
lanotischer Tumor des Rückens, seit 22 Monaten bestehend. — Ein kleiner
Knoten des Rückens erlitt eine Verbrennung; durch den Druck des Hemdes
gereizt, wurde er zu einem Zweifrancstückgrossen, geschwürigen, violetten
Tumor. — Exstirpation. Continuitätsrecidiv. Bald nach der Operation Tod
an allgemeiner Melanose.
59. Benzler (Inaug.Dissert. Berlin 1880). 64 jähr. Frau. — Mela-
notisches Carcinom am Interscapularraum. — Plötzliche Schmerzhaftigkeit
und Wucherung des groschengrossen wenig erhabenen Flecks bis Handteller-
grosse. — ülceration, Blutung. — Exstirpation.
M. BailJy(Schmidt's Jahrbücher. 1869). 7 2 jähr. Frau. — Mela-
nom der Vulva, seit 1 Jahre bestehend. — Taubeneigrosse , blauschwarze
Oeschwulst an der kleinen Lefze. Orificium vulvae vollständig obsturirt. —
Abtragung mit Ecraseur. Nach d^r Operation finden sich noch schwarze
Flecken in der Vagina, die sich langsam vergrössern. Abmagerung nimmt zu.
U. Meissner (Schmidt's Jahrbücher. 1889). 24 jähr. Mann. —
Melanom der Eichel, seit 1 Jahr bestehend. — Auf einem kleinen schwarz-
bläulichen Fleck entstand eine erbsengrosse Geschwulst. — Exstirpation im
November 1861. 14 Tage später Recidivabtragung der Eichel. Nach
1 7, Monaten Recidi? in der Leistengegend. — Exstirpation. 4 Monate später
Tod an allgemeiner Melanose.
fi2. Fischer (Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. XIV.). 56 jähr.
Frau. — Sarcoma melanoticom der linken grossen Labie. seit 5 Monaten be-
stehend. — Pat. litt an Fluor albus. — Nussgrosse, breiartige, dunkelgefärbte,
mit stinkendem Eiter belegte Geschwulst, deren Umgebung hart infiltrirt ist;
linke Inguinaldrüsen geschwollen. — Exstirpation am 6. 6. 1870. — 28. 10.
1870. Recidiv: üloerirte Tumoren an den Labien, in den Inguinalgegenden.
— Dezember 1870 Tod.
6S. Wagstaffe (Canstatt's Jahresberichte. 1873). 42jähr. Frau.
— Pigmente myxoma neben den grossen Schamlippen, seit 7 Jahren beste-
hend. — Die Haut unter dem Taubeneigrossen Tumor ist dunkelgefärbt, nicht
ulcerirt. — Exstirpation.
•4. Müller, C. J. (Berliner klin. Wochenschrift. 1881. No. 31). —
Pat. unbek. — Sarcoma melanodes multiplex der Clitoris. — Gänseei grosse;
infiltrirte Inguinaldrüsen. — Exstirpation am 2. 7. 1874. — 12 Tage nach
der Operation Tod an Cachexie.
<S. Müller, C. J. (Berliner klinische Wochenschrift. 1881. No. 31).
3 3 jähr. Frau. — Melanom der rechten grossen Labie, seit mehreren Monaton
bestehend. — Wallnussgrosse Geschwulst, die dunkelbräunlich durchschim-
mert, ist deutlich abgrenzbar. Leistendrüsen nicht infiltrirt. — Exstirpation
am 28. 3. 1878. — Gesund nach 3 Jahren.
M. Goth (Canstatt's Jahresberichte. 1881). Pat. unbek. Pig-
mentsarcom der äusseren Genitalien, seit 2 Jabron bestehend. — Mannsfaust-
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Statistik und klinische Bedeutung melanotischer Geschwülste. 297
grosser Tumor von der linken kleinen Schamlippe ausgebend, auf die rechte
kleine übergreifend, von dunkelblauer bis tiefschwarzer Farbe. Regionäre
Lymphdrüsen frei. — Abtragung der Geschwulst. — Gesund nach 5 Monaten.
•7. Neu mann (Archiv für Heilkunde. XIL). 64 jähr. Mann. — Me-
lanotische Geschwulst des Afters. — Apfelgrosse Geschwulst. — Exstir-
pation.
58. Billroth (Chirurg. Klinik. Wien 1871-76.). 41 jähr. Mann. —
Melanotische Geschwulst des Afters. — Excision. Bald Recidiv. — Ezstir-
[•atio recti. — Nach 2 Monaten Recidiv. — Inoperabel.
59. Gilette (LlJnion ro^dioale 1874. S. 129). 32jähr. Prau. —
Maligner Tumor (gemischte Structur, Ablagerung von Pigment) des Anus,
seit 3 Monaten bestehend. — Operation mittelst Ligatur. — Sehr rasche lo-
cale und allgemeine Recidive.
1%, Kolaczek (Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. XII.). 58jährige
Frau. — Sarcoma alveol. melanoticum ani, seit V/j Jahr bestehend. — Aus
dem After ragt ein Uran gegrosser, höckeriger, von exuloerirter Schleimhaut
bedeckter Tumor. Der Stiel inserirt sich dicht über dem hinteren Analrande.
— Exstirpation und Cauterisation der Wundfläche im Mai 1878.
71. Paneth (Archiv für klin. Chirurgie. XXVIIL). 45 jähr. Mann. —
Melanotisches Sarcom des Rectums, seit 8 Monaten bestehend. — Eine über
dem Sphincter beginnende, aus mehreren Knoten bestehende, grösstentheils
olcerirte Neubildung, die nicht die ganze Peripherie des Rectums einnimmt.
Die obere Grenze ist mit dem Zeigefinger zu überschreiten. Inguinaldrüsen
beiderseitss vergrössert. — Exstirpation am 22. 11. 1881. — Nach 4 Mo-
naten heftige Schmerzen im Unterleib.
4. An den Extrenoitäten.
a) Obere Extremitäten.
72. Billroth (Chirurg. Klinik. Wien 1868. 8.1)4.). 3 9 jähr. Frau.
— Melanosarcom der Haut oberhalb des Condylus internus humeri sinistri,
seit 1 Jahr bestehend. — Ein kleines Knötchen wurde auf einen Stoss in
1 Jahr Wallnussgross. — Exstirpation. Nach 5 Monaten Recidiv. — Ex-
stirpaiion. 2 Jahre nach dem Trauma Tod durch Pyämie.
73. Billroth (Chirurg. Klinik. Wien 1871—76.). 44jähr. Frau. —
Melanosarcom des linken Oberarms seit 2 Jahren bestehend. — Wucherung
eines Naevus zur Champignon grossen Geschwulst. — Excision 1875. —
Heilung (?).
74. Bruns (Archiv für klin. Chirurgie. XIX.). 42 jähr. Frau. — Me-
lanotisches Sarcom des Oberarms. — Auf der Fascia superfic. des Oberarms
entstand auch die ziemlich abgekapselte Geschwulst. — Exstirpation. —
Heilung.
75. Aschenberg (Archiv für klin. Chirurgie. XXV.) 18jähr. Mann.
— Melanom am linken Oberarm, seit 2 Jahren bestehend. — Exarticulation
des Oberarms am 7. 5. 1877. Regionäres Recidiv. — 3 Wocheij nach der
OpÄation Tod.
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296 Dr. Philipp Dieterich,
7S. Qlttck (Archiv für klin. Chirorgie. XXV.). Pat. nnbek. — Ge-
lapptes Fibrom, sehr reich an scholligem Pigment des rechten Oberarms. —
Aus einem Mal entstand die faustgrosse Geschwalst, welche die Haut der Ge-
gend des rechten Mnscnlas deltoideas einnimmt. — Bxstirpation.
77. K Ol aczek (Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. XII). 44 jähr. Frau.
— Carcinoma melanoticum antibrachii dextri, seit l Jahr bestehend. — Auf
einem Mal die Geschwulst. Regionäre Lymphdrüsen frei. — Exstirpation
Oktober 1876.
78. Groh^ (Canstatt's Jahresberichte. Bd. IV. S. 206.). 55jähr.
Mann. — Melanotisches Carcinom des rechten Daumens. — Drüsen in der
Achselhöhle geschwollen. Patient klagt über Schmerzen in der Brost und
Schwerathmigkeit. Exarticulation des Daumens. — Tod 14 Tage nach der
Operation.
7t. Köbner (Arch. f. Dermat. u. Syph. I. 3.). 49jährige Prau. —
Pigmentirtes Spindeltellensarcom des linken Zeigefingers, seit 4 Jahren be-
stehend. — Auf einem wiederholt Ferwundeten Mal entstand die Geschwulst.
Cauterisation. Section: Allgemeine Melanose.
8t. Benzler (Dissert. Berlin 1880; Durante, Aroh. di chir. prat
di Palasciano. XI. No. 6.). 8 Monate alter Knabe. — Melanotisches Sarcom
des Handrückens. — 1 Monat nach Exstirpation eines Erbsengrossen rothen
Naevus rapide Entwickelung einer melanotischen Geschwulst. — Exstirpation.
2 Monate nach der Operation Tod an Metastasen in den Lungen.
8L Nieberg (^Inaug.-Dissert. Würzburg 1882.). 51jähr. Mann. —
Sarc. mel. poU. sin. subung. — Nach einer Quetschung vor 1 Yj Jahren Ent-
stehung des Tumors. — Exarticulation der Nagelphalanx. Nach 9 Monaten
Recidiy in den Achseldrüsen. Incision. Operation im Winter 1878/79. Tod.
82. F. W. Nunn (Canstatt's Jahresberichte. 1881.). 50jährige
Frau. — Melanotisches Carcinom am kleinen Finger. — Aus einer pigmen-
tirten Warze des kleinen Fingers einer Geisteskranken entwickelte sich die
Geschwulst. Drüsen nicht geschwollen. — Exstirpation.
b) Untere Extremitäten.
88. Benzler (Inaug.-Dissert. Berlin 1880.). 30jähr. Mann. — Me-
lanosarcom des Oberschenkels. — Auf einem angeb. Naevus durch Reibung
der Soldatenkleidnng entstanden. — Exstirpation. Entwickelung eines Tumors
in der Ingninalgegend. Pigment im Urin und Blut.
84. Girsztowt (Canstatt's Jahresberichte. 1874.). 48jährige
Frau. — Melanotisches Sarcom im Oberschenkel. In Folge eines Tranmas
Bildung eines nicht pigmentirten Sarcoms der UIna in 2 Jahren entstanden.
Nach Resection der Ulna folgt Entstehung einer melanotischen Geschwulst im
Oberschenkel. — Amputation des Oberschenkels. — Tod 4 Wochen nach der
Operation. — Section : Allgemeine Melanose.
86. Kotaczek (Deutsche Zeitschrift f. Chir. XIL). 48jähr. Frau. —
Sarcoma melanot. verrucos. cutis femoris dextr. , seit 1 Jahr bestehend. —
An der Aussenfläche des rechten Oberschenkels ein, einer aosgebüdeten Brust-
warze der Weibes täuschend ähnlicher, grauschwarzer Tumor. In der^&he
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Statistik und klinische Bedeutung melanotiscber Geschwülste. ^99
ist die Haut mit schwarzen Flecken durchsetzt. Lymphdrüsen frei. — Exstir-
patioD. Recidiv nach neun Monaten. — Exstirpation. Recidiv. — Operation
24. 4. 74. — Tod 1 Jahr 8 Monat nach der Operation an Typhus (nach dem
Urtheil des behandelnden Arztes).
SC« Derselbe (Ebendaselbst.). 44 jähr. Mann. — Sarcoma melanot.
regionis popHt. dextr., seit 1 Jahr bestehend. — Auf Verwundung eines Males
in der Haut der rechten Kniekehle entstand eine tintenschwarze Geschwulst;
die Umgebung ist von schwärzlich durchscheinender Masse infiltrirt. Leisten-
drüsen rechts stark geschwollen. — Exstirpation der Geschwulst und der
Drüsen. — Tod 10 Wochen nach der Operation wahrscheinlich an Metastasen
in der Leber.
87. Derselbe (Ebendaselbst.). V^jähr. Knabe. — Fibrosarcoma plexi-
forme melanot. femoris dextr. , seit 2 Monaten bestehend. — Gänseeigrosse
Geschwulst an der Innenseite des rechten Oberschenkels, die Haut darüber ist
blauschwarz verförbt und von ectatischen Venen durchzogen. — Exstirpation
der Geschwulst und eines Stückes (von etwa 2 Ctm. Länge) vom Nerv, saphen.
maj. , das wie die Geschwulst ganz schwarz verfärbt war. — Function der
Extremität nicht gestört, auch fehlt im Gebiete des resecirten Nerven jede
Anästhesie. — Operation im März 1876. — Gesund nach 4 Jahren.
88. Meissner (Schmidt's Jahrbücher. 1880.). 75V4J. Mann. —
Melanotisches Sarcom des rechten Oberschenkels, seit V2 J&b^ bestehend. —
Citren engrosser Tumor auf der Scheide des rechten Sartorius, die Haut ist an-
geheftet, purpurn geröthet. — Exstirpation. — Operation 20. 10. 75. —
Gesund nach einem Jahr.
89* Benzler (Inaug.-Dissert. Berlin 1880.). 50jähr. Frau. — Me-
lanotisches Sarcom an der Innenseite des linken Oberschenkels, seit 8 Wochen
bestehend. — Der Wallnussgrosse Tumor entstand auf einem dunkelbraunen
Fleck. — Bxcision.
f#* Walzberg und Riedel (Deutschiö Zeitschrift f. Chir. XV.). Ö8j.
Mann. — Melanotisches Sarcom des Oberschenkels, seit 3 Monaten bestehend.
— Der Wallnussgrosse Tumor entwickelte sich aus einer Warze. — Exstir-
pation im Jahre 1877.
M. (Chir. Klinik. Heidelberg.). 6 2 jähr. Mann. — Melanosarcom des
Oberschenkels. — Operation am 25. Januar 1883. -— Tod 15 Tage nach
derselben.
n. ßillroth (Arch. f. klin. Chir. X.). 56j. Mann. — Melanotisches
Sarcom und Carcinom des Unterschenkels, seit 3 Monaten bestehend. —
Wucherung einer Erbsengrossen , blauschwarzen Warze auf einem Grosohen-
grossen Mal zur Wallnussgrosse. — Ligatur. Dissemination dauert nach
Ligatur der Primärgeschwulst fort. — Excision der kranken Haut. — Nach
2 Monaten Tod an allgemeiner Melanose.
fS. Sydney Jones (Canstatt's Jahresberichte. 1877.). 22jähr.
Mann. — Melanotisches Sarcom des linken Unterschenkels , seit 3 Jahren be-
stehend. — Entstehung nach Verwundung eines Males. — Exstirpation.
Nach 15 Monaten Localreoidiv und Infection der Inguinaldrüscn. — Exstir-
pation. — 2. Recidiv und allgemeine Knotenbildung in der Haut.
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300 Dr. Philipp Dieterich,
94. Walzberg und Riedel (Deutsche Zeitschr. f. Chir. XV,). 37j.
Frau. — Melanot. Sarcom des Unterschenkels, seit 3 Monaten bestehend. —
Die Geschwulst entstand aus einem Varix. — Exstirpalion im Jahre 1877.
Reoidiv nach 3 Monaten. — Tod 7 Monate nach der Operation an allgemeiner
Melanose.
95. Liebe (Inaug.-Dissert. Strassbarg 1881.). 24 jähr. Frau. — Me-
lanom am rechten Unterschenkel, seit 3 Jahren bestehend. — Ein Pigment-
fleck wuchs nach einer Contusion zur Haselnussgrossen Geschwulst. — Exstir-
"pation. Bald darnach reg. Recidiv. — Exstirpation. 2. Recidiv, Schwellung
der Inguinaldrüsen; Knoten am rechten Arm, Rücken und besonders am
rechten Schultergelenk. — Tod.
9S. Grobe (Canstatt's Jahresberichte. Bd. IV. S. 206.) 62jähr.
Frau. — Melanotisches Carcinom des rechten Fusses, seit 4 Monaten be-
stehend. — Entfernung der Geschwulst am 28. 10. 59. — 2 Jahre nach der
Operation Faustgrosser melanotischer Tumor in der rechten Schenkelbeuge. —
Exstirpation. — Gesund nach VI2 Jahren.
97. Lanceraux (Gaz. de Paris. 41. p. 639. 1861.). 51 j. Mann. —
Melanotischer Tumor der linken Ferse. — Nach einer Verletzung entstand ein
Haselnussgrosser Knoten. — Cauterisation. Recidiv nach einem Monat. In-
filtration der Inguinaldrüsen. — Cauterisation. Recidiv. — Tod ^/^ Jahr
nach der Operation. Section: Allgemeine Melanose.
98. Meissner (Schmidt's Jahrbücher. 1869.). 36jähr. Frau. —
Melanom der rechten Fusssohle, seit 15 Monaten bestehend. — Achtgroschen-
stückgrösse. — Exstirpation im August 1863. 5 Monate später Looalrecidiv
und melanotische Knoten im rechten Unterschenkel , Hühnereigrosses Drüsen-
packet in der Inguinalgegend. — Tod 2 1 Monate nach der Operation an ali-
gemeiner Melanose.
99. Fischer (Deutsche Zeitschr. f. Ghir. XIV.). Pat. unbek. — Me-
lanosarcom am rechten Fuss. — Von Jugend auf auf dem Fussrücken kleine
braune Flecke; plötzlich wuchsen neue dazu, die nach und nach sich erhoben.
„Bubonen" in der Leistengegend. — Exstirpation sämmtlicher Tumoren in
2 Sitzungen, am 6. 3. 69. und 9. 4. 69. Nach 3 Monaten Heilung. Tod
an Leberleiden.
IM. Kaposi (Arch. f. Dermat. u. Syph. IV. Jahrg. S. 265.). 50jähr.
Mann. Pigmentsarcom der linken Fusssohle. — 4 — 5 Knoten in der Haut
sitzend. — Caustische Zerstörung. Recidiv. — Operation im Sommer 1870.
191. Virch^w (Handbuch der Pathol. und Therapie 3. II. S. 475.).
30jähr. Mann. — Pigmentirtes Spindelzellensarcom der rechten grossen Zehe,
seit wenigen Monaten bestehend. — Thalergrosse, schwarzblau verfärbte Ge-
schwulst. Hautcoloril im Allgemeinen fahlgelb. Exstirpat. im Sommer 1872.
192. Busch (Arch. f. klin. Chir. XIII.). Pat. unbek. — Melanotische
Geschwulst der Planta pedis. — Exstirpation Anfang 1869. Recidiv in den
Inguinaldrüsen. — Exstirpation. Tod an der Operation.
193. Malmsten (Canstatt's Jahresberichte. 1876.). 41jähriger
Mann. — Rund- und Spindelzellensarcom der linken Fusssohle, seit 3 Jahren
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Statistik und klinische Bedeutung melanotiscber Geschwülste. 301
bestehend. — Ingninaldrüsen geschwollen. — Exstirpation. Tod an Ent-
kräftung. Allgemeine Melanose.
If4. Simon (Gaz. des Höpit. 69. 1861.). Pat. unbek. — Melano-
tiscber Tumor über dem Talus. — Exstirpation. Nach einem Jahr Rccidiv;
Schwellung der Leistendrüsen. — Exstirpation. Hecidiv. — Tod an allge-
meiner Melanose.
IK. Derselbe (Ebendaselbst.). Pat. unbek. — Melanotische Knoten
der Zehen, seit 2 Jahren bestehend. — Partielle Amputation. Recidiv. All-
gemeine Infection.
IM. Krönlein (Arch. f. klin. Chir. XXI. Supplement S. 335.). 60j.
Mann. — Melanotisches Sarcom in der linken Fusssohle, seit 12 Jahren be-
stehend. — llaselnussgrosser, schwarzer Knoten In der Haut. Leistendrüsen
links geschwollen. — Exstirpation am 25. 4. 75. 3 Monate später multiple
melanotische Knoten des linken Unterschenkels.
IM. Kolaczek (Deutsche Zeitschr. f. Chir. XII.). 63jähr. Mann. —
Melanotisches Sarcom der linken Ferse, seit 3 Jahren bestehend. — Auf einer
schwarzen Blatter entstand die Mannsfanstgrosse , pilzhutförmige Geschwulst.
Leistendrüsen beiderseits geschwollen und indurirt. — Exstirpation des Tu-
DQors and der Drüsen im August 1875. Nach 15 Monaten Localrecidiy und
1 Monat darauf Tod an Pneumonie (!).
I#8r Weisser (Dissertat. Berlin 1876.). 24jähr. Mann. — Sarcoma
melanoticum des linken Fussrückens, seit 2^2 J&bi'on bestehend. — Wall-
nussgrosser Tumor. — Exstirpation im August 1875. Tod 10 Monate nach
der Operation. Section: In fast allen inneren Organen secundäre Eruptionen,
IM« Nieberg (Dissert. Würzburg; Billroth, Chirurg. Klinik. Wien
1871 — 76.). 48jähr. Frau. — Melanotiscber Tumor der dritten linken Zehe,
seit 2 Jahren bestehend. — ßohnengrosse Geschwulst. — Exstirpation am
6. 12. 76. — Gesund nach 5 Monaten.
116. Derselbe (Ebendaselbst.). 55jähr. Frau. — Melanotiscber Tumor
der liifken Fersenhaut, seit 1 Jahr bestehend. — Exstirpation am 6. 12. 76.
Gesund nach einem Jahr.
IIL Derselbe (Ebendaselbst). 34j. Mann. — Melanotiscber Tumor
der rechten Ferse und Fusssohle, seit 13 Monaten bestehend. — Leisten-
drüsen geschwollen. — Cauterisation im April 1871. Recidiv. — Tod fünf
Monate nach der Operation.
112. Derselbe (Ebendaselbst.). Pat. unbek. — Melanotiscber Tumor
der Haut der Planta pedis. — Exstirpation.
IIS. (Chir. Klinik. Heidelberg.) 66jähr. Frau. — Sarcoma melanot.
pedis sinist., seit 9 Monaten bestehend. — Recidiv. Operation am 1 7. 2. 81.
Tod S'/j Monate naib der Operation.
c) Sitz unbekannt.
114. Dobson (Canstatt's Jahresberichte. 1881.). 37j. Mann. —
Rundzeilensarcom mit Pigmentinseln. — Exstirpation. Innerhalb weniger
Wochen nach der Operation , kaum 1 Jahr nach dem Beginn des primären
Tumors locale und allgemeine Recidive.
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302 Dr. Philipp Dieterich,
II. Kranke, welche an melaROtiscken Geschwülsten litten und nicht
operirt wurden.
Il&t Andrews (C an statt 's Jahresberichte. 1872.). 46j. Mann. —
Melanotische Oarcinomata der Kopfhaat nnd an den Fingern. Section: Zahl-
reiche sec. Knoten am Mesent. , Oment. und Duodenum, die übrigen Bauch-
Organe frei.
116. von Langen beck (Deutsche Klinik. 1860). Patient unbek. —
Melanotisches Sarcom am oberen Augenlid. — Auf einem angeborenen Naems
im hohen Alter entstanden.
117. Krönlein (Arch. f. klin. Chir. 21. [Supplem.]). 31j. Mann. —
Melanotisches Carcinom der Regio mastoid. sin. — Anfang: April 1875, nach
10 Monaten, 23. 2. 76., Tod. — Auf Verwundung einer oongen. Warze ent-
stand ülceration etc. Ausgedehnte Infiltration der Cerficaldräsen. — Section:
Metastatische Krebsknoten im Gehirn, alter Leberabscess.
118. Schiffer und Wist (Canstatt's Jahresberichte. 1866.). 24j.
Mann. — Melanotisches Sarcom der Schädelbasis (aus dem Knochen ent-
wickelt). — Section: Allgemeine Melanose.
119. Orsi (C ans tatt's Jahresberichte. 1869.). SOjähr. Mann. —
Am ganzen Körper pigmentirte Naevi. Seit 2 Jahren Convulsionen. — Tod
unter den verschiedensten Symptomen von Gehirn- und Rückenmarksreizung.
— Section: Carcinoma melanodes durae matris über dem rechten Felsenbein,
Pigmentinfiltration der Pia mater und Arachnoidea cerebr. et spin., der Hirn-
rinde und der Wurzeln der Hirn- und Rücken marksn er ven. Einige Pigment-
inseln in der Lam. int. pericardii. Kleine metastatische Abscesse in der
Schilddrüse und den Nieren.
12#. von Langenbeck (Deutsche Klinik. 1860.). Pat. unbek. —
Melanotisches Carcinom in der Herzgrube. — Circa 80 metastatische Knoten.
121. Morgan (Canstatt's Jahresberichte. 1868.). 64j. Mann. —
Starker Trinker mit melanotischer Ablagerung fast in der ganzen Ausdehnung
des Oesophagus.
122. Billroth (Chir. Klinik. Wien 1871— 76.). Pat. unbek. — Mela-
notische Geschwulst in der Achselhöhle.
12S. Nyström (Schmidt's Jahrbücher. 1874.). 47jähr. Frau. —
Melanotische (!) Geschwulst in der rechten Seite, — Anfang: Herbst 1871,
nach 10 Monaten, im Juli 1872, Tod an allgemeiner Melanose.
124. Block (Canstatt's Jahresberichte. 1875). 48jähr. Frau. —
Melanotisches Endotheliom der Leber. — Anfang: August 1874, nach fünf
Monaten, im December 1874, Tod.
125. Götz (Schmidt's Jahrbücher. 1879.). 5^5 ähr. Mann. — Mela-
notische Tumoren der Haut der Brust und Lendengegend. — Nach 6 Wochen
Tod an melanotischem Leberkrebs und allgemeiner Melanose.
12C. Geffrier (Canstatt's Jahresberichte. 1880.). Pat. unbek. —
Dyspnoe, Beschleunigung der Herzbewegung, Erbrechen, Aphasie. — Tod. —
Section; Melanotische Tumoren in dep Brusthöhle,
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Statistik und klinische Bedeutung melanotischer Geschwülste. 303
m. Paneth (Arch. f. klin. Chir. 28.). 54j. Frau. — Melanotisohes
Spiodelzellensarcom des Mastdarmes. -^ INach einem Jahr Tod. — Secundäre
Knoten in fast allen Organen.
128. Walzberg und Riedel (Deutsche Zeitschr. f. Chir. XV. 1881.).
Fat. unb. — Multiple melanotiscbe Geschwülste der Rückenhaut.
129. Dieselben (Ebendaselbst.). Pat. unbek. — Multiple melanotiscbe
Geschwülste der Rückenhaut, aus einem Pigmentmal entwickelt.
ist. Billroth (Chir. Klinik. Wien 1871—76.). 26jähr. Mann. —
Melanotiscbe Geschwulst des rechten Oberarmes. — Anfang vor 7 Jahren. —
Wucherung eines Males zum Thalergrossen Geschwür mit schwarzen Rändern.
Achseldrüsen Thalergross. Spitzendämpfung.
151. Derselbe (Ebendaselbst.) 24jähr. Mann. — Melanosarcom des
linken Oberarmes. — Nach 4 Monaten Tod. — Aus einem Mal entwickelte
sich ein Apfelgrosser Tumor. Achseldrusen geschwollen. — Section: Leber
und Lunge nicht melanotisch.
152. Neumann (Arch. f. Heilk. XIL 1871.). Pat. unbek. — Mela-
notiscbe Geschwulst der grossen Zehe.
188. Kaposi (Arch. f. Derm. u. Syphil. IV. 1872.). 45j. Mann. —
Melanotiscbe Knoten an beiden Füssen. — Anfang vor 8 Monaten.
184. Derselbe (Ebendaselbst.). 40j. Mann. — Melanotiscbe Knoten
an der linken Fusssohle.
185. Derselbe (Ebendaselbst.). lOj. Knabe. — Melanotiscbe Knoten
am Unterschenkel. — Nach einem Jahr Tod.
I8C Derselbe (Ebendaselbst.). 66j. Mann. — Anfang vor vierzehn
Monaten. Nach 16 Monaten, am 21. 5. 69., Tod. — Melanotiscbe Knoten
über den ganzen Körper verbreitet.
187. Derselbe (Ebendaselbst). 68j. Mann. — Anfang: Im Sommer
1867. Gesammtdauer 1 V4 J&hr. — Melanotiscbe Knoten über den ganzen
Körper verbreitet.
188. Krönlein (Arch. f. klin. Chir. 21. Snpplem.). 25j. Mann. —
28. 6. 76. Tod. — Section: Unzählige melanotiscbe Gesohwülste in der
Haut und in fast allen Organen.
189. Meissner (Sohmidt's Jahrbücher. 1865.). 46 jähr. Mann. —
Anfang: Ende 1859, nach 2 Jahren, 7. 11. 61., Tod. — Section: Allge-
meine Melanose.
14t. Malmsten und Bax (Canstatt's Jahresberichte. 1867.). Pat.
unbek. — Auf eine interessante kleine Darstellung folgt Tod. — Section:
Allgemeine Melanose.
141* Meissner (Sohmidt's Jahrbücher. 1879.). 40 jähr. Frau. —
Melanotischer Krebs der Leber. — Tod an allgemeiner Melanose.
142. Mattissen (Dissert. Bonn 1879.). 51 jähr. Mann. — Anfang:
1876, nach 2 Jahren, 13. 11. 78., Tod an allgemeiner Melanose.
U8. Bulkley (Canstatt's Jahresberichte. 1880.). 22j. Mann. —
Tod. Multiples Melanosarcom der Haut und allgemeine Melanose.
144. (Chir. Klinik. Heidelberg. S. Fall.). 70jähr. Frau, — Pigment.
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304 Or. Philipp Dieterich,
Geschwulst neben der Nase und auf der Bauchhaut, auf pi^mentirte Warzen
entstanden. — Anfang: 1880, nach 8' o Jahren, 19. 11. 83., Tod.
145. Paneth (Arch. f. klin.Chir. XXVIII.). Pat. nnbek. — Ablagerung
melanotischer Massen in die Beckenhöhle. Nur bei der Section beobachtet.
Das gesaramte Material, das mir zu Gebote steht, beläuft sich
sich auf 145 Fälle; 137 entstammen der Literatur und 8 Fälle
füge ich aus der Heidelberger chirurgischen Klinik hinzu.
Es kommen davon auf das männliche Geschlecht 74, auf das
weibliche 59; bei 12 Fällen ist das Geschlecht nicht angegeben.
Was das Lebensalter anbelangt, so ergiebt sich folgende Häufig-
keitsscala:
Jahre.
Zahl
der Patienten.
Unter 10
5
Von 11-20
2
. 21-30
15
. 31-40
20
r 41—50
29
„ 51-60
29
. 61-70
23
., 71-80
2
Unbek. Alters
20
145 —20 = 125.
* 2 Jahr bildet die unterste, 75^ 4 die oberste Grenze. Dab
mittlere Alter, aus den 125 Fällen berechnet, beträgt 45,8 Jahre
für einen Patienten.
Eiselt ^) hat eine Darstellung der melanotischeu Geschwülste
in ihrer Vertheilung auf die verschiedenen Decennien in Procenten
gegeben; zum Vergleich stelle ich meine Fälle in Procenten da-
neben :
Decennien.
I.
H.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
vni
Nach meiner Zusammenstellung ist kein Decennium frei, wäh-
rend bei Eiselt, dessen Tabellen doch auch 104 Fälle enthalten,^das
I. und VIII. verschont bleibt. Mit den Jahren nimmt die Häufig-
keit der melanotischen Neubildungen zu, mit dem V. und VI. De-
ach Eiselt.
pCt.
—
4,00
5,00
1,60
17,00
12,00
15,00
16,00
25,00
23,20
28,00
23,20
10,00
18,40
—
1,60
') Eiselt, Ueber Pigmentkrebs. Prager Vierteljahrsschr. Bd. 76. 1862.
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Statistik und klinische Bedeutung molanotlschor Geschwülste. 305
cennium erreicht sie ihren Höhepunkt und sinkt dann wieder.
Wenn auch die melanotischen Geschwülste in allen Jahren vorzu-
koraraen pflegen, so sind sie doch besonders eine Erkrankung des
reiferen Alters. Die seltensten Fälle fallen auf die Jahre 11 — 20,
71 — 80, die häufigsten in das Alter von 41 — 60 Jahre.
Was die Entstehungsursache betriflft, so Hess sich nur in der
Minderzahl der Fälle ein ätiologisches Moment ausfindig machen,
denn meistens giebt die Anamnese, welche die Patienten über die
Entstehung der melanotischen Geschwulstbildung anzugeben ver-
mögen, keinen Aufschluss, obwohl sie zuweilen die Zeit, wann das
erste (schwärzliche!) Knötchen bemerkt wurde, enthält. In Bezug
auf Stand, ßeschäftigungsweise , Heredität, vorhergegangene er-
schöpfende Krankheit und dergl., die man hie und da als Ursache
einer Geschwulstbildung erwähnt findet, fehlen jegliche Anhalts-
punkte, üeber Constitution und Ernährungsverhältnisse waren in
verschiedenen Krankenberichten Angaben gemacht, doch ist dabei
zu bedenken, dass der Status in der Regel zu der Zeit aufgenom-
men ist, wo der Patient ärztliche Hilfe aufsuchte, bezw. kürzere
oder längere Zeit mit dem Leiden behaftet war. In wenigen
Fällen sind allein traumatische Reizungen angegeben, die den spä-
ter erkrankten Theil kürzere oder längere Zeit vor dem ersten
Bemerktwerden der Geschwulst betroffen haben. Als Reize sind
angegeben: Fall, Kratzen, Verletzung und Aetzung, Verbrennung.
Allerdings auffallend ist der Reiz in Fall No. 51, wo nach Appli-
cation eines Vesicators eine nässende Stelle zurückblieb, auf der
sich 3 Jahre später die melanotische Geschwulst entwickelte. Die
Frage, warum nicht auf jedes Trauma eine melanotische Geschwulst
entsteht, führt uns zu dem Schluss, dass noch ein weiteres Mo-
ment hinzukommen muss, sei es nun, „dass man dies nach Vir-
chow in einer örtlichen Disposition, nach ßillroth in einer spe-
cifischen allgemeinen Diathese für Geschwulstbildung oder endlich
nach Cohnheim in einem Fehler der embryonalen Anlage, in
einer Production und Abschliessung überflüssiger Zellen zu finden
geneigt ist." Eine Ursache zur Entstehung melanotischer Ge-
schwülste kennen wir nämlich und das ist die aus sogenannten
Malen und Warzen, auf die uns Benzler in seiner Dissertation:
„Die Naevi als ürsprungsstätten melanotischer Geschwülste*' wieder
aufmerksam gemacht hat. In den Tabellen finden sich 37 Fälle,
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306 Dr. Philipp Dieierich.
bei denen Male oder auch Warzen als Ursprungsstätten angeführt
sind; mehrmals ist dabei noch die Einwirkung eines Traumas an-
gegeben. — Wenn Pigmentanoroalien am Körper vorhanden sind,
so ist man jedenfalls berechtigt, eine gewisse Disposition zur Bil-
dung melano tischer Geschwülste anzunehmen.
In fiezug auf den Sitz der Primärerkrankung vertheilen sich
die 145 Fälle in der Weise, dass auf den Kopf 28, auf den Hals
11, auf den Rumpf 41, auf die Extremitäten 48, auf unbekannten
Sitz 1 Fall kommen.
Auf mehrere Theile oder über den ganzen Körper verbreitet
sind 16 Fälle.
Ueber die Betheiligung der regionären Lymphdrüsen finden
sich von den 114 Fällen, die operirt wurden, in 25 Fällen Notizen
über Anschwellungen* zur Zeit der Operation. Welche Zeit zwischen
dem Auftreten der primären Erkrankung und der Affection der be-
nachbarten Lymphdrüsen verging, Hess sich nicht ermitteln. Die
Feststellung einer Durchschnittsdauer in dieser Hinsicht wäre
sicher von Interesse!
Das Leiden wurde von der Zeit der Operation zurückdatirt
bei 72 Fällen, in denen hierüber Angaben enthalten sind:
Zeit. Zahl der Fälle.
3 Monate und darunter in 12
3— 6 . .11
6-9 . .6
1 Jahr „ 10
1 . 1 Monat „ K
1.3. .1/
1 , 6 „ , 4l
1.8, . l(
1 • 10 « - i;
2 Jahre « 8
2^6 Monate . 1
3 . . 8
7 „ „1
9 . «1
10 , .2
12 „ n l
n n .1
20 . . 2
72.
Die kürzeste Dauer war 4 Wochen, die längste 20 Jahre;
die durchschnittliche Dauer des Leidens bis zur operativen Behand-
lung, aus den 72 Fällen berechnet, beträgt 2V, Jahre.
Die Operation bestand in der Regel in Exstirpation der Ge-
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Statistik und klinische Bedcutuug melanoiischer Geschwülste. 307
schwulst event. der geschwollenen Lymphdrüsen rait dem Messer,
einmal Abtragung der Geschwulst mit der Scheere, einmal Abtra-
gung mit Ecraseur, 2 mal Abbinden, einmal Exstirpation und Aus-
kratzen, 2 mal Exstirpation und Cauterisation, 4 mal Cauterisation,
5 mal Entfernung der Glieder, an denen die Geschwulst sass
(1 Exarticulation des Oberarms, 1 Exariiculation des Daumens,
1 Exarticulation der Nagelphalanx, 1 Amputation des Oberschen-
kels und l partielle lAimputation der Zehen).
Bei 33 Fällen der 114 Operirten fehlen weitere Notizen, so-
mit bleiben 81 Fälle, an denen man den Erfolg der Operation
controliren kann. Von diesen 81 Fällen ist bei 53 der Tod, bei
15 mit Recidiv lebend, und bei 13 gesund verzeichnet.
Beginnen wir bei dem Studium des Operationserfolges mit
denjenigen Fällen, die recidivirten.
Von den Operirten überhaupt sind bei 37 Recidive verzeichnet,
von denen bei 15 die Zeit ihres Auftretens nicht angegeben ist,
bei den übrigen 22 Fällen traten Recidive in folgender Zeit auf:
in den ersten 6 Monaten in 16 Fällen,
von 6— 12 „ r. 3 ,
« 12-15 , 3 .
Summa 22 Fallen.
Das Auftreten der Recidive schwankt von 2 Tagen bis zu
15 Monaten. Im Durchschnitt kommt auf jeden Patienten eine
Heilungsdauer von 57^ Monaten.
Von den von Recidiv befallenen Patienten sind 15 als lebend
in den Tabellen erwähnt, ßei 13 von ihnen wurde einmal, bei 2
zweimal operirt.
Die 53 Patienten, — von denen 9 in Folge oder bald nach
der Operation (an Sepsis, Erysipel, Meningitis, Pneumonie) zu
Grunde gingen, — starben entweder an allgemeiner Melanose, an
dem Recidiv oder unterzogen sich einer zweiten und dritten Opera-
tion, auf welche dann wieder Recidiv oder Metastase eintrat, die
den Tod herbeiführten.
Die Zeit von der ersten Operation bis zum Tode beträgt in
40 Fällen:
14 Tage und darunter in 11 Fällen,
14 , bis 1 Monat ^ 4 ^
1 Monat bis 7, Jahr ^ 8 „
') Daxu sind die Fälle gerechnet, bei denen nur Exstirpation ver-
teiehnet ist
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308 Dr. Philipp Dieterich.
Vs Jahr bis 1 Jahr in 11 Fällen,
1 , . 2 . . 4 .
:? . « 3 . .1 Fall,
10 . . 1 .
Die geringste Zeit beträgt 3 Tage, die längste 10 Jahre; die
Durchschnittszeit, aus den 40 Fällen berechnet, für einen Patien-
ten beträgt 9,8 Monate.
Für die Möglichkeit (I) der radicalen Heilung der melanoti-
schen Geschwülste sprechen die 13 Fälle, ^e als ^gesund** ver-
zeichnet sind; vou ihnea haben 11 eine und 2 zwei Operationen
durchgemacht. Die recidivfreie Zeit beträgt:
7 Wochen in 1 Fall (No. 14),
5 Monate ^ 2 Fällen (No. 66 u. 109),
1 Jahr „ 2 „ (No. 88 n. 110),
1 „ 2i Monate „ 1 Fall (No. 26),
2 Jahre 6 „ « 1 n (No. 96),
3 „ .2 Fällen (No. 65 u. 90),
4 . .1 Fall (No. 87),
4 „ 6 „ „ 1 , (No. 15),
9 « n 1 . (No. 9),
12 , . 1 . (No. 41).
13 Fälle.
Die geringste Zeit der Heilung beträgt 7 Wochen, die grösste
12 Jahre. Für einen Patienten beträgt die durchschnittliche Hei-
lungszeit 3y^ Jahre.
Betrachtet man die seit mehr als 3 Jahren Operirten als
ziemlich sicher geheilt, so ist eine dauernde Heilung erzielt in
4 Fällen. Dass aber auch eine recidivfreie Zeit von 4, ja sogar
von 9 Jahren noch zu kurz ist, um auf eine Radicalheilung mit
Sicherheit schliessen zu können, beweist uns Fall No. 38, wo nach
10 Jahren der Tod an allgemeiner Melanose eingetreten ist. Wenn
auch in diesem Falle kein Recidiv nach der Operation aufgetreten
ist, so ist doch klar, dass Patient dem Leiden erlegen ist, wes-
wegen er 10 Jahre vorher operirt wurde. In Fall No. 41 ist Pa-
tient nach 12 Jahren gesund, obwohl eine Recidivoperation vorge-
nommen ist, die als eine sehr ausgedehnte und eingreifende Ope-
ration bezeichnet werden muss. Dass dieser Patient noch nach
12 Jahren lebt, ist sicher mehr als man von dem Erfolge einer
Operation bei melanotischen Geschwülsten zu erwarten gewohnt ist.
Eine interessante Frage ist die, wie lange dauert es, bis die
melanotischen Geschwülste, vom Anfange ihrer Entwickelung an ge-
rechnet, das daran leidende Individuum tödten, und wie lange ist
die Lebensdauer Derjenigen, bei denen genannte Geschwülste cx-
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Statistik und klinische Bedeotang melanotischer Geschwülste. 309
stirpirt werden ? Um ein Resultat in dieser Hinsicht zu bekommen,
stelle i(^h erst die Fälle, die sich in dem Abschnitt II, an denen
keine Operation vorgenommen wurde, mit den nöthigen Angaben
finden, zusammen. Die Gosammtdauer beträgt:
6 Wochen in 1 Fall,
4 Monate
ft
1 ,
5 ,
»»
1 •
10 ,
n
2 Fällen,
12 „
»
2 .
15 ,
n
1 Fall,
16 ,
n
1 .
2 Jahre
n
3 Fällen,
•i'i -
«
1 Fall,
13 Fäli.j
Die Gesammtdauer der Erkrankten, die nicht operirt wurden,
schwankt demnach von 6 Wochen bis zu V/.^ Jahren; die Durch-
schnittsdauer beträgt 15 Monate.
31 Fälle habe ich aus dem Abschnitt I gefunden, an denen eine
Operation vorgenommen ist und die hier verwendet werden können.
Bei ihnen beträgt die Lebensdauer:
3 Monate bis 1 Jahr in 4 Fällen,
1-2 Jahr«
, 8 ,
2-3 .
, 7 „
3-4 .
, 5 .
4-5 .
, 4 .
10 .
, 1 Fall,
12 ,
» 1 ,
20 ,
. 1 ,
31 Fälle.
Die Gesammtdauer der Erkrankten, die operirt wurden und
gestorben sind, schwankt von 3 Monaten bis zu 20 Jahren; die
Durchsiihnittsdauer beträgt 3^4 Jahre.
Wenn man die beiden Zusammenstellungen in Bezug auf die
Durchschnittsdauer der Erkrankung betrachtet, so ist klar, dass
die 15 Monate der Nichtoperirten ebenso wie die Zahl der Fälle
zu klein ist, um mit Bestimmtheit auf die Zeit zu schliessen,
um wie viel das Leben durch die Operation verlängert wird. Ein
zweiter Punkt, der einen Schluss sehr erschwert, ist der, dass die
Nichtoperirten wegen des Sitzes der Neubildung auch eine kürzere
Lebensfrist haben; ich erinnere beispielsweise an die melanotischen
Geschwülste der Leber, wie sie sich im Abschnitt II ja finden.
Nachdem die in der Statistik zusammengestellten Fälle in den
einzelnen Punkten, die klinisches Interesse bieten, berücksichtigt
V. Langcobeck, Arohiv f. Chirurgie. XXXV. 2. 2 1
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810 Dr. Philipp Dieterich,
sind, kommen wir zu folgendem Schluss in Bezug auf den Verlauf
der melanotischen Geschwülste: Fast in der Regel beginnen sie
als ein kleines Knötchen in der Haut, meistens an den Extremi-
täten — und da besonders häufig am Fusse — etwas seltener
am Rumpfe oder am Kopfe und noch weniger am Halse. Der
Verlauf ist sehr verschieden. Aus einer Zahl der Fälle ergiebt sich,
dass nach dem Auftreten der primären Geschwulst in unglaublich
kurzer Zeit die benachbarten Lymphdrüsen anschwellen, die Haut
sowie die inneren Organe wie durchsäet an melanotischen Tumoren
sich zeigen und dass zwischen dem ersten Auftreten der Geschwulst
und dem Tode nur Monate vergehen; in einer zweiten Zahl ist der
Verlauf ein sehr langsamer, die Geschwülste wachsen oft lange
Zeit wie andere gutartige local (!), es vergehen Jahre, bis sie zur
merklichen Grösse herankommen und die inneren Organe sind
scheinbar frei von jeglicher Infection.
„Einen Beitrag zum klinischen Bild liefert Kaposi') „üeber
idiopathisches multiples Pigmentsarkom der Haut" , welches sich
in seinem Verlaufe dadurch unterscheidet, dass es regelmässig an
den Füssen begann, von da nicht den grossen Lymphgefässen
entsprechend Nachschübe veranlasste, dass die Drüsen fast gar
nicht alterirt erschienen, und die Annahme von einer weiteren
Fortpflanzung per Metastasen auch durch den Umstand schwerlich
unterstützt wird, dass eben beide Füsse und bald sogar auch beide
Hände in gleich intensiver Weise, und von allen Körperregionen
überhaupt am intensivsten erkranken •*.
Der Verlauf der Krankheit ist nicht unabhängig von dem
Sitz und der Grösse der Geschwulst. Ist die Diagnose, die in den
meisten Fällen keine Schwierigkeiten macht, gesichert, so ist man
sich selbstverständlich in Bezug auf Prognose nicht mehr im Un-
klaren, immer ist dieselbe als höchst ungünstig zu bezeichnen.
Das traurige Resultat in Bezug auf Heilbarkeit der melano-
tischen Geschwülste drängt uns die Frage auf: Sollen melanotische
Geschwülste überhaupt exstirpirt werden, oder welche sonstige
therapeutische Behandlungsweise soll ihnen zu Theil werden? Wenn
wir uns hier an die vorhergehende Casuistik und an die Folgerungen
aus derselben erinnern in Bezug auf die Dauer der Erkrankung bei
') Archiv fQr Dermatologie und Syphilis. 1873.
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312 Dr. Philipp Dieterich,
können! Die Frage, wann man operiren soll, wird allgenaein dahin
beantwortet, dass man sagt, so frühzeitig als möglich soll die
Operation vorgenommen werden. Nicht nur melanotische Ge-
schwülste sollen möglichst früh vom Körper entfernt werden, son-
dern auch die Stellen, die verdächtig sind, die ürsprungstätten
genannter Geschwülste zu werden; auch die Pigmentmäler und
Warzen, namentlich an Stellen, welche Traumen ausgesetzt sind,
sollen, bevor sie zu wachsen beginnen, ebenso wie die melanoti-
schen Geschwülste selbst so früh als irgend möglich exstirpirt
werden. Man operire soweit als möglich im gesunden Gewebe.
Vielleicht würde sich besonders bei den melanotischen Geschwülsten
der Vorschlag Waldeyer's, der Operation eine Aetzung mit Ferr.
cand. folgen zu lassen, empfehlen, da eine Heilung durch die tüch-
tige Eiterung und Granulationsbildung möglicherweise viel nütz-
licher sei als die prima intentio, sie könne wie eine Nachoperation
wirken (durch Ausstossen der fremden Elemente).
1. Fall. A. H., Kaufmann. 43 Jahre alt, aufgenommen am 22. Juli
1879. Ein faustgrosser Tumor silzt in der rechten Leistengegend, ein klei-
nerer an der rechten Hinterbacke. 22. Juli 1879 Operation. Exstirpation
des Tumors in der Leistengegend; der Tumor geht bis auf die Ge^sscheide
und aussen längs des Nervus cruralis bis unter das Ligamentom Poupartii.
Die Wunde wird mit 5procentiger Chiorzinklösung ausgetupft, 2 Drains ein-
gelegt. Ausserdem Entfernung des kleinen Tumors an der Hinlerbacke. —
Nach 10 Tagen waren beide Wunden geheilt und Patient wurde am 2. August
entlassen. 1 Jahr nach der Operation starb Patient an Entkräftung. — Mi-
kroskopische Untersuchung: Beide Tumoren erweisen sich als melanotische
Sarcome.
2. Fall. B. A., Frau, 58 Jahre alt, aufgenommen am 12. Nov. 1879.
Seit 2 Jahren bemerkte Patientin einen kleinen Knoten unter der Haut auf
der linken Seite des Halses, unterhalb des Processus mastoideus. Dieser
Knoten entstand allmälig. ohne der Patientin Beschwerden zu machen. Als
er vor einem Jahr die Grösse einer Wallnuss erreicht hatte, entzündete er sich
und wurde schmerzhaft. Auf Anwendung einer Salbe ging Entzündung und
Schmerzhaftigkeit zurück. Der Knoten nahm langsam an Umfang zu, in den
letzten 6 Wochen ist er sehr schnell gewachsen, war aber nicht mehr schmerz
haft und und verursachte auch sonst keinerlei Beschwerden. Patientin ist
eine recht kräftige und gesund aussehende Frau. Auf der linken Seite des
*) Waldeyer, üeber den Krebs, v. Volk man n's klinische Vortrage.
No. 88.
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Statistik und klinische Bedeutung melanotisoher Geschwülste. 313
Halses befindet sich ein Tamor direct unter Haut, die über ihm in Falten
abhebbar ist. Der Tumor besteht aus mehreren einzelnen Knoten , von
welchen der grösste. gut apfelgross, hinter dem aufsteigenden Kieferaste
liegt, vom Processus mastoideus bis zum Kieferwinkel reicht und sich vom
Kieferrande 8 Centimeter weit nach hinten erstreckt. Dieser Knoten ist
namentlich in der Richtung von vorn nach hinten auf seiner Unterlage ver-
schieblich. Von ihm aus geht, entsprechend dem Verlaufe der grossen Ge-
fasse. eine Anschwellung nach unten bis zur Clavicula, die etwa 5 Ctm. breit
ist und der Unterlage, wohl der Gefässcheide. recht fest aufsitzt. Ausserdem
finden sich noch kleine vereinzelte Knötchen in der Fossa supraclavicularis,
dem Verlaufe des Plexus entsprechend. Die ganze Geschwulst ist von höcke-
riger Oberfläche und recht derber Consistenz. Beim Schlucken bewegt sie
sich nicht mit, — 17. Nov. 1879 Operation. Es wird ein Schnitt über die
Höhe des Tumors hinter dem Kieferwinkel gemacht. Die Freilegung der Ober-
fläche des Tumor gelingt ohne grosse Schwierigkeiten, dagegen ist es schwie-
riger, denselben nach oben frei zu prapariren. Nach unten kann er nicht
völlig isolirt werden, da er sich unmittelbar in die beiden Stränge fortsetzt,
die längs der Gefässcheide und des Plexus nach unten gehen. Diese Stränge
werden darchtrennt und der Tumor von der Unterlage abpräparirt. Von
einer Exstirpation der sich nach unten erstreckenden Fortsätze der Geschwulst
wird abgesehen. Aus den darchnittenen Geschwulstmassen , in deren mor-
schem Gewebe die Schieber nicht recht sitzen, kommt ziemlich viel Blut. Die
Seidenligaturen werden versenkt, Drains eingelegt. — 5 Tage nach der Ope-
ration bekommt Patientin starke ausstrahlende Schmerzen in den linken Arm,
die linke Hand wurde etwas ödematös; beide Erscheinungen sind 3 Tage
später vollständig zurückgegangen und die Wunde ist geheilt. Am 26. Nov.
wird Patientin entlassen. — Bald nach der Operation begann der Rest des
Tumors, der sitzen bleiben musste, sich zu vergrössern. Mehrmals brach die
Geschwulst auf und verursachte starke Blutungen. Tod an Entkräftung
Spätherbst 1880. M.-U.: Melanotisches Sarcom.
3. Fall. K. G., Frau, 50 Jahre alt, aufgenommen am 4. Juni 1880.
Vor 3 Jahren bekam Patientin vor und unter dem linken Ohrläppchen ein
kleines hartes Knötchen, das im Laufe eines Jahres bis zur Grösse einer Wall-
nass heranwuchs. Ein Arzt entfernte das kleine Knötchen. Seit ^\ Jahren
bildete sich in derselben Gegend langsam ein zweiter Knoten, der anfangs
Grösse und Aussehen einer Warze gehabt und erst in den letzten Wochen
durch sehr schnelles Wachthum die jetzige Grösse erreicht haben soll. Unter
dem linken Ohr sitzt eine Hühnereigrosse Geschwulst, die durch eine Linie,
welche das äussere Ohr von oben nach unten halbirt, in zwei ziemlich gleich
grosse Abschnitte getrennt wird. Nach abwärts reicht die halbkugelige Ge-
schwulst bis zum Unterkieferwinkel, hat eine Peripherie von 14 Ctm., eine
Breite von 6. Ctm. und eine Höhe von 5 Ctm. Die Haut darüber ist blauroth
verfärbt, von zahlreichen Gefässen durchzogen und nicht in Falten abhebbar.
Die Consistenz ist weich, an einzelnen Stellen ist Fluctuation zu fühlen. Von
der blauroth gefärbten Geschwulst gehen noch verschiedene kleine Fortsätze,
die schwach röthlich gefärbt und ebenfalls von derber Consistenz sind, aus;
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314 Dr. Philipp Dieterich,
nach hinten geht ein haselnnssgrosser, nach unten ein wallnussgrosser Tamor.
Bei Druck keine Schmerzen. Drüsenschwellung nicht vorhanden. Pat. sieht
abgemagert aus. 5. Juni 1880 Operation. Die Geschwulst wird umschnitten
und anscheinend rein exstirpirt, kleine Partieen der Parotis müssen mit entfernt
werden. Durchschnitten werden: Vena jugul. ext., die mit dem Tumor fest
verwachsen ist, Vena faoial. anter., ein stärkerer Ast der Art. temporalis und
ein Ast des Nervus facialis. In der Tiefe sieht man die von dem hinteren
Blatt der oberflächlichen Halsfascie bedeckte Carotis pulsiren. Im Ganzen
werden 14 Seidenligaturen angelegt: theilweise Vereinigung der Wunde mit-
telst 10 Nähten. In der Naht des oberen Winkels klafft die Wunde etwa in
der Ausdehnung eines Daumennagels. — Am 3. Tage nach der Operation
sind die vernähten Abschnitte so verheilt, dass die Nähte entfernt werden.
Am 17. Juni wird Patientin auf ihren Wunsch entlassen. Die noch nicht
übernarbte Stelle im oberen Wundwinkel ist etwa 1 Pfennigstückgross, alles
übrige per primam geheilt. Von Härten in der Umgebung der Narbe ist nichts
mehr zu fühlen. Patientin hat eine Pacialisparese im unteren Abschnitte der
linken Gesichtshälfte durch die Operation erlitten. Einige Zeit nach der Ent-
lassung Localrecidiv. Fiühjahr 81 Operation des Recidivs. Tod an Entkräf-
tung 1. Mai 1881. Mikrosoopische Untersuchung ergiebt ein melanotisches
Sarcom.
4. Fall. Chr. Seh., Haushälterin, 66 Jahre alt, aufgenommen am
14. Februar 1881. Vor V4 Jahren bekam Patientin starke Schmerzen und
etwas später Anschwellung des linken Fusses. Die Anschwellung wuchs an>
fangs langsam, in den letzten 14 Tagen sehr schnell. Am linken Fuss findet
sich ein kindskopfgrosser Tumor, der an der Basis der Zehen beginnt und
sich sowohl über die Dorsal- als Volarseite des Fasses bis an das Cho-
part'sche Gelenk erstreckt. Die Haut über demselben ist theils roth, theils
blauroth verfärbt, es lassen sich zahlreiche hasel- bis wallnussgrosse fluo-
tuirende Stellen durchfühlen. An der Dorsalseite findet sich eine Ulceration,
durch welche man mit der Sonde ziemlich tief kommt, jedoch nirgends den
entblössten Knochen fühlen kann. An der Innenseite der linken Wade sitzt
eine linsengrosse, blaurothe derbe Warze. — 17. Februar 1881 Operation.
Supracondyläre Amputation des Oberschenkels mit grösserem vorderen und
kleinerem hinteien Lappen. Arteria und Vena femoralis werden mit Catgut
unterbunden und noch weitere 21 Catgutligaturen angelegt. Die Wunde wird
vernäht, es werden 2 Drains eingelegt, Li st er verband. Am 18. Febr. wer-
den 3 Nähte, die spannen, entfernt, und ein neuer Lister verband angelegt.
Am 25. Febr. Entfernung sämmtlicher Nähte wegen allzugrosser Schmerz-
haftigkeit. Die Wunde eitert stark und klafft. Die Lappen werden durch
Heftpflaster zusammengezogen und Oelverband angelegt. Abends Tempera-
tursteigerung. Bis zum 1 . April hat Patientin bei sorgfältigstem Verband-
wechsel mit Unterbrechung allabendliche Fieberexacerbationen , Allgemein-
befinden ist dabei immer gut. Am 24. März klagte Patientin über Husten;
rechts hinten Lungenscball etwas kürzer. Vom 1. April ab nimmt die Secre-
tioD der Wunde ab, die Wundränder nähern sich. Patientin wird am 1 1. April
1881 entlassen, zur Weiterbehandlung der Wunde verwendet sie 2procentiges
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Statistik und klinisohe Bedeutung^ melanotischer Qeschw&lste. 315
Carbolwasser. — Die Wunde hat bis zam 26. Augast 1881 geeitert, sieb
dann aber rasch geschlossen. Bald entwickelte sich an der Innenseite des
oberen Drittels des Oberschenkels ein beweglicher schmerzloser, nicht geerb-
ter Tumor von der Grösse einer starken Mannesfaust. Zu gleicher Zeit traten
im Unterleib and in der Brust ziehende Schmerzen ein und der Husten, der
schon in der Klinik bestand, verschlimmerte sich immer mehr, bis am 1. Nov.
1881 morgens Patientin todt im Bette vorgefunden wurde. — Diagnose der
Geschwulst: Melanotisches Sarcom.
5. Fall. Sarcom a melanot. colli. L., Frau. 53 Jahre alt, aufge-
nommen 17. November 1882. Im Frühjahr 1881 bemerkte Patientin in ihrer
rechten Wange eine kleine, braune, harte, nicht über die Haut hervorragende
Geschwulst. — Dieselbe wuchs sehr langsam und wurde im Mai 1882, nach-
dem sie die Grösse eines Zwanzigpfennigstückes erreicht hatte, herausge-
schnitten. Damals war auch schon in der Gegend des rechten Kieferwinkels
ein kirschkerngrosses Knötchen bemerkt worden, das sich innerhalb einiger
Monate entwickelt haben soll. In den letzten zwei Monaten vergrösserte es sich
um das Vierfache und zugleich stellten sich ziehende Schmerzen ein. Die
Behandlung bestand lediglich in Aufstreichen von Salben. — In der Mitte der
rechten Wange, 2 Otm. unter dem äusseren Augenwinkel befindet sich eine
kleine strahlige Narbe, die hart, schmerzlos ist und keine Infiltration in ihrer
Umgebung hat. In der Gegend des rechten Unterkieferwinkels sitzt eine mit
Eiförmiger Kuppe hervorragende. Gänseeigrosse Geschwulst. Dieselbe geht vor
dem Ohre herauf bis zum .Jochbogen, nach der Wange hin 2\ 2 Otm. weit vom
Meai. auditor. extern, aus gerechnet, nach unten 2 Otm. unter den Unterkiefer-
rand herab und nach hinten bis zum hintern Rande des Muse, sternocleidomast.
Sie ist gegen die Umgebung deutlich abgrenzbar. Vor dem Ohre ist ein etwa
Taubeneigrosser Theil durch eine Furche von dem übrigen getrennt. Am
Unterkieferrande, etwa 1 Otm. davon entfernt, liegt ein kirschgrosser Knoten
unter normaler Haut. — Die Kuppe der Geschwulst hat ein blauschwarze
Farbe und zeigt eine Menge kleiner, subdermoidaler erweiterter Gefasse. Die
peripheren Theile sind von normaler Haut bedeckt. Bei aufmerksamer Beob-
aohtung sieht man die Kuppe kleine, mit dem Pulse synchrone Bxcursionen
machen. Pulsation ist äusserst schwach zu fühlen. Geräusche hört man nicht.
Die Consistenz der Geschwulst ist überall derb-elastisch bis hart. Sie scheint
nicht weit in die Tiefe zu gehen, denn sie ist leicht verschieblich auf dem
Kiefer und Musculus sternocleidomastoideus : vom Munde aus fühlt man nichts
von ihr; der Gehörgang ist frei; das Kauen und Schlucken ist unbehindert,
ebenso die Bewegung des Kopfes. — Weder in der Umgebung der Geschwulst
noch sonst am Körper findet man vergrösserte Lymphdrüsen, pigmentirte
Warzen oder einfache Pigmentflecke. — Herz, Lunge, Milz sind normal; auch
die Leber läset weder palpatorisch noch percutorisch etwas Abnormes nach-
weisen. Urin ist klar und Biweissfrei. Im Blute findet sich durchaus nichts
von Pigmentkörnohen und dergl. — Der Ernährungszustand der Patientin ist
kaum alterirt. — 21. Nov. 1882 Operation. Der Hautschnitt wird in ellip-
iiscber Form um die Geschwulst geführt und dieselbe zuerst oben herausprä-
pariru Arteria und Vena lemporalis, Aiteria transversa faciei, sowie die Aeste
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316 Dr. Philipp Dieterioh,
des Nervus facialis, die zur unteren Gesichtshälfte gehen, müssen durch-
schnitten werden. Die Lymphdrüsen der Parotisgegend sind alle melanotisch
entartet. Im Parotisgewebe. dem Bindegewebe, sogar in den benachbarten
Muskeln, Masseter, Sternocleidomastoideus finden sich zahlreiche, schwarze
Knötchen, die sammt dem grössten Theile der Drüse weggenommen werden.
Carotis externa und Jugularis interna werden biosgelegt. Bei der Präparation
am Unterkiefer werden zahlreiche Lymphdrüsen und ein Theil der Glandula
submazillaris entfernt und dabei Vena jugularis externa. Arteria maxillaris
externa und Vena facialis anterior nach doppelter Unterbindung durchschnit-
ten. Die Vereinigung der Hautwunde erfordert 16 Nähte. Auch die ver-
dächtige Narbe auf der Wange wird excidirt und die frischen Wundränder mit
fünf Nähten vereinigt. — Während der Operation wurde mit Sublimatlösung
(] promille) irrigirt. Jodoformverband. Am 25. werden die Nähte der klei-
nen Wunde, die per primam geheilt ist, entfernt und am 27. die der grossen,
die ebenfalls bis auf eine Zwanzigpfennigstückgrosse, granulirende Stelle per
primam verheilt ist. Am 4. Dez. 1882 wird die kleine granulirende Stelle
mit Heftpflaster bedeckt und Patientin entlassen. — Mikroscopische Unter-
suchung: Helanotisches Sarcom. — Nach der Entlassung heilte die Wunde
zu; dagegen musste Patientin wegen Appetitlosigkeit, üebelkeit und Erbrechen
das Bett hüten, bis sie am 16. Januar 1883 ihrem Leiden erlegen ist. Pat.
starb an Entkräftung Metastase (?). Gesammtdaaer der Erkrankung 1 Jahr
10 Monate.
6. FalL Saroomata melanotic. abdominis. 19. Februar 1883.
Frau H. . 70 Jahre alt, hatte von Kindheit an eine kleine pigmentirte Warze
links von der Nase ; dieselbe fing vor 3 Jahren an zu wachsen und wurde, als
sie Haseln ussgrösse erreicht hatte, vom Arzte weggeätzt. Ebenso besass Pa-
tientin auf der rechten Bauchseite, in der Nähe des Nabels, einen Pigment-
flecken. Vor ungefähr 3 Jahren spürte sie in letzterem starkes Jucken und
war veranlasst, häufig daran zu kratzen; seitdem begann der Flecken sich zu
vergrössern. Im letzten Vierteljahre secernirte die Geschwulst stark, wes-
wegen der behandelnde Arzt zweimal Aetzungen vornahm. Die Leistendrüsen
sind im letzten Vierteljahr angeschwollen. Seit 40 Jahren bat Patientin eine
linksseitige Leistenhernie.
Status praesens: Patientin ist mittelmässig genährt. Rechte Supra-
claviculargegend ist stark eingesunken, der Percussionsschall hier bis zur
2. Rippe leicht gedämpft. Bei der Inspiration hört man ein scharfes, vesicu-
läres, bei der Exspiration ein lautes, unbestimmtes Athmungsgeräusch. Herz,
Leber, Milz zeigen nichts Abnormes. In der linken Leistengegend eineGänseei-
grosse, leicht reponirbare Hernie. — Links von der Nase eine kleine Narbe.
An den Beinen, namentlich an den Unterschenkeln, finden sich viele varicöse
und thrombosirte Venen. — Auf der rechten Bauchseite, in der Nähe des
Nabels, findet sich eine 4 Ctm. lange und breite, 2 Ctm. hohe, schwarze,
trockene, höckerige, rissig-zerklüftete, nur der Haut angehörige Geschwulst-
masse. Auf dem Bauche sind noch vereinzelte Linsengrosse, schwarze Flecken,
eben solche an der linken Hand. In der rechten Leistengegend sitzt ein
Hühnereigrosser, an mehreren bis Zehnpfennigstückgrossen Stellen schwarz
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Statistik und klinische Bedeutung melanotischer Geschwülste. 317
durchscheinender Tumor; in der linken Leistengegend vergrösserte Drüsen;
in der Nähe der linken Spina post. sup. eine Haseln ussgrosse, mit Borken be-
deckte Warze. — Fall wird als inoperabel nach Hause entlassen mit Condu-
rangodecoct.
Bericht eines Arztes vom 24. August 1883. Patientin befindet sich in
leidlicher Rüstigkeit; die melanotischen Knoten haben sich in beiden InguinaU
gegenden besonders stark ausgebildet, die Drüsen zeigen hier beträchtliche
Schwellung. Die Nabelgegend bildet nunmehr einen grösseren, höckerigen
Tumor, der an einzelnen Stellen mehr weniger ulcerirt ist. Die übrigen
Körpertheile sind noch frei von Ablagerungen.
Spätere Nachricht. Patientin kam im October zusehends von Kräften,
klagte dabei nie über irgend welche Beschwerden und starb am 19. No-
vember 1883.
7. Fall. Melanosarom der Haut des rechten Oberschenkels.
Anamnese. Herr Dr. L., 62 Jahre alt, hatte schon von Jugend auf eine
Pigmentwarze am linken Oberschenkel von der ürösse eines Zwanzigpfennig-
stückes. Seit einem Jahre fing dieselbe zu wachsen an und wurde am
13. Juli 1882 von Dr. B. operirt, als sie Wallnussgross war. Diagnose:
Pigmentsarcom. Heilung in 10 — 12 Tagen. Seit Weihnachten bemerkte er
an der Narbe wieder eine Härte, welche bald zu wachsen anfing. Die Uarn-
beschwerden datiren schon seit mehreren Jahren.
Status: Pat. befindet sich in sehr gutem Ernährungszustände. An
verschiedenea Stellen der Haut sind kleine Telangiectasien , am Rücken zwei
Warzen, die etwas pigmentirt sind, am linken Handrücken eine Erbsengrosse,
aus früher Jugend stammend. Haare sind schwarz, Bart röthlich-blond. An
der Innenseite des rechten Oberschenkels, Handbreit unter der Scrotalfalte,
findet sich eine 6 — 7 Ctm. lange, schief von oben, vom nach unten, hinten
verlaufende Narbe von röthl icher Farbe. An dem vorderen Ende der Narbe
ist eine Haselnussgrosse , an dem hinteren eine Bohnengrosse Härte von
schwarzblauer Farbe; beide sind mit der Haut verwachsen, die vordere nässt
etwas. Einen dritten Knoten fühlt man hinter dem hinteren Ende der Narbe,
er liegt tiefer im ünterhautzellgewebe. Die Haut der Umgebung ist mit ecta-
lischen Gefässen versehen, sonst normal. Die rechten Leistendrüsen sind deut-
licher zu fühlen, als die linken. Rechts kann man einen etwa Taubenei-
grossen, in der Nähe des Forameii ovale und Bohnengrossen Knoten näher dem
äusseren Leistenringe durchpalpiren. Urin ist klar, reagirt sauer, enthält
kein Eiweiss. (Patient klagt namentlich beim Liegen über Hambeschwerden.)
Katheter dringt leicht ein und fördert 3 Hirsekorngrosse, gelbbraune Concre-
tionen und etwas Sand von derselben Farbe heraus.
25. 1. 83. Operation. Ausschälung des Drüsen packets mit Fetthülle
aus der rechten Leistengegend, wobei der Schenkelring und die Vena saphena
freigelegt werden. Im subcutanen Fettgewebe findet sich ein kleines, von der
Form einer Stecknadelspitze, 3 Mm. langes schwarzes Fleckchen und etwas
tiefer noch zwei andere, von denen sich das eine als ein Linsengrosses,
schwarzes Knötchen herauspräpariren lässt, das andere ist kleiner. Bei der
Excision der Narbe mit ihren Knoten an der Innenseite des rechten Ober-
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818 Dr. Philipp Dieterioh,
Schenkels wird viel Haut mit fortg^enommen , weil ebenso wie in der Leisten-
gegend die Lymphgefässe ziemlich weit noch schwarz infiltrirt erscheinen.
Man findet im Unterhaulzellgewebe noch vereinzelte schwarze kleine Knötchen
und ein schwarz injicirtes Blutgefäss von l'/.^ Ctm. Länge. Die Operation
wird in Narkose unter 2 pCt. G&rbolspray gemacht. Durch fortlaufende
Catgutnaht werden beide Wunden geschlossen. Länge der Nahtlinien je 10
und 12 Ctm., in jede Wunde kommen 2 Drains; Lister- Verband. Abends
wird Pat. katheterisirt. — 26. l. Urin wird spontan entleert. Euphorie. —
29. 1. Verbandwechsel. Drains werden entfernt. Wandränder sind vereinigt,
etwas geröthet; keine Eiterung. — Urin ist etwas getrabt, reagirt sauer, ent-
hält etwas Eiweiss — 1.2. Urinentleerung etwas erschwert; häufiger Harn-
drang, besonders Nacht?, weswegen am Abend Morphium gereicht wird.
Abends Fieber. Kohlensaures Salicylwasser zum Qetränk. — 2. 2. Verband-
wechsel. Wundräoder an der Innenseite des rechten Oberschenkels sind ziem-
lich fest vereinigt, etwas infiltrirt. einige Stichoanäle eitern. Die Wunde in
der rechten Leistengegend eitert stark, die Ränder sind in der Mitte 2 bis
3 Ctm. weit auseinandergewichen. Die Haut ist in der ganzen Umgebung
unterminirt und zeigt starke eczematöse Reizung. Jodoformverband. Häufiger,
sehr schmerzhafter Blasentenesmus : Urin wird nur tropfenweise entleert, ist
trüb, übelriechend, sauer und enthält massig viel Albumin. Im Laufe des
Tages gehen circa 300 Cubikctm Urin tropfenweise unter heftigen Schmerzen
in der Eichel ab. Blase reicht bis in die Mitte zwischen Nabel und Sym-
physe. Einen Katheter in die Blase einzuführen . gelingt nicht wegen eines
unüberwindlichen Hindernisses, etwa 12 Ctm. hinter dem Eingang in die
Urethra. In der Meinung, ein Stein könne stecken geblieben sein, wird ver-
sucht mit Curetten denselben zu extrahiren; doch gelingt auch dies nicht,
weil man mit keinem Instrument an dem Hinderniss vorbeikommen kann. Urin
entleert sich tropfenweise während dieser Manipulationen. Auf 0,025 Qrm.
Morphium hören die Schmerzanfälle auf. — 3. 2. Morgens. Schmerzen
massig, sonst keine Aenderung. Am Abend ist die Wurzel des Penis etwas
ödematös, an der Stelle, wo der Stein vermuthet wird, eine Haselnassgrosse,
harte Anschwellung. Bei Druck auf dieselbe entleert sich schleimiger Urin
aus dem Orificium urethrae. Am Tage bekommt Pat. 2 Morphiuminjectiouen
von 0,01 Qrm. Urinmenge während des Tages beträgt 620Cubikotm. Urin
ist trüb, übelriechend, sauer, enthält massig viel Albumin. Im Sediment
finden sich Eiterkörperchen , Blasenepithelien und einzelne körnige, dunkel-
gefärbte Cylinder. Sehr hohes Fieber. — Wunde in der Leistengegend eitert
ziemlich stark. — 4. 2. Schmerzen sind massig vorhanden, Fieber anver-
ändert. Urin wird etwas leichter entleert als gestern. Befund am Penis der-
selbe. — In Narkose gelingt die Einführung eines dünnen Katheters leicht.
Ein Stein lässt sich nicht extrahiren und nicht einmal mit Sicherheit consta-
tiren. Die circumscripte Anschwellung an der Wurzel des Penis schwindet
während dieser Manipulationen und verwandelt sich in eine diffuse Infiltration
des Corpus cavernosum. Es wird ein rother amerikanischer Katheter No. 10
als Verweilkatheter eingelegt, damit der Urin einstweilen permanent abläuft. —
Verbandwechsel. Wunde in Leistengegend eitert weniger, die an der Innen-
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320 Dr. Dieterich, Statistik und klin. Bedeutung melanotischer Geschwülste.
Geschwulst mit excoriirter Oberfläche. Vergrösserte Drüsen sind in der Nach-
barschaft nicht vorhanden. In der linken Glutealfalte sitzt eine Linsengrosse,
gestielte, weiche, nicht pigmentirte Warze. Rectumschleimhaat leicht ectro-
pionirt, Oeffnung weit, Wandung weich. — 23. 1. 83. operirt. In Narkose
wird die obere kleine Hälfte der Ohrmuschel abgetragen, so dass der Schnitt
überall 1 Ctm. breit von der Grenze der Pigmentirung entfernt bleibt. Der
Defeot wird mit Seidennähten von oben her verkleinert; die Knorpelsohniit-
fläche nach vorn umgebogen und eingenäht. Bestäubung mit Jodoform; ein
Tampon von Jodoformgaze in den G^hörgang; Druck verband. Vier Tage nacli
der Operation wird Pat. zur ambulatorischen Behandlung entlassen, nachdem
die Nähte sämmtlichTags vorher entfernt waren. — Melanotisches Sarcom. —
6. 12. 84. Patientin 'fühlt sich vollkommen wohl, sie hat über nichts zu
klagen. Das rechte Ohr ist bedeutend kleiner, als das linke, an der oberen
Insertion der Ohrmuschel findet sich eine kleine weisse Narbe, die nicht die
geringste Infiltration zeigt, ebenso wenig lassen sich an sonstigen Körper-
stellen Drüseninfiltrationen oder Pigmentablagerungen nachweisen. Rectum-
schleimhaut leicht ectropionirt. Gesammtdauer der Erkrankung 3 Monate.
Geheilt 1 Jahr 3 Monate.
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XIII.
Untersuchungen über den Processus vagi-
nalis peritonei als prädisponirendes Moment
für die äussere Leistenhernie.
Von
Hnyo nach»,
Dr. med. in St Petersburg.*)
(Ilierzu Tafel IV. und Uoizschuitte.)
Wie so Manches in der Anatomie, so findet auch der Pro-
censos vaginalis peritonei seine erste Erwähnung und Beschreibung
bei Galen'). Dieser spricht ausdrücklich von einem Meatus,
welc-her als eine Fortsetzung des grossen Peritonealsackes zusammen
mit den Samengeßissen in das Scrotum herabsteigt und mit der
Bauchhöhle in offener Cömmunication steht.
Die Entstehung von Brüchen führt Galen zum Theil auf eine
Ruptur des obengenannten Meatus zurück.
Galen hatte seine Untersuchungen an Affen gemacht und in-
sofern war seine Beschreibung des Processus peritonei eine ganz
richtige; sie wurde aber ohne Weiteres auf den Menschen über-
tragen und man kam daher zu dem Glauben an einen physiologisch
offenen Processus vaginalis peritonei.
Diese Auffassung musste nothwendig durch eine andere ersetzt
werden, sobald man sich mehr mit der Untersuchung menschlicher
*) Vorliegende Blätter enthalten eine etwas abgekürzte Wiedergabe meiner
anter demselben Titel erschienenen Dissertation, welche ich auf Anregung
meines verehrten Lehrers Prof. Ed. von Wahl in Dorpat verfasste. Die
wesentlichsten Abkürzungen beziehen sich auf den historischen Tbeil der
Arbeit, welcher in seiner ursprünglichen Form für einen Journal- Artikel un-
geeignet gewesen wäre. Desgleichen hielt ich e» für unnothig, das in meiner
Dissertation zusammengestellte Untersuchungsmaterial zum zweiten Male zu
veröffentlichen
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322 Dr. Hugo Sachs,
Leichen zu beschäftigen anfing. Und in der That spricht sich
schon VesaP) mit Bestimnatheit gegen das Vorhandensein eines
offenen Processus peritonei aus. Obgleich er noch zugiebt, dass
das Peritoneum von den Samenge fassen durchbohrt werde, so setzt
er doch hinzu, dass eine Oeffnung an der Austrittsstelle der Samen-
gefässe nicht vorhanden sei, weil das Peritoneum überall fest den
Samengefässen adhärirt.
Spätere Schriftsteller, wie Piccolhomini'), Riolan'®), Bar-
tholinus'*), de Graaf**) u. A. stellen nun vollends in Abrede,
dass das Peritoneum von den Samengefässen durchbohrt werde. Sie
beschreiben das Peritoneum als ein aus zwei Blättern bestehendes
Gebilde, zwischen welchen unter Anderem auch die Samengefässe
verlaufen: an der Stelle, wo die Samengefässe die Bauchhöhle ver-
lassen, streicht das innere Blatt des Bauchfelles glatt vorüber,
während das äussere Blatt sich bis in's Scrotum fortsetzt und eine
Hülle Tür Hoden und Samengefässe bildet. Diese vom äusseren
Blatt gebildete Hülle wird nun als ^Processus — Productio —
propago peritonei** bezeichnet.
Das Zustandekommen der Inguinalhernie wird dem ent-
sprechend auf eine Zerreissung oder Ausdehnung des inneren Pe-
ritonealblattes zurückgeführt: im ersteren Falle treten die Einge-
weide in den vom äusseren Peritoneal blatt gebildeten Processus
peritonei, im letzteren dagegen wird das zu einem Sack ausge-
dehnte innere Blatt des Bauchfells in den Processus peritonei hin-
eingedrängt.
Diese soeben angeführten Ansichten werden von allen Ana-
tomen und Chirurgen des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts als massgebend anerkannt. Von Dem, was wir unter dem
Processus vaginalis peritonei verstehen, konnte noch keine Rede
sein, denn der Descensus testiculi war zu jener Zeit fast gänzlich
unbekannt. Zwar finden wir hie und da vereinzelte Angaben über
das Vorkommen blindsackförmiger Ausstülpungen des Bauchfells
in der Gegend, wo die Samengefässe die Bauchhöhle verlassen;
doch werden die Ausstülpungen lediglich als abnorme Prädisposi-
tionen zur Leistenhernie und nicht als Reste des Processus vaginalis
aufgefasst. Selbst Haller^^) — derselbe Ha 11 er, welcher zuerst
die Entstehung der Leistenhernie mit dem Descensus testiculi in
Zusammei)hang gebracht hatte — sagt ausdrücklich, dass die oben
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324 Dr. Hugo Sachs.
Wrisberg*^' ^^) geht in der Beurtheiluog der ätiologischen
Bedeutung des Processus vaginalis noch weiter, indem er die feh-
lende oder mangelhafte Obliteration desselben als Ursache der
Leistenbrüche nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachse-
nen auffasst. Es scheint ihm ganz undenkbar, dass ein Mensch
bei vollkommen obliterirtem Processus vaginalis jemals einen
Leistenbruch bekommen könnte.
Die soeben angeführte Auffassung steht aber ganz vereinzelt
da und bleibt von den hervorragenden Chirurgen jener Zeit, wie
Lawrence, Cooper, Scarpa, Hesselbach u. A. fast unbeach-
tet. Die zuletzt genannten Autoren, deren Arbeiten so Viel zur
Aufklärung des Mechanismus der Bruchbildung beigetragen haben,
schreiben dem Oifenbleiben des Peritonealfortsatzes unter den Ur-
sachen der Brüche eine mehr untergeordnete Rolle zu: als ange-
borene Brüche werden ausser der Cooper' sehen «encysted
hernia^, nur diejenigen bezeichnet, bei welchen der Bruchinhalt
unmittelbar den Hoden berührt.
Bei allen übrigen Brüchen wird der Bruchsack als eine neu-
gebildete Ausstülpung des Bauchfells aufgefasst. Erst später wurde
durch Malgaigne"^®) das Gebiet der angeborenen Brüche erweitert,
indem er neben der Hernia vaginalis testicularis auch die
Hernia vaginalis funicularis in die Gruppe der angeborenen
Brüche stellte.
Im Jahre 1843 trat Roser^^) mit seiner Kritik der damals
herrschenden Bruchtheorie auf. Indem er die Lehre von der plötz-
lichen Entstehung der Brüche für unhaltbar erklärt, spricht er die
Ansicht aus, dass viele Brüche durch Unregelmässigkeiten in der
Anordnung des Bauchfells bedingt sind. Diese Unregelmässigkeiten
entstehen entweder schon beim Fötus, unter Anderm auch bei Ge-
legenheit des Descensus testiculi, oder sie bilden sich erst in einer
späteren Zeit, wie z. B. in den Fällen, wo das Bauchfell durch
einen Fettbruch hervorgezerrt wird. Brüche, deren Ursprung aus
der Fötalperiode herstammt, bezeichnet Roser als angeborene und
sagt, dass bei diesen Brüchen immer zugleich auch Modificationen
und Verschiebungen in der Lage mancher Portionen des Bauchfells
zu constatiren sind.
Es handelte sich also nun darum, diese Ansichten durch ge-
naue Untersuchungen über die Angrdnung des Bauchfells so^ie
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326 Dr. Hugo Sachs,
9
erschienenen Arbeiten von Zockerkandl'"), F6r^^*) und Ramo-
nede'*) weisen einander widersprechende Resultate auf, so dass
eine monographische Bearbeitung der Frage über die ätiologische
Bedeutung des Peritonealfortsatzes auf Grund eines grösseren ünter-
suchungsmaterials durchaus berechtigt erscheinen dürfte.
Diese Aufgabe wenigstens zum Theil zu erfüllen, ist der Zweck
der vorliegenden Arbeit. Es galt vor Allem die anatomische Be-
schaffenheit des Peritonealfortsatzes und dessen Verhalten zu den
Nachbartheilen zu erkennen und die Häufigkeit des OfTenbleibens
desselben zu bestimmen, um aus den Ergebnissen dieser Unter-
suchung die Rolle, welche der Processus vaginalis bei der Bruch-
bildung spielen mag, zu erschliessen.
Das zur Untersuchung nöthige Leichenmaterial wurde mir in
liberalster Weise vom Oberarzt des Findelhauses zu St. Petersburg
Herrn Dr. W. von Fröbelius und dem Herrn Prosector Dr. E.
Werner zur Verfügung gestellt. Ich habe im Ganzen an 305 Kinds-
leichen (155 Knaben und 150 Mädchen) aus den ersten Lebens-
monaten das Verhalten des Peritonealfortsatzes untersucht, und es
ist daher selbstverständlich, dass die Schlüsse, welche aus einer
solchen Untersuchung gezogen werden, sich nur auf die Brüche bei
Kindern eines bestimmten Alters beziehen können.
Der sogenannte Processus vaginalis peritonei ist ein Gebilde,
welches im Laufe der Entwickelung einer Reihe von Veränderungen
unterworfen ist. Es ist daher nicht möglich, den Processus vagi-
nalis zu beschreiben, ohne, wenn auch nur kurz, über dessen Ent-
stehung und weitere Entwickelung zu sprechen.
Gegen Ende des zweiten resp. Anfang des dritten Foetal-
monats liegen die Hoden innerhalb der Bauchhöhle in einiger Ent-
fernung von der Gegend des inneren Leistenringes. Das Bauchfell
bekleidet sowohl die Hoden, als auch zum Theil die Nebenhoden
und bildet ein kurzes Gekröse (Mesorchium), welches an der hinteren
Bauchwand befestigt ist; die hintere Seite des Nebenhodens bleibt
dabei vom Peritoneum nicht bekleidet. Die Samengefasse und das
Vas deferens treten, vom Peritoneum bedeckt, an den vom Peri-
toneum nicht bekleideten Theil des Nebenhodens heran. Vom
unteren Ende des Nebenhodens geht, gleichfalls vom Peritoneum
bedeckt, das sogenannte Gubernaculum Hunteri fast vertical
nach unten zur Leistengegend. Dieses Gebilde, welches den De-
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328 Dr. Hugo Sachs,
und Dicht etwa als ein vom Hoden nachgezogener oder vor-
gestülpter Theil des Peritoneums zu betrachten ist. Trotzdem der
zuletzt erwähnte Entstehungsmodus des Proc. vag. noch solche Ver-
treter wie Hyrtl und Tillaux findet*), glaube ich doch an der
primären Entstehung desselben festhalten zu müssen. Ich habe in
allen denjenigen Fällen, wo der Descensus kein vollständiger war,
den Hoden immer an der hinteren Wand des Proc. vag. und nicht
am Grunde desselben gefunden — ein directer Beweis dafür, dass
der Proc. vag. beim Descensus dem Hoden vorausgeht und nicht
von demselben nachgeschleppt wird. Einen zweiten Beleg für die
primäre Entstehung des Proc. vag. liefert uns die Bildung des
Diyerticulum Nuckii beim Weibe, wo von einem Nachschleppen des
Bauchfelles überhaupt gar nicht die Rede sein kann.
Nach vollendetem Descensus testiculi finden wir den Proc. vag.
in seinem ganzen Verlauf bis zum Grunde des Hodensackes zu-
sammen mit den Bestandth eilen des Samenstranges und dem Hoden
in der Tunica vag. communis eingeschlossen. Er bildet einen se-
rösen Sack, der mit der Bauchhöhle in Communication steht. Die
Communicationsöflfnung, welche sich in der Gegend des inneren
Leistenringes befindet, ist aber so beschaffen, dass sie auf den ersten
Blick Einem ganz entgeht; sie kommt erst dann deutlich zum Vor-
schein, wenn man die vordere Bauch wand lateral wärts vom inneren
Leistenring nach vorne verdrängt. ZuckerkandP') erklärt diese
Erscheinung dadurch, dass die Oeffnung durch eine klappenartige
Falte verdeckt ist und charakterisirt das Verhalten dieser Klappe
durch den Hinweis auf die Lage der Valvula Thebesii zur Einmün-
dung der grossen Coronarvene. Nur ausnahmsweise ist diese Falte
wirklich vom Peritoneum allein gebildet und dem entsprechend auch
sehr dünn und zart. In der Mehrzahl der Fälle wird sie durch
den vom Peritoneum bedeckten scharfen medialen Rand der Fascia
infundibuliformis dargestellt. Während das Peritoneum parietale,
welches nach hinten lateralwärts vom inneren Leistenring liegt,
♦) Hyrtl, Topogr. Anatomie. 1871. I. Tbl. S. 794: ^Ist er (der Hode)
auf den Grund des Hodensaekcs angelangt, so hat er einen Beutel des Bauch-
felles hinter sich hergescbleppt . . . Der Beutel heisst: Processus vaginalis
peritonei". — Tillaux, Trait6 d'anat. topograph. 1877. p. 941: «En arrivant
au contact de la paroi abdominale, le testicnle d^prime le p6ritoine qui la
tapisse, l'entraine avec lui dans le scrotum pour en former le feuillet parietal
de la tunique vaginale**.
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UDtersachnngen über den Processus vaginalis peritonei. 329
gaDZ continairlich in die laterale hintere Wand des Processus vag.
übergeht, muss das Peritoneum, welches von der medialen Seite
an den Leistenring herantritt, am Rande der Fascia infundibuli-
formis unter einem spitzen Winkel umbiegen, um in die vordel-e
mediale Wand des Processus vag. überzugehen. Durch dieses um-
biegen entsteht die oben beschriebene Falte, deren scharfer, nach
hinten lateralwärts concaver Rand den Eingang in den Proc. vag.
von vom medianwärts begrenzt.
Ich möchte noch darauf hinweisen, dass der so eben beschriebene
scharfe Rand in eine scharfe Peritonealfalte ausläuft, welche den
Samengefässen entlang an der hinteren Bauchwand nach oben geht.
Diese Falte endigt zuweilen an der medialen oder lateralen Seite
des Colon ascendens, geht aber in der Mehrzahl der Fälle in das
Mesenterium ilei über; auf der linken Seite endigt die Falte im
Mesenterium flexurae sigmoideae.
Zieht man das Deum in der Nähe des Coecum resp. die Flex.
sigm. nach oben an, so tritt die Falt« sowie auch die Oeffnung des
Proc. vag. deutlicher hervor; ich halte es daher für wahrscheinlich,
dass unter Umständen, welche eine Spannung des Mesenterium ilei
resp. Mes. flex. sigm. bewirken, vermittelst dieser Falte gewisser-
massen ein Klaffen der Oeffnung des Proc. vag. zu Stande gebracht
werden kann*).
Die Samengefässe und das Vas deferens treten an die hintere
Peripherie der Oeffnung des Proc. vag. heran; Beides vom Peri-
toneum bedeckt und mit demselben fest verbunden; das Vas defe-
rens liegt hier medianwärts von den Samengefässen. Vom inneren
Lieistenring an verläuft der Proc. vag. im Grossen und Ganzen in
derselben Richtung wie die Samengefässe. Er bildet in seiner ein-
fachsten Form einen ziemlich gleichmässig weiten Canal; oberhalb
des Hodens nimmt er allmälig an Weite zu und wandelt sich in
einen Blindsack um, dessen Grund den Grund des Hodensackes
erreicht. Die Samengefässe und das Vas deferens liegen ausser-
halb dieses Canals seiner hinteren medialen Peripherie an; der
Hode stülpt die hintere Wand des Blindsackes in die Höhle des-
♦) Engel (Wiener med. WocheDschrift 1857. No. 35) hat beim Erwach-
•enen (bei obliterirtem Proc vag.) eine analoge Falte beschrieben, welche er
PHca isgnino-oolica resp. ileo - ingainalis nennt. Er spricht jedoch diesen
Falten jegliche praktische Bedeutung ab.
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330 Dr. Hago Sachs,
selben hinein und liegt in diesem Blindsack ähnlich wie das Coecnm
im Peritonealsack.
Die zuletzt in Bezug auf die Form des Proc. vag. geschilderten
Verhältnisse können ihrer Einfachheit wegen gewissermassen als
schematische betrachtet werden; ich will aber gleich bemerken,
dass Abweichungen von diesem Schema fast ebenso häufig ange-
troffen werden, wie das Schema selbst. Diese Abweichungen sind
insofern beachtenswerth, als sie für gewisse Arten der congenitalen
Hernie bedeutungsvoll werden.
Was zunächst den oberen Theil des Proc. vag. bis zum äusseren
Leistenring betrifft — ich will ihn als Portio inguinalis proc. vag.
bezeichnen — so ist sein Verhalten im Allgemeinen ein ziemlich
regelmässiges, insofern, als sein Durchmesser meist demjenigen der
Eingangsöffnung entspricht. Es kommt jedoch vor, dass der Canal
gerade hier im Verhältniss zur Eingangsöffnung sehr eng erscheint,
ja, er kann so eng sein, dass sich nur die dünnste Sonde einführen
lässt. Ich glaube, dass diese Beschaffenheit des Proc. vag. für die
Entstehung der communicirenden Hydrocele ganz besonders günstig
ist; in zwei Fällen, wo eine Hydrocele höheren Grades vorhanden
war, fand ich die so eben beschriebene Form: der untere Theil des
Proc. vag. war bis zum äusseren Leistenring stark durch Flüssig-
keit ausgedehnt, während die Portio inguinalis sehr eng erschien
(s. Fig. 3, S. 333).
Eine andere Abweichung von dem Schema ist die, wo die
Portio inguinalis im Verhältniss zur Eingangsöffnung weiter er-
scheint. In den höchsten Graden dieser Anomalie bildet der Proc.
vag. im Leistencanal eine ampullenförmige Erweiterung, welche mit
einer mehr oder minder deutlichen Abschnürung am äusseren
Leistenring endigt. Es unterliegt keinem Zweifel, dass diese An-
o^^nung des Proc. vag. eine Prädisposition zur Hernia interstitialis
abgiebt.
Nach dem Austritt aus dem äusseren Leistenring bis zum Hoden
— Portio funicularis — bietet der Proc. vag. mancherlei Abwei-
chungen von der cylindrischen Form, indem der Canal sich stellen-
weise erweitert, stellenweise verengert.
Eine ziemlich constante Verengerung findet sich an der Portio
funicularis in der Gegend des äusseren Leistenringes in einiger Ent-
fernung von demselben. Diese Verengerung ist keineswegs auf den
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832 Dr. Hugo Sachs,
Durch die Gombination der oben beschriebenen typischen Yer-
engerangen mit den dazwischenliegenden Erweiterungen entstehen
die mannich faltigsten Formen des Processus vaginalis, welche be-
sonders zu beschreiben, eigentlich keinen Zweck hat Ich will
daher einige dieser Formen hier anführen, ohne auf eine er-
schöpfende Daistellung aller einzugehen.
1) Der Processus vaginalis bildet einen überall gleichmässig
weiten Blindsack ohne jegliche Verengerungen (Fig. 1). Diese
Form findet sich am häufigsten bei sehr jungen, nicht vollkommen
ausgetragenen Kindern, bei denen der Hode nach dem Austritt
aus dem Leistencanal am äusseren Leistenring stehen geblieben war.
2) Durch das Auftreten von ringförmigen Einschnürungen geht
aus der so eben beschriebenen die Sanduhr- resp. Rosenkranzform
des Processus vaginalis hervor (Fig. 4—6); in einem Fall war der
Processus vaginalis durch eine starke Einschnürung oberhalb des
Hoden in zwei Säcke getrennt: der obere gehörte der Portio in-
guinalis et funicularis des Processus vaginalis an, der untere bil-
dete die im Verhältniss zum Hoden sehr weite Tunica vaginalis
propria.*)
3) Die Portio inguinalis und der obere Theil der Portio funi-
cularis Processus vaginalis bilden einen oder zwei aufeinanderfol-
gende Säcke, welche durch einen engen Ganal mit der Höhle der
Tunica vaginalis propria communiciren (Fig. 7 und 8).
4) Der ganze Processus vaginalis bildet einen mehr oder we-
niger gleichmässig weiten, cylindrischen Canal, der sich nur in
seinem unteren Theile zur Bildung der Tunica vaginalis propria
erweitert.
5) Dieser cylindrische Canal wird durch das Auftreten von
*) Tripier (^tnde snr une vari6i6 rare de hernie inguinale eong6Ditale.
Th^e. Paris 1880) beschreibt einen Fall von Einklemmung bei einem 59 jäh-
rigen Manne. Die in Chloroformnarkose vorgenommene Taxis war scheinbar
gelungen, aber der Kranke ging nnter den ßrschcinangen der Einklemmung
zu Grunde. Die Section ergab einen weiten Bruchsack, der durch eine enge
Oeffnung am Grunde mit der Hohle der Scheidenhaut communioirte. An
dieser Oeifnung war eine in die Höhle der Scheidenhaut vorgedrungene Dünn-
darmschlinge eingeklemmt. „II s'agissait donc**, schliesst Tripier, ,,d*une
grosse hernie cong6nitale vaginale funiculaire, qui s'6tait compliqu^e sous
IMnfluence d'un traumatisme d'une petite hernie vaginale testiculaire etrangl66*.
Ich glaube, dass die von mir zuletzt erwähnte Form des Proc. vag. die Ent-
stehung einer solchen Hernie zu erklären geeignet ist.
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334 Dr. Hugo Saobs,
Die umstehenden schematischen Zeichnungen mögen das von
diesen Formen Gresagte veranschaulichen.
Ich gehe nun zur Betrachtung der Lage des Processus vagi-
nalis im Verhältniss zu den übrigen Bestandtheilen des Samen-
stranges über. Es ist nicht meine Absicht, hier eine genaue ana-
tomische Beschreibung des Samenstranges zu geben — ich ver-
weise den sich dafür Interessirenden auf eine jüngst erschienene
Arbeit von Paolo Pellacani*) — im Folgenden soll, wie gesagt,
nur die Lage der Gefäss- und Deferensgruppe im Verhältniss zum
offenen Processus vaginalis geschildert werden. Es ist das eine
Frage, die bis jetzt auffallend wenig berücksichtigt worden ist —
alle von mir darauf hin consultirten Autoren übergehen dieselbe
mit Stillschweigen — und doch ist das ein Punkt, der für die
Herniologie in mancher Hinsicht von Bedeutung sein dürfte.
Ich habe es versucht, durch Präparation des Samenstranges
an der Leiche mir von diesen Verhältnissen ein Bild zu ver-
schaffen, welches ich durch die mikroskopische Untersuchung von
Querschnitten ergänzte.
Wenn man am blossgelegten Samenstrang die Fasern des
Gremaster entfernt und in den Processus vaginalis Luft hinein-
bläst oder eine leicht erstarrende Masse injicirt, so lassen sich die
Lagenverhältnisse der Theile sehr leicht überblicken. Die Gefasse
und das Vas deferens verlaufen in vielen Fällen dicht nebenein-
ander an der hinteren medialen Peripherie des Processus vaginalis.
Es ist aber durchaus nicht selten, dass nach dem Austritt aus
dem Leistencanal die Gefässe sich vom Vas deferens entfernen.
Die Gefässe und das Vas deferens liegen dann durch einen deut-
lichen Zwischenraum von einander getrennt — das Vas deferens
an der medialen, die Gefässe mehr an der hinteren oder sogar
lateralen Seite des Processus vaginalis; unter solchen Umständen
*) Der Bau des menschlichen Samenstranges; im Archiv für
mikroskopische Anatomie. 1884. S. 305— 833. Die Arbeit enth< neben
einer aosfübrlichen literarischen Einleitung, unter Anderem pracise Angaben
über die Lage der Gefäss- und Deferensgruppe zu einander (aber nicht zum
Proc. vag.), sowie eine genaue Beschreibung der glatten Muskulatur des Samen-
stranges. Auch findet sich in dieser Arbeit zum ersten Male eine positive
Angabe über den Modus der Obliteration des Proo. vaginalis. Der Arbeit sind
naturgetreue Abbildungen von Querschnitten des Samenstranges beigegeben.
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UntersQohangen aber den Prooessns vaginalis peritonei. 335
findet man den Processus vaginalis zwischen der Gefäss- und De-
ferensgruppe gelagert.
Im weiteren Verlaufe zum Hoden richtet sich die Lage der 6e-
iasse und des Vas deferens meist nach der Form des Processus
vaginalis: sie liegen überall der Wand des Processus vaginalis
dicht an. In manchen Fällen ist jedoch der Zusammenhang kein
so inniger — die Gefässe und das Vas deferens verlaufen an den
Verengerungsstellen des Processus vaginalis von demselben ganz
getrennt im lockeren Bindegewebe des Samenstranges.
Auf dem Querschnitt lassen sich die betreffenden Verhältnissse
bei schwacher Vergrösserung sehr gut erkennen.*) Der Processus
vaginalis nimmt die vordere laterale Partie des Samenstranges ein
und seine Cavitas serosa erscheint entweder als eine kreisförmige
resp. ovale oder als eine spalt förmige unregelmässige Lücke. Die
Gefasse und das Vas deferens nehmen die hintere mediale Partie
des Samenstranges ein und liegen nebeneinander, jedoch von ein-
ander getreennt, in lockeres Bindegewebe eingehüllt. IhrVerhält-
niss zum Processus vaginalis ist durchaus kein regelmässiges: bald
liegen sie dicht nebeneinander der hinteren medialen Wand des
Processus vaginalis an (Fig. 5, Taf. IV), bald werden sie duÄh
den spaltformigen Processus vaginalis von einander getrennt (Fig. 7
und 8 der Taf. IV) und liegen dann gewissermassen zu beiden
Seiten desselben. In manchen Fällen liegen die Gefässe und das
Vas deferens ganz dicht der Wand des Processus vaginalis an, in
anderen sind sie durch ein lockeres fetthaltiges Bindegewebe von
derselben getrennt (Fig. 6 der Taf. IV). Im Allgemeinen gilt
jedoch das Gesetz, dass innerhalb des Leistencanals und im
obersten Theile des Samenstranges die Gefasse und das Vas defe-
rens näher der Wand des Processus vaginalis liegen als weiter
unten. Bald nach dem Austritt aus dem Leistencanal rückt das
Vas deferens mehr nach hinten und entfernt sich somit von der
Wand des Processus vaginalis, während die Gefässe ihre frühere
Lage beibehalten; im unteren Drittel des Samenstranges liegt das
Vas deferens hinter den Gefassen.
Die glatte Muskulatur des Samenstranges habe ich nur in
*) Die mit AmmoDiakcarmiD gefärbten Untersuch ongsobjecte warden nach
▼orberiger Einbettung in Celloidin mit einem Scblittenmikrotom iu Querschnitte
zerlegt.
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336 Dr. Hago Sachs,
Bezog auf ihr VerhältDiss zam Processus vaginalis berücksichtigt.
Pellacani*) erwähnt beiläufig einer Anhäufung von glatten Mus-
kelfasern um die Cavitas serosa und sagt: ^die Fasern bilden hier
ein compactes Lager auf der Seite des Gefassbündels. " Ich bin
in der Lage, diesen Befund vollkommen zu bestätigen: ich fand
an der lateralen und hinteren Peripherie des Processus vaginalis
regelmässig quer durchschnittene Bündel glatter Muskelfasern,
welche so dicht an der Oavitas serosa lagen, dass sie fast einen
integrirenden Bestandtheil der Wand desselben auszumachen schie-
nen (Fig. 1 der Taf. IV). Ich habe diese Fasern im ganzen Ver-
lauf der Portio funicularis gut entwickelt gefunden; innerh^b des
Leistencanals konnte ich sie dagegen nicht deutlich nachweisen.
Ich will damit die anatomische Beschreibung des offenen
Processus vaginalis abschliessen und betone zum Schluss, dass in
der gegenseitigen Lage der Gefässe, des Vas deferens und des
Processus vaginalis kein gesetzmässiges Verhalten zu constatiren ist;
sehr regelmässig ist dagegen das Verhältniss der glat-
ten Muskulatur zum Processus vaginalis.
• Der offene Processus vaginalis bleibt beim Menschen nicht als
solcher bestehen — in der Regel obliterirt er früher oder später.
Ausnahmen sind aber nicht selten, und ich behalte es mir vor,
im Folgenden die Frequenz des Offenbleibens des Processus vagi-
nalis zu besprechen.
Was die Ursachen der Obliteration , resp. des Offenbleibens
des Processus vaginalis betrifft, so herrschten darüber stets Mei-
nungsverschiedenheiten, welche auch bis jetzt nicht zum Ausgleich
gekommen sind. Schon Pott*^) suchte die Erklärung der Oblite-
ration des Processus vaginalis in der Wirkung der Schwere des
Hodens oder der Contraction der Bauchmuskeln. Camper^*) da-
gegen schreibt den Wachsthumsveränderungen des Beckens in die-
ser Beziehung eine grössere Rolle zu. Hunter'*) nimmt eine
eigenthümliche Contraction des Processus vaginalis nach dem
Durchgange des^Hodens an; Bell**) spricht von einer Entzündung,
welche^ durch das Hindurchtreten des Hodens bedingt sein soll.
Zuckerkandl") und Ramonede''*) betrachten das Offenbleiben
*) I. c. p 827.
♦♦) Nach F6r6, 1. c. p. 5M.
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838 Dr Hugo Sachs,
— Wenn man die aufeinander folgenden Querschnitte vergleicht,
so sieht man, dass der Process vom proximalen Ende des Proc.
vag. gegen das distale Ende hin allmälig an Intensität zunimmt.
Man findet zunächst nur eine Anhäufung von Rundzellen an der
Wand des Proc. vag., während die Wand selbst noch wenig ver-
ändert erscheint. Gegen das distale Ende hin vermehren sich die
Rundzellen und füllen das Lumen des Canals nahezu ganz aus.
Die Wand hat iljre scharfe Abgrenzung gegen das Lumen des
Canals verloren und den Charakter eines Granulationsgewebes an-
genommen. Dieses Granulationsgewebe geht nun ganz allmälig in
ein ziemlich dichtes Bindegewebe über, welches an die Stelle des
früher oflFenen Proc. vag. getreten ist. Je weiter man gegen das
distale Ende vorgeht, desto weniger unterscheidet sich das den
Proc. vag. ersetzende Bindegewebe vom übrigen Bindegewebe des
Samenstranges. Der Proc. vag. ist spurlos verschwunden. — An
der üebergangsstelle des obliterirten Proc. vag. in die TunicA vag.
propria fand ich nicht die verschiedene^ Stufen des oben beschrie-
benen Vorganges: der üebergang ist kein allmäliger, sondern es
tritt einfach die Cavitas serosa an der Stelle auf, wo früher nichts
als Bindegewebe war.
Diese Beschreibung stimmt im Grossen und Ganzen mit der
Angabe von Pellacani überein; ich ergänze seine Angabe nur in-
sofern, als ich auf die verschiedene Intensität des Processes am
proximalen und distalen Ende des Proc. vag. hinweisen möchte.
Ich will noch ausserdem bemerken, dass ich an der oben erwähnten
Verengerungsstelle im mittleren Drittel des Proc. vag. eine geringe
Infiltration der Wand, sowie eine Anhäufung von Zellen im Lumen
gesehen habe; ich fasse daher die Verengerung des Proc. vag. als
eine beginnende Obliteration auf.
Die Frage, wo beginnt die Obliteration, welcher Theil des
Proc. vag. wird zuerst von der Obliteration betroffen, wurde von
verschiedener Seite in sehr verschiedener Weise beantwortet*). Alle
*) Camper (1. c.) Hess die Obliteration dicht oberhalb des Hodens be-
ginnen und von da nach oben fortschreiten; nach Jarjavay (Trait6 d*anat
ohir. T. I. p. 272) beginnt sie in der Mitte. F6r6 (1. c) schliesst aus seinen
Beobachtungen, dass die Obliteration in der Gegend des äusseren Leistenringes
ihren Anfang nimmt and von da nach oben und nach unten fortschreitet,
während nach Kocher (Hernien im Kindesalter; in Gerhardt 's Handbuch.
Bd. VI. S. 765) im Bereiche des inneren Leistenringes die Verhältnisse für die
Obliteration des Oanalis vaginalis peritonei am günstigsten sind.
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340 Dr. Hugo Sachs,
funic. obliterirt; die Portio inguinalis und der obere Theil der
Portio funic. ist offen und bildet einen Blindsack, der zuweilen
durch eine Einschnürung in der Gegend des äusseren Lefstenringes
in zwei Säcke getheilt wird. Der untere Theil ist mehr oder
weniger weit offen und geht direct in die Tunica vag. propria über.
2) Die Portio funic. ist ganz oder nahezu ganz obliterirt; es
bleibt nur ein Blindsack zurück, der die Länge des Leistencanals
hat oder auch dieselbe übertrifft; zuweilen ist jedoch der Blindsack
kürzer, als der Leistencanal. Dieses ist die häufigste Form des
unvollkommen obliterirten Proc. vag.
3) In seltenen Fällen ist nur die Portio inguinalis oder ein
Theil derselben obliterirt, während die ganze Portio funicularis eine
directe Fortsetzung der Tunica vag. propria bildet.
4) Der Proc. vag. ist ganz obliterirt; nur in der Gegend des
inneren Leistenringes bleibt eine seichte Grube mit mehr oder
weniger enger Eingangsöffnung zurück.
Ausser diesen Formen des unvollkommen obliterirten Proc.
vag. giebt es noch eine, bei welcher derselbe ah zwei oder mehreren
Stellen obliterirt ist, während die dazwischen liegenden Partieen
als spindelförmige Höhlungen zurückbleiben. Ich habe den Proc.
vag. auf das Vorkommen dieser Form nicht untersucht, weil die-
selbe weniger für die Entstehung von Hernien, als für die Bildung
der Hydrocele funic. spermat. von Bedeutung ist.
Ein dem Proc. vag. homologes Gebilde ist das Diverticulum
Nuckii beim Weibe. Es ist das ebenfalls eine blindsackformige
Ausstülpung des Bauchfelles; der hinteren medialen Wand dieser
Ausstülpung anliegend und fest mit derselben verbunden, verlässt
das Ligamentum rotundum uteri die Bauchhöhle. Im ausgebildeten
Zustande stellt dieses Diverticulum einen leeren Sack dar, dessen
Grund bis zum oberen Theile des Labium majus reicht (s. Tab. IV.,
Fig. 3 u. 4).
Das Vorkommen dieses Divertikels sowohl im intrauterinen
als auch im extrauterinen Leben wird nach den Untersuchungen
von Nuck, Camper, Wrisberg und H. Meyer*) wohl von
*} H. Meyer (lieber das yorkommen eines Proc. vagin. peritonaei beim
weiblichen Foetas. Archiv für Aoatomie and Physiologie. 1845. S. 363—368)
fand schon bei einem 2Vt Monate alten Foetas ein 0,5 Lin. tiefes Diverticulum.
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, Untersnohnngen über den Processus vaginalis peritonei. 341
Keinem bezweifelt; ganz unbekannt ist dagegen die 2ieit, wann das
genannte Diverticulum sich bildet, sowie auch die Zeit, wann das-
selbe obliterirt*). ^
Die Beschaffenheit der Oeffnung, vermittelst welcher das Di-
verticulum Nückii mit der Bauchhöhle communicirt, bietet im Ver-
gleich mit der Oeffnung des Proc. vag. gewisse Eigenthümlichkeiten.
Wir haben gesehen, dass die Oeffnung des Proc. vagin. nur mit
Hülfe gewisser Kunstgriffe dem Blick zugänglich gemacht werden
kann; dieses gilt in noch höherem Maasse für die Oeffnung des
Diverticulum Nuckii. Am besten findet man sie, wenn man eine
dünne Sonde auf dem Ligamentum rotundum vom uterinen Ende
desselben nach vom lateralwärts gleiten lässt. In der Gegend
des inneren Leistenringes verfängt sich dann der Sondenknopf unter
einer Peritonealfalte, deren freier scharfer Rand nach hinten
medianwärts concav ist. Diese Falte liegt dem Ligam. rotundum
auf und verdeckt vollständig den Eingang in das Diverticulum
Nuckii. Will man den Ganal weiter sondiren, so muss man der
Sonde eine neue Richtung geben, indem man den Sondenstiel nach
aussen dreht.**)
Es liegt in dieser Beschaffenheit der Oeffnung des Diverticulum
Nuckii ein wesentlicher Unterschied von der des Proc. vaginalis;
beim letzteren führt die Oeffnung direct in den Leistencanal, beim
Diverticulum Nuckii muss die Sonde zunächst nach vorn lateral-
wärts vorgeschoben werden, bevor sie bei veränderter Richtung in
den Leistencanal eintreten kann. Die Falte, welche die Oeffnung
des Proc. vagin. deckt, wird nur ausnahmsweise vom Peritoneum
allein gebildet und besitzt einen nach hinten lateralwärts concaven
Rand — die Falte an der Oeffnung des Diverticulum Nuckii ist
*) Die hier beschriebenen Verhältnisse konnten aaf den betreffenden
Abbildungen nicht dargestellt werden: denn so lange die Peritonealfalte aaf
dem Lig. rot ihre natarliche Lage beibehält, sieht man nichts als eine glatte
PeritonealAäche. Ich habe es daher vorgezogen, die betreffende Falte durch
die Sonde zu verdrängen, um den Eingang in das Diverticulum Nuckii ab-
bilden zu lassen.
•*) Sappey (Trait6 d'anat. descript.) behauptet, dass das Diverticulum
Nuckii schon im 8. Fotalmonat obliterirt sei; Legendre hat dasselbe kein
einziges Mal nach dem 6. Monat gesehen ; P u e c h fand das Diverticulum regel-
mässig beim Fötus zwischen dem 4. und 6. Monat, während Duplay sein
Yorkommen überhaupt leugnet, da er bei 25 Fötus vom 4. Monat bis zur Ge-
burt kein Mal das Diverticulum gefunden hat (nach F6r6, 1. c. p. 556 u. 557).
T. LanK«nb«ek, Arehit f. dürurgl«. XXXV. 2. 23
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342 Dr. Hugo Sachs.
eine dünne, zarte Poritonealfalte and ihr scharfer Rand sieht nach
hinten roedianwärts.
Im üebrigen bietet das Diverticulum Nuckii nur sehr wenig
Bemerkenswerthes und ich müsste allgemein Bekanntes wieder-
holen, wenn ich dieses Gebilde noch genauer beschreiben wollte.
Wenn man die Untersuchungen von Camper, Engel,
Zuckerkandl, P6r6 ujad Raraonede über die Frequenz des
Offenbleibens des Processus vaginalis mit einander vergleicht, so
ist es auffallend, wie wenig übereinstimmend die Resultate der
genannten Autoren sind. Die grösste Uebereinstimroung zeigen
noch die Angaben, welche das Offenbleiben des Processus vagina-
lis bei Neugeborenen betreffen; die Angaben dagegen, welche sich
auf ausgedehntere Altersperioden beziehen, gehen weit auseinander.
So z. B. fand Zuckerkandl unter 100 Knaben aus den ersten
drei Monaten den Processus vaginalis (ohne Rücksicht auf die
Körperseite) im Ganzen 57 mal, also etwa in 28 pCt., offen, wäh-
rend aus den Untersuchungen von F6r6 für dieselben Verhältnisse
die Procentzahl 13 hervorgeht. Dasselbe gilt auch für Erwach-
sene, bei welchen Engel in 31 pOt. „eine Andeutung oder Anwe-
senheit eines wirklichen Scheidenhautcanales" fand, während nach
Ramon^de dieses nur in 15 pOt. der Fall sein soll.
Die Ursache des Nichtübereinstimmens dieser Angaben mag wohl
grösstentheils darin liegen, dass das Alter der zur Untersuchung
verwendeten Leichen in zu weiten Grenzen schwankte. Der Pro-
cessus vaginalis ist, besonders in der ersten Zeit nach der Geburt,
einer Reihe von Veränderungen ausgesetzt und es ist ganz unmög-
lich, sich von dem Gange dieser Veränderungen eiu Bild zu ver-
schaffen, wenn man nicht den Zustand des Processus vaginalis für
einige aufeinander folgende kürzere Altersperioden kennt. Aus
der Angabe, dass aus den ersten drei Monaten (oder sogar
im ersten Monat) nach der Geburt der Processus vaginalis so und
so viel Mal offen resp. obliterirt gefunden wird, kann ich mir
keine Vorstellung von den Veränderungen verschaffen, welche der
Processus vaginalis im Laufe dieser drei Monate erlitten hat.
Die von mir untersuchten Leichen standen zum grössten Theil
im Alter von einem Tag bis 4 Monaten; nur 24 (13 Knaben und
11 Mädchen) gehörten einem späteren Alter von 4 bis 11 Monaten
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344
Dr. Hago Sachs,
Aus der vorliegenden Tabelle ersieht man zunächst, dass die
Obliteration des Processus vaginalis mit zunehmendem Alter immer
häufiger angetroffen wird. Um aber den Gang der Obliteration in
seinen Einzelheiten besser übersehen zu können, habe ich die so-
gleich folgende Zahlenreihe construirt, in welcher nur der jedes-
malige Zustand des Processus vaginalis ohne Bezug auf die
rechte oder linke Seite berücksichtigt wird. Die Zahlen geben
in Procenten die Häufigkeit des Vorkommens der drei verschiedenen
Zustände des Processus vaginalis an
Tabelle I a.
Summe der fUlie
Altersperiode.
Obliterirt
Oben offen.
Ganz offen.
mit unvollkom-
mener oder fehlen-
der Obliteration.
I. 0— 10 Tage
20
19
61
80
IL 10— 20 .
50
32
18
50
III. 20— 30 „
47
23
30
53
IV. 30— 60 „
36
34
30
64
V. 60— 90 „
36
39
25
64
VI. 90—120 »
65
16
19
35
Vn. 120—335 „
69
27
4
31
0—335 Tage
43
29
28
57
Diese Zahlenwerthe ergeben, dass in der zweiten Altersperiode
die Obliteration 2,5 mal häufiger angetroffen wurde, als in der
ersten. Auch hat die Zahl der Fälle mit unvollkommener Oblite-
ration deutlich zugenommen, während die Fälle mit vollkommen
offenem Processus vaginalis fast 3,5 mal seltener geworden sind.
Vom 20. bis zum 90. Tage macht sich eine Abnahme der
Zahl der Fälle mit vollkommener Obliteration neben einer auf-
fallenden Zunahme der Fälle mit vollkommen offenem Processus
vaginalis bemerkbar. Da nun die Neubildung eines Processus va-
ginalis nach vollendetem Descensus testiculi nicht denkbar ist, so
müssen wir die oben bezeichnete Schwankung auf Fehler zurück-
führen, welche sich nur bei einer grösseren Anzahl von Beobach-
tungen ausgleichen würden. Jedenfalls sprechen aber unsere Zahlen
dafür, dass vom 20. Tage an die Obliteration des Processus vagi-
nalis nur langsam vor sich geht; ein Vergleich der VI. Alters-
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346
Dr. Hago Sachs.
{obliterirt 69pCt.*)
oben offen 29 „
ganz offen 4 ^•
So viel im Allgemeinen über den Gang der Obliteration des
Processus vaginalis. Was die Details dieses Vorganges anbetrifft,
so ist in dieser Beziehung zunächst das Verhältniss der rechten
Seite zur linken von Bedeutung. Die beiden folgenden Tabellen
sollen zur Erläuterung, dieses Verhältnisses dienen. Die Tabelle ü.
ergiebt das Verhältniss, in welchem jeder der drei Zustände des
Processus vaginalis auf beiden Seiten zugleich und auf der rechten
oder linken Seite allein angetroffen wird, während die Tabelle III.
nur das Verhältniss der rechten Seite zur linken, mit Hinzuzählung
der Fälle, wo der gegebene Zustand beide Proc. vag. zugleich be-
traf, berücksichtigt.
Tabelle II.
Obliterirt.
Offen.
Oben offen.
Altersperiode.
CO
"i
00
a
i
ja
o
£
.9
i
ja
o
2
oä
M
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3
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9
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a
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N
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^
^
PQ
2;
Ä
PO
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2;
I. 0— 10 Tage
27
3
2
3
12
6
3
2
2
4
II 10— 20 „
40
13
2
12
3
8
5
9
7
III. 20— 30 „
15
6
2
4
1
3
1
IV. 30— 60 .
25
6
6
5
4
1
4
6
3
V. 60— 90 „
22
5
2
4
2
3
4
4
6
3
VI. 90—120 ,
18
6
1
4
3
2
3
l
VII. 120—335 .
13
8
1
1
1
2
2
1
0—335 Tage
155
47
8
32
26
25
11
20
29
19
Wir finden in diesen beiden Tabellen zunächst eine Bestätigung
der allgemein bekannten Thatsache, dass der Processus vaginalis
auf der linken Seite früher und häufiger, als auf der rechten ob-
literirt gefunden wird. Andererseits ist die unvollkommene Obli-
teration auf der rechten Seite häufiger, als auf der linken; eine
*) Aus der Tabelle, welche F6r6 (1. c.) über den Znstand des Proc vag.
aufgestellt hat, geht für den vollkommen obliterirten Proc. vag. in der Alters-
periode vom 5 bis zum 12. Monat die Procentzahl 66 hervor (aus 76 Beob-
achtungen an 38 Individuen); eine Zahl, welche mit der meinigen (69 pOt)
so ziemlich übereinstimmt.
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348
Dr. Hago Sachs,
Diverticulum Nockii, wie wir später sehen werden, auf der rechten
Seite häufiger offen bleibt, als auf der linken.
Was die anderen Eigenthfimlichkeiten der Obliteration anbe-
trifft, so ist die Art und Weise, wie sich die verschiedenen Zu-
stände des Processus vaginalis auf der rechten und linken Seite
mit einander combiniren, von einigem Interesse, insofern, als die
Kenntniss dieser Verhältnisse es ermöglicht, aus dem Zustande des
Proc. vag. auf der einen Seite aber den wahrscheinlichen Zustand
der anderen Seite zu urtheilen. Vorliegende Tabelle giebt das
Verhältniss der verschiedenen Combinationen in ganzen Zahlen an,
welche ich aus den Mittelzahlen der ersten Tabelle berechnet habe,
indem ich die Zahl der Fälle mit doppelseitig obliterirtem Proc.
vag. = 100 setzte.
Links 1
Summe der
verschiedenen
Combinationen
= 327.
1
1
o
a
o
o
78
82
167
o
o
p3
offen
s
55
34
18
oben offen
2
12
42
49
obliterirt
1-H
U
6
100
Zur Erläuterung dieser Tabelle möge Folgendes dienen: Die
Tabelle ergiebt zunächst die relative Häufigkeit der verschiedenen
Combinationen: so z. B. sehen wir, dass am häufigsten die doppel-
seitige Obliteration angetroffen wird (unter 327 Fällen 100 Mal);
demnächst am häufigsten findet sich das doppelseitige Offenbleiben
des Proc. vag. (55 unter 327); am seltensten ist die Combination
der vollkommenen Obliteration rechts, mit unvollkommener Oblite-
ration auf der linken Seite (nur 6 Mal unter 327 Fällen).
Ferner geben uns die horizontalen Reihen der Tabelle über
die Häufigkeit der Combinationen jedes gegebenen Zustandes des
rechten Proc. vag. mit den drei verschiedenen Zuständen des linken
Aufschluss: so z. B. sagt uns die erste Reihe, dass unter 107 Fällen,
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350
Dr. Hugo Sachs,
Tabelle IV.
Ziistaii des Diverticiiliiii Niickii bei lidhfidiieii aus verschiedeaeii
Altertperiodei.
Altersperiode.
erseits
offen.
ts offen,
nks
terirt
tsoben
Bfen,
nks
terirt
ts oben
s ganz
ffen.
erseits
terirt.
xj g
^ — —
•? o — ^
Ä o J4 o
T3 -jS
1 1
1 ^
o .S
'S *o
I. 0— 10 Tage
21
1
4,8
1
4,8
1
4,8
_
_
18
85,6
If. 10— 20 ,
28
2
7,2
3
10,7
3
10,7
—
—
20
71,4
III. 20— 30 ,
13
—
—
1
7,7
—
—
—
—
12
92,3
IV. 30— 60 ,
39
4
10,3
8
20,5
2
5.1
—
—
25
64,1
V. 60— 90 «
23
1
4,3
1
4.4
1
4,3
—
—
20
87,0
VI. 90—120 „
15
1
6,7
2
13,3
1
6,7
—
—
11
73,3
VU. 120—335 ^
11
2
18,2
—
—
1
9,1
•
M
7
63«6
0-335 Tage
150
11
7,3
16
10,7
9
6,0
1
0,7
113
75,3
Tabelle IVa.
Altersperiöde.
Obliterirt
Oben offen.
Ganz offen
Samme der Falle
mit unvollkommener
oder fehlender
Obliteration.
I. 0— 10 Tage
II. 10- 20 „
m. 20— 30 ,
IV. 30- 60 „
V. 60— 90 „
VU 90—120 „
VII. 120—335 .
91
82
96
77
91
83
68
2
5
3
2
3
9
7
13
4
20
7
14
23
9
18
4
23
9
17
32
0—335 Tage
84
9
13
16
Ausser der überwiegenden Häufigkeit der Obliteration im
Allgemeinen bietet das Diverticulum Nuckii gegenüber dem Pro-
cessus vag. noch die Eigenthümlichkeit, dass es nicht wie dieser
mit fortschreitendem Alter immer häufiger obliterirt gefunden wird.
Abgesehen von den einander entgegengesetzten Schwankungen bis
zum 4. Monat, bietet die Procentzahl der obliterirten Divertikel
von der Geburt bis zum 12. Monat eine, wenn auch geringe, so
doch deutliche Abnahme. Im Mittel ist die vollkommene Oblitera-
tion bei Mädchen zweimal so häufig, als bei Knaben (84 gegen-
über 43).
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üntersachaDgen über den Processas vaginalis peritonei.
351
Dem entsprechend ist die Procentzahl der Fälle mit voll-
kommenem Offenbleiben des Diverticulum durchschnittlich zwei-
mal kleiner, als dieselbe Zahl bei Knaben, auch zeigt diese Zahl
mit fortschreitendem Alter im Allgemeinen eine deutliche Zu-
nahme, während bei Knaben das Umgekehrte der Fall ist.
Die unvollkommene Obliteration des Diverticulum Nuckii ist
ziemlich selten und wird durchschnittlich nur in 3 pCt. der Fälle
angetroffen.
Die Schlüsse, welche man aus diesen Zahlenverhältnissen
über den Gang der Obliteration des Diverticulum Nuckii ziehen
kann, lassen sich wie folgt zusammenfassen:
1) Wenn man annimmt, dass das Diverticulum Nuckii beim
Foetus ein constantes Gebilde ist, so muss man zugeben,
dass es in der grössten Mehrzahl der Fälle schon während
des intrauterinen Lebens verschwindet.
2) Die Obliteration des Diverticulum Nuckii macht im Laufe
des ersten Lebensjahres wahrscheinlich keine Fortschritte.
Ein Blick auf die beiden folgenden Tabellen überzeugt uns
sofort, dass auch bei Mädchen, wie bereits oben angedeutet wurde,
auf der linken Seite die Obliteration häufiger angetroffen wird, als
auf der rechten.
Ta
belle
V.
6
1
u
Obliterirt.
Offen.
Oben uffen.
Altersperiode.
1
42
i
1
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1
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^
Ä
l 0— 10 Tage
21
18
_
2
1
1
_
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1
IL 10- 20 .
28
20
6
2
3
—
—
3
—
m. 20- 30 .
13
12
1
—
1
—
—
—
—
IV. 80- CO „
39
25
10
4
8
—
—
2
—
V. 60- 90 .
23
20
2
1
1
—
—
1
—
VI. 90-120 «
15
11
3
1
2
—
—
l
—
VII. 120-3S5 ,
11
7
—
1
2
—
l
■"
2
—
0-335 Tage
150
113
1
25
11
16
1
10
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352
Dr. Hago Sachs,
Tabelle VI.
Rechtes
Linkes
Verhältniss der rechten
.2
1
Div. Nuckii.
Div. Nockii.
Seit€
zur linken.
Altersperiode.
t
1
t
t:
d
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C
o
'C
o
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o
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G
d
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a
d
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2
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3
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£
S3
o
o
^
o
O
O
o
o
o
I. 0— 10 Tage
21
18
1
2
20
1
1:1,1
1:0
1:0,5
II. 10- 20 ,
28
20
3
5
26
—
2
1:1,3
1:0
1:0,4
III. 20- 30 ,
13
12 1- 1
13
—
—
1:1,1
—
1:0,0
IV. 30— 60 „
39
25
2 12
35
—
4
1:1,4
1:0
1:0,3
V. 60- 90 ,
23
20
1 2
22
—
1
1 : 1,1
1:0
1:0,5
VI. 90—120 „
15
11
l 3
14
—
!
1:1,3
1:0
1:0,3
VII. 120-335 ,
11
7
2. 2
8
—
3
1:1,1
1:0
1:1,5
0—335 Tage
150
113
10
27
138
12
1 : 1,2
1:0
1:0,4
Wir sehen ferner, dass das Miss verhältniss zwischen der
rechten und linken Seite bei Mädchen noch bedeutender ist als
bei Knaben: es ist in der Tabelle kein einziger Fall verzeichnet,
wo die Obliteration nur das Diverticulum der rechten Seite be-
troffen hätte: nur in einem Falle war das Diverticulum der linken
Seite allein vollkommen offen (neben unvollkommener Obliteration
auf der rechten Seite). Wenn wir die Fälle mit doppelseitiger
Obliteration mit zählen, wie das auf Tabelle VI geschah, so er-
giebt sich, dass bei Mädchen die Obliteration auf der linken Seite
1,2 Mal häufiger ist als auf der rechten, während bei Knaben in
dieser Beziehung die rechte Seite zur linken sich wie 1 zu l,i
verhielt.
Ohne die Thatsache erklären zu können, constatire ich nur,
dass auch das Diverticulum Nuckii auf der linken Seite häufiger
obliterirt gefunden wird als auf der rechten. Diese Thatsache ist
meines Wissens bisher von Niemandem in gehöriger Weise her-
vorgehoben worden. Wernher^'^) äussert sich nur in folgender
Weise: „Auch von dem Nuck'schen Canale ist es bekannt, dass
er sehr häufig noch ziemlich spät ungeschlossen gefunden wird,
ohne dass man wüsste, dass der der linken Seite sich früher
schliesst als der der rechten."
Was die Lage der Ovarien und ihren Zusammenhang mit dem
Offenbleiben des Diverticulum Nuckii anbetrifft, so fand ich unter
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Untersachangen über den Processus vaginalis peritonei. 353
136 Fällen, in weichen die Lage der Ovarien notirt wurde, das
Ovarium der rechten Seite 68 Mal im kleinen Becken, 24 Mal im
Beckeneingange und 44 Mal im grossen Becken; auf der linken
Seite lag das Ovarium 90 Mal im kleinen Becken, 23 Mal im
Beckeneingang und ebenso häufig im grossen Becken. Es scheint
also, dass auch der Descensus ovarii auf der linken Seite früher
zum Abschluss kommt, als auf der rechten Seite, was mit dem
häufigeren OflFen bleiben des Diverticulum Nuckii auf der rechten
Seite völlig übereinstimmt. Der Zusammenhang des Descensus
ovariorum mit dem Offenbleiben des Diverticulum Nuckii wird noch
deutlicher, wenn man die folgenden Zahlen Verhältnisse berück-
sichtigt.
Unter 67 Fällen, in welchen das Ovarium im grossen Becken
lag (unvollständiger Descensus), war das Diverticulum 50 Mal (in
75 pCt.) ganz geschwunden und 16 Mal (in 24 pCt.) ganz offen,
unter 205 Fällen, in welchen das Ovarium im Beckeneingange
oder in der Tiefe des kleinen Beckens lag, war das Diverticulum
176 Mal (in 86 pCt.) obliterirt und 24 Mal (in 12 pCt.) ganz
offen.
Diese Zahlen sagen aus, dass das Diverticulum Nuckii bei
anvollständigem Descensus ovarii fast zwei Mal so häufig offen ge-
fanden wird als bei vollendetem Descensus. Ein Zusammenhang
zwischen diesen beiden Erscheinungen besteht also ganz unzweifel-
haft. Die Frage, ob dieser Zusammenhang nur ein zeitlicher oder
ein caosaler ist, bleibt unentschieden, denn es liessen sich darüber
nur mehr oder weniger begründete Vermuthungen aussprechen.
In Bezug auf die verschiedenen Combinationen der Zustände
des Diverticulum Nuckii auf der rechten und linken Seite kann
ich mich kurz fassen, da diese Combinationen nicht so zahlreich
sind, wie die bei Knaben oben angegebenen. Am häufigsten kommt
die doppelseitige Obliteration vor, darauf folgt das Offenbleiben
des rechten Diverticulum neben Obliteration des linken; seltener
ist das doppelseitige Offenbleiben, sowie die unvollkommene
Obliteration des rechten Diverticulum neben vollständiger Oblite-
ration des linken; nur ausnahmsweise findet man das linke
Diverticulum vollkommen offen bei unvollständiger Obliteration
auf der rechten Seite (vergl. Tab. IV).
Der Durchmesser der Eingangsöffnung des Diverticulum Nuckii
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354 Dr. Hugo Sachs,
schwankt zwischen 2 — 7 Mm. und ist durchschnittlich kleiner als
der Durchmesser des Proc. vag. ; aach scheint er bei älteren Kindern
im Allgemeinen grösser zu sein als bei jüngeren, ähnlich wie der
Durchmesser der Oeffnung des Proc. vag. Dagegen kennte ich
keinen Unterschied in der Grösse des Durchmessers auf der rechten
und linken Seite constatiren.
Ich will damit die Auseinandersetzungen über die Frequenz
des OfFenbleibens, sowie über den Gang der Obliteration des
Peritonealfortsatzes bei männlichen und weiblichen Kindern schliessen
und werde im folgenden Abschnitt die Bedeutung des nicht
obliterirten Peritonealfortsatzes für die Bruchbildung nach Mög-
lichkeit zu präcisiren versuchen.
Ich habe bereits oben angedeutet, dass die Frage über die
Bedeutung des Peritonealfortsatzes für die Entstehung von Brächen
noch keineswegs als eine abgeschlossene zu betrachten ist. Wenn-
gleich alle Autoren, meines Wissens, darin einig sind, den offenen
Peritonealfortsatz als eine wesentliche Prädisposition zu Hernien
bei Kindern zu betrachten, so herrschen doch immerhin wesent-
liche Meinungsverschiedenheiten, wo es sich darum handelt, zu
entscheiden, ob äussere Leistenhernien bei Kindern auch bei voll-
kommen obliterirtem Peritonealfortsatz entstehen. Während Roser,
Engel, Zuckerkandl u. A. sowohl alle äusseren Leistenhernien
überhaupt, als auch speciell die der Kinder für Brüche des Peri-
tonealfortsatzes zu halten geneigt sind, fehlt es nicht an Autoren,
welche bei Kindern neben den vaginalen Leistenhernien auch solche
unterscheiden, die nicht den Peritonealfortsatz, sondern eine neu-
gebildete Ausstülpung des Bauchfelles zum Bruchsack haben. So
führt F6r6 unter den prädisponirenden Ursachen der Leistenbrüche
bei Kindern in erster Reihe das Offenbleiben des Peritonealfort-
satzes an*), unterscheidet aber in seiner Tabelle über den Zustand
des Processus vaginalis zwischen den „hernies vaginales* und
„hernies ordinaires**. Aehnlich erachtet es Kocher**) als
♦) I. c. p. 559.
♦*) I. c. p. 742.
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UntersQohangen über den Processus vaginalis peritonei. 355
,uber alle Zweifel erhaben, dass beim neugeborenen und kleinen
Kinde in dem offenen Scheidenfortsatz eine höchst bedeutungsvolle
Disposition zu Leistenhernien gegeben ist''. Er meint jedoch, dass
Roser die ätiologische Bedeutung des offenen Peritonealfortsatzes
über die thatsächiichen Grenzen hinaustreibt, wenn er denselben
in allen Fällen von Leistenbrüchen als vorgebildeten Bruchsack
annimoQt, und dass Hernien bei Kindern auch in den Fällen ent-
stehen können, wo der Processus vaginalis ganz obliterirt oder
sehr eng ist, zumal da „die Kürze und Weite des Leisten-
canales, speciell die des hinteren Leistenringes'' auch bei oblite-
rirtem Froc. vag. „unter den prädisponirenden Ursachen in
erster Linie'' zu stellen sei. „Immerhin sind**, so schliesst Kocher,
„wie schon ältere Autoren (Kirby) ausdrücklich hervorhoben, die
kleinere Zahl der Hernien bei Kindern Herniae vaginales (s. con-
genitales). "
Von dem Satze ausgehend, dass ein offener, oder nicht voll-
kommen obliterirter Proc. vag. unter umständen (d. h. bei nicht
zu enger Eingangsöffnung), als ein vorgebildeter Bruchsack aufge-
fasst werden kann, habe ich es versucht, zu bestimmen, in wie
fern das Vorhandensein dieses Bruchsackes auf die Häufigkeit der
Hernien bei Kindern von Einfluss sein dürfte. Es ist selbstver-
ständlich, dass wir auf eine Uebereinstimmung der absoluten
Häufigkeitszahlen des Offenbleibens des Peritonealfortsatzes einer-
seits mit den Häufigkeitszahlen der Hernien andererseits nicht
rechnen können, wohl aber kann uns die Uebereinstimmung oder
Nichtübereinstimmung gewisser Verhältnisszahlen nach Geschlecht,
Alter und Körperseite über die Bedeutung des Peritonealfortsatzes
Aufschluss geben.
Wir müssen daher die Zahlen, welche das Verhältniss der
Frequenz des offenen oder nicht vollkommen obliterirten Peritoneal-
fortsatzes bei Knaben und Mädchen, rechts und links, sowie für
verschiedene Altersperioden ausdrücken, mit denjenigen Zahlen
vergleichen, welche die Vertheilung der Hernien nach Geschlecht,
Körperseite und Alter angeben. Am Besten wäre zu einem solchen
Vergleich eine Statistik geeignet, welche das Vorkommen von
Hernien bei Kindern aus dem ersten Lebensjahre und deren Ent-
stehung nach einzelnen Monaten behandeln würde. Eine solche
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356 Dr. Hugo Sachs,
Statistik fehlt aber und ich habe daher zum Vergleich die aus-
führliche, auf grossen Zahlen basirte Statistik von Wernher
(von Langenbeck's Archiv. Bd. XI.) benutzt.*)
Ich beginne mit dem Verhältniss der Hernien bei Knaben und
Mädchen. Wernher giebt als aproximative Verhältnisszahl der
Frequenz der im ersten Lebensjahre entstandenen Leistenhernien
bei Mädchen und Knaben gleich 1 : 19 — 20 an. Dieses Verhältniss
erscheint etwas zu klein, wenn man bedenkt, dass Hernien bei
Mädchen leichter übersehen werden, als bei Knaben; auch fand
Demme (Kocher, 1. c. p. 705) unter 515 Leistenbrächen 88 bei
Mädchen und 427 bei Knaben — also ein Verhältniss von 1 zu 4 — 5 ;
dieselbe Verhältnisszahl wird, nach F6r6, auch von Bouchut
angegeben.
Wenn wir nun die Summen der Procentzahlen für den offenen
und nicht vollkommen obliterirten Peritoneal fortsatz bei Knaben
und Mädchen vergleichen (s. Tab. la und IV a), so bekommen wir
das Verhältniss von 57 : 16 = 3,5 : 1. Die durch das Offen-
bleiben des Peritonealfortsatzes gegebene Prädisposition zu Hermen
verhält sich also bei Mädchen und Knaben wie 1 zu 3,5 — ein
Verhältniss, welches so ziemlich mit den von Demme und Bouchut
angegebenen Zahlen übereinstimmt, im Vergleich mit dem von
Wernher aufgestellten Verhältniss jedoch viel zu gross erscheint.
Es wäre entschieden voreilig, auf Grund dieses Vergleiches irgend
einen positiven Schluss ziehen zu wollen; so viel ist sicher, dass
die Zahl, welche die Prädisposition zu Hernien bei Knaben aus-
drückt (3,5), gegenüber der Zahl der Hernien (20 nach Wernher,
4 — 5 nach Demme und Bouchut) zu klein ausfällt. Dieses
würde gegen die ausschliessliche Bedeutung des Peritonealfortsatzes
als Prädisposition zu Hernien sprechen, wenn das Offenbleiben
des Proc. vag. und des Nuck 'sehen Divertikels für die Ent-
stehung einer Hernie gleichwerthig wäre. Dem ist aber nicht
♦) Ich versuchte es, den Jahresberichten des St. Petersburger Findel-
hauses einige Angaben über die Häufigkeit der Hernien bei Kindern zu ent-
nehmen; es wäre von Interesse gewesen, das Verhalten der Hernien gerade bei
solchen Kindern zu kennen, welche unter denselben äusseren Verhältnissen,
wie die in Bezug auf das Offenbleiben des Peritonealfortsatzes untersuchten,
leben. Leider musste ich mein Vorhaben aufgeben, denn in den genannten
Berichten ist nur die Zahl der Hernien in toto angegeben, ohne Rücksicht auf
Geschlecht und Zeit der Entstehung.
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358 Dr. Hngo Sachs,
um das Verh<niss der doppelseitigen Prädisposition zu der
einseitigen zu bestimmen, vergleiche ich die Summe der Fälle, wo
der Proc. vag. auf beiden Seiten nicht obliterirt war, mit den
F&Uen, wo Dieses nur auf einer Seite der Fall war. Eine einfache
Addition der betreffenden Fälle (s. Tabelle I) ergiebt die Summe
68 für die doppelseitige Prädisposition zu Hernien und 40 für die
einseitige. Da nun in jedem Falle mit doppelseitiger Prädisposition
zugleich die Möglichkeit einer einseitigen Hernie gegeben ist, so
beträgt das Verhältniss der doppelseitigen zur einseitigen Prädis-
position 68 : (2 X 68 -f 40) = 68 : 176 = 1 : 2,6. Wenn dieses
Verhältniss auch nicht mit dem von Wernher angegebenen über-
einstimmt, so spricht es doch keineswegs gegen die Bedeutung des
Proc. vag. für die Entstehung von Hernien, denn unter den Fällen
mit doppelseitiger Prädisposition bleibt doch immer die rechte
Seite die bevorzugte, was die Zahl der doppelseitigen Bräche noth-
wendiger weise herabsetzen muss.
Das Offenbleiben des Diverticulum Nuckii auf der rechten und
linken Seite verhält sich wie 37 : 12 = 8 : 1 — ein Verhältniss,
welches nur insofern mit dem der rechts- und linksseitigen Brüche
übereinstimmt, als der grösseren Häufigkeit der rechtsseitigen
Brüche auch die grössere Häufigkeit der Prädisposition entspricht.
Im üebrigen erscheint die relative Zahl der rechtsseitigen Hernien
geringer, als es das häufigere Offenbleiben des linken Divertikels
erfordert. Ich finde in der Beschaffenheit des Diverticulum keine
Momente, welche die Nichtübereinstimmung der beiden angeführten
Verhältnisse erklären könnte.
Die Prädisposition zu doppelseitigen Hernien beträgt bei
Mädchen 12 (aus Tabelle IV); die einseitige Prädisposition da-
gegen ist •:= 25; das Verhältniss, in derselben Weise wie bei
Knaben berechnet, beträgt 12 : (2 X 12 -f 25) = 12 : 49 = 1 :4
und steht mit dem Verhältniss der doppelseitigen Hernien zu den
einseitigen (1 : 6,3) in keinem Widerspruch.
Einen Vergleich der Verhältnisse in Bezug auf einzelne Alters-
perioden kann ich hier nicht vornehmen, weil eine dazu geeignete
Statistik der Hernien fehlt. Die vereinzelten Angaben, welche
man über die Vertheilung der Hernien nach Monaten findet, sind
ziemlich unvollständig und einander widersprechend: so z. B. sagt
Kocher, dass bei Knaben die Leistenbrüche von der Geburt »b
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360 Dr. Hugo Sachs,
derselben bei Mädchen nach vollendetem ersten Lebensjahr voll-
kommen mit Dem überein, was wir über den Gang der Obliteration
bei beiden Geschlechtern erfahren haben. Jedenfalls brauchen wir
nicht zur Erklärung aller dieser Verhältnisse anzunehmen, dass bei
Kindern, auch bei obliterirtem Peritonealfortsatz, Brüche nach der
Art der sogenannten erworbenen, durch eine Ausstülpung des
Bauchfelles entstehen.
Eine andere Frage ist es, ob Leistenhernien bei Kindern auch
bei geschlossenem Peritonealfortsatz sich bilden können. Benno
Schmidt*) betrachtet diese Frage als eine zur Zeit noch nicht
entschiedene; die Weite und Kürze des Leistencanals bei Kindern
scheint ihm allerdings die Entstehung von Brüchen nach Art der
erworbenen zu erleichtern. Er fügt jedoch hinzu, dass, um diese
Frage endgiltig zu entscheiden, bei künftigen Gelegenheiten aus-
drücklich darauf geachtet werden müsste, ,ob, wie Manche glauben,
häufig ßruchsäcke sich finden, welche mit der geschlossenen
Scheidenhaut in gar keinem Zusammenhang stehen.** Mit anderen
Worten — man müsste durch eine genauere anatomische Unter-
suchung der Brüche bei Kindern bestimmen, ob alle Brüche in die
Kategorie der angeborenen gehören, oder ob auch unzweifelhaft er-
worbene Brüche vorkommen.
Wir kommen somit auf die Frage über den Unterschied
zwischen der sogenannten angeborenen und der sogenannten
acquirirten Hernie. Es werden von verschiedener Seite eine Menge
solcher Unterscheidungsmerkmale angeführt, welche die angeborene
Hernie characterisiren sollen; sie sind aber sämmtlich so geartet,
dass ihre Abwesenheit die Möglichkeit einer Hernia Proc. vag.
nicht ausschliesst. Ich will im Folgenden diese Unterscheidungs-
merkmale etwas genauer analysiren, um zu sehen, inwiefern die-
selben mit den Ergebnissen der anatomischen Untersuchung über-
einstimmen.
Sämmtliche Brüche des Processus vaginalis**) können in zwei
*) Die U)iterleibs brache. Pitha und Billroth, Handb. der Chirurgie.
Bd. lll. Abth. 2. S. 273. Stattgart 1882.
**) Von den Brüchen des Diverticulam Nuckii will ich hier gans ab-
sehen, denn bei diesen haben wir absolut keine Anhaltspunkte, welche ihre
Erkennung ermöglichen würden. Es ist jedoch denkbar, dass die Art und Weise
der Verbindung des Lig. rot. mit dem Bruchsack zur Diagnose einer Hernia
diverticuii (bei mikroskopischer Untersuchung) verhelfen könutt.
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362 Dr Hugo Sachs,
anzanehmen, dass bei einem längere Zeit bestehenden Bruch der
Sack niehr Zeit haben wird, innigere Verbindungen mit dem Bruch-
bette einzugehen: die schwere Lösbarkeit des Bruchsackes wurde
somit höchstens einen Schluss auf das Alter des Bruches, aber
nicht des Bruchsackes erlauben.
Ganz besonders wird zuweilen die Ablösung des Bruchsackes
von der Tunica vag* propria erschwert durch die Anwesenheit eines
Bindegewebsstranges, welcher den Grund des Bruchsackes mit der
Tunica vag. propria verbindet. Es ist dieser Strang nichts Anderes
als der obliterirte Proc. vag. und seine Anwesenheit kann als
sicheres Zeichen betrachtet werden, dass der Bruchsack ein ange-
borener ist. Dagegen wird die Abwesenheit einer Verbindung
zwischen Tunica vag. propria und Bruchsack nicht gegen den an-
geborenen Charakter desselben sprechen, denn der obliterirte Proc.
vag. verschwindet zuweilen so, dass man selbst mit Hilfe des Mikro-
skops keine Spur desselben entdecken kann.
Theoretisch wichtig und practisch bedeutungsvoll ist die Lage
der Gefässe und des Vas deferens im Verhältniss zum Bruchsack
und deren Verbindung mit demselben. Es ist allgemein bekannt,
dass in den typischen Fällen des äusseren Leistenbruches die Ge-
fässe und das Vas deferens zu einem Strang vereinigt an der hinteren
medialen Seite des Bruchsackes liegen und sich ziemlich leicht von
demselben ablösen lassen. Es ist aber gewiss nicht weniger be-
kannt, dass Abweichungen von diesem typischen Verhalten sehr
häufig sind; in vielen Fällen liegt das Vas deferens von den Ge-
fässen getrennt in messbarer Entfernung von denselben — schon
bei Co per findet man Fälle beschrieben, wo das Vas deferens an
der vorderen Seite des Bruchsackes lag, während die Gefasse ihre
gewöhnliche Lage einhielten. Auch kommt es zuweilen vor, dass
die Gefässe nicht zu einem Bündel vereinigt, sondern, von einander
getrennt, über einen Theil der Peripherie des Bruchsackes zerstreut
liegen. Dabei ist die Verbindung der Bestandtheile des Samen-
stranges mit dem Bruchsack eine so innige, dass die Trennung nur
selten ohne Verletzung des Bruchsackes oder übermässige Zerrung
der Gefässe gelingt. Diese Verschiedenheiten im Verhalten des Vas
deferens und der Gefässe wurden auch als ein Unterscheidungs-
merkmal zwischen der vaginalen und acquirirten Hernie verwerthet,
insofern als man die Zerfaserung der Bestandtheile des Samen-
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364 Dr. Hugo Sachs,
Gefasse und das Vas deferens aaseinander geschoben werden; da-
gegen würde in anderen Fällen (Fig. 1 Tab. IV.) diese Zerfaserung
der Bestandtheile des Samenstranges nicht eintreten. In drei ge-
nauer untersuchten Fällen, wo es sich unzweifelhaft um vaginale
funiculäre Leistenbrüche handelte, konnte ich das verschiedene Ver-
halten in der Lage der Gefässe und des Vas deferens bestätigen:
in einem Falle lagen die Gefässe und das Vas deferens an zwei
fast diametral entgegengesetzten Punkten der Peripherie des Bruch-
sackes; in den beiden anderen dagegen lagen die genannten Be-
standtheile des Samenstranges neben einander an der hinteren
medialen Seite des Bruchsackes.
Es schien mir auch von Interesse, etwas über die Lage der
Gefasse und des Vas deferens bei der circumscripten Hydrocele
funiculi spermatici zu erfahren, denn bei dieser dient ja der Proc.
vag. ganz unzweifelhaft zum Sitz der Flüssigkeitsansammlung.
Leider konnte ich über diesen Punkt keine Angaben finden; an
einem Präparat, welches Herr Prof. v. Wahl mir zur Untersuchung
zu überlassen die Freundlichkeit hatte, fand ich die Gefässe und
das Vas deferens von einander ganz getrennt der hinteren Wand
der Cyste anliegend; die Gefasse waren jedoch nicht zerfasert,
sondern zu einem Bündel vereinigt.
Ich glaube aus den angeführten Beobachtungen jedenfalls
schliessen zu können, dass man nicht berechtigt ist, im Verhalten
der Gefässe und des Vas deferens ein Unterscheidungsmerkmal
zwischen der vaginalen und acquirirten Hernie zu suchen; aller-
dings kann die festere Verbindung der Bestandtheile des Samen-
stranges mit dem Bruchsack als ein Kennzeichen der vaginalen
Hernie aufgefasst werden, aber wir dürfen aus der Abwesenheit
dieses Kennzeichens nicht auf das Erworbensein der Hernie
schliessen.
Wenn ich alles bisher über den Unterschied zwischen vagi-
naler und acquirirter Hernie Gesagte zusammenfasse, so schliesse
ich, dass wir wohl ausgesprochene anatomische Kennzeichen der
vaginalen Hernie besitzen, dass es aber keine absolut sicheren
Kennzeichen giebt, an welchen wir die acquirirte Hernie erkennen
könnten.
Die Frage, ob bei Kindern wirklich erworbene Brüche, deren
Bruchsack nicht der vorgebildete Proc. vag, wäre, vorkommen,
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Untersachangen über den Processus vaginalis peritonei. 365
mässte also unentschieden bleiben, wenn wir nicht in dena anato-
mischen Bau des Samenstranges ein Moment besässen, welches, wie
mir scheint, die Unterscheidung zwischen angeborener und nicht
angeborener Hernie sicher ermöglichen würde. Ich habe nämlich
bei der anatomischen Beschreibung des Proc. vag. bereits betont,
dass unter allen Bestandtheilen des Samenstranges einzig und allein
die glatte Musculatur des Gremaster internus ein regelmässiges Ver-
halten zur Wand des Proc. vag. zeigt. Ich habe gezeigt, dass ein
Theil der glatten Musculatur des Samenstranges immer
in Bändeln angeordnet der hinteren und lateralen Wand
des Proc. vag. anliegt.
Nun sollte ich meinen, dass bei einem Bruchsack, von dem
man nicht weiss, ob er ein angeborener oder erworbener ist, die
mikroskopische Untersuchung darüber Äufschluss geben könnte:
findet man regelmässig angeordnete glatte Muskelfasern dicht an
der Wand des Bruchsackes, so ist derselbe als Proc. vag. erkannt;
findet man dagegen auch bei genauer Untersuchung keine glatten
Muskelfasern, so ist das Angeborensein mindestens sehr zweifelhaft.
Ich muss allerdings daran erinnern, dass ich innerhalb des
Leistencanals keine glatten Muskelfasern constatiren konnte; das
so eben angeführte Unterscheidungsmerkmal erleidet somit eine Ein-
schränkung, insofern als es für die Fälle, wo der vorgebildete
Bruchsack (Proc. vag.) die Länge dos Leistencanals nicht über-
schritten hat, keine Gültigkeit hat. Für die grössere Mehrzahl der
Fälle kann dieses Merkmal jedoch aufrecht erhalten werden, da
man doch vermuthen darf, dass ein Bruchsack, welcher die Länge
des Leistencanals überschreitet, eher zu Aufnahme von Eingeweiden
geeignet ist, als ein kürzerer.
Jedenfalls glaube ich, dass das durch die Anordnung der
glatten Muskulatur gegebene Unterscheidungsmerkmal zwischen der
angeborenen und acquirirten Hernie einer genaueren Untersuchung
werth ist, denn es ist leicht einzusehen, dass nur derCremastor
internus (vormals Gubernaculum Hunteri), welcher mit der Bil-
dung des Peritoneal fortsatzes in nächster Beziehung steht, zur
sicheren Characteristik desselben verwerthet werden
kann. Es würde sich darum handeln, an einer Anzahl von Prä-
paraten das oben beschriebene Verhältniss der glatten Muskulatur
zum Proc. vag. zu verificiren und bei einer Reihe von fraglichen
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366 Dr. Hugo Sachs.
Bnichsäcken dieses Verhältniss genauer zu untersuchen. Ich bin
mir vollkomnaen dessen bewusst, dass eine solche Untersuchung
recht umständlich ist, glaube aber doch, dass sie den einzig
sicheren Weg zur Entscheidung des alten Streites über das An-
geboren- resp. Erworbensein der äusseren Leistenhernie bietet
Zum Schluss fasse ich die wesentlichsten Resultate meiner
Arbeit in einigen kürzeren Sätzen zusammen.
1) Der oflFene oder nicht vollkommen obliterirte Processus
vag. ist ein vorgebildeter Bruchsack, welcher alle characteristischen
Zeichen des Bruchsackes der äusseren Leistenhernie darbietet.
2) Die Eingangsö£fnung ist in den meisten Fällen durch eine
Klappen Vorrichtung verdeckt, und zwar gilt dies für das
Diverticulum Nuckii in höherem Maasse als für den
Processus vaginalis. Bei diesem letzteren kann die
Oeffnung bei einer Ausspannung des Mes. ilei, resp. des
Mes. flex. sigm. vermittelst einer Peritonealfalte zum
Klaffen gebracht werden.
3) Der Durchmesser der Oe£fnung ist im Allgemeinen bei
Knaben auf der rechten Seite grösser als auf der linken, während
bei Mädchen ein unterschied beider Seiten nicht zu const&tiren ist.
Auch ist der Durchmesser bei Knaben und älteren Kindern über-
haupt grösser als bei Mädchen und jüngeren Kindern.
4) Die verschiedenen Formen des offenen oder unvollkommen
obliterirten Processus vaginalis stimmen mit den am häufigsten
vorkommenden Formen des Bruchsackes bei der äusseren Leisten-
hernie.
5) Das Verhalten des Processus vaginalis zu den Bestand-
theilen des Samenstranges ist ein wechselndes in Bezug auf die
Lage und gegenseitige Verbindung dieser Theile. Nur die glatte
Musculatur des Samenstranges zeigt ein regelmässiges
Verhalten zum Processus vaginalis, dessen hinterer und
lateraler Wand sie, in Bündeln angeordnet, anliegt.
6) Die Obliteration des Proc. vag. beruht auf einer Granula-
tionsbildung, welche im mittleren Drittel der Portio funicularis be-
ginnt und von da rascher nach unten als nach oben fortschreitet.
Nach der Obliteration verschwindet der Proc. vag. ohne erkenn-
bare Spuren zu hinterlassen.
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Untersuchnngen aber den Processas vaginalis peritonei. 367
7) Die Zeit der Obliteration des Proc. vag. fällt hauptsäch-
lich auf die ersten 10 bis 20 Tage nach der Geburt; von diesem
Zeitpunkte an geht die Zunahme der obliterirten Processus vag.
nur langsam vor sich. — Das Diverticulum Nuckii ist in der
grössten Mehrzahl der Fälle schon zur Zeit der Geburt verschwunden
und wird im späteren Alter nicht seltener angetroflFen, als in den
ersten Tagen nach der Geburt.
8) Der Proc. vag. ist auf der rechten Seite häufiger offen als
auf der linken. Dasselbe gilt in vollem Maasse auch für
das Diverticulum Nuckii.
9) Die Häufigkeitsverhältnisse des Offenbleibens des Peritoneal-
fortsatzes bei Knaben und Mädchen, auf der rechten und linken
Seite, sowie der verschiedene Gang der Obliteration bei beiden
Geschlechtern stehen in keinem Widerspruch mit den entsprechenden
Häufigkeitsverhältnissen der Hernien und es erscheint daher höchst
wahrscheinlich, dass der Proc. vag. bei Kindern das einzige wesent-
liche prädisponirende Moment zur äusseren Leistenhernie darstellt.
Jedenfalls ist die Annahme einer anderen prädisponirenden Schwäche,
wie etwa die Weite und Kürze des Leistencanals, nicht noth-
wendig.
10) Es giebt keine grob-anatomischen Kennzeichen,
welche die acquirirte äussere Leistenhernie im Gegen-
satz zur angeborenen characterisiren. Die endgültige Ent-
scheidung der Frage, ob äussere Leistenhernien sich auch bei
vollkommen obliterirtem Proc. vag. bilden, ist nur auf Grund einer
microscopischen Untersuchung von Bruchsäcken in Bezug auf das
Verhalten des Cremaster internus möglich.
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UntersuchuDgen über den Processus vaginalis peritonei. 369
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logie. 1884. (Anat. Abtheilung. S. 314.) — 81. P. Pellacani, Der Bau
des menschlichen Samenstranges; im Archiv fär mikroskop. Anatomie. 1884.
S. 305—333.
Erklftrung der Abbildungen auf Taf. IT.
Fig. 1. Becken eines achtwöchentlichen Knaben; beiderseits vollkommen
offener Processus vaginalis.
* Processus vaginalis,
Au Arteria umbilicalis,
y Vesica urinaria (stark ausgedehnt).
Fig. 2. Becken eines zwei wöchentlichen Mädchens; rechts das Diverticulum
Kuckii vorhanden. Das rechte Ovarium und Tuba im grossen
Becken; das linke in der Tiefe des kleinen Beckens.
** Oeflfnung des Diverticulum Nuckii,
ü Uterus,
T Tuba Fallopii,
Ov Ovarium,
Lr Ligamentum rotundum uteri,
Au Arteria umbilicalis,
V Vesica urinaria.
Fig. 3. Becken eines sechswöchentlichen Mädchens, von vorn gesellen;
beiderseits gut entwickeltes Diverticulum ^uokii , welches aus dem
äusseren Leistenringe herausragt. Die Ovarien lagen beiderseits im
grossen Becken in der Kähe der Oeffnung des Diverticulum: rechts
lag das tubäre Ende des Ovarium in der Oefifnung des Diverticulum
Nuckii, links ein Theil der Tuba.
Fig. 4. Dasselbe von oben gesehen; die Ovarien und Tuben sind nach hinten
verdrängt, um den Eingang in das Diverticulum Nuckii freizulegen.
Die Bezeichnungen sind dieselben wie bei Fig. 2.
Fig. 5. Schnitt durch den linken Samenstrang eines vierwöchentlichen Kin-
des; aus dem oberen Drittel der Portio funicularis. Der Processus
vaginalis wurde vor dem Härten aufgeblasen. Gefasse und Vas de-
ferens liegen neben einander der hinteren Peripherie des Processus
vaginalis an. Regelmässige Anordnung der Fasern des Cremaster
internus an der hinteren und lateralen Seite der Cavitas serosa,
dicht der Wand anliegend. Vergr. 10 mal. Obere Schnittfläche.
Im unteren Drittel desselben Samenstranges lag das Vas deferens
hinter den Qefassen.
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372 Dr. H. Sachs, Untersuchungen über den Processus vaginalis peritonei.
Fig. 6. Schnitt durch den rechten Samenstrang eines 3 wöchentlichen Kin-
des; aus dem mittleren Drittel; untere Schnittfläche. Das Vas de-
ferens und die Gefasse sind durch lockeres fetthaltiges Qewebe von
der Wand des Processus vaginalis geschieden. Cremaster internus
dem Gefässbündel entsprechend dicht an der Wand der Oavitas
serosa. Vergr. 15 mal.
Fig. 7. Schnitt durch das obere Drittel desselben Samenstranges. Untere
Schnittfläche: die Gefasse liegen vom Vas deferens getrennt. Ver-
grossem ng 15 mal.
Fig. 8. Schnitt durch den rechten Samenstrang eines 4 wöchentlichen Kin-
des; aus dem oberen Drittel. Der Processus vaginalis bildet eine
unregelmässige, spaltförmige Lücke. Die Fasern des Gremaster in-
ternus schwach entwickelt, aber regelmässig an der Wand der J
Oavitas serosa gruppirt. Obere Schnittfläche. Vergr. 15 mal. l
Fig. 9. Schnitt durch den linken Samenstrang eines 6 wöchentlichen Kindes; •
aus dem oberen Drittel. Der Processus vaginalis bildet eine un-
regelmässige Lücke, welche das Vas deferens und die Gefasse von '
einander scheidet. Beginnende Obliteration des Processus vaginalis :
kleinzellige Infiltration der dem Gefässbündel entsprechenden Wand
und Anhäufung von Rundzellen im Lumen des Processus vaginalis. ^
Vergr. 15 mal. j
Die Bezeichnungen sind bei Fig. 5 — 9 dieselben: t
Cr. int. Der Wand der Cavitas serosa anliegender Theil d«s j
Cremaster internus.
Art. sp. int. Arteria spermatica interna.
PI. pamp. Plexus pampiniformis. \
Vas def. Vas deferens.
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XIV.
Beiträge zur Lehre von den Anaestheticis.
Von
Dr. O. Kappeier,
Cbefant in MOnsterlingen.
(Mit Holzschnitten.)
L Ueber den Chloroformtod.
Das nicht seltene Vorkommen von Gasblasen in den Gefässen,
im Herzen und selbst in den grossen Nervenstämmen von Chloro-
formleichen findet sich schon in einigen der ersten Arbeiten über
Chloroformmrkung aufgezeichnet. So erwähnt z. B. Berend^),
dass bei 20 Todesfällen nach Chloroformanwendung, bei denen ge-
nauere Sectionen angestellt worden sind, 7 Mal Gasbläschen in den
Gefässen gefunden wurden. Bei strenger Kritik ist nun allerdings
der Causalconnex zwischen Chloroformwirkung und Tod bei 2 von
diesen 7 Fällen nicht bewiesen oder doch zum Mindesten anfecht-
bar, da im einen Falle der betreffende Kranke nach der Narcose
wieder zu sich kam und erst in der folgenden Nacht, wohl au Er-
schöpfung, starb und der zweite Kranke, von Dohlhoff in Magde-
burg, erst 8 Stunden nach der Operation unzweifelhaft einer Nach-
blutung erlag. Bei einem weiteren 3ten Fall ist ausdrücklich er-
wähnt, dass bei der Section, die 50 Stunden nach dem Tode gemacht
worden war, deutliche Zeichen eingetretener Verwesung vorhanden
waren. Bei den übrig bleibenden 4 Fällen wurde die Obduction
') Eine vorläufige Mittbeilung üher den wesentlichen Inhalt beifolgender
Untersuchungen machte ich bereits in der Natarforschtr-Versammlung zu
Strassburg (Section für Chirurgie). Bei weiterer und» wie ich hoffe, erschöpfender
Verfolgung des Gegenstandes und mit Zuhülfenahme neuer Beobachtungen und
Versuche musste ich jedoch in manchen Punkten zu anderen Schlussfolge-
mngen gelangen, als damals.
*) Zur Chloroformfrage. Breslau 1852. S. 16.
f. Lanff«nb«ek, Arohiv f. Chirurgie. XXXV. 2. 25
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374
Dr. 0. Kappeier,
25, 26 und 27 Stunden nach dem Tode vorgenommen und es wird
bei 2 derselben hervorgehoben, dass keine Fäulniss- oder Ver-
wesungserscheinungen an den Leichen zu beobachten waren.
Ausfuhrlicher sei hier nur des v. Lange nbeck'schen Falles
gedacht: Bei einem Patienten, der ein Gewohnheitssäufer war,
sollte die Exstirpation des Schulterblattes vorgenommen werden.
Schon die ersten Erscheinungen der Narcose, besonders das Exci-
tationsstadium, waren sehr heftig und es wurden ziemlich grosse
Quantitäten Chloroform verbraucht. Nach Beeudigung der Operation
konnte Patient sein Bett selbst aufsuchen, lief aber wie ein Be-
trunkener und kam auch nicht vollständig wieder zum Bewusstsein.
Als ein Assistent den anderen Morgen den Verband wechseln wollte,
war der Kranke noch immer in diesem trunkenen Zustand und
plötzlich wurde er blau, fiel zurück und verschied. Bei der Section,
welche an dem gleichen Tage, Nachmittags zwischen 2 und- 3 ühr
vorgenommen wurde, fanden sich ansehnliche Mengen Gas in den
grösseren Venenstämmen und im rechten Ventrikel.
Sodann hat auch Casper*) Luftblasen im Blute eines während
der Chloroformirung Verstorbenen gefunden, jedoch bei einer stark
verwesten Leiche.
Diese und ähnliche Thatsachen waren die Veranlassung, dass
eine neue Theorie über den plötzlichen Tod durch die Chloro-
formirung aufgestellt wurde: Der Tod durch Chloroform erfolgt
auf rein mechanischem Wege, wie beim Tod durch Lufteintritt in
die Venen, nahmen Roux und Piorry, nahm besonders Gorre an,
sich nicht weiter auf die Herkunft dieser Luftblasen im Blute ein-
lassend und mit der Annahme, es handele sich um Chloroform-
gasblasen, die wahrscheinlich durch Embolie der Lungencapillaren
den Tod bringen.
Auch Stanelli^) hält das im Blute von Chloroformleichen
aufgefundene Gas für Chloroformgas, gestützt auf Versuche bei
Kaninchen, die durch concentrirte Chloroformdämpfe getödtet wurden
und bei denen er Gasblasen nur sofort nach dem Tode, nicht aber
bei später vorgenommenen Obductionen der Thiere wahrgenommen
haben will. Doch mag gleich hier erwähnt werden, dass ausser
S. 802.
^) Casper-Liman, Handbuch der gerichtl. Medicin. 1871. Bd. II.
*) Was ist der Chloroform tod und wie ist er za verhüten. Berlin 1850.
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Beiträge zur Lehre von den Anaestheticis.
875
Stanelli kein Beobachter, auch bei solchen Thierversuchen, wo
die Section gleich nach deni Tode stattfand, Luftblasen im
Blute fand.
Dass überhaupt diese Erklärungsweise des Ghloroformtodes
bei den kleinen Quantitäten Chloroform, die oft ausreichen, um
den Tod herbeizuführen, bei der gleich massigen Vertheilung des
Gases im Körper und bei dem Mangel einer Gasanalyse auf
schwachen Füssen stand und ebenso rasch verschwand, wie sie un-
vermuthet und unbegründet gekommen war, kann nicht Wunder
nehmen.
Doch nicht allein Das. Sie schlug gewissermaassen in's Gegen-
theil um und es wurde die Gasentwicklung im Blute der Chloro-
formleichen ohne weitere Begründung ganz einfach als Leichen-
phänomen aufgefasst, so von Berend und Yvonneau, besonders
aber von Otto Weber') und Senator^).
Unter 46 von Senator zusammengestellten Fällen ist 11 Mal
ausdrücklich von lufthaltigem und schaumigem Blut die Rede und
zwar fand sich Luft sowohl in den Arterien als Venen, während
Virchow*), der ebenfalls bei 2 Chloroformleichen schaumiges Blut
fand, der Ansicht war, dass Luftblasen nur im venösen Blute
sich finden. Senator hebt noch besonders hervor, dass nicht ein-
zusehen sei, warum der Tod bei Chloroform Vergiftung, wenn die
Gasbildung im Blute ihn bedingte, in manchen Fällen erst mehrere
Stunden nach der Einathmung erfolgte. Und doch sei gerade in
den lethalen Fällen von protrahirter Chloroformwirkung verhält-
nissmässig weit häufiger Luft gefunden worden, als in allen anderen;
so war z. B. in 8 Sectionen, deren C asper*) gedenkt, bei
chronischer Chloroformvergiftung der Befund von Luftblasen 3 Mal
erwähnt. Malgaigne*) kennt schon 1852 aus eigener Erfahrung
2 Fälle mit Luft im Blute von Leichen, wo der Tod 24, resp.
48 Stunden nach gebrauchtem Chloroform eintrat.
Sollten, sagt Senator, alle diese Verunglückten mit Gas-
blasen im Blute, die sonst blitzschnell den Tod zur Folge haben,
^) Chirurgische Erfahrungea und Untersuchungen. Berlin 1859.
') Heber die Leichenerscheinungen nach Chloroformvergiftung. Viertel-
jahrsschrift für gerichtl. Medicin. N. F. Bd. IL
•) Medicinische Reform von Virchow und Leubuscher. 1849.
*) Husemann, Handbuch der Toxicologie. 1862. S. 681.
») Revue m6d. 1852.
25*
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376 Dr. 0. Kappeier,
noch Stunden und Tage gelebt haben? Viel wahrscheinlicher ist
doch, dass hier das durch Chloroform veränderte Blut, welches
schon während des Lebens oft verändert, von dunkler, tinten-
artiger Farbe angenommen wurde, seine normale Beschaffenheit
nicht wieder erlangt hatte und dass seiner schädlichen Einwirkung
der Organismus endlich erlag.
Senator bemerkt sodann, dass gegen die Annahme, als
wurden die Gasblasen von Chloroform gebildet, der Umstand
spreche, dass in keinem Fall von lufthaltigem schaumigem Blute
in der Leiche der Geruch nach Chloroform erwähnt wird, er viel-
mehr, wie ein paar Mal ausdrücklich angegeben wird, vermisst
wurde, ja dass umgekehrt in wenigen Fällen, wo der Geruch be-
merkt wurde, von Luftblasen keine Rede ist und doch müsste,
wären diese in der That Chloroformgas, der Geruch danach sehr
deutlich sein, dieser müsste überhaupt kein so seltener Befund,
sondern ein mindestens so häufiger sein, als die Luftblasen.
Der positive Anspruch 0. Weber 's, dass das Vorkommen
von Gasblasen im Blute an Chloroform Verstorbener zufallig und
durch Fäulniss bedingt sei und die Arbeit Senator's mögen wohl
Schuld daran gewesen sein, dass nun längere Zeit auf das Vor-
handensein von Gasblasen im Blute der Chloroformleichen nicht
mehr geachtet wurde und in den bezüglichen Sectionsberichten
nicht mehr die Rede davon war. Die Aufmerksamkeit der ünter-
sucher wandte sich namentlich in England mehr der Beschaffenheit
des Herzmuskels zu, dessen fettige Entartung zur Erklärung und
Beschönigung der Unglücksfälle beim Chloroformiren herbeige-
zogen wurde.
Im Jahre 1864 veröffentlichte Pirogoff^) die hochinteressante
Beobachtung eines chloroformirten Mannes, der inmitten der Narcose
eine schwere Syncope bekam, die anfänglich allen Mitteln trotzte.
Pirogoff glaubte schon, dass Patient todt sei, plötzlich fiel ihm
aber die sichtbare Anschwellung der Hals- und Armvenen auf, sie
fühlten sich stark ausgedehnt und gespannt an. Pirogoff machte
einen probatorischen Aderlass an der V. mediana, ohne eine Ader-
lassbinde anzulegen, da die Vene ohnedies strotzte. In dem Augen-
blick, als er sie mit einem grossen Stich öffnete, strömte ein
') GiUDdzüge der allgemeinen Kriegs-Chirurgie. S. 1063.
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Beiträge zar Lehre tod den Anaestheticis. 377
Gasstrom mit einem vernehmbaren Zischen heraus, beim Anstreichen
der Venen von oben und von unten kam eine Menge von Gas-
bläschen mit einigen Tropfen Blut aus der Aderlass wunde heraus
und bei fortgesetzter Reibung des Halses, der Brust and der Arme
zeigte sich auch ein dänner Blutstrahl, zuerst ebenfalls mit Gas-
bläschen gemischt, nachher ganz rein und der Strahl wurde stärker
und stärker, dann wurde der Radialpuls fühlbar, der Kranke fing
an zu respiriren und erholte sich allmälig ohne die geringsten
üblen Folgen.
Durch diese Beobachtung war denn auch der unumstössliche
Beweis geleistet, das die Gasblasen im Blute von Ohloroformleichen
nicht ohne Weiteres unter die Fäulnisserscheinungen eingereiht
werden dürfen und möglicherweise auch eine andere Deutung und
Erklärung erfahren müssen. Jedenfalls aber wurde durch den
Pirogoffschen Fall das Aufsehen der Chirurgen und patholo-
gischen Anatomen neuerdings auf diese interessante Erscheinung
hingelenkt.
Doch erst im Jahre 1879 berichtete Sonnenburg*) in der
Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Baden-Baden
über 3 Fälle von Chloroformtod aus Strassburg, bei denen von
Recklinghausen jedes Mal Gasblasen im Herzen und in den
grösseren Nervenstämmen gefunden hatte, obwohl von Fäulniss und
Zersetzung an den Leichen keine Spur wahrzunehmen war. Der
Tod war bei sämmtlichen Chloroformirten ungemein rasch und nach
Verabreichung sehr geringer Mengen von Chloroform eingetreten.
Das Chloroform selber war in allen Fällen, wie die Untersuchung
ergab, rein gewesen. Der Puls setzte plötzlich aus, während die
Athmung noch eine Zeit lang fortdauerte. Zahlreiche, von
Sonnenburg angestellte Experimente, um die Möglichkeit der
Gasentwickelung im Blute bei Cloroformeinwirkung und die Art
des Gases festzustellen, haben zwar das Freiwerden von Stickstoff
innerhalb der Gefasse unter bestimmten Verhältnissen als immerhin
möglich ergeben; doch gelang es nicht, die Bedingungen und Ver-
hältnisse, unter denen eventuell eine Gasentwickelung im Blute
stattfindet, festzustellen. Sonnenburg verlangt am Schlüsse seiner
Mittheilung, dass in allen Chloroformtodesfallen durch eine genau
*) Tageblatt der Naturforscher -Versammlung in Baden-Baden. No. 7.
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878 Dr. 0. Kappeier,
ansgefohrte Autopsie auf das Vorhandensein von Gas im Blute zu
achten und dieses wo möglich aufzufangen sei, da vorläufig auf
experimentellem Wege über diesen eigenthümlichen Befund nichts
Bestimmtes festzustellen sei. Seit der Zeit sind meines Wissens
keine Chloroformtodesfälle mehr veröffentlicht worden, bei denen
freies Gas im Blute und insbesondere im Herzen gefunden wurde.
Einen noch nicht publicirten, hierher gehörigen Fall hat mir
Herr Dr. Lauenstein, dirig. Arzt am Seemannskrankenhause in
Hamburg mit grosser Zuvorkommenheit zur Verfügung gestellt,
zugleich bemerkend, dass dieser Fall der einzige sei, der ihm in
neunjähriger, selbständiger chirurgischer Thätigkeit begegnet war.
Er betrifft einen 27jährigen, früher gesunden und aus gesunder
Familie stammenden Heizer, der am 15. Juni 1880 wegen beider-
seitigem abscedirendem Bubo inguinal, in das Seemannskranken-
haus aufgenommen wurde. Am 16. Juni exstirpirte L. in Chloro-
formnarcose das Gänseeigrosse , linksseitige Inguinaldrüsenpacket
mit Messer imd scharfem Löffel. Patient hatte das Chloroform
schlecht vertragen, häufig erbrochen und fühlte sich noch am zweiten
Tage nach der Operation immerfort übel und hatte vollständigen
Appetitmangel. Am 23. Juni kam er behufs Incision und Aus-
löffelung des rechtsseitigen Bubo's auf den Operationstisch. Er
war auffallend bleich, sehr ängstlich, erklärte beim Beginn der
Narcose heute nicht zählen zu können. Der Puls war voll, regulär,
normale Athmung. Nachdem Patient circa IV2 — 2 Minuten chloro-
formirt war, innerhalb welcher Zeit circa 5 Gramm Chloroform
verbraucht worden, setzt mitten im Stadium excitationis der bis
dahin gute Puls plötzlich aus, Patient wird äusserst blass, die
mittelweiten, eben noch reagirenden Pupillen erweitern sich ad
maximum und werden starr, die eben noch sensible Cornea wird
unempfindlich, die Chloroformmaske wird sofort entfernt, die Zunge
hervorgezogen, während Patient noch einige tiefe (4 — 6) Athem-
züge macht, dann setzt die Athmung ebenfalls aus. Nach ciroa
272 Minuten angewandter, künstlicher Respiration athmet Patient
wieder spontan, bleibt aber pulslos, die Pupillen contrahiren sich
ür einen Moment, um dann wieder die maximale Weite anzu-
nehmen. Die Respiration wird allmälig schwächer, setzt schon
nach 2 Minuten wieder ganz aus und ist trotz V4 stündiger kunst-
licher Athmung und Faradisation der Phrenici nicht wieder zu er-
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Beitr&ge zur Lehre von den Anaestheticis.
379
wecken. Bezüglich des Sectionsresultates interessirt hier nar, dass
TodteQstarre vorhanden war, dass in den Venae saphenae und
femorales flässiges Blut sich fand, dass der rechte Herzventrikel
schlaff war und in geringer Menge mit Luftblasen vermischtes,
hellrothes Blut enthielt, dass der linke Ventrikel massig contrahirt,
ohne Inhalt und das Herzfleisch blassroth, nicht verfettet war, dass
die Glottis Cadaverstellung zeigte und beide Lungen hochgradig
hyperämisch waren.
Im Jahre 1882 hatte ich das Missgeschick einen Chloroform-
todesfall unter folgenden Umstanden zu erleben:
Es handelte sich um eine 19jährige, damals, als sie in meine
Behandlung kam, durch ein langes, vorausgegangenes schmerzhaftes
Krankenlager und eine seit Monaten bestehende Eiterung geschwächte
und dem Tode verfallene Kranke. Ein mit Uterus, Blase, Rectum
und Beckenperitonaeum verwachsenes, spontan vereitertes Kystom
des linken Ovarium war mit zwei Fistelgängen in die Vagina und
ins Rectum durchgebrochen, die Eiterung war bald stärker» bald
schwächer, der gehinderte Eiterabfluss bedingte jedes Mal Fieber-
exacerbation und als die stumpfe Erweiterung der Fistelgänge nur
vorübergehend freieren Abfluss beschaffte und überdies unerträgliche
Schmerzen machte, wurde die Kranke zum Zwecke einer ausgiebigen
Erweiterung und Drainage der Fistelgänge am 12. December mit
der Skinner-Esmarch'schen Maske chloroformirt. Die Narcose
bot in den ersten Minuten nichts Besonderes dar, nur traten bei Be-
ginn derselben längere Respirationspausen ein, so dass die Kranke
wiederholt zu ruhigem und regelmässigem Athmen aufgefordert
werden musste. Der Puls war regelmässig, etwas klein. Etwa
8 — 10 Minuten nach Beginn der Inhalirung, als die Pupillen an-
fingen, sich zu verkleinern, die Muskulatur schlaff wurde, die
Operation beginnen sollte und Patientin schon in die Steinschnitt-
lage gebracht worden war, fing sie an leichte Brechbe.wegungen zu
machen und als der Kopf, der, nicht gestützt, haltlos hin und her
baumelte, etwas in die Höhe genommen wurde, bemerkte man, dass
die Pupillen ad maximum erweitert waren und das Gesicht eme
bläuliche Färbung angenommen hatte. Der Radialpuls konnte nicht
mehr gefühlt werden, die Respiration stockte, verschwand aber noch
nicht vollständig. Das Chloroform wurde sofort beseitigt und bei
vorgezogener Zunge die künstliche Respiration eingeleitet; allein
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380 Dr. 0. Kappeler,
die Athembewegnngen wurden, trotz unausgesetzter Anwendung des
Silvester'schen Verfahrens, oberflächlicher und schwächer und da
bei den vorausgegangenen Brechbewegungen der Gedanke nahe lag,
es naöchten vielleicht Speisereste in den Larynx aspirirt und die
Luftwege dadurch verlegt worden sein, machte ich sofort die
Tracheotomie, konnte jedoch nur etwas Schleim aus der Trachea
herausbefordern. Die künstliche Respiration und die übrigen Wieder-
belebungsmittel (die Faradisation der Phrenici, reizende Klysmata,
Kaltwasserbespritzungen, Friction) wurden noch über eine halbe
Stunde fortgesetzt und schliesslich noch 2 Venen, die V. mediana
cephalica und die V. jugularis externa geöffnet, ohne dass Blut oder
Luft austrat.
Der Chloroformconsum war ein verhältnissmässig sehr geringer
gewesen.
Die Symptome dieser tödtlich verlaufenen Chloroformintoxication
unterschieden sich nur in einem Punkte von der typischen Chloro-
formsyncope, nämlich dadurch, dass das Gesicht nie jene bekannte
erdfahle Farbe annahm, sondern vom Beginn der bedrohlichen
Symptome bis zum erfolgten Tode bläulich-roth blieb. Desshalb
abstrahirte ich auch von vornherein von der completen Inversion
des Körpers.
Der Rest des Chloroforms wurde sofort versiegelt und einem
Chemiker zur Prüfung übergeben, der es in jeder Beziehung als
durchaus rein fand. Bezüglich der Obduction ist vor Allem zu er-
wähnen, dass sie 23 Stunden nach dem Tode gemacht wurde
und dass die Leiche, was übrigens im December wohl selbstver-
ständlich ist, absolut keine äusserlich wahrnehmbaren Fäulniss-
oder Zersetzungserscheinungen darbot, dass die allgemeinen Decken
blass waren, dass starke Todtenstarre vorhanden war und am
Rücken und der Hinterseite der Oberschenkel blassrothe Senkungs-
flecken sich fanden. Ausser der Localerkrankung, dem linksseitigen
vielfach verwachsenen Kystom und einer zweiten, mit Haaren und
Zähnen versehenen Dermoidcyste und einem geringen Grad von
Speckniere fanden sich keine Veränderungen von Belang.
Das Blut war in allen Organen flüssig und theerartig und be-
züglich der Füllung des Herzens war allenfalls noch bemerkens-
werth, dass der rechte Ventrikel schlaff und beinahe leer war,
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Beitr&ge zur Lehre Ton den Anaestheticis. 381
während der linke Ventrikel etwas contrahirt erschien und ziem-
lich viel flüssiges Blut enthielt. .
Vor der Untersuchung der übrigen Organe, wurde das Herz
nach successiver, sorgfältiger Abbindung aller zu- und abfuhrenden
Gefasse in toto herausgenommen und in einer Wanne, die mit
destillirtem und nachträglich noch ausgesottenem Wasser gefüllt
war, unter einer mit gleicher Flüssigkeit gefüllten Glasglocke er-
ö£fhet. Zuerst wurde das rechte Herz aufgeschnitten, aus dem fast
kein Blut, aber eine grössere Gasblase aufstieg, aus dem unmittel-
bar nachher eröffneten linken Herzen floss reichlich flüssiges schwarzes
Blut und eine noch etwas grössere Gasblase. Die vereinigten Gas-
blasen hatten ungefähr die Grösse einer grossen Wallnuss. Bei der
Abfüllung der Gasblase in ein kleineres Gefass ging etwas mehr
als die Hälfte des Gases verloren, so dass zur näheren Untersuchung
desselben noch eine circa Haselnussgrosse Blase übrig blieb ^ die
Herrn Professor Zengerle in Konstanz zur weiteren Untersuchung
abgeliefert werden konnte.
Ueber das Resultat seiner Untersuchungen schrieb mir Herr
Zengerle folgendes: „Die unter Wasser befindliche Gasblase ist
beim Umschütteln und längerem Stehenlassen nicht kleiner geworden,
sie konnte daher weder Kohlensäure noch Ammoniakgas, Schwefel-
wasserstoff, salpetrige Säure sein, da diese Gase einen beträchtlich
hohen Absorptionscoefficienten haben. Zu denjenigen Gasen, welche
vom Wasser nicht oder nur spurenweise verschluckt werden, ge-
hören unter Anderem Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff. Von
Grubengas, Oelgas und dergleichen kann wohl im vorliegenden Falle
abgesehen werden.
Wasserstoff verbrennt mit bläulicher Flamme, Sauerstoff facht
eine rothglühende Kohle zur Weissgluth an, Stickstoff hebt das
Glühen auf.
Um mit einem kleinen Gasquantum diese 3 Reactionen mit
Sicherheit' ausführen zu können , habe ich folgenden Apparat
construirt (s. umstehend):
Das Verfahren ist folgendes: Nachdem die Gasblase unter aus-
gekochtem Wasser in die Trichterröhre übergeführt worden und in
das Knie aufgestiegen ist, kehrt man den Gasapparat langsam um,
so dass sich das Gas unterhalb des Quetschhahnes ansammelt.
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382
Dr. 0. Kappeier,
Fig. 1.
Fig. 2.
A Trichterröhre mit Knie. — B Kautsch uksohlaach, verschliessbar durch einen
Quetschhahn. — C Ansatzröhre mit sehr fein ausgezogener Spitze. — D Eine
rothglühende, ebenflächige Eichenholzkohle nebst Zangenhalter. — E Eine
tiefe pneumatische Wasserwanne.
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384 Dr. 0. Kappeier,
Zeiten \rorgenommen und bezieht sich auf 51 Leichen. Sie wurde je-
weils in schon oben angedeuteter Weise ausgeführt. Mit sorgfaltiger
Vermeidung der Verletzung grösserer Gefasse, z. B. am Halse, öflfneten
wir Thorax und Herzbeutel und banden alle zu- und abfährenden Ge-
fasse ab, wobei sich folgende Reihenfolge als praktisch erwies: Vena
Cava inferior, Aorta und Pulmonalis in eine Ligatur, Vena cava superior
und zuletzt die Pulmonalvenen, einzeln oder zu zweien. Dann Durch-
trennung der Gefässe ausserhalb der Ligaturen und sorgfaltige Reini-
gung des Herzens in kaltem Wasser. Nachher wurde das Herz in aus-
gekochtes Wasser gebracht und die Eröffnung der 4 Herzhöhlen unter
einer mit gleicher Flüssigkeit gefüllten Glasglocke vorgenommen.
Noch ist zu bemerken, dass die Gefässstümpfe aufs Sorgfältigste
unter Wasser ausgequetscht und ausgerieben werden müssen, damit
die oft daran haftenden Luftbläschen entfernt werden und dass
man bei mangelnder Vorsicht leicht mit Händen und Vorderarmen
an den Flaumhaaren hängende Luftbläschen, endlich auch mit den
Instrumenten solche in die Wanne und unter die Glasglocke ein-
schleppen kann. Bei dieser Methode des Auffangens der Herzgase,
die sich an das gewöhnliche Obductionsverfahren anschliesst und
dasselbe nur vervollständigt, werden von grösseren arteriellen Ge-
fässen nur die Art. mammariae intemae verletzt und da diese oft
scharf durchtrennt werden, daher klaffen und gemeiniglich auch leer
sind, liegt der Einwand nahe, es möchte das im linken Herzen auf-
gefundene Gas ganz oder theil weise durch die Art. mammariae aspirirt
worden sein. Und wenn nun auch das Resultat unserer zahlreichen
Gasanalysen die Aspiration atmosphärischer Luft überhaupt un-
wahrscheinlich macht, so war es doch geboten, sie in's Auge zu
fassen und experimentell zu bestätigen oder zu widerlegen.
Eine allfällige Aspiration durch die Mammariae könnte nur
von dem auch im Tode elastischen Rohr der Aorta ascendens aus-
gehen und es ist daher zunächst von Bedeutung und Interesse, zu
wissen, wie es sich mit der Beschaffenheit und dem FüUungsgrad
der Aorta an der Leiche verhält.
Bei 20 hierauf speciell untersuchten Leichen war 18 Mal die
Aorta abgeplattet, mehrmals bis zur Berührung der vorderen und
hinteren Wand und zeigte eine mehr oder weniger tiefe Längsdelle;
dabei war sie leer oder enthielt ein bandförmiges Gerinnsel, das sich
noch in den Aortenbogen und in die Aorta descendens fortsetzte und
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Beiträge zur Lehre von den Anaestheticis. 385
Aaslaufer an die Subclavia und die Carotis abgab; stets war die
Eintrittsstelle der Art. mammariae in die Art. subclaviae gerinnsel-
frei. Nur 2 Mal zeigte die Aorta ascendens rundliche Form und
war mit flässigem Blut und lockeren Gerinnseln angefüllt, In
letzterem Fall kann selbstverständlich von einer Luftaspiration
Seitens der Aorta überhaupt keine Rede sein.
Um nun aber zu ermitteln, ob die leere, abgeplattete Aorta
Luft aspirire, wurde, und zwar immer mit dem gleichen Resultat,
6 Mal folgender Versuch gemacht:
Es werden die beiden Art. mammariae durch Resection des
Schlüsselbeins und der vorderen Hälften der ersten beiden Rippen
in einer Längsausdehnung von 6 — 8 Ctm. freigelegt. Dann wird
zuerst die linke Art. mammaria am centralen Ende durch die
Finger eines Assistenten sorgfältig comprimirt und unterhalb der
Compressionsstelle wird das horizontal abgebogene und behufs
sicherer Anlegung der Ligatur hinter der Spitze knopfartig aufge-
blasene Ende des einen Schenkels einer mit Wasser gefüllten,
gleichschenkeligen Heberröhre in das Lumen der Arterie centralwärts
eingebunden. Nachdem das Niveau der Flüssigkeit in der Heber-
röhre genau auf die Höhe der Arterie gebracht worden, werden die
das Gefäss comprimirenden Finger entfernt, die Compressionsstelle
wird gelüftet, der die Heberröhre am freien Ende schliessende Finger
weggenommen und nun genau controllirt, ob Wasser aspirirt wird.
Nach Vollendung des Versuches wird die Arterie centralwärts vor
Herausnahme der Heberröhre abgebunden und nun die gleiche
Manipulation mit der rechten Art. mammaria vorgenommen.
Das Resultat dieser an 6 verschiedenen Leichen unternommenen
Versuche war, dass entweder gar kein Wasser abfloss oder dass
einige Tropfen abflössen, die kaum zur Füllung der Art. mammaria
ausreichten. Jedes Mal wurde, was noch beizufügen ist, die Weg-
samkeit der Arterien an der Compressionsstelle dadurch festgestellt,
dass durch starkes Heben des freien Schenkels der Heberröhre der
Wasserabfluss in die Mammariae und zwar immer mit Erfolg er-
zwungen wurde. Ein anderer, die Luftaspirationsfahigkeit der Aorta
durch die durchschnittenen Mammariae prüfender Versuch war
folgender:
Die beiden Artt. mammariae werden freigelegt, doppelt unter-
bunden und zwischen den Ligaturen durchgeschnitten. Dann wird,
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386 Dr. 0. Kappeier,
mit Schonung der centralen Stümpfe der Arterien, der Thorax er-
öffnet, der